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Zukünfte. Mitmachen, bitte.
Fachbeitrag

Zukünfte. Mitmachen, bitte.

Über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer gestaltenden Zukunftsperspektive

veröffentlicht:

Was ist Zukunft? Zukünftige Gegenwart oder gegenwärtige Zukunft? Und was bedingt Zukunft? In einer Zeit, in der es immer und überall um Zukunftsfragen geht, müssen wir uns wohl erst die basalen Fragen beantworten, um handlungsfähig zu sein.

von Sascha Dannenberg und Nele Fischer, Institut Futur der Freien Universität Berlin

Sascha Dannenberg ist seit Oktober 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Futur in Lehre und Forschung tätig und ist zudem wissenschaftlicher Koordinator des Masterstudiengang Zukunftsforschung.

Nele Fischer lehrt im Masterstudiengang Zukunftsforschung an der FU Berlin. Ihr Fokus ist die Auseinandersetzung mit den sprachlichen Bedingungen der Konstruktion von Zukünften. Zudem arbeitet sie als Prozessgestalterin/-begleiterin im Bereich Organisationsentwicklung.

Feststeht, dass, wie wir uns Zukunft vorstellen, unser Handeln in der Gegenwart beeinflusst und damit unsere Zukunft gestaltet. Was prägt also unsere Vorstellungen und lässt Zukunft wahr werden? Verstehen wir Welt, hinterfragen wir unsere Annahmen und kreieren wir unsere eigenen Zukunftsbilder!

Zukunft − Was ist das?

Zukunft „begegnet“ uns allen im Alltag immer wieder und auf ganz unterschiedliche Weise. Dabei versuchen wir zum einen, die Zukunft explizit als das Unsichere, nicht klar Erkennbare sprichwörtlich festzuhalten und zu bändigen, indem wir auf Veränderungsanzeichen (Trends) in unserem Umfeld achten (damit wir nicht überrascht werden), Pläne machen (damit es so kommt, wie wir uns das vorstellen) oder Versicherungen abschließen (falls es dann doch anders kommt). Gleichzeitig „begegnet“ uns die Zukunft immer wieder sehr viel impliziter in Form von Wünschen und Hoffnungen, Ängsten und Befürchtungen. Also als Zukunft, die grundlegend offen und unbestimmt ist, eben weil es noch nicht ist. Die metaphorische Verwendung einer „Begegnung mit der Zukunft“ zum einen als etwas zwar noch Unklarem, aber sich Abzeichnenden, vor uns Liegenden, als etwas, dass wir vorhersehen, prognostizieren könnten, und zum anderen als gegenwärtige Vorstellungen, zu denen wir uns (emotional, affektiv) verhalten und die unsere Handlungen leiten können, deutet auf eine nicht unkritische Vermischung von zwei zusammengehörigen, aber in ihren Implikationen sehr unterschiedlichen Verständnissen hin, was „die Zukunft“ ist: die Zukunft als zukünftige Gegenwart oder als gegenwärtige Zukunft.

Wir reden − in der ersten Variante − über die Zukunft als eine zukünftige Gegenwart: ein Zustand, der noch nicht ist, der noch vor uns liegt. Diesen Zustand versuchen wir zu antizipieren, also im wahrsten Sinne des Wortes vorwegzunehmen, vorzugreifen, ähnlich dem Blick durch ein Fernglas bei schlechter Sicht. Im übertragenen Sinne versuchen wir dabei immer bessere Ferngläser zu konstruieren, um nicht nur die Umrisse möglicher und wahrscheinlicher Hindernisse erkennen, sondern deren genaue Lage prognostizieren, also vorherwissen, zu können. Gegenwärtig wird diese Hoffnung v. a. mit der Weiterentwicklung von Big Data und künstlicher Intelligenz und den damit verbundenen Möglichkeiten, massive Datenmengen auszuwerten, verbunden. Neben an dieser Stelle zu vernachlässigenden epistemologischen Problemen, stellt uns dieser Ansatz vor ein großes (ethisches) Dilemma: Wenn die Zukunft bereits vor uns liegt, wir diese zumindest in ihren Umrissen antizipieren können und damit feststeht, wie unsere zukünftige Gegenwart aussieht, dann ist diese ja auch nicht mehr veränderbar. Warum sollten wir uns dann noch mit unserer Zukunft beschäftigen?

