Zusammen eine Alternative denken
Im Gespräch mit Julia Dina Heße, ASSITEJ e. V.
Im Gespräch mit Julia Dina Heße, ASSITEJ e. V.
Julia Dina Heße ist Stellvertretende Vorsitzende im Vorstand der deutschen ASSITEJ – dem Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland und Mitglied im Vorstand der Assitej International. Zuvor arbeitete sie u. a. als Leiterin des Jungen Theaters Münster.
Bei Nachhaltigkeit sind für mich zwei Arten der Gerechtigkeit untrennbar verbunden: der Zusammenhang von Klimagerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Deswegen würde ich beim Begriff Gerechtigkeit unter der Nachhaltigkeitsperspektive auch Solidarität und Umverteilung von Macht und Privilegien miteinschließen. Wir sollten uns Menschen nicht als isoliert betrachten, sondern in Bezug zu allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten, auch zu denen, die noch nicht geboren sind. Im Umkehrschluss bedeutet es, uns bewusst zu machen, wie sehr wir − ungerechter Weise − auf Kosten anderer leben.
Ich fände es schade, wenn es nur einen Leitfaden gibt, wie Kulturelle Bildung zu Nachhaltigkeit aussehen kann, weil man kreative Ideen eher einschränkt, als dass man neue Ansätze findet.
Julia Dina Heße
In den darstellenden Künsten für Kinder kommt das Thema Gerechtigkeit immer wieder vor, das war auch schon vor der UN-Agenda 2030 so. Das Theater bietet die Chance, das eigene Wissen, Fühlen und Handeln zu verbinden und zu fragen: Was hat mein Leben mit anderen Menschen zu tun? Wie blicke ich über den eigenen Tellerrand? Und im Sinne eines ganzheitlichen Gerechtigkeitsbegriffes auch zu fragen, warum wir so leben, bestimmte Hierarchien für selbstverständlich halten oder davon ausgehen, dass der Mensch all diese Ressourcen einfach als seine verwenden darf.
Das fängt direkt mit der Auseinandersetzung mit den ersten beiden SDGs an, dem Kampf gegen Armut und Hunger auf der Welt. Aber auch SDG 3 und 4, das Recht auf kulturelle Teilhabe sowie der Zugang zu hochwertiger Bildung sind seit jeher ein Kernanliegen der Theatermacher*innen für junge Menschen. Auch mit Fragen der Gendergerechtigkeit beschäftigen sich Kolleg*innen in Theaterstücken und Workshops schon sehr viel – die Geschlechter-Gleichstellung ist in SDG 5 verankert.
Viele behandeln die SDG-Themen in ihren Programmen, aber überraschenderweise ist es ihnen häufig nicht bewusst oder sie benennen es auch nicht explizit. Auch setzen viele Akteur*innen Nachhaltigkeitskonzepte schon in Eigenregie um. Viele Theaterschaffende möchten über die inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung hinaus aber auch in ihren Produktionsprozessen nachhaltiger werden. Deshalb braucht es z. B. auch die Politik, die auf die Rahmenbedingungen einwirken kann, denn aktuell ist in den eng getakteten Arbeitsabläufen oft nicht vorgesehen, die klimafreundlichste Variante zu suchen, sondern eher die kostengünstigste und zeitsparendste. Hier gilt es umzudenken. Die Akteur*innen brauchen zudem selbst auch das Wissen für ein nachhaltigeres Wirtschaften und dabei muss das Umsteigen auf nachhaltige Energien oder Produkte nicht zwangsläufig teurer sein.
