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Interview

Kinder an die Macht?! Kinderrechte in digitalen Welten

Im Gespräch mit Jutta Croll, Stiftung Digitale Chancen

28.10.21

Bildung, Teilhabe und Spiel, Meinungs- und Informationsfreiheit, Recht auf Versammlung sowie Berücksichtigung des Kindeswillens – Beispiele für Kinderrechte in digitalen Welten, wie sie die UN-Kinderrechtskonvention vorsieht. Was kann Kulturelle Bildung zur Wahrung der Kinderrechte beitragen?

Jutta Croll Profilbild

Jutta Croll ist Vorstandsvorsitzende der Stiftung Digitale Chancen und leitet dort seit 2017 das internationale Projekt Kinderrechte.digital. Zu ihren Themenschwerpunkten zählt ein zeitgemäßer Kinderschutz im Internet unter Berücksichtigung der Kinderrechte.

Wie drückt sich Macht in digitalen Räumen aus?

Mächtig sind diejenigen, die in der Lage sind, Spielregeln zu schaffen. Das ist nicht zwangsläufig nur der Plattformbetreiber oder der Gesetzgeber. Auch Nutzer*innen können Spielregeln aufstellen, sofern sie über ausreichende Kenntnisse, Strategien oder Konzepte verfügen, um ein interessantes Angebot zu kreieren. Umso stärker können sie sich im digitalen Raum Gehör verschaffen und ihre Machtposition ausüben.

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem an diesen Machtkonstellationen?

In der physischen Realität fällt es uns leicht, Machtverhältnisse auf Basis von Signalen einzuordnen. Redner*innen auf einer Veranstaltung haben in der Regel mehr Macht als diejenigen, die im Raum sitzen. Diese gelernten Merkmale muss ich im digitalen Raum hinterfragen: Warum werden mir bestimmte Informationen zugespielt, was ist wahr und was falsch? Dass manche Stimmen lauter und mit größerer Reichweite Inhalte verbreiten können, liegt vielleicht an ihren finanziellen Mitteln? Die Strategien im digitalen Raum zu durchschauen, ist weniger leicht als in traditionellen Settings.

Können sich Nutzer*innen dennoch kritisch im Digitalen bewegen?

Zum Teil empfinden es Nutzer*innen als angenehm, dass ihnen Inhalte, die ihren Erwartungen und Wünschen entsprechen, dass ihnen Kontakte zu bestimmten Personen vorgeschlagen werden – wo meine Datenschützerin-Seele erschreckt denkt: Was wissen die alles über mich? Es ist nicht transparent, dass Informationen über mich missbraucht werden können, um mich in eine bestimmte Richtung zu manipulieren, zu „influencen“. Ich bin immer wieder erstaunt, dass dieser Begriff „Influencer*in“ so unkritisch hingenommen wird. Wollen wir uns denn in der Art und Weise beeinflussen lassen?

Welche Bedeutung messen Sie Kinderrechten in digitalen Räumen bei?

Wie die Studie von Sonja Livingston und Yasmina Byrne aus dem Jahr 2016 zeigt: Ein Drittel der Internetnutzer*innen weltweit sind unter 18 Jahre und damit Kinder im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention. Insofern müssen Kinderrechte einen ganz hohen Stellenwert im digitalen Raum einnehmen. Und ich bin der Ansicht, dass das Potenzial, das der digitale Raum für die Verwirklichung der Kinderrechte bietet, längst noch nicht ausgeschöpft ist.

An welche Potenziale denken Sie?

Im ersten Moment denkt man an das Recht der Kinder auf Zugang zu Informationen durch das Internet. Bei Entscheidungsfindungen und Wahlen wird vielfach auf Beteiligungs-Plattformen verwiesen, die im Internet zur Verfügung stehen. Aber ich würde das nicht als Gradmesser der eigentlichen Verwirklichung der Kinderrechte sehen. Das sind für mich eher Instrumente, um Beteiligung zu ermöglichen. Das eigentliche Potenzial des digitalen Raums liegt in der Verwirklichung des Rechts, gehört zu werden, in allen Angelegenheiten, die Kinder selbst betreffen – wie es Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention auch vorsieht: Wo spielen Kinder eine Rolle? Werden sie gefragt und ihre Interessen bei bestimmten Entscheidungen ausreichend berücksichtigt? Ein gutes Beispiel dafür ist die kürzlich verabschiedete „25. Allgemeine Bemerkung“ zur UN-Kinderrechtskonvention. 709 Kinder aus 28 Ländern haben sich dafür mit sämtlichen Fragen ihrer Rechte im digitalen Raum befasst.

Wie entwickeln sich Kinderrechtsperspektiven im digitalen Umfeld?

