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Interview
Klare Kante: Demokratie leben, heißt Haltung zeigen
Im Gespräch mit Nina Reip, Deutsche Sportjugend
12.09.24
Warum die Strategien und Erfahrungen des organisierten Sports auch für die kulturelle Bildungsarbeit wegweisend sein können und wie kulturelle Bildungseinrichtungen ihre Haltungen festigen und sich gegen extremistische Strömungen positionieren können.
Nina Reip ist Referentin bei der Deutschen Sportjugend (dsj) und leitet die Geschäftsstelle des Netzwerks „Sport und Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde“. Der Podcast „Tauziehen - zu Politik und Sport“ ist ein ihr wichtiges Nebenprojekt.
Bild: dsj
Vor welchen Herausforderungen stehen gemeinnützige Organisation, die sich politisch engagieren?
Die Hauptherausforderung liegt in der Rechtssicherheit der Positionierungen. Der rechtliche Rahmen, in dem sich gemeinnützige Organisationen bewegen dürfen, ist das Gemeinnützigkeitsrecht. Der organisierte Sport ist wertebasiert und damit eben nicht gesellschaftspolitisch neutral, aber parteipolitisch. Das ist auch gut so, weil Parteien über andere Maßnahmen steuerbegünstigt gefördert werden und gemeinnützige Organisationen keine versteckte Parteipolitik machen sollen. Viele Vereine und Verbände halten aber oftmals an dem Glauben fest, Sport dürfe nicht politisch sein. Das steht aber nirgendwo geschrieben. Und das geht auch gar nicht, weil alle Probleme, alle Herausforderungen, alle Themen, die in einem Sozialraum vorkommen, kommen im Zweifelsfall auch in einem Sportverein vor. Das heißt, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Wir haben also Möglichkeiten, uns innerhalb dieser Gemeinnützigkeit zu positionieren, sollten dies aber mit Bedacht machen. Wir haben uns zur rechtlichen Absicherung ein Gutachten von Prof. Dr. Martin Nolte von der Sporthochschule Köln erstellen lassen. Daraus ist auch eine Handreichung für Vereine entstanden.
Es geht im Prinzip darum, dass Organisationen Haltung zeigen, in all ihren Arbeitsfeldern. Haltung für Demokratie und gegen antidemokratische Handlungen und Positionierungen. Diese Haltungen sind Teil der DNA, Teil des Selbstverständnisses der eigenen Organisation.
Nina Reip, dsj
Also, politisch sein – ja, parteipolitisch agieren – nein. Was ist noch zu beachten?
Eine Klausel, die unter Gemeinnützigkeit im Steuerrecht zu finden ist, besagt, dass wir uns als gemeinnützig organisierter Sport, im Rahmen unserer Tätigkeit oder unserem Satzungszweck positionieren dürfen. Beim organisierten Sport ist klar, dass der Satzungszweck das Sporttreiben ist. Aber zum Sporttreiben gehören eben auch die demokratischen Werte: Fairness, Respekt, das Einhalten von gemeinsamen Regeln. Themen, die darüber hinaus gehen, wie etwa Klimawandel, dürfen wir auch behandeln, sofern sie tagespolitisch aktuell sind und nicht regelmäßig auf der Agenda stehen. Man darf sich auch anlassbezogen etwa zu einer Partei äußern, zum Beispiel, um sich von deren öffentlichen Statements zu distanzieren. Die Positionierungen sollten sich aber immer entlang der eigenen Werte und Satzung bewegen. Eine andere Herausforderung liegt in Drohungen und Angriffen von etwa rechtsextremen Akteur*innen in Deutschland. Sie drohen damit, Sportvereine, die sich gesellschaftspolitisch positionieren, dem Finanzamt zu melden, sodass ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Das ist eine schwerwiegende Drohung. Da geht es um Existenzen. Wir wissen zwar, auch auf Grundlage des erwähnten rechtswissenschaftlichen Gutachtens, das wir in einem rechtlichen Rahmen arbeiten. Dennoch müssen wir uns emotional mit diesen Angriffen und Drohungen auseinandersetzen.
Ist es nötig zusätzliche Rahmenbedingungen für gemeinnützige Organisationen zu schaffen?
Es gibt durchaus Forderungen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, und diese Forderung unterstützen wir solidarisch, gleichwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinnützige Vereine im Sport- oder Kulturbereich erstmal ausreichend sind. Es betrifft vor allem Organisationen, die keinen klaren Satzungszweck wie Sport oder Kultur haben, wie zum Beispiel Bündnisse gegen Rechts. Es fehlen Satzungszwecke zur Demokratieförderung damit diese Bündnisse rechtssicher agieren können. Zusätzlich fehlt es oft an Aufklärung, etwa darüber, dass gemeinnützige Vereine durchaus Demonstrationen organisieren oder daran teilnehmen dürfen, solange diese nicht zur Gewalt aufrufen und beispielsweise für Demokratie eintreten. In der öffentlichen Debatte gibt es hier oft Missverständnisse.
Inwiefern beschäftigt sich die Deutsche Sportjugend mit Demokratie bzw. mit demokratischen Grundwerten?
Die dsj arbeitet prinzipiell auf Grundlage der Werte des Sports und diese sind demokratisch. Der Verband bezieht darüber hinaus in seiner Satzung bzw. Jugendordnung zum Beispiel auch die Menschenrechte ein, womit verankert ist, dass wir die freiheitlich demokratische Grundordnung achten. Die dsj ist außerdem ein Jugendverband, was bedeutet, dass laut SGB VIII auch allgemeine, politische oder soziale Themen in der außerschulischen Jugendbildung bearbeitet werden. Diese Grundwerte setzen wir in unseren Aktivitäten um. Die dsj hat Positionierungen entlang der Werte des Sports und der Satzung erstellt. Darunter sind klare Statements für Demokratie und gegen antidemokratische Haltungen. Für diese Aufgabe stehen ihr explizit eigene Ressourcen zur Verfügung, etwa im eigenen Ressort „Gesellschaftspolitik“. Es gibt ein Beratungsgremium des ehrenamtlichen Vorstands zu „Sport mit Courage“. Regelmäßig beschäftigen wir uns inhaltlich mit politisch relevanten Themen und gehen damit nach außen. Wir erstellen etwa Publikationen, führen Projekte wie „(Anti-)Rassismus im organisierten Sport“ durch. Damit stellen wir klar, was für uns wichtige gesellschaftliche Positionen sind, vor allem im Kontext eines demokratischen Miteinanders.
Der organisierte Sport ist wertebasiert und damit eben nicht gesellschaftspolitisch neutral, aber parteipolitisch – dieses Prinzip ist wichtig im Umgang mit dem Gemeinnützigkeitsrecht.
Nina Reip, dsj
Welche Maßnahmen kann eine Organisation ergreifen, um sich klar gegen Rechtsextremismus zu positionieren?
Es geht im Prinzip darum, dass Organisationen Haltung zeigen ‒ in all ihren Arbeitsfeldern: für Demokratie und gegen antidemokratische Handlungen und Positionierungen, z. B. das dsj-Statement #sportmitcourage – Für eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft und Menschenwürde oder regelmäßig über die Social Media-Kanäle zu Antirassismus. Diese Haltungen sind Teil der DNA, Teil des Selbstverständnisses der eigenen Organisation. Neben klaren öffentlichen Positionen, die Vorbildcharakter haben, geht es darum, diese Haltungen zu verankern und nach innen und außen zu leben. Die Form, in der dies geschehen kann, ist dann abhängig von der Struktur der Organisation und den Maßnahmen, wie etwa Projekte, öffentliche Stellungnahmen oder Netzwerkarbeit. Haltungen können innerhalb der eigenen Organisation auch als Organisationsentwicklungsinstrument fixiert werden.
Welche Rolle spielen Netzwerke und Allianzen bei der Stärkung der eigenen Position?
Die Arbeit im Netzwerk halte ich für sehr wichtig. In unserem Fall besteht dieses zu Teilen aus dem organisierten Sport, aber auch aus zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Akteur*innen im Bereich Antirassismusarbeit. Wir sind außerdem unter anderem auch in das neue Bündnis „Zusammen für Demokratie“ eingetreten und unterstützen weitere Allianzen und Netzwerke. Aus meiner Sicht ist es wichtig, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch vor Ort in der Kommune zu kooperieren. Zusammen ist es einfacher. Man stärkt sich gegenseitig ‒ in der Arbeit, aber auch bei möglichen Angriffen. Außerdem bedeutet Netzwerkarbeit auch Wissenstransfer und hilft nicht zuletzt, sich gegenseitig zu motivieren.
Was können die Strukturen der Kulturellen Bildung von den Erfahrungen und Strategien der Deutschen Sportjugend lernen, um sich gegen antidemokratische Tendenzen zu positionieren?
Erstens: keine Angst vor schwierigen Themen. Verdrängen bringt nichts. Alle Themen, die auf dem Tisch liegen, die bleiben da so lange liegen, bis man sie bearbeitet. Also muss man sie mutig angehen – vielleicht mit anderen zusammen. Und zwar, weil wir als Zivilgesellschaft eine Verantwortung haben. Und zweitens: Ein rechtswissenschaftliches Gutachten gibt Handlungssicherheit. Wir als Verband können für Vereine mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können Handreichungen zur Rechtssicherheit erstellen, die wir Vereinen zur Verfügung stellen. Wir können Angebote Politischer Bildung einbeziehen oder Publikationen streuen, um das Wissen dann im richtigen Moment nutzen zu können.
Konflikte bewältigen, Handlungssicherheit gewinnen
Ein sicherer Umgang mit Haltungen und Situationen, in denen menschenfeindliche Ideologien eine Rolle spielen: Diese weiteren Informationen unterstützen Akteure der Kulturellen Bildung und Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit dabei, Konflikte zu bewältigen und Handlungssicherheit zu gewinnen.
- Rechtsgutachten: Zur Bedeutung des sogenannten Neutralitätsgebot für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit (Prof. Dr. Friedhelm Hufen, im Auftrag der Cellex Stiftung)
- Broschüre: Gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Reichsbürger- und Verschwörungsideologien (Der Paritätische Gesamtverband in Kooperation mit „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V.“)
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