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Interview

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, ...

06.03.19

Seit gut zwei Jahren reist sie quer durch Baden-Württemberg. Angelika Barth, Referentin der Landeszentrale für politische Bildung, spricht mit Kommunen über die Beteiligung von Jugendlichen an politischen Entscheidungen.

Angelika Barth leitet den Fachbereich Jugend und Politik der Landeszentrale Politische Bildung Baden-Württemberg. Seit 2016, als im Land die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gesetzlich verankert wurde, führt sie Fortbildungen für Kommunen durch.

Im Interview erzählt Angelika Barth über den Zusammenhang von Beteiligung und Identifikation, die Grundbedingungen für Demokratie – und Brennnesseln auf dem Basketball-Platz.

Die Demokratie lebt davon, dass ich mich mit der Gesellschaft und meinem Umfeld identifiziere, dass ich Interesse habe, dafür einzustehen, mitzuwirken, mitzugestalten.

Angelika Barth

In der politischen Bildung geht es viel um Zugehörigkeit, Teilhabe und Verankerung von Jugendlichen in der Gesellschaft. Benutzen Sie da den Begriff „Heimat“?

Überhaupt nicht! Es geht um Fragen, wie: Wo gehör ich hin? Wo komm ich her? Wo fühle ich mich zu Hause? Wo habe ich meine Freunde, wo will ich mich beteiligen? Womit identifiziere ich mich? Wo möchte ich mich engagieren? Wo ist mein Lebensmittelpunkt? Aber ‚Heimat‘ kommt weder von den Jugendlichen, noch von unserer Seite. Gar nicht.

Wenn wir von Zugehörigkeit zur Gesellschaft und von Partizipation sprechen, welcher Auftrag ergibt sich daraus für die politische Bildung?

Zugehörigkeit und Identifikation herzustellen, das ist der Auftrag an die politische Bildung. Die Demokratie lebt davon, dass ich mich mit der Gesellschaft und meinem Umfeld identifiziere, dass ich Interesse habe, dafür einzustehen, mitzuwirken, mitzugestalten. Das ist im Prinzip die Basis, auf der wir arbeiten. Wenn das zur Disposition gestellt wird, findet keine Demokratie mehr statt. Demokratie lebt von Partizipation.

Sehen Sie die Demokratie im Moment als gefährdet, weil eben dieses Zugehörigkeitsgefühl nicht immer unbedingt funktioniert?

Also einerseits ist die Zufriedenheit mit der Demokratie bei den Jugendlichen sehr hoch, aber es ist auch eher eine diffuse Zufriedenheit. Demokratie wird als gegeben hingenommen und gar nicht weiter in Frage gestellt. Jugendliche kennen das ja gar nicht anders und die meisten von uns ja auch nicht mehr. Das Andere ist natürlich, dass man sagen könnte, es wird nicht mehr als wichtig empfunden. Und auch das erleben wir, dass wir durchaus mit Jugendlichen zu tun haben, die sagen würden, naja, so groß ist der Unterschied jetzt nicht, Diktatur kann man schon auch mal ausprobieren.

Womit identifizieren sich Jugendliche?

Einerseits sehen sich Jugendliche mehr als Europäerinnen und Europäer. Weil Europa für sie heißt, ins Ausland zu gehen und zu reisen. Sie sind global offen und denken ohne Grenzen und weniger lokal. Wenn Jugendliche sagen, sie interessieren sich für Politik, dann sind das eher so globale Themen, wie Menschenrechte, Umweltschutz, Tierschutz, Klima, fairer Handel, etc. Aber zu Hause vor der Haustür die Bushaltestelle zu verlegen, ist das Politik? Nö, eigentlich nicht.

Aber genau dort vor der Haustür setzt die politische Bildung oft an, oder?

Wenn wir in der politischen Bildung über Identifikation und jugendliches Engagement reden, dann haben wir natürlich immer die Vorstellung, wir müssen eigentlich da ansetzen, wo Jugendliche im Alltag selber betroffen sind. Und natürlich, wenn ich selber Basketball spiele, interessiert’s mich, wenn auf dem Basketball-Platz Brennnesseln wuchern. Am schwierigsten zu mobilisieren sind Jugendliche im Überregionalen, im Landesweiten. In der politischen Jugendbeteiligung haben viele große Kommunen, wie bei uns Stuttgart oder Mannheim, eher Erfolg, wenn sie kleinteilig Beteiligung anbieten. Ob in einem anderen Stadtteil ein Jugendhaus gebaut wird, das interessiert mich nicht. Aber in meinem Stadtteil, in meiner Straße, da will ich mitreden. Das ist ganz merkwürdig. Also, einerseits sind globale Themen viel interessanter als der Nahbereich, andererseits geht es in der politischen Beteiligung dann doch wieder ganz kleinteilig vor die Haustür.

Sie haben in Baden-Württemberg die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei kommunalen Entscheidungsprozessen deutlich gestärkt und per Gesetz verankert. Wie bildet sich das in der Realität ab und gibt es da schon erste Ergebnisse?

Jugendbeteiligung hat in Baden-Württemberg schon eine längere Tradition als es der Gesetzesartikel vermuten lässt. Natürlich fängt Jugendbeteiligung hier nicht mit dem Jahr 2016 an, als der Artikel  relevant wurde. Andererseits hat der Artikel schon bewirkt, dass die Aufmerksamkeit in Politik und Verwaltung größer geworden ist. Wir spüren schon eine größere Sensibilität dafür. Man baut natürlich auch immer so einen gewissen Druck auf, wenn das eine Muss-Bestimmung ist. Dann ist das dann halt auch Vorschrift.