Die zweite Variante von Zukunft fokussiert sich explizit auf das, was wir uns aktuell vorstellen können und wie diese Vorstellungen in unseren Zukunftsbildern repräsentiert werden. Hier wird Zukunft nicht als zukünftige Gegenwart verstanden − und entsprechend ihre Eintrittsmöglichkeiten in den Vordergrund gerückt −, sondern es geht vielmehr um die Beschäftigung mit möglichen (gegenwärtigen) Zukünften. Diese sind keine Prognosen, sondern begründete Überlegungen, was unter welchen Voraussetzungen und unter welchen gegenwärtigen Wissensannahmen sich wie entwickeln könnte. Es geht darum, Möglichkeiten auszuloten, zu explorieren, wünschbare Zukünfte zu entwerfen und unsere Annahmen zu hinterfragen, auf denen all diese Vorstellungen beruhen, denn: Wie wir uns die Zukunft vorstellen, beeinflusst unser Verhalten und unsere Entscheidungen in der Gegenwart und gestaltet damit Zukunft.

Unser Verständnis von der Welt beeinflusst, welche Zukünfte wir denken können, was wir für möglich halten. Entsprechend zentral ist es, die eigenen Annahmen zu reflektieren.

Sascha Dannenberg und Nele Fischer

Zukünfte − Wer „Macht“ die?

Unsere Vorstellungen von Zukunft − unsere Zukunftsbilder − sind also handlungswirksam. Interessant aus der Perspektive der Zukunftsforschung ist es v. a. dann, wenn viele individuelle Zukunftsbilder konvergieren oder divergieren und so die Zukunft einer Gruppe oder sogar Gesellschaft bestimmen.

Doch woher kommen diese Bilder? Zukunftsbilder entstehen an unterschiedlichsten Stellen. Manche werden explizit formuliert, andere sind eher implizit. Wie oben beschrieben, sind Zukunftsbilder begründete Vermutungen. Dabei sind die Vermutungen immer gegenwartsgebunden. Nicht nur, weil sie in der Gegenwart gemacht werden, sondern weil sie durch unser gegenwärtiges Verständnis von der Welt präfiguriert werden. Auf Basis dessen, wie wir die Gegenwart verstehen, (be)deuten wir die Zukunft. Unser Verständnis von der Welt beeinflusst, welche Zukünfte wir denken können, was wir für möglich halten. Entsprechend zentral ist es, die eigenen Annahmen zu reflektieren. In diesem Sinne sagen Zukunftsbilder mehr über unser gegenwärtiges Denken aus als über die tatsächliche, dann realisierte zukünftige Gegenwart, die sie beschreiben. Aus dieser Perspektive sind allgegenwärtige Trendbeschreibungen mit Vorsicht zu genießen. Trends sind Gegenwartsbeobachtungen, die Muster in aktuellen Entwicklungen verdichten und in die Zukunft extrapolieren. Die erkannten Muster sagen jedoch häufig mehr darüber aus, wie die Gegenwart verstanden wird, als dass sie zukünftige Gegenwarten beschreiben. So zeigt die gegenwärtige Corona-Pandemie sehr deutlich auf, wie unterschiedlich die Entwicklungsprognosen und die darauf basierenden Handlungsempfehlungen sind. Dabei spielen nicht nur unterschiedliche Interessen eine Rolle, sondern v. a. auch die jeweilige Wahrnehmung und Deutung der Gegenwart. Auch deshalb divergieren die Zukunftsaussagen und Prognosen von Virolog*innen, Ökonom*innen, Psycholog*innen u. a. Gerade im Kontext Kultureller Bildung ist es deshalb interessant, Zukunftsvorstellungen als Spiegel der Gegenwart zu betrachten und entsprechend kritisch zu hinterfragen. Warum hat sich z. B. der Begriff „Social Distancing“ scheinbar nahtlos in unseren Alltag integriert? Warum sprechen wir nicht über „Physical Distancing“?

Im Kontext von technologie-bezogenen Zukunftsbildern ist es interessant die gegenwärtigen Vorstellungen, Hoffnungen und Ängste, die unsere Wahrnehmung und entsprechend die Gestaltung von Technologien prägen, zu untersuchen. Denn gerade technologische Entwicklungen scheinen oftmals unausweichlich und werden auch von Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft häufig sprachlich so behandelt. Bestimmte Zukunftsvorstellungen oder Zukunftsbilder gewinnen so Deutungshoheit und werden sprichwörtlich zukunftsmächtig, da ihre Realisierung nur eine Frage der Zeit, aber nicht alternativ scheint. Die entsprechenden Diskurse um künstliche Intelligenz, Digitalisierung bzw. Smart Technologies und deren Auswirkungen sind dafür einschlägige Beispiele. Über das Verständnis von Zukunftsbildern als Vorstellungen, die sich in verschiedenen Diskursen wiederfinden und diese prägen, können wir solche Zukunftsdiskurse untersuchen und verstehen, wie Zukünfte thematisiert werden, wer welche Zukünfte vertritt, welche Zukunftsbilder sich überschneiden oder wo die Vorstellungen divergieren.