Um hier zu vernetzen und Energien zusammenzuführen, arbeitet die ASSITEJ zusammen mit drei anderen Theater-Mitgliedsverbänden und der BKJ an einer Bestandsaufnahme, inwieweit globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung schon mit Jugendlichen im Theater verhandelt werden. Daraus – so die Idee – können dann Fortbildungen oder Leitfäden entstehen. Gleichzeitig ist es aber auch spannend, dass die Akteur*innen ganz unterschiedliche Wege finden und sich darüber austauschen wollen. Ich fände es schade, wenn es nur einen Leitfaden gibt, wie Kulturelle Bildung zu Nachhaltigkeit aussehen kann, weil man kreative Ideen dadurch eher einschränkt, als dass man neue Ansätze findet. Einen solchen Leitfaden sehe ich eher als möglichen Ausgangspunkt für neue Ansätze, die wir jetzt noch nicht kennen. Gerade junges Theater muss sich sehr dagegen wehren, nur als pädagogisches Begleitmaterial gedacht zu werden, auch zum Thema BNE. Dabei ist es aber eben nicht nachhaltig, wenn Nachhaltigkeit nur wieder ein Thema wird, das aktuell gefördert und auf die Agenda der Theater gesetzt wird, um nach kurzer Zeit abgehakt zu werden. Für einen Wertewandel sollten wir uns auf alle möglichen Weisen mit den Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen – damit etwas entstehen kann, was uns weiterbringt.
Es ist nicht nachhaltig, wenn Nachhaltigkeit nur wieder ein Thema wird, das aktuell gefördert und auf die Agenda der Theater gesetzt wird, um nach kurzer Zeit abgehakt zu werden.
Julia Dina Heße
Das GRIPS Theater in Berlin befragt in der Neuauflage des Theaterstückes „Himmel, Erde, Luft und Meer“ die Zusammenhänge von Umweltschutz, Klimafragen und Generationengerechtigkeit mit passendem Klimapowerpaket-Handbuch, um das Stück auch spielerisch, z. B. in der Schule, vor- und nachbereiten zu können. Aber es gibt noch so viele weitere Beispiele und Ausdrucksformen zum Thema Nachhaltigkeit in Theatern. In der internationalen ASSITEJ haben wir gerade eine Dramaturgie für drei Jahre verabschiedet, die als Prozess jedes Jahr einen anderen Nachhaltigkeitsbezug hat. Dabei ist es toll zu sehen, dass Nachhaltigkeit die Theatermacher*innen in der ganzen Welt beschäftigt und eine globale Organisation gemeinsam Fragen nach Mobilität oder Ressourcenumverteilung aushandelt.
Dass Kunst und Kultur eine wichtige Rolle in diesem Transformationsprozess spielen, zeigen ja viele Positionen, u. a. die des Rates für nachhaltige Entwicklung. Weil Kunst durch Utopie mögliche Lösungsansätze denken kann, die man jetzt noch nicht hat. Aber es braucht auch den Raum für den ästhetischen Transfer von Wissenschaft zu Kunst, damit die Kunst nicht nur Informationen reproduziert. Es ist sehr spannend zu sehen, wie sich das Theater in Ästhetik und Erzählstrategien verändert, wenn es sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Es zeigt: Ich bin nicht allein mit dem, was ich denke und fühle und es ist immer gut, zusammen eine Alternative zu dem zu denken, wie es gerade ist.
Fortbildungen zum Thema Nachhaltigkeit oder BNE finde ich sehr sinnvoll, damit sich Künstler*innen informieren können, um welche Fragen es dabei geht. Aber die eigene Positionierung dazu sollte jeder und jedem selbst überlassen sein. Künstler*innen brauchen außerdem Zeit für diese Prozesse, um eine ästhetische Sprache für sich im Umgang mit bestimmten Themen zu finden. Wenn dann aber solche neuen, anderen Produktionen gemacht werden, finde ich es immer schade, dass sie oft z. B. von Lehrenden für ihre Gruppen nicht ausgewählt werden, weil sie denken, dass die experimentellen Ausdrucksformen oder komplexen Themen keiner versteht. Oder wenn sie nicht gefördert werden, weil es nicht ein ganz bestimmtes Schwerpunktthema abdeckt. Leider geht so auch das Potenzial von Künstler*innen verloren. Prinzipiell ist es toll, dass gesehen wird, welches Transformationspotenzial in den Künsten steckt. Aber es ist eben auch wichtig, bei der Umsetzung nicht wieder in alte Muster zu verfallen. Ein „Schneller, weiter, mehr“ ist für das Finden neuer Lösungen nicht der richtige Ansatzpunkt.
Text: Franziska Sternsdorf
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was?, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 58 – 61.
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