Die Kommune muss die Anstrengung machen, etwas anzubieten, Zugänge zu ermöglichen, Hilfestellung zu leisten, Impulse zu geben, Räume zu öffnen.

Angelika Barth

Wie setzen Kommunen das um? Wie gehen sie auf Jugendliche zu?

Es gibt demokratietheoretisch drei Grobkategorien von Beteiligung. Das eine ist ein ganz nah an Erwachsenenstrukturen angelehntes und institutionalisiertes Modell, so etwas wie Jugendgemeinderäte zum Beispiel. Darüberhinaus gibt es sogenannte offene Beteiligungsformen, wo man sich zu keiner längerfristigen Beteiligungsform verpflichtet, zum Beispiel ein Jugendhearing, wo Jugendliche einfach mal zu Themen Stellung beziehen oder in den Meinungsaustausch gehen können. Und das dritte wäre eine projektbezogene Beteiligung. Das heißt, die Jugendlichen, die an einem Projekt Interesse haben, tun sich zusammen und arbeiten daran und wenn das Projekt umgesetzt ist, dann ist das Projekt vorbei und die Beteiligung in dem Sinne auch. Das sind so die drei Grundformen und dazwischen gibt’s wahnsinnig viel, wie man das leben kann. Man kann Sprechstunden machen, ins Rathaus einladen, ein Frühstück mit dem Bürgermeister organisieren. Da gibt es so viele Varianten, wie es Kommunen gibt. Und das ist auch gut so. Es sollte jede Kommune herausfinden, was für sie passt, zur Kommune und zu den Jugendlichen. Wie gut es dann qualitativ läuft, hängt ganz stark davon ab, welche Haltung die Kommune hat. Wie viel lassen sie zu? Wie viel Kontrolle geben sie ab? Wo lassen sie mitreden? Wo lassen sie einfach mal die Zügel locker und sagen, gut, das ist jetzt in eurer Verantwortung. Also, es hat alles ganz viel damit zu tun, was die Kommune unter Jugendbeteiligung versteht.

Jetzt hängt Jugendbeteiligung ja in Deutschland sehr oft von der Herkunft und vom Elternhaus ab. Wie wird dafür gesorgt, dass alle Kinder und Jugendlichen teilhaben, mitbestimmen und sich zugehörig fühlen?

Politisches Interesse, Beteiligung, Teilhabe bis hin zu Wahlverhalten vererbt sich. Das kann man ganz pauschal so sagen. Es gibt natürlich immer die Ausnahmen und es gibt immer die Paradebeispiele, aber so generell stimmt das leider. Das geht bis hin zu ganzen Stadtteilen in prekären Vierteln, wo es eine minimale Wahlbeteiligung gibt.

Da setzt dann die politische Bildung ein, oder?

Ganz genau. Also nicht, dass wir sagen, die Jugendlichen müssen in unsere Formate irgendwie reinpassen oder wir müssen die Formate einfach ein bisschen runterschrauben, sondern indem wir neue Zugänge und neue Formate schaffen. Und wir können auch nicht erwarten, dass die Jugendlichen zu uns kommen, sondern wir müssen zu ihnen gehen. Und ich kann nicht erwarten, dass ein Jugendlicher, der in neun Jahren Schulzeit nie nach seiner Meinung gefragt wurde, dass ich den plötzlich vor einen Gemeinderat hinstelle und eine Rede halten lasse. Das wird nicht passieren. Und klar, für die Kommunen gibt es jetzt eine Pflicht, Jugendbeteiligung anzubieten, aber die Jugendlichen selber haben keine Pflicht, sich zu beteiligen. Die Kommune muss die Anstrengung machen, etwas anzubieten, Zugänge zu ermöglichen, Hilfestellung zu leisten, Impulse zu geben, Räume zu öffnen. Und Übersetzer zu spielen. Das heißt, wir sagen den Jugendlichen, das, was auf den ersten Blick ganz langweilig aussieht, ist in Wirklichkeit sehr spannend. Das ist der Job, den Politik und politische Bildungsarbeit haben: Jugendlichen Zugänge zu ermöglichen. Und das ist durchaus auch mal viel aufwendiger und anstrengender, als wenn ich das mit eh schon Motivierten, Engagierten, Interessierten mache. Das hat etwas mit Anerkennung und mit Wertschätzung zu tun. Das unterschätzen Politiker und Verwaltung ganz massiv.

Was kann Jugendbeteiligung eigentlich langfristig für die Kommunen bringen?

Was natürlich gerade für Politiker in kleinen Kommunen eine Rolle spielt, sind die Themenkomplexe demografischer Wandel, Abwanderung, Landflucht. Da wird – legitimer oder illegitimer Weise, das muss jeder für sich beantworten – Jugendbeteiligung als ein Mittel betrachtet, um Jugendlichen eine gewisse Ortsbindung zu vermitteln. Also die Idee, wenn ich mich beteilige, wenn ich mein Umfeld mitgestalte, wenn ich mitreden darf, hab ich eine höhere Identifikation mit meinem Ort, fühle mich mehr zugehörig und bleibe dann vielleicht auch. Oder komme wieder.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2019): Heimat – der richtige Begriff? kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 16-2019. Berlin. S. 63 – 66.

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