Welches gegenwärtige Verständnis wir von der Welt haben, ist auch eng mit den Normen und Inhalten verbunden, die Bildungseinrichtungen vermitteln. Dadurch prägen sie die Zukunftsvorstellungen, die sich Kinder und Jugendliche − auch als spätere Erwachsene − machen können, maßgeblich mit. Indem Bildungseinrichtungen diese normierende Gebundenheit von zukünftigen Möglichkeiten in den Vorstellungen anderer − meist Erwachsener − direkt thematisieren und Kinder und Jugendliche dazu anleiten, deren Annahmen hinterfragen zu können, kann Gestaltungskompetenz ausgebildet werden. So können Kinder und Jugendliche Gestaltungsspielräume nutzen, um Zukunft mit zu verhandeln und mitzubestimmen, so wie das in Ansätzen der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in diversen Bildungsinstitutionen verfolgt wird.

Kulturelle Bildung bietet eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit den kulturellen Voraussetzungen der Antizipation und Imagination von Zukünften. Sie kann helfen, die inhärente Unsicherheit von Zukunftswissen nicht als Problem, sondern als Möglichkeit zur Gestaltung zu vermitteln.

Sascha Dannenberg und Nele Fischer

Zukünfte − ander(e)s wagen

Die Vorstellung, die Zukunft sei gestaltbar und stelle sich eher in Form von zukünftigen Möglichkeiten (Zukünfte) denn in Prognosen und klaren Trendbeschreibungen dar, ist verlockend und verunsichernd zugleich. Denn sie besagt nicht nur, dass wir die Zukunft gestalten können, sondern gestalten müssen! Aber wie wollen wir eigentlich leben? Und was sind dafür die richtigen Entscheidungen? Kulturelle Bildung bietet eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit den kulturellen Voraussetzungen der Antizipation und Imagination von Zukünften. Sie kann helfen, die inhärente Unsicherheit von Zukunftswissen nicht als Problem, sondern als Möglichkeit zur Gestaltung zu vermitteln. Gerade über künstlerische Ansätze lassen sich Zugänge zu Unsicherheitstoleranz und Amgibuitätstoleranz schaffen: Mit der Offenheit von Zukünften gestalterisch umzugehen, heißt auch, Mehrdeutigkeiten anzuerkennen, verschiedene Interpretationen zuzulassen − und sie gleichzeitig kritisch hinterfragen zu können. Kinder und Jugendliche auf „die Zukunft“ vorzubereiten, bedeutet im Sinne der offenen Zukünfte und den handlungsleitenden Zukunftsbildern um uns herum v. a., Gestaltungskompetenz zu entwickeln und eine kritische Reflexion der eigenen Annahmen − und der der anderen − zu lernen. Daraus kann eine proaktive Haltung gegenüber der eigenen gesellschaftlichen Zukunft erwachsen. Im Hinterfragen liegt dann die Möglichkeit, nicht einfach nur dem Vorsorgeprinzip zu folgen, welches Risiken und Unsicherheiten als Bedrohung des Status Quo vermeiden will. Stattdessen können wir über eine Reflexion der gegenwärtigen Zukunftsvorstellungen auch eine Gestaltung anderer − vom Status Quo abweichender − Zukünfte wagen.

Literatur

Dannenberg, Sascha/Fischer, Nele (2017): Gaming Scenarios: Making Sense of Diverging Developments. In: European Journal of Futures Studies.

de Haan, Gerhard (2008): Ungewisse Zukunft, Kompetenzen und Bildung. In: Ehrenspeck; Yvonne/de Haan, Gerhard et al. (2008): Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Grundlagen und schulpraktische Konsequenzen. Berlin, Heidelberg: Springer.

Fischer, Nele (2017): Gegenwärtige Zukünfte, kontingente Gegenwarten und prospektives Sprechen. Anregungen für Zukunftsforschung aus einer Auseinandersetzung mit sprachreflexiven Ansätzen von Roland Barthes. In: iF Schriftenreihe. 03/17. Sozialwissenschaftliche Zukunftsforschung. refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/21922

Grunwald, Armin (2009): „Wovon ist die Zukunftsforschung eine Wissenschaft?“ In:
Popp, Reinhold/Schüll, Elmar (Hrsg.) (2009): Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer. S. 25−35.

 

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunft – jetzt utopisch gerecht. kubi – Magazin für Kulturelle Bildung No. 19-2020. Berlin. S. 6 – 10.