Woran eine globale Jugendbegegnung (fast) scheitern kann
Abidjan/Elfenbeinküste – Berlin/Deutschland
Abidjan/Elfenbeinküste – Berlin/Deutschland
von Michaela Schlagenwerth
Es klingt wie der Anfang einer abgegriffenen Geschichte, und dass sie auf vorhersehbare Weise weitergeht, macht sie erst recht zu einer bitteren Enttäuschung: „Wir gehen nur eine Zigarette rauchen“, sagen Kader, Syfy und Rougo. Es ist ein Mittwoch, früher Nachmittag. Die nächsten Proben stehen um 16 Uhr an. Als die drei jungen Ivorer nicht gleich zurückkommen, denken sich Julia Schreiner, die Projektleitung seitens der Jugendtheaterwerkstatt (jtw) Berlin-Spandau, und Jenny Mezile, Choreografin aus Abidjan (Côte d’Ivoire), zunächst nichts dabei. Als die drei am Abend aber noch immer nicht da sind, schalten sie die Polizei ein.
So erzählt es Julia Schreiner an einem verregneten Nachmittag in einem Kreuzberger Café. Fast drei Jahre hat sie für dieses Austauschprojekt zwischen ivorischen und Spandauer Jugendlichen gearbeitet und dabei immer darauf bestanden, dass die Ivorer*innen für eine Begegnung nach Deutschland reisen dürfen. Nach einem gelungenen weltwärts-Begegnungsprojekt mit einer Jugend- Theatergruppe aus Angola, konnte sie sich nicht vorstellen, dass das Projekt mit der Gruppe aus Abidjan diese Wendung nehmen würde.
Pieds dans la Mare ist ein Projekt, das in ihrer formalen Bildungsbiografie gescheiterten Jugendlichen die Chance bietet, sich in Bracody, einem Armenviertel von Abidjan, zu Tänzer*innen ausbilden zu lassen. Julia Schreiner und Carlos Manuel, Regisseur der Jugendtheaterwerkstatt, lernten die Gruppe bei einer Recherchereise drei Jahre zuvor kennen. Nach einem erfolglosen ersten Anlauf für ein gemeinsames Projekt, bei dem die Ausländerbehörde mit „Zweifeln an der Rückreisebereitschaft“ die Visa verweigerte, bekamen die neun jungen Menschen für die weltwärts-Begegnung endlich ihre Visa. Die Ausländerbehörde versicherte ihnen, dass es, wenn sie zurückkehren, keine Probleme mehr mit weiteren Visabewilligungen geben würde.
Alles sah gut aus. Für Les Pieds dans la Mare sollte das Austauschprojekt mit der kleinen Spandauer Jugendtheaterwerkstatt den Sprung in die internationale Tanzwelt erleichtern. Direkt von Deutschland aus wäre es nach Ouagadougou in Burkina Faso gegangen, zu einem Gastauftritt bei Fido, dem größten zeitgenössischen Tanzfestival Westafrikas. Alles, was die Tänzerin und Choreografin Jenny Mezile in den vergangenen Jahren mit den Jugendlichen in Bracody erarbeitet und ihnen in Aussicht gestellt hatte, schien Früchte zu tragen. Und dann gehen einige von denen, für die der ganze Aufwand angeleiert wurde, „eine Zigarette rauchen“ − und gefährden das ganze Projekt.
Zu dem Gastspiel in Ouagadougou ist es nicht gekommen. Nach Kader, Syfy und Rougo sind noch zwei weitere Teilnehmer verschwunden. „Alle fünf sind ohne ihr Gepäck geflohen, ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld. Sie konnten nicht alleine fort“, erzählt Julia Schreiner und vermutet: „Das wurde schon vor der Reise von Abidjan aus und von Schleppern organisiert.“ Das wäre eine Erklärung. Aber an welche Art von Schleppern die zwischen 23 und 27 Jahre alten Männer geraten sind, das wissen Julia Schreiner und Jenny Mezile nicht.
Mezile glaubt, ein Muster zu erkennen: Den jungen Menschen wird das Blaue vom Himmel versprochen, ein festes Engagement in einer großen Tanz-Compagnie, die Chance auf eine internationale Karriere. Die meisten enden dann ganz woanders. Als illegale Küchenhilfen, Drogenhändler oder noch Schlimmeres.
Hatte die Ausländerbehörde mit ihrer damaligen Einschätzung also recht? „So einfach“, sagt Julia Schreiner, „darf man es sich nicht machen.“ Wären die jungen Tänzer auch geflohen, wenn sie wirklich hätten sicher sein können, dass ihnen bei nächsten internationalen Einladungen wieder die Einreise erlaubt wird? Verlassen konnten sie sich darauf nicht. Vielleicht dachten sie, dass dieses Projekt ihre einzige Chance sei und sich die Tür nach Europa nach ihrer Rückkehr für immer schließt.
Wenn sich die politische Lage in Côte d’Ivoire weiter verschärft, gelten die Versprechungen von gestern nicht viel. Insbesondere eingedenk der restriktiven Visa-Handhabe für Menschen, die in Kulturarbeit und Kultureller Bildung aktiv sind. Dazu kommt, dass es offenbar tatsächlich Schlepper gibt, die junge Nachwuchskünstler* innen aus Afrika an Compagnien in Westeuropa vermitteln. Als „Erfolgreiche“, als diejenigen, die es „geschafft“ haben, werden sie dann in ihrer Heimat gefeiert. Eben das lässt junge Menschen wie Kader, Syfy und Rougo an die große Karriere glauben.
Die Chancen aber sind gering.
„Nicht die, die flüchten, sondern die, die zurückkehren, müssen die Helden sein.“
Jenny Mezile
Der „Verrat der Fünf“, wie er in den Tageszeitungen Abidjans bezeichnet wurde, behindert nun etwas anderes: Den kulturellen Aufbau des Landes von innen heraus, so wie er mit Projekten wie dem von Jenny Mezile gelingt. Die Chance anderer junger Ivorer*innen in ähnlicher Lage auf ein Visum wird durch Vorfälle wie diesen so gut wie aussichtslos.
In Spandau ist mit den vier verbliebenen Tänzer*innen von Les Pieds dans la Mare und den Spandauer Jugendlichen trotzdem noch eine gemeinsame, intensive und bewegende Jugendbegegnung gelungen, die mit dem Tanz-Theater-Stück „Plastique fantastique“ der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Nun wollen die Spandauer*innen den Rückaustausch in Abidjan antreten. Darauf freuen sich alle.
Es ist ein Austausch in beide Richtungen. Das ist Julia Schreiner wichtig. Jenny Mezile wird weitermachen in Bracody, aber ihr Fazit ist bitter: „Man muss lernen, seinen Hunger zurückzuhalten, um sich nicht für einen Teller Huhn zu prostituieren. Was das heißt, das werden die fünf Geflüchteten nun wohl erleben.“
Dieser Text stammt aus der BKJ-Arbeitshilfe „Globale Partnerschaften“: