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Aus der Praxis

Starke Strukturen für Kinder und Jugendliche

Hoyerswerda/Sachsen

24.07.20

Evelyn Scholz ist ein wichtiges Rad im Motor der Bildungslandschaft in Hoyerswerda – sie hält den Prozess am Laufen und gibt an den richtigen Stellen Gas. Der Motor selbst ist die „Koordinierungsstelle Bildung“.

Die Koordinierungsstelle ist direkt beim Oberbürgermeister der Stadt angesiedelt. Diese Anbindung ist ein Zeichen dafür, wie Aufbau, Koordinierung und Weiterentwicklung einer Bildungslandschaft als Aufgaben der Stadt verstanden werden.

Alle(s) im Blick – so geht Zusammenarbeit

Um alle Bildungswege der Kinder und Heranwachsenden – von der Kita, über die Schule bis hin zu den außerschulischen Angeboten – im Blick zu haben, wurde 2007 die „Koordinierungsstelle Bildung“ gegründet. Diese ist dem Oberbürgermeister zugeordnet und wird fachlich durch den Träger „Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven (RAA) Hoyerswerda/Ostsachsen e. V.“ begleitet.

„Wenn wir in Hoyerswerda das Wort Bildung in den Mund nehmen, dann meinen wir immer lebenspraktische Bildung. Also ein Gesamtensemble von Lern- und Bildungsmöglichkeiten, das non-formales Lernen miterfasst“, meint Evelyn Scholz. Um das zu erreichen, kommen alle Bildungsakteure zusammen – beraten, diskutieren, tauschen sich aus. Da gibt es fünf Mal jährlich die Fortbildungs- und Veranstaltungsreihe „Bildungsakteure stärken“, bei denen hoyerswerdaer Bildungsakteure ihre Themen einbringen und sich austauschen können. Oder die „Fachgruppe Bildung“, eine beim Bürgermeister angesiedelte Expertenrunde mit ca. 20 Vertreter*innen aus Kindertagesstätten, aller Schulformen und von Trägern der Kulturellen Bildung und aus dem Sportbereich. Gemeinsam loten sie die aktuellen Entwicklungen der Bildungslandschaft aus, identifizieren wichtige Themen und wie diese strategisch umgesetzt werden können.

Arbeitsgruppen sind wichtig, um Entwicklungen voranzubringen. Der Kernbereich aus Schule, Kita, Hort und freien Trägern wird regelmäßig erweitert, abhängig von den Themen der Arbeitsgruppe. Bei „Berufs- und Studienordnung“ kommt beispielweise auch die Agentur für Arbeit hinzu, bei „Grundschule/Weiterführende Schule“ sitzt auch das Landesamt für Bildung und Schule mit am Tisch. „Am Anfang haben wir den Fehler gemacht, alle Themen mit allen zu besprechen“, erinnert sich Evelyn Scholz. „Doch Produktivität und zielorientiertes Arbeiten kam erst mit der Abgrenzung der Themen und der Beteiligten. Nun kommen zwei bis drei Mal im Jahr vom jeweiligen Thema betroffene Träger in den Arbeitsgruppen zusammen, setzen sich an einen großen Tisch und reden.“ Dieser direkte Austausch hat sich bewährt, das unmittelbare Kommunizieren ist mittlerweile unerlässlich für die Arbeit in der Bildungslandschaft. Angesprochen werden so die Bildungsakteure, die durch diese Strukturen in ihrer Arbeit unterstützt werden.

Die Kinder und Jugendlichen erlangen in den offenen Bildungsangeboten – egal ob bei Kultur oder Sport – Kompetenzen, die für den Lebenslauf wichtig sind.

Evelyn Scholz

Kulturelle Kinder- und Jugendbildung als Antrieb für den Motor Bildungslandschaft

Und wie ist es um Jugendkulturprojekte und Kulturelle Bildung bestellt? „Bei uns in Hoyerswerda ist das Zentrum für kulturelle Kinder- und Jugendbildung immer die KuFa“. Damit mein Evelyn Scholz die Kulturfabrik e. V., ein soziokulturelles Zentrum, das der Haupt-Zylinder im Motor Bildungslandschaft ist. Uwe Proksch ist ein Mann der ersten Stunde des Vereins, er hat ihn vor 25 Jahren mitgegründet. Heute sind acht Festangestellte hier tätig, die dafür sorgen, dass in der „KuFa“ Konzerte, Kabarett, Theater, Kino, sogar eine Kneipe, aber auch vielfältige kulturelle Kinder- und Jugendbildung stattfinden. Daneben gibt es zahlreiche Kooperationen mit anderen Einrichtungen der Stadt und in der Bildungslandschaft. Eine davon sticht besonders hervor: Die Kulturschule.

