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Interview

Kulturelle Bildung und die SDGs: (k)ein Zusammenhang?

Im Gespräch mit Volkmar Liebig, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ)

02.02.22

Die globalen nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) sind in aller Munde. Was kann Kulturelle Bildung zu ihrer Umsetzung leisten und ist sie in den SDGs aktuell überhaupt verankert? Was können Träger tun, um die SDGs bei sich aufzugreifen?

Porträt von Volkmar Liebig

Volkmar Liebig ist seit 2017 Referent im Projekt „jugend.kultur.austausch global“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Zuvor arbeitete er für den Deutschen Entwicklungsdienst und als Kulturprogrammkoordinator beim Goethe-Institut Mexiko.

Welche Bezüge haben die Sustainable Development Goals (SDGs) zu Kultur?

Zunächst ist es wichtig, dass sich die SDGs nicht auf nachhaltigeres Handeln per se beziehen, sondern auf konkrete Problemlagen in einzelnen Bereichen, die Leben und Menschsein deutlich beeinträchtigen und durch nachhaltige Entwicklung verbessert werden sollen − auf lokaler bis globaler Ebene. Ein solcher einzelner Bereich ist Kultur in den SDGs bisher nicht, dennoch fragen wir uns, welche Entwicklungsziele sich für den Kulturbereich definieren lassen und zum Erreichen welcher SDGs er beitragen kann. Aktuell können wir vier Anknüpfungspunkte zu Kultur in den SDGs ausmachen. Erstens: das Ziel der hochwertigen Bildung im SDG 4. Zweitens: den Schutz von Kulturerbe und, sehr bedingt, von kultureller Diversität im SDG 11. Drittens: Good Governance als Teil von SDG 16, das sich für die Entfaltung aller Kulturen einsetzt inklusive Rechtssicherheit. Und zuletzt die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft als Ableitung aus SDG 8, wobei der dahinterstehende Wachstumsgedanke hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung kontrovers zu sehen ist.

Welche Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen SDGs und Kultureller Bildung sehen Sie?

Bildungskonzepte wie die Kulturelle Bildung tragen mit ihren Methoden zur Selbstbildung bei und fördern u. a. die Gestaltungskompetenz. Insofern hat die Kulturelle Bildung in erster Linie Bezüge zu SDG 4 „Hochwertige Bildung“ und könnte als eine Konkretisierung gesehen werden, wie eine hochwertige Bildung v. a. über non-formale Ansätze erreicht werden könnte. In SDG 4 selbst wird allerdings leider nicht differenziert definiert, was hochwertige Bildung pädagogisch oder inhaltlich eigentlich ausmacht. Es zielt vorrangig darauf ab, den weltweiten Zugang zu formaler Bildung zu erhöhen, z. B. durch den Ausbau von Schulen. 

Kultur und Kulturelle Bildung in künftige SDGs zu integrieren – welchen Ansatzpunkt sehen Sie?

Eine große Schwierigkeit besteht darin, die Globalität der SDGs auf die unterschiedlichen Situationen vor Ort herunter zu brechen, da die Entwicklungsziele nicht in jeden Zusammenhang passen. Und es ist eine Herausforderung, ein Bildungskonzept, wie die Kulturelle Bildung, in die globalen SDGs aufzunehmen, weil die Umsetzung eines solchen Bildungskonzepts ja in jedem Land anders ist. Möchten wir, dass Kultur zukünftig mehr in die SDGs integriert wird, müssen wir außerdem den genutzten Kulturbegriff klar definieren. Geht es um einen weiten Begriff, wie die in einer Gesellschaft vorherrschende Kultur das Erreichen bestimmter SDGs beeinflusst und wie ein nachhaltiges Bewusstsein entstehen kann? Oder sind – eher eng – die Stärkung kultureller Strukturen, der Schutz von Kulturgütern oder Räume für eine sich frei entfaltende Kulturproduktion gemeint?

Bildungskonzepte wie die Kulturelle Bildung tragen mit ihren Methoden zur Selbstbildung bei und fördern u. a. die Gestaltungskompetenz. Insofern hat die Kulturelle Bildung in erster Linie Bezüge zu SDG 4 „Hochwertige Bildung“ und könnte als eine Konkretisierung gesehen werden, wie eine hochwertige Bildung v. a. über non-formale Ansätze erreicht werden könnte.

Volkmar Liebig

Es gibt also einige Schwierigkeiten, Kulturelle Bildung und SDGs zu verbinden. Sollten wir es lieber sein lassen?

Nein. Aber es ist schon eine wichtige Frage, warum einem gerade der SDG-Bezug so wichtig ist. Es ist natürlich naheliegend, die SDGs als Projektionsfläche für Politik und Lobbyarbeit zu nutzen, wenn diese mit ihrem Anspruch, für nachhaltige Entwicklung ein globaler Rahmen zu sein, derzeit in aller Munde sind. Deswegen ist es verständlich und richtig, dass sich auch der Kultursektor hier gut und plausibel positionieren will. Jedoch werden die SDGs häufig als eine Art leerer Container mit den eigenen Nachhaltigkeitsabsichten gefüllt, ohne die Zusammenhänge zu den ursprünglichen, entwicklungspolitischen Bezügen der SDGs herzustellen.

Inwiefern ließen sich konkrete Entwicklungsziele für Kulturelle Bildung in der Zukunft definieren? 

Entwicklungsziele lassen sich eigentlich nur aus Problemlagen heraus definieren, die lokal, regional, national oder global vorhanden sind. Kulturelle Bildung als Teil des Schlüsselelements Bildung kann über ihre Methoden und ihr Selbstverständnis indirekt sicherlich zum Erreichen vieler Entwicklungsziele beitragen, zum Erreichen einiger aber auch nicht. Für künftige SDG-Fassungen wäre es daher sehr relevant, den non-formalen Bildungsbereich stärker mitzudenken und zu definieren: Was kann außerschulische Bildung zu hochwertiger Bildung im Sinne des SDG 4 beisteuern? Daraus ließe sich dann auch ableiten, warum eine Stärkung der Kulturellen Bildung selbst Teil dieses Entwicklungsziels sein könnte. Die Kulturelle Bildung könnte sich außerdem auch des Entwicklungsziels annehmen, stärker zum kulturellen Wandel für nachhaltige Entwicklung, also zur Herausbildung eines Bewusstseins und einer gesellschaftlichen Nachhaltigkeitskultur, beizutragen. Dabei ließe sich auch die Verknüpfung mit Bildung für nachhaltige Entwicklung, Globalem Lernen und politischer Bildung weiter festigen. 

Die SDGs richten sich entwicklungspolitisch gesehen zunächst auf staatliches Handeln aus. Welche Verantwortung sehen Sie bei Trägern in Deutschland?

Ich würde es eine Aufforderung zur Reflexion nennen: Können Träger ihre Arbeit an einer Schnittstelle zwischen Kultur und SDGs in Bezug setzen oder in ihrem Umfeld eine entwicklungspolitische Problemlage erkennen? Und zur Umsetzung welches SDGs kann die Organisation einen Beitrag leisten? Da so eine fundierte Auseinandersetzung mit den nachhaltigen Entwicklungszielen nicht ganz einfach ist, kann es sich aber auch anbieten, die SDGs etwas niedrigschwelliger als reine Bildungsthemen aufzugreifen: Was interessiert Jugendliche an einzelnen SDGs und wie hängen diese mit ihren Lebensrealitäten zusammen? Auch wenn das mit der Umsetzung der Entwicklungsziele selbst weniger zu tun hat, können sich Träger auf diese Weise den Themen inhaltlich annähern und für eigene politische Schwerpunktsetzungen oder mit Blick auf mögliche Fördergeber nutzen.

Sie haben viel Erfahrung mit internationaler Arbeit und im Bereich des Globalen Lernens. Was kann Kulturelle Bildung aus diesen Perspektiven mitnehmen?

Kulturelle Bildung und Globales Lernen haben einige Schnittstellen, die sich für Nachhaltigkeitsthemen noch mehr verzahnen lassen, u. a. fördert Kulturelle Bildung ein Bewusstsein für Diversität und die Stärkung einer eigenen Haltung gegenüber komplexen sozialen Zusammenhängen. Sie kann durch die Integration globaler und politischer Themen noch mehr zur Sensibilisierung für nicht-nachhaltige Prozesse beitragen. Kulturelle Bildung ist ja in ihrer Themenwahl frei und kann auch Perspektiven globaler Gerechtigkeit in künstlerischen Prozessen erfahrbar machen. Durch ergebnisoffenes Lernen wird außerdem der eigene Horizont erweitert. Das kann z. B. auch ganz bewusst im internationalen Jugendaustausch genutzt werden. Globale Probleme können im jeweils anderen Land wahrgenommen werden und auch, welche Nachhaltigkeitsperspektiven dort vorhanden sind. Solche Erfahrungen bleiben in den Köpfen.

Auch wenn es mit der Umsetzung der Entwicklungsziele selbst weniger zu tun hat, können Träger die SDGs auch als reine Bildungsthemen aufnehmen: Was interessiert Jugendliche an einzelnen SDGs und was hat das mit ihren Lebensrealitäten zu tun?

Volkmar Liebig

Weitere Informationen

Ergänzende Veranschaulichung, wo sich Kulturelle Bildung strukturell und inhaltlich im Zusammenspiel mit Handlungsfeldern der Nachhaltigkeit verorten lässt: Grafik/Werkzeug „SDGs und Kulturelle Bildung: Nachhaltigkeitsziel 4 – ‚Hochwertige Bildung‘ unter der Lupe“

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was? kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 23–25, Grafik 26–29.

Zitiervorschlag

BKJ: Kulturelle Bildung und die SDGs: (k)ein Zusammenhang?
https://www.bkj.de/internationales/jkaglobal/wissensbasis/beitrag/kulturelle-bildung-und-die-sdgs-kein-zusammenhang/
Remscheid und Berlin, .

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