Leichte SpracheGebärdensprache
  1. BKJ – Verband für Kulturelle Bildung
  2. Themen
  3. Teilhabe
  4. Wissensbasis
  5. Lebensweltliche Forschungsansätze für mehr Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt

Interview

Lebensweltliche Forschungsansätze für mehr Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt

Im Gespräch mit Dr.in Angelina Göb, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), Hannover

23.01.24

Kulturelle Bildung will direkt beim Menschen ansetzen. Um möglichst viele Lebenswelten in den Angeboten von Anbeginn zu berücksichtigen, können qualitative Analysen aus der Sozialraumforschung helfen.

Von Hannah Fröhlich/Sabrina Schleicher

Angelina Göb ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Leibniz Universität Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Stadt- und Alltagsforschung unter Anwendung qualitativer sozialräumlicher sowie partizipativer Analyseinstrumente.

...

Sie sind Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), Hannover. Was erforschen Sie und wie?

Am FGZ-Teilinstitut Hannover nehmen wir eine sozialgeografische Perspektive bei der Untersuchung von Zusammenhalt ein: Wir fragen nicht direkt nach bestimmten Gruppen oder spezifischen Akteur*innen, sondern untersuchen Räume und konkrete Orte und integrieren dann die dort anwesenden, handelnden Menschen. In unserem Projekt „Stadtteilstudien“ geht es um urbane Nachbarschaften und das Zusammenleben vor Ort. Wir blicken dabei auf die Beziehungen, die sich zwischen dem Raum und den Menschen ausbilden können. In dem Kontext stelle ich Fragen wie: Was macht das Zusammenleben aus? Kennt man sich untereinander und welche Formen des Zusammenhalts gibt es zwischen Nachbar*innen? In einem zweiten Projekt „Räume der Begegnungen und des Zusammenhalts“ befasse ich mich mit öffentlichen Räumen. Der Fokus liegt auf Bibliotheken bzw. sozialen Infrastrukturen. Ich untersuche, ob aus flüchtigen Begegnungen an solchen Orten Zusammenhalt entstehen kann. Und ob dieser auch aus institutionellen Arrangements heraus in die Nachbarschaft „getragen“ werden kann.

Wenn man Kulturelle Bildung als lebensweltliche Bildung, als Erfahrungsschatz und Teil der Persönlichkeitsentwicklung auffasst, dann ist diese immer Bestandteil und Ausdruck meiner Forschung. 

Dr.in Angelina Göb

Wie gehen Sie vor, um sozialen Zusammenhalt in Daten abzubilden?

Ich arbeite kontextbezogen und situativ. Durch die Anwendung verschiedener, sich ergänzender Instrumente möchte ich ein möglichst ganzheitliches Bild von meinen Untersuchungsgebieten erhalten. Meine Forschungsprojekte starte ich mit einer Begehung und Kartierung des Ortes, Beobachtungen des und Teilnahmen am Geschehen. So kann ich herausfinden, wo Begegnungsräume existieren, wer diese wie nutzt und welche potenziellen Kooperationspartner*innen ich ansprechen kann. Um in Kontakt mit Bewohner*innen zu kommen, nutze ich partizipativ-künstlerische Formate, zum Beispiel das gemeinsame Bemalen einer Litfaßsäule zum Thema „nachbarschaftlicher Zusammenhalt“. Es folgen Gespräche in unterschiedlichen Formaten, die von narrativ-biografischen bis hin zu Blitzinterviews direkt auf der Straße reichen. Häufig bin ich auch mit Expert*innen im Untersuchungsraum unterwegs und nehme an ihrem Arbeitsalltag teil, um von den Herausforderungen vor Ort zu erfahren.

Wie hängt Ihre Forschung mit Kultureller Bildung zusammen?

Meine Forschung setzt an der Lebenswirklichkeit der Menschen an. In den Kollaborationen, die während meiner Arbeit entstehen, werden immer auch Bildungsprozesse initiiert. Partizipation ist für mich dabei ein besonders relevanter Aspekt. Wenn man Kulturelle Bildung also als lebensweltliche Bildung, als Erfahrungsschatz und Teil der Persönlichkeitsentwicklung fasst, dann ist diese immer Bestandteil und Ausdruck meiner Forschung.

Welche Orte eignen sich besonders für kulturelle Bildungsprozesse?

Was Menschen als kulturellen Ort verstehen, ist sehr unterschiedlich, eben subjektiv. Das können Kinos, Theater oder Museen sein, genauso wie Treffpunkte an Skateanlagen, Spielplätzen oder Garagen, die mit Graffiti (selbst) gestaltet sind. Mit ihrer Allgemeinwohl-Funktion leisten viele öffentliche Infrastrukturen einen enormen Beitrag, um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit umzusetzen. Bibliotheken beispielweise sind kostenfrei zugänglich, integrativ, meist barrierearm. Man kann sich dort aufhalten, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Das sind Kriterien für einen Ort, der für kulturelle Bildungsprozesse geeignet ist.