Ziel war von Anfang an, dass die Kulturarbeit in die Schule mit einfließt, als Lebensmodell.

Uwe Proksch

Das Lessing-Gymnasium der Stadt und die Kulturfabrik stehen seit zehn Jahren in einer festen Bildungspartnerschaft. Mehrere Sparten der Kulturellen Bildung integriert das Gymnasium in Form von „Bausteinen“ direkt in den Schulalltag. „Ziel war von Anfang an, dass die Kulturarbeit in die Schule mit einfließt, als Lebensmodell“, betont Uwe Proksch. Die Kulturschule ist ein „Talenteort“ und ein „Orientierungsort“ für den Berufseinstieg, beschreibt er. Hier bekommen Kinder und Jugendliche die Chance zur eigenverantwortlichen Gestaltung von kreativen Projekten, in denen sie Themen wie Demokratie, Fremdenfeindlichkeit oder Partizipation behandeln können, die im Lehrplan kaum Platz finden. So wird ein Lebensweltbezug hergestellt, der für die Persönlichkeitsentwicklung unentbehrlich ist. Es gibt beispielsweise Kulturtage über das „Debattieren“, in denen Rhetorik und Körpersprache gemeinsam und klassenübergreifend erarbeitet werden. „Über diese spielerische Art lernen die Schüler*innen, wie man frei redet und einen Vortrag hält“, sagt Uwe Proksch. Für die Entwicklung dieser Methoden wurden in der Kulturfabrik die Zeit und auch das notwendige Know-How bewusst freigehalten und Arbeitsfelder umstrukturiert.

Dass die Grenzen vom Freizeitbereich in die Schule überschritten werden, und umgekehrt, war das Ziel dieser Kooperation. Auch Evelyn Scholz versteht es so. „Bildung ist mehr als Schulbildung“, sagt sie. „Es ist eben auch non-formale Bildung. Die Kinder und Jugendlichen erlangen in den offenen Bildungsangeboten – egal ob bei Kultur oder Sport – Kompetenzen, die für den Lebenslauf wichtig sind. Von Fairness bis Teamgeist.“ Kulturzentren sind die Orte, in denen so etwas erprobt werden kann. In der Kulturschule kommen formales und non-formales Lernen dann zusammen und schaffen ein umfassendes Lernangebot.

Hoyerswerda auf dem Weg zu einer Bildungslandschaft

Hoyerswerda ist ein Beispiel für den demografischen Wandel. Seit den 1990er Jahren kämpft die Stadt mit einem Bevölkerungsrückgang von über 50 Prozent. Wohnungsleerstand und massiver Städteumbau gingen einher. Die Erkenntnis, dass Bildung ein Wirtschaftsfaktor sein kann, kam 2006. Denn ein vielfältiges Bildungsangebot ist für Menschen und v. a. für Familien ein ausschlaggebendes Kriterium, sich für einen Ort zu entscheiden und auch zu bleiben. Heranwachsende, die in die Arbeitswelt integriert werden, sind letztendlich nicht abhängig von staatlichen Leistungen – eine Tatsache, die langfristig auch die Kommunen entlastet.

Die Debatte, Verantwortung in Sachen Bildung für Heranwachsende und Bürger*innen zu übernehmen, wurde 2006 von der „Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative – Kommunale Koordinierung“ angestoßen – und erreichte auch Hoyerswerda. Die Stadt verstand, dass Bildung eine kommunalpolitische Aufgabe ist und die komplexen Probleme nur durch ein enges Zusammenarbeiten aller kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteure gelöst werden können. Das Verständnis dafür, dass Kulturelle Bildung einen großen Anteil an der Entwicklung einer zufriedenen Stadtgesellschaft hat, wurde verinnerlicht. Gerade bei Kindern und Jugendlichen werden so Impulse gesetzt, die lebensnahes Lernen ermöglichen.

Mit einem solchen strukturellen System und einem starken Träger für soziokulturelle Bildung ist Hoyerswerda ein Beispiel für eine lebendige, wachsende Bildungslandschaft. Aber auch hier zeichnen sich Probleme ab: Wachsende Personalkosten sowie personelle Kapazitätsgrenzen, fehlende Jugendkulturszenen im Stadtbild und das bleibende Thema der Teilhabegerechtigkeit. Dass hier v. a. ein langer Atem notwendig ist, zeigt nicht nur die langjährige Arbeit der Kulturfabrik, auch Evelyn Scholz ist davon überzeugt: „Am Ende ist das Entscheidende, dass man den Prozess am Laufen hält.“

Text: Maxi Böhme

Der Text ist erstveröffentlicht in der Arbeitshilfe „Bildungslandschaften. Perspektive Kinder- und Jugendarbeit“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019):

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Zitiervorschlag

BKJ: Starke Strukturen für Kinder und Jugendliche
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Remscheid und Berlin, .

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