Es braucht weiterhin weltwärts über „afrikawärts“ hinaus!
Stellungnahme des Fachausschusses Internationales der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) zu geplanten Veränderungen bei der Förderlinie weltwärts-Begegnungen
Stellungnahme des Fachausschusses Internationales der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) zu geplanten Veränderungen bei der Förderlinie weltwärts-Begegnungen
Zivilgesellschaftlichen Trägern und jungen Menschen muss auch zukünftig die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu entscheiden, mit welchen Partnern auf welchem Kontinent sie globales Lernen gestalten. Deshalb ist auch die Einbindung zivilgesellschaftlicher Träger in die Gestaltung jugend- und entwicklungspolitischer Prozesse weiterhin erforderlich.
Bei der 10. Offenen Trägertagung im weltwärts-Programm sowie auf der Internetseite www.weltwaerts.de haben das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die zuständige Engagement Global gGmbH (EG) im Januar 2021 erste Planungen zur Schaffung eines neuen Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks bekanntgegeben. Damit soll eine Einschränkung der Förderlinie weltwärts-Begegnungen (wwB) auf die Förderung von Kooperationen mit Partnern in Ländern des afrikanischen Kontinents einhergehen.
Die BKJ als bundesweites Flächennetzwerk der Träger der Kulturellen Bildung sieht zwar ebenso wie BMZ und EG einen hohen Kooperations-, Beratungs- und Förderbedarf für den Auf- und Ausbau jugendpolitischer Beziehungen sowie für die Ermöglichung und Durchführung vielfältiger partnerschaftlicher Formen von Jugend- und Fachkräfteaustausch mit sämtlichen afrikanischen Ländern.
Allerdings lehnt die BKJ als strategischer Partner von BMZ und EG eine Verengung des erst 2016 eingeführten erfolgreichen Förderinstruments weltwärts-Begegnungen auf die afrikanischen Länder ab.
Zum einen, da gerade die weltweiten Dimensionen von entwicklungspolitischer Bildungsarbeit und Nachhaltigkeit auch weiterhin im globalen Gesamtzusammenhang gemeinsam in den Blick genommen werden müssen, wie es bei den von wwB geförderten Begegnungen der Fall ist. Zum anderen, da sonst das Potential der Träger aus dem Bereich der Kulturellen Bildung, die bereits partnerschaftliche Beziehungen zu Partnerorganisationen in Asien, Lateinamerika und Ozeanien haben oder entwickeln wollten, um kreative Formen des Globalen Lernens in ihrer Arbeit zu verankern, nicht mehr ausgeschöpft werden kann.
Mit der in einem sehr partnerschaftlichen Prozess mit freien Trägern verschiedener Bereiche der Jugendarbeit und entwicklungspolitischen Bildung entwickelten Förderlinie weltwärts-Begegnungen haben BMZ und EG im Jahr 2016 ein hochaktuelles und zeitgemäßes Förderinstrument geschaffen, das auf vielen Ebenen Lücken geschlossen hat.
So bietet diese Förderlinie erstmalig eine umfassende Unterstützungsmöglichkeit für vormals kaum finanzierbare Jugendbegegnungen mit Partnern aus Ländern des Globalen Südens. Sie schließt mit dem Fokus auf außerschulische Jugendgruppen auch eine Lücke zwischen den anderen entwicklungspolitischen Förderprogrammen bei EG wie dem individuellen weltwärts-Freiwilligendienst oder dem schulischen Förderprogramm ENSA.
Außerdem stellt sie mit den zugrunde liegenden Ideen von Kontinente übergreifender Partnerschaftlichkeit und ihren Rahmenbedingungen einen der derzeit modernsten förderpolitischen Ansätze dar. Unter anderem weil sie nicht nur die Begegnungen selbst, sondern auch die darüber hinaus wichtigen anderen Projektphasen mit in den Blick nimmt.
Mit diesem Ansatz wurden wesentliche Bedarfe aus den Feldern der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und der Internationalen Jugendarbeit erkannt und in der Pilotphase von 2016 bis 2020 nachweislich sehr erfolgreich in der Realität der Förderung aufgegriffen.
Eine Abkehr von diesem Ansatz, der die Zusammenarbeit mit Partnern aus allen Ländern des Globalen Südens ermöglicht, und somit auch die Abwendung vom Förderanspruch in seiner bisherigen Form sowie von den bis heute gewonnenen positiven Erkenntnissen ist daher schwer nachvollziehbar und ein großer Schritt zurück, unabhängig davon, dass auch die vor der Veröffentlichung der Förderlinie ermittelten Förderbedarfe der freien Träger plötzlich keine Rolle mehr spielen.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Förderlinie weltwärts-Begegnungen ist ihr Schwerpunkt auf der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit mit der Intention, Jugendlichen in Nord und Süd gleichberechtigt die Möglichkeit zu geben, globale (entwicklungspolitische) Zusammenhänge nachzuvollziehen, und so zum Entstehen einer „Global Citizenship“ und mittelbar einer nachhaltigen globalen Entwicklung beizutragen. Damit entspricht sie einem neuen globalen Verständnis von „Entwicklung“ und entwicklungspolitischer Bildung, das sich insbesondere auch in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) widerspiegelt.