In Ihrer Forschung geht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist in meinem Verständnis stark an die Lokalität gebunden und an die Frage, wie Menschen in Kontakt kommen können. Was Zusammenhalt bedeutet, ist in einer pluralen Gesellschaft mit pluralen Werten nicht leicht zu definieren. In unserem Alltagsverständnis ist dieser Begriff v. a. positiv konnotiert, als Miteinander und Füreinander. Konflikte werden dabei oft ausgeblendet, gehören zum Diskurs über und zur Verhandlung von Normen des Zusammenlebens aber dazu. Zusammenhalt als normativ geprägter Begriff stellt also „das Gute“ in den Vordergrund: das friedliche Zusammenleben und die solidarisch helfende Nachbarschaft. In meiner Forschung versuche ich den Begriff auf eine normativ-neutrale Ebene zu bringen. Im Gespräch mit den Menschen in unseren Untersuchungsräumen frage ich: Wie wollen wir zusammenleben und welche Werte sind uns wichtig? Bedarf es Normen vor Ort oder gibt es nur noch einen Minimalkonsens in der Gesellschaft, der uns zusammenhält?

Welche Rolle spielen hierbei Orte der Kulturellen Bildung?

Kulturelle Bildungseinrichtungen können Orte der Vergemeinschaftungen und des Erlebens von Selbst- und kollektiver Wirksamkeit sein, weil dort Menschen aufeinandertreffen, die vielleicht gemeinsame Interessen haben, Ideen teilen und diese umsetzen möchten. In diesen Kontexten, auch über Differenzen hinweg, ins Gespräch zu kommen, ist eine spannende – wissenschaftliche wie gesamtgesellschaftliche – Aufgabe.

Inwiefern reagiert Ihr Institut mit der Frage nach Zusammenhalt auf die besonderen Herausforderungen der Gegenwart?

Aktuelle Krisen in der Gesellschaft waren der initiale Grund, warum das Forschungsinstitut gegründet wurde.  Die elf beteiligten Forschungseinrichtungen versuchen aus unterschiedlichen Perspektiven, mit vielfältigen Methoden und Forschungsschwerpunkten Antworten auf zusammenhaltsrelevante Aspekte zu finden. In meiner Forschung bin ich auf der Mikroebene untersuchend tätig, im Nahraum. Gerade diese konkrete, erfahr- und erfassbare Ebene zeigt, dass die oftmals prognostizierten Spaltungstendenzen in der Gesellschaft im Nachbarschaftssetting nicht in dem Maße zu finden sind, wie es oftmals zum Ausdruck kommt. Natürlich gibt es auch hier Auseinandersetzungen. Unsere bisherigen Untersuchungen verweisen aber darauf, dass Nachbar*innen und Aufsuchende bzw. Nutzende von Kultur- und Bildungseinrichtungen an dem Gefühl des „guten Miteinanders“ festhalten wollen und die Bereitschaft mitbringen, dieses in ihren Alltagskontakten auch zu leben. 

Meine Forschungsprojekte sind lokal verortet und setzen an der Lebenswirklichkeit von Menschen an. Das können quantitative Daten oft nicht. In der Adressierung konkreter Problemlagen und Lösungsvorschläge stellen qualitative Daten auf jeden Fall einen Mehrwert dar.

Dr.in Angelina Göb

Wie reagiert man in den kommunalen Verwaltungen auf Ihre Forschung?

Kommunen sind meine ersten Ansprechpartnerinnen für den Feldzugang. Die lokale Forschungsarbeit wird auch immer unterstützt. Im Forschungsprozess werden Kooperationen intensiviert, Fragen und Problemstellungen aus der Praxis aufgenommen und in die Forschung integriert, so dass eine Wechselbeziehung entsteht.

In Ihrer Forschung erheben Sie qualitative Daten. Warum sollten diese von den Kommunen genutzt werden?

Qualitative Daten, wie jene aus Interviews und Stadtteilbegehungen, aber auch teilnehmenden Beobachtungen und Partizipationsformaten sind für Kommunen interessant, wenn es um das subjektive Erleben der Bewohner*innen eines Stadtteils und Nutzer*innen von öffentlichen Einrichtungen geht. Vor allem dann, wenn es noch kein oder wenig Wissen über die Situation, Bedarfe und Herausforderungen gibt. Interessant sind die gewonnenen Daten auch, z. B. aufbauend auf oder in Ergänzung zu vorhandenen (quantitativen) Studien, um Erklärungen und strukturelle Muster für bestimmte Verhaltensweisen zu finden. Meine Forschungsprojekte sind lokal verortet und setzen an der Lebenswirklichkeit von Menschen an. Das können quantitative Daten oft nicht. In der Adressierung konkreter Problemlagen und Lösungsvorschläge stellen qualitative Daten auf jeden Fall einen Mehrwert dar.

Zitiervorschlag

BKJ: Lebensweltliche Forschungsansätze für mehr Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt
https://www.bkj.de/teilhabe/wissensbasis/beitrag/lebensweltliche-forschungsansaetze-fuer-mehr-teilhabe-und-gesellschaftlichen-zusammenhalt/
Remscheid und Berlin, .

    BKJ-Inhalt

    Typo: 313
    Typo: 313

    Diese Seite teilen:

    Kontakt

    Telefonnummer:
    +49 30 - 48 48 60 0
    E-Mail-Adresse:
    info@bkj.de

     

    Gefördert vom

    Zur Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

    Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) ist der Dachverband für Kulturelle Bildung in Deutschland.