Die BKJ ruft Zivilgesellschaft und Politik dazu auf, tragfähige Zukunftsvisionen für ein gesellschaftliches Zusammenleben zu entwickeln, in denen die Versprechen der Demokratie auf Gerechtigkeit, Teilhabe, auskömmliche Lebensgrundlagen und Anerkennung für alle eingelöst werden.
Mit großer Sorge beobachten wir, die in der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung zusammengeschlossenen Organisationen, wie in Deutschland und in ganz Europa Nationalismus und Populismus erstarken. Menschenfeindliche Botschaften, Aussagen und Positionen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen sind alltäglich geworden, was zu einem gefährlichen Gewöhnungseffekt führt.
Die Ursachen dieser gesellschaftlichen Entwicklung sind komplex, und es gibt unterschiedliche Erklärungsmodelle dafür. Unsere Gesellschaft (in Deutschland, Europa wie auch weltweit) ist unübersichtlicher und vielfältiger geworden. Dadurch werden die Herausforderungen des Zusammenlebens größer und die dazugehörigen Aushandlungsprozesse anspruchsvoller. Damit einher geht das Gefühl, dies alles aufgrund zunehmender Globalisierungseffekte nicht mehr beeinflussen zu können und den als bedrohlich empfundenen Veränderungen ohnmächtig ausgeliefert zu sein. In Deutschland haben sozialpolitische und infrastrukturelle Versäumnisse mit dazu beigetragen, dass die politischen Versprechen einer umfänglichen sozialen, kulturellen und ökonomischen Teilhabegerechtigkeit für viele Menschen nicht eingelöst wurden und sich die soziale Ungleichheit verschärft hat. Das Recht junger Menschen auf umfassende Beteiligung an Entscheidungsprozessen, die ihre Lebenswelt, ihre Partizipation an Kultur und Bildung und damit ihre Zukunft betreffen, wird unzureichend umgesetzt.
Kulturelle Bildung muss eine mutige Vision für ein gerechtes und diskriminierungsfreies Zusammenleben entwickeln und sich konsequent für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Dabei sollte vermieden werden, unwillentlich gesellschaftliche Spaltungsprozesse zu verstärken, indem ein Wir konstruiert wird, das sich über den Ausschluss von Anderen definiert. Wir selbst als Akteure des Kulturbereichs und der Kulturellen Bildung müssen stattdessen versuchen, mit Menschen, die andere Werte vertreten und die von unseren Angeboten bisher nicht erreicht wurden, ins Gespräch zu kommen. Dabei sollen die Umsetzung der Menschenrechte und eine gelebte Demokratie der Rahmen und Maßstab sein.
Wir sind gefordert, unsere Praxis viel mehr als bisher zu Orten und Anlässen zu machen, an denen Menschen kontroverse Fragen aushandeln und einander zuhören können. Die Künste und die Kulturelle Bildung haben den Anspruch, immer wieder Perspektivwechsel zu fördern. Deshalb stehen wir in einer besonderen Verantwortung, den gemeinsamen Dialog wieder anzuregen und Prozesse zu unterstützen, die zu neuen Zukunftsvisionen beitragen.
Wir rufen daher auf, sich gemeinsam mit Partner*innen in Zivilgesellschaft und Politik für eine weltoffene, demokratische und soziale Gesellschaft einzusetzen. Entwickeln wir eine tragfähige Zukunftsvision für ein gemeinschaftliches und gerechtes Zusammenleben, in der die Versprechen der Demokratie auf Gerechtigkeit, Teilhabe, auskömmliche Lebensgrundlagen und Anerkennung für alle eingelöst werden!
Wofür wir stehen:
Unsere Wertebasis sind die Menschenrechte. Die in § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) und der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte von Kindern und Jugendlichen sind unverrückbare Grundlagen unseres Handelns. Am Leitziel einer inklusiven Gesellschaft, in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Normalität anerkannt werden, messen wir unser eigenes Handeln. Deshalb setzen wir uns für eine diversitätsbewusste Praxis Kultureller Bildung ein, die kein Kind, keine*n Jugendliche*n oder junge*n Erwachsene*n wegen eines oder mehrerer Merkmale ihrer*seiner Persönlichkeit oder aufgrund von Zuschreibungen diskriminiert, benachteiligt oder ausschließt.
Wir verpflichten uns:
- unsere politische Verantwortung als zivilgesellschaftliche Organisationen zur Mitgestaltung und kritischen Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen innerhalb der verschiedenen politischen Ressorts und Ebenen konsequent wahrzunehmen,
- der gesellschaftlichen Spaltung in Politik und Gesellschaft aktiv, öffentlich und entschlossen entgegenzutreten, ihre Ursachen und unseren Anteil daran zu reflektieren und in den offenen Dialog einzutreten,
- Orte der Kulturellen Bildung in allen Sparten und Angebotsformen diversitätssensibel zu gestalten und Räume zu schaffen für Aushandlungsprozesse,
- die Praxis und die Strukturen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung so weiterzuentwickeln, dass Inklusion besser realisiert werden kann,
- Privilegien, die uns kaum bewusst sind, kritisch zu reflektieren und die Diskriminierung von marginalisierten Perspektiven, Positionen und Wissensformen abzubauen,
- menschenfeindlichen Polemiken nicht nur entschieden entgegenzutreten, sondern zugleich auch Lösungsstrategien zu gesellschaftspolitischen Problemlagen zu entwickeln und umzusetzen. Dafür wollen wir uns an Netzwerken beteiligen, Partnerschaften und Kooperationen mit Akteur*innen in unserem Fachgebiet und auch aus anderen Bereichen schließen.
Wir fordern Politik und Verwaltung in Bund, Ländern und Europa auf:
- Setzen Sie sich mit uns gemeinsam für Menschlichkeit und eine offene demokratische Gesellschaft ein! Lassen Sie uns tragfähige gesellschaftliche Zukunftsvisionen entwickeln und hier Verbündete sein. Ver-trauen Sie in die Potenziale der Zivilgesellschaft. Geben Sie zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich für die Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus einsetzen, im Sinne des Subsidiaritätsprinzips den Freiraum und die Mittel, eigenverantwortlich gesellschaftspolitisch wirksam zu bleiben und überall, wo es notwendig ist, noch stärker wirksam zu werden.
- Fördern und stärken Sie zivilgesellschaftliche Infrastrukturen, um Experimentierraum und Nachhaltigkeit für neue Dialogformen in der Gesellschaft zu verankern!
- Verhindern Sie, dass zivilgesellschaftliche Strukturen, insbesondere im Rahmen des Ehrenamts, durch zu viel Bürokratie eingeengt werden!
- Investieren Sie in Strategien, die Teilhabeversprechen der Demokratie besser einzulösen!
- Entwickeln Sie gemeinsam mit den Fachstrukturen freier Träger sozial-, arbeits-, bildungs-, kultur- und jugendpolitische Konzepte, damit die Spirale von Armut und Benachteiligung endlich durchbrochen wird.
Diese Stellungnahme wurde von den Mitgliedern der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. beschlossen.