„Wie können wir die Welt verändern?“ Jugendliche suchen Antworten auf der Bühne
Deutsch-französische Theaterwerkstatt „InterKultour“, Nancy und Dresden
Deutsch-französische Theaterwerkstatt „InterKultour“, Nancy und Dresden
Ein Kaffee, den eine Freundin spendiert, ein Paket, das eine Nachbarin annimmt, eine flüchtige Begegnung oder ein nettes Lächeln – freundliche Gesten wirken sich auf unser Gemüt aus. Doch können wir durch einen persönlichen und freundlichen Umgang miteinander vielleicht auch ein bisschen die Welt verändern?
Das fragten sich die Teilnehmer*innen des deutsch-französischen Theateraustauschs „InterKultour“. Die Jugendbegegnung organisiert vom Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) und seiner französischen Partnerorganisation Fédération Nationale des Compagnies de Théâtre Amateur et d’Animation (FNCTA) beschäftigte sich in diesem Jahr mit dem Thema „changements/Veränderungen“.
Der Austausch wurde im Jahr 2013 zum Jubiläum des Elysée-Vertrages ins Leben gerufen, um die deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft zu festigen und jungen Menschen neue Perspektiven durch Kulturelle Bildung zu eröffnen. Seitdem – mit Ausnahme der Pandemiezeit – findet er mit sechs Jugendlichen aus Frankreich und sechs Jugendlichen aus Deutschland je eine Woche lang in einem der beiden Nachbarländer statt.
Thea Marie Eilers ist freiberufliche Theaterpädagogin und hat in diesem Jahr auf deutscher Seite die künstlerische Leitung übernommen. „Uns war bei der Konzeption wichtig, dass die Jugendlichen ihre Themen selbst mitbringen. Aus diesem Grund haben wir nur das Motto vorgegeben.“ Junge Menschen sehen sich in Anbetracht der zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit immer wieder vor die Frage gestellt: Wie können wir die Welt verändern? Und wollen wir das überhaupt? Wo beginnt der Wandel? Ein Thema, das gar nicht so leicht zu greifen ist. Gerade deshalb biete das bilaterale Theaterprojekt genau den richtigen Begegnungsort, meint Darina Startseva, die das Projekt von Seiten des BDAT koordiniert: „Der Methodenkoffer, den das Theater bietet – sei es die Musik, die Sprache oder der Ausdruck des Körpers – ist so reich, da ist für jede*n etwas dabei.“
Der erste Themenblock, der in Dresden stattfand, war geprägt von Aufwärmspielen und Improvisationsübungen, um Hemmungen abzubauen und den Einstieg zu erleichtern. Die Aufgabe für die Jugendlichen: sich mit den aktuellen Herausforderungen auseinandersetzen und sich eine ideale, utopische Welt vorstellen. Diskriminierungserfahrungen, Angst vor dem Fremden, politische Stimmungen – die 16- bis 21-Jährigen fanden sich zunächst in Kleingruppen zusammen und erarbeiteten unter Anleitung von Thea Marie Eilers und ihrem französischen Kollegen einige Szenen, die dann für die erste Aufführung im Theaterhaus Rudi in Dresden genutzt wurden. Die Workshopleiter*innen unterstützten die Teilnehmer*innen, bei der Sichtung des Materials und der Entwicklung der Szenen.
Wir müssen unbedingt weitermachen! Jugendlichen eine Möglichkeit des Perspektivwechsels zu geben – ihnen das ‚Eigene‘ durch andere Augen zu zeigen – und über internationale Grenzen in den Austausch zu kommen, ist unglaublich wertvoll.
Darina Startseva, Bund Deutscher Amateurtheater
Ergänzt wurde die Inszenierung in den darauffolgenden fünf Tagen in Nancy um umweltpolitische und gesellschaftskritische Aspekte. In dieser Woche fokussierte sich die Gruppe auf die Frage, wie die utopische Welt in die Realität umgesetzt werden kann. „Wir haben verschiedene Ebenen definiert, auf denen wir etwas verändern können: die individuelle Ebene, zum Beispiel durch Freundlichkeit, die soziale Ebene, die geprägt wird von Erziehung oder Bildung, und letztlich eine globale Ebene, die wir durch Aktivismus erfahrbar machen können“, erklärt Thea Marie Eilers. „Wie die Jugendlichen ihre Idealvorstellung auf die Bühne gebracht haben, das war sehr rührend“, meint Darina Startseva. Auch Thea Marie Eilers zeigt sich beeindruckt. Die Theaterarbeit habe den Jugendlichen geholfen, sich selbstbewusst auszudrücken und in der Fremdsprache sicherer zu werden. Das habe man deutlich gespürt.
„Der interkulturelle Kontext ist immer eine Bereicherung“, sagt Thea Marie Eilers. Nicht nur dass man Freundschaften knüpfe und für die andere Sprache sensibilisiert werde, auch den eigenen Blick zu öffnen, die Perspektive zu wechseln, sei ein riesiger Pluspunkt. Sprachanimationen, kleine Sprachspiele zu Theaterbegriffen, wie ‚Inszenierung‘ oder ‚Lichttechniker*in‘ haben den Wortschatz erweitert und Hemmungen abgebaut, auch auf der Bühne in der Fremdsprache zu sprechen.
Im internationalen Kontext liegen aber auch die Herausforderungen. Neben der Sprachbarriere müssen Workshopleiter*innen und Teilnehmer*innen ein gemeinsames Verständnis von Theater – irgendwo zwischen klassischem Sprechtheater und Performance – entwickeln. Die ausgewählte Methode der Improvisation war für einige Teilnehmer*innen sehr ungewohnt. Trotz anfänglicher Skepsis haben sich die Jugendlichen aber schnell darauf eingelassen und waren begeistert von den kreativen Freiheiten, die sich ihnen daraus geboten haben. „Wir waren überrascht, wie tanzaffin die Teilnehmer*innen waren“, erzählt Thea Marie Eilers. Aus diesem Grund haben sie schließlich auch eine Choreografie selbst erarbeitet und in der Vorstellung inszeniert.
Am 29. März 2025 ist das deutsch-französische Theaterprojekt InterKultour mit dem erstmalig verliehenen europäischen Amateurtheaterpreis „Gil Vicente“ im Teatro de Balugas in Barcelos in Portugal ausgezeichnet worden. Das interkulturelle Projekt gewann in der Kategorie „Best Theatrical Causes“ („Bester theatralischer Zweck“) und wurde für seinen Beitrag zu kulturellem Zusammenhalt, sozialer Integration und aktiver künstlerischer Teilhabe prämiert.
Die deutsch-französische Theaterwerkstatt, vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) gefördert, findet 2025 vom 3. bis 17. August in Reims und Kehl statt.
Neben seinem internationalen Charakter, sei auch der außerschulische Aspekt ein wesentlicher Faktor für die Motivation zur Teilnahme, betont die Theaterpädagogin. „Die Jugendlichen seien in diesem Jahr noch einen Tick aktiver bei der Vorbereitung und Umsetzung beteiligt gewesen als sonst, beobachtet auch Darina Startseva. Ein Zeichen, dass auch das Projekt „InterKultour“ selbst unter dem Stern der Veränderung steht. Angefangen habe alles 2013 mit einem Poetry Slam, bei dem selbstgeschriebene Texte auf Deutsch und Französisch performt wurden, erzählt die Koordinatorin des BDAT. In einer weiteren Projektphase habe man Texte von zeitgenössischen Autor*innen inszeniert.
„In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal entschieden, den Jugendlichen nur ein Motto zu überlassen – und die Performance war sehr gut!“, berichtet Darina Startseva. Natürlich entwickle sich das Projekt immer weiter, die wichtigste Erkenntnis aus einem Jahrzehnt bilateraler Theateraustausch sei aber: „Wir müssen unbedingt weitermachen! Jugendlichen eine Möglichkeit des Perspektivwechsels zu geben – ihnen das ‚Eigene‘ durch andere Augen zu zeigen – und über internationale Grenzen in den Austausch zu kommen, ist unglaublich wertvoll“, erklärt die Projektkoordinatorin. Theater, Weltoffenheit und Kulturelle Bildung können also ein Schlüssel sein, um die Welt Stück für Stück zu verändern.
Text: Nina Hennecken
Der Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) vertritt als öffentlich anerkannter und geförderter Dachverband das deutsche Amateurtheater auf nationaler und internationaler Ebene in Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft. Der BDAT versteht sich als Repräsentant und Förderer der vielfältigen Ausdrucksformen der Darstellenden Künste und seiner unterschiedlichen Zielgruppen.
Den Mitgliedsverbänden und angeschlossenen Mitgliedsbühnen werden zahlreiche Fort- und Weiterbildungsprogramme, ein breites Serviceangebot sowie Fördermöglichkeiten für internationale Spielbegegnungen im In- und Ausland offeriert. Der BDAT ist Träger des BFD Kultur.
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10785 Berlin