Inklusion bedeutet die unteilbare Anerkennung jeder*s „Anderen*“ – wobei für jeden Menschen jemand anderes „der oder die Andere*“ sein kann. Inklusion soll dazu beitragen, die Wertschätzung und Anerkennung aller zu ermöglichen.
von Barbara Brokamp
Barbara Brokamp ist Mitarbeiterin der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft Bonn im Projektbereich Inklusion.
BKJ | Katrin Kutter
Die einen und die anderen Anderen…
Unter den „Anderen*“ gibt es keine wertende Reihenfolge der Anerkennung – die „einen Anderen*“ sind also nicht wichtiger als die „anderen Anderen*“.
Klein, sehend, schnell, gehörlos, langsam, mittelschnell, hell, blind, Rolli-abhängig, gesund, sportlich, krank, jung, alt, frech, blond, singend, groß, laut … Jede*r von uns trägt viele Unterschiedlichkeiten in sich und lässt sich ungern auf nur ein Merkmal reduzieren: „der Kleine“, „die Blonde“, „die Muslime“… Verabsolutierungen und Zuschreibungen führen zu Abgrenzungen und können die Angst vor dem Fremden steigern.
Inklusives Handeln als Beitrag zum Schutz der Menschenrechte
Wir brauchen als menschliche Gemeinschaft und Gesellschaft das Verbindende, das Soziale, das gemeinsame Handeln und selbstverständlich die Diskussionen für unsere Weiterentwicklung. Durch ständige Abgrenzungen wird das menschliche Miteinander bedroht und kann unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen.
Die gemeinsame „Plattform“, von der gemeinschaftlich Normen und Regeln aktuell definiert werden, ist jeweils veränderbar und von dem kulturellen Umfeld abhängig. Sie wird aber immer auf Grundlage der Orientierung an den allgemein gültigen Menschenrechten ausgehandelt. Inklusion verdeutlicht den Auftrag, dieses Aushandeln zu ermöglichen: Es erfordert die aktive Teilhabe und Selbstbestimmung aller Menschen.
„Menschenrechte sind Ausdruck einer vorläufigen fragilen oft nicht ehrlichen Verständigung auf die humanistische Weltgesellschaft.”
Julian Nida-Rümelin anlässlich einer Ansprache zum Thema „Philosophie einer humanen Bildung“ bei der Hauptversammlung der deutschen UNESCO-Kommission in Potsdam am 16.11.2016.
Sie seien deshalb fragil, so Nida-Rümelin weiter, „weil sie immer wieder durch politische Praktiken unterlaufen werden, und zwar in massiver Form. Jeder Krieg ist ein Beispiel dafür, dass man diesen Prinzipien untreu wird.“
Inklusives Handeln möchte dazu beitragen, dass Prinzipien und Vereinbarungen der Menschenrechte eingehalten werden und alle Barrieren und Hindernisse abgebaut werden, die Menschen diese aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und Aushandlungen erschweren. Wenn Menschen Inklusion als Leitidee begreifen, bedeutet es, bestimmte Werte zu achten und als handlungsleitend zu realisieren. Die Menschenrechte implizieren diese Werte. Sie sind dann auch der Garant für eine überlebensfähige Demokratie, denn sie beinhaltet die Achtung der Vielfalt der Menschen, die Solidarität.
Bildung im inklusiven Verständnis
Inklusiv zu handeln, ist auf allen Ebenen unserer Gesellschaft möglich. Wertschätzung, gegenseitige Achtung und Verantwortungsübernahme können als uns verbindende Haltung überall gelebt werden. Wenn Inklusion als gesellschaftspolitischer Prozess verstanden wird, zu dem alle Menschen beitragen (sollen), dann ist Bildung ein Herzstück des Prozesses und stellt hohe Anforderungen an uns alle.
Bildung im inklusiven Verständnis bedeutet die Entfaltungsmöglichkeit aller Potenziale jedes einzelnen Menschen, sie impliziert Bildungsgerechtigkeit. Dabei geht sie weit über den bisher allgemein verstandenen Rahmen von Schule und Unterricht hinaus.
Eine ganztägige inklusive Bildung ist nicht auf formales Lernen oder formale Bildung begrenzt. Sie ist Pflichtaufgabe von Ländern und Kommunen, die sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen und dient nicht primär ökonomischer Verwertbarkeit.
Inklusive Bildung bedeutet nicht nur Inhalte, also etwa Curricula oder Lehrpläne, die die Vielfalt der Menschen und Lebensweisen berücksichtigen, sondern es geht auch um eine in den Institutionen, in den formalen und informellen Bildungs- und Gesellschaftsbereichen gelebte inklusive Haltung.
Diese spiegelt sich in dem konkreten Umgang miteinander auf allen Ebenen wider. Das betrifft sowohl z. B. Einrichtungsleitungen, Personalentscheidungen, Teamsitzungen, als auch Strukturen, Informationspolitik etc. Eine Kooperation der unterschiedlichen Einrichtungen ist unbedingt Voraussetzung.
Inklusive Orte und Zeit fördern demokratisches Handeln
In Bildungseinrichtungen, Werkstätten, Ateliers, Jugendheimen oder Kulturzentren können Individualität und Eigenes ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Anderen*, der Gruppe, dem eventuell Fremden im Erleben von künstlerischen Zugängen, ästhetischen Prozessen und deren Reflexionen erfahren werden. Hierin liegt eine besondere Qualität und Aufgabe solcher Orte.
Gemeinsam mit Spaß und Freude gestalten und künstlerische Ausdrucksformen suchen, üben, lernen, diskutieren und nochmals in Frage stellen – hier liegt viel Potenzial, auch eigenen Vorurteilen zu begegnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine wertschätzende Kommunikation darüber kann die unterschiedlichen Ressourcen und Potenziale sehr deutlich sichtbar machen und ermöglicht einen gleichberechtigten Umgang miteinander. Demokratisches und verantwortungsvolles Handeln wird so selbstverständlich. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen kann inklusives Handeln wirksam werden. Dabei bleibt das Ziel eine Gesellschaft, in der ausnahmslos alle von einer selbstbewussten, die Vielfalt annehmenden Gemeinschaft profitieren. Ohne Mauern.
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