Das ist ganz unterschiedlich. Ein schönes Beispiel ist das neue, am 1. Mai 2021 in Kraft getretene Jugendschutzgesetz, das auf einem kinderrechtlichen Ansatz basiert und die persönliche Integrität des Kindes in den Fokus rückt. Für die pädagogische Praxis eröffnet Paragraph 27 Absatz 4 neuen Handlungsspielraum: Von der Bundesprüfstelle indizierte Inhalte, z. B. beim Gangsta-Rap, können unter bestimmten Voraussetzungen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen freigegeben werden. Eingebettet in ein pädagogisches Umfeld kann mit Kindern und Jugendlichen über die Sachen gesprochen werden, die sie wirklich interessieren. Die Inhalte werden aus dem Reiz des Verbotenen herausgeholt. So kann man sich auch über antidemokratische Tendenzen, über Hass und Gewalt – was sich ja alles im digitalen Raum abspielt – auseinandersetzen.

Lebensweltorientierung ist das Gebot der Stunde, wenn es um Digitalität in der pädagogischen Arbeit geht.

Jutta Croll

Inwieweit geht es bei den Kinderrechten darum, junge Menschen im Digitalen zu ermächtigen?

Die Kinderrechte, gemäß UN-Kinderrechtskonvention, werden nach den Bereichen Protection, Provision und Participation − zu Deutsch: Schutz, Befähigung und Teilhabe − kategorisiert. Befähigung trägt dabei auch die Bedeutung des englischen Begriffs Empowerment, also Ermächtigung, in sich. Dies gilt auch im digitalen Umfeld, das ja ganz selbstverständlich zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen gehört: Ich muss den Schutz gewährleisten, damit sich Kinder im digitalen Raum gefahrlos bewegen können. Ich muss sie im Sinne der Befähigung in die Lage versetzen, sich den digitalen Raum anzueignen. Auf dieser Basis erwächst dann ihre Teilhabe: Sie können sich informieren, mit anderen austauschen, in Debatten einbringen und Entscheidungen herbeiführen. Das ist ein Prozess, den wir gar nicht hoch genug einschätzen können.

Um die Mediennutzung überhaupt bewerten zu können, muss ich verstehen, was Kinder und Jugendliche da tatsächlich tun und wie viel an Selbstverwirklichungspotenzial in der Nutzung von digitalen Medien von Kindern und Jugendlichen steckt.

Jutta Croll

Was sind die Voraussetzungen, um die Ressourcen des Digitalen zu nutzen?

Auch hier lautet das Stichwort „Lebensweltorientierung“. Das bedeutet nicht, alles gut zu finden, was Kinder und Jugendliche mit Medien machen. Aber, um die Mediennutzung überhaupt bewerten zu können, muss ich mich letzten Endes auch darauf einlassen und verstehen, was sie da tatsächlich tun, was es für sie bedeutet und wie viel an Selbstverwirklichungspotenzial in der Nutzung von digitalen Medien von Kindern und Jugendlichen steckt. Ich bin sehr beeindruckt, wie Jugendliche z. B. Instagram oder TikTok für sich als Raum ihrer eigenen kulturellen Aktivitäten verstehen, wie sie sich selbst darin zum Ausdruck bringen.

Welche Potenziale bietet gerade die Kulturelle Bildung?

Ich glaube, dass dieses Sich-Orientieren, Sich-selbst-Finden und -Ausprobieren bei den Trägern der Kulturellen Bildung besser angesiedelt ist als in klassischen Bildungsinstitutionen wie Schule, die ja Leistung beurteilen und auch Noten in Mathe, Deutsch oder Physik vergeben muss, und daher diesen Experimentierraum vielleicht nicht so gut bereitstellen kann wie die Kulturelle Bildung. Lebensweltorientierung bedeutet auch Aufgeschlossenheit für die Belange der Kinder und Jugendlichen und beinhaltet, ihre Experimentierfreudigkeit zu fördern.

Wo sehen Sie Weiterentwicklungsbedarf in der pädagogischen Arbeit?

Vielfach sind die Voraussetzungen nicht dafür da, was wir ja in der Pandemie, als Bildung ad hoc in den digitalen Raum verlegt wurde, sehen konnten. Ich finde, dass man jetzt wirklich schnell auf allen Stufen der Bildung, also insbesondere auch bei der Ausbildung der Fachkräfte – Lehrpersonal oder pädagogische Fachkräfte –, die Vermittlung von Medienkompetenz verankern muss, und zwar nicht nur als Wahlfach. Ich kann mir heute pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht vorstellen, ohne sich mit digitalen Medien zu befassen. Lebensweltorientierung ist das Gebot der Stunde, wenn es um Digitalität in der pädagogischen Arbeit geht.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Digital – Jugend Macht Transformation, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 21-2021. Berlin. S. 20-23.

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Zitiervorschlag

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