Globale entwicklungspolitische Bildung in diesem Sinne kann allerdings nicht geschehen, wenn junge Menschen, ihre Stimmen und Perspektiven aus drei dafür ebenso maßgeblichen Weltregionen – Asien, Lateinamerika und Ozeanien – komplett ausgeschlossen werden. Der Anspruch einer globalen entwicklungspolitischen Bildungswirkung, z. B. zur konkreten Umsetzung von SDG 4.71, kann so nicht mehr erreicht werden.
Einseitiges Agieren des Globalen Nordens, das das vorhandene postkoloniale Machtgefälle nicht hinterfragt, widerspricht den eigenen politischen Ansprüchen und allen weltpolitischen Zeichen der Zeit. Bereits jetzt gibt es für zivilgesellschaftliche Akteure und Jugendliche aus Nord und Süd viele Hürden, wenn sie die jeweiligen Situationen vor Ort und damit globale Zusammenhänge durch gemeinsam durchgeführte Jugendbegegnungen kennenlernen wollen: einseitig ausgesprochene Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes, gesperrte Länder, restriktive Visabestimmungen und der generell hohe Aufwand, Begegnung und Zusammenarbeit über Kontinente hinweg partnerschaftlich zu organisieren und zu finanzieren. Auch ist eine partnerschaftliche Finanzierung wegen der starken wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Ländern unrealistisch.
Aus Sicht der BKJ und der von ihr vertretenen Träger sollte in einem solchen Kontext ein Fördergeber vor allem ermöglichen und nicht die Möglichkeiten weiter einschränken.
Auf Träger und Jugendliche aus Nord und Süd hören – und endlich allen eine Stimme geben
Zivilgesellschaftliche Träger in Nord und Süd, die bereit und motiviert sind, die Herausforderung anzunehmen, kulturelle Jugendbildung und Globales Lernen partnerschaftlich mit einem Träger aus dem Globalen Süden bzw. Norden umzusetzen, sind das zentrale Element von Förderinstrumenten wie weltwärts-Begegnungen.
Diese Träger, ihre Möglichkeiten und Beschränkungen sowie die von ihnen benötigten Rahmenbedingungen sollten daher auch der wesentliche Maßstab einer Förderstrategie und der konkreten Ausgestaltung einer Förderlinie sein. Die Trägerorganisationen wissen meist selbst am besten, was funktioniert und was nicht. Sie kennen ihre Fähigkeiten und die Interessenlagen der Jugendlichen, mit denen sie zusammenarbeiten. Sie kennen ihre Bedarfe, um erfolgreich globale Bildungsprojekte durchzuführen. Nicht zuletzt sind sie die einzigen, die wissen, mit welcher Partnerorganisation in welcher Region eine vertrauensvolle, nachhaltige, langfristige Partnerschaft möglich ist.
Die Träger müssen selbst entscheiden können, mit welchem Partner sie zusammenarbeiten, ohne dass dies durch regionale und (förder-)politische Einschränkungen blockiert wird.
Das gilt auch umgekehrt für die Interessen an der Zusammenarbeit mit einem Partner aus Deutschland von Seiten der Träger aus Asien, Lateinamerika und Ozeanien, die in diesem Kontext ohne jede Stimme sind.
Dabei müssen auch die Interessen und Lebenslagen von jungen Menschen selbst mitgedacht werden, die ja in Nord und Süd über das Förderinstrument der weltwärts-Begegnungen möglichst breitenwirksam für entwicklungspolitische Themen und Globales Lernen erreicht und sensibilisiert werden sollen. Wie das praktiziert werden kann, zeigt seit mehr als zehn Jahren der weltwärts-Freiwilligendienst, der auch deswegen erfolgreich ist, weil er keine Weltregionen ausschließt und über die Nord-Süd- und Süd-Nord-Komponenten mit allen Ländern des Globalen Südens auch reziprok kooperiert werden kann.
Statt also exklusiv auf den afrikanischen Kontinent fokussiert zu denken und zu handeln und damit eine große Zahl junger Menschen und freier Träger von mehreren Kontinenten auszuschließen, sollte die Förderlinie weltwärts-Begegnungen dem Beispiel des gleichnamigen Freiwilligendienstes folgend auch weiterhin für die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Partnern aus Asien, Lateinamerika und Ozeanien erhalten bleiben. Und das unabhängig von der gleichzeitig politisch gewollten Fokussierung auf spezifische Bedürfnisse und Vorhaben unter dem Dach des neuen Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks.
Wenn der Zivilgesellschaft in Süd und Nord die Möglichkeit gegeben werden soll, die in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen formulierten ambitionierten globalen entwicklungspolitischen Bildungsziele zu erreichen, dann wird ein solches weltoffenes Förderinstrument nach wie vor dringend gebraucht.
Beschlossen vom Fachausschuss Internationales der BKJ
Berlin/Remscheid, 17. März 2021
¹ Ziel 4.7: Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung