Wie kann Künstliche Intelligenz in der Kulturellen Bildung den gesellschaftlichen Wandel mitgestalten?
Im Gespräch mit Markus Sindermann, Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW und Andreas Langer, Büchereizentrale Schleswig-Holstein
Im Gespräch mit Markus Sindermann, Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW und Andreas Langer, Büchereizentrale Schleswig-Holstein
Markus Sindermann ist seit 2020 Leiter der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW und Geschäftsführer. Er entwickelt partizipative Jugendprojekte zu Netzkultur, Kreativität und Medienbildung.
Andreas Langer ist Diplom-Medienpädagoge und bei der Büchereizentrale Schleswig-Holstein Ansprechpartner für Medienpädagogik, Medienbildung und Jugendmedienkultur. Er unterstützt unter anderem. Bibliotheken bei medienpädagogischen Projekten.
Andreas Langer: Aus ethischer Sicht ist erstmal wichtig: Wir Menschen sollten KI gemeinsam und für uns sinnvoll nutzen und nicht als Ersatz für den Kontakt mit Menschen ansehen. Daraus ergibt sich auch eines der, meiner Meinung nach, größten Potenziale: Zugänglichkeit. KI kann Barrieren für Menschen abbauen und Kultur bzw. Angebote Kultureller Bildung für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zugänglicher machen. Damit verbunden ist eine Form der Personalisierung, denn KI kann sich auf die Bedürfnisse von Lernenden besser einstellen und das führt im besten Fall natürlich zu effektiverer Bildung.
Markus Sindermann: Ich glaube, dass die Kulturelle Bildung die Chance hat, den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und überrollt die Gesellschaft ein wenig. Vor allem ältere Generationen werden es schwer haben, damit umzugehen, aber auch für Kinder und Jugendliche ist und wird es nicht einfach. Wo verläuft die Grenze zwischen Menschen- und Maschinengemachtem, wer sitzt mir gegenüber und was ist im Internet real? In der Kulturellen Bildung sehe ich die Chance des gesellschaftlichen Austausches, hier können Erfahrungswerte mit KI in einem geschützten Rahmen gesammelt werden. Es werden Räume für das gemeinsame Erkunden geöffnet und Grenzen erforscht – und anschließend der Mehrwert aus der KI für sich und die Gesellschaft herausgezogen.
Andreas Langer: Es gibt auch die „klassischen“ Grenzen, die es in der Digitalität seit jeher gibt, wie zum Beispiel die technischen Voraussetzungen. Die müssen gegeben sein und man muss gleichzeitig aufpassen, dass es nicht in einer Zweiklassengesellschaft mündet, denn auch KI kostet Geld. Kulturelle Bildung kann sicherlich auch dabei unterstützen, Barrieren abzubauen.
In der Kulturellen Bildung können Erfahrungswerte mit KI in einem geschützten Rahmen gesammelt werden. Es werden Räume für das gemeinsame Erkunden geöffnet und Grenzen erforscht – und anschließend der Mehrwert aus der KI für sich und die Gesellschaft herausgezogen.
Markus Sindermann
Andreas Langer: Im Grunde muss man sich auch hier den Fragen stellen, denen sich Digitalität im Allgemeinen gegenübersieht: Wer setzt die Daten? Von wem und auf welchem Weg kommt eigentlich das Ergebnis? Bei wem liegt das Urheberrecht und wer kümmert sich um den Datenschutz? Aber einer der wichtigsten Punkte ist eben der diskriminierende Anteil von KI. Wie kriegen wir es hin, dass Algorithmen Vorurteile nicht noch verstärken und eben keine marginalisierenden Ergebnisse liefern?
Markus Sindermann: Und weitergedacht: KI diskriminiert teilweise auch durch den Einsatzzweck, wie zum Beispiel Social-Scoring, was das EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz jetzt kategorisch ausschließen möchte. Die Gesetzgebung ist allerdings ein weiterer kritischer Punkt: Das Europäische Recht und vor allem die Verwaltung dessen in Deutschland arbeitet sehr langsam – vor allem im Verhältnis zur Entwicklung von KI. Teile eines Gesetzes, die noch nicht mal verabschiedet sind, sollen bereits 24 Monate später zur Anwendung kommen. Aber die Welt der KI verändert sich so schnell, dass wir uns eigentlich im Drei-Monats-Rhythmus treffen und rechtlich immer wieder von vorne diskutieren könnten.
Die Chance für die Kulturelle Bildung ist dabei, dass wir Themen sehr gut reflektieren können, wenn wir die KI als das betrachten, was sie ist – nämlich eine Maschine. Das entmenschlicht sie und kann den Diskurs auf eine objektive Ebene heben. Gerade den Bias-Ansatz kann man sehr gut in der kreativen Arbeit diskutieren und Kulturelle Bildung aktiv nutzen, um darüber spielerisch ins Gespräch zu kommen.
Markus Sindermann: Häufig geht es in den ersten Projekten um Medienproduktion wie Hörspiele, in denen künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Aber ich habe das Gefühl, dass sich viele noch zurückhalten, weil viele Fragen mitschwingen: Die Kosten-Hürde zum Beispiel oder auch die Frage, was man Kindern und Jugendlichen zeigt und wie diese dann im Nachhinein damit umgehen. Ich habe auch letztens ein Tanzprojekt kennengelernt, bei dem KI bestimmte Sequenzen rausrechnet aus dem Video – beispielweise, wenn man stehen bleibt oder sich ganz klein macht. Das ist ein Spiel mit der Technologie, in dem aber viel Potenzial für die Kulturelle Bildung liegt.
Andreas Langer: Aber auch Projekte, in denen es um Storytelling geht, könnten unglaublich gut von KI profitieren. Alles, was über Ton, Bild und Sprache bzw. die Kombination dieser Techniken in der Kulturellen Bildung produziert wird, kann sehr gut durch KI unterstützt werden. Da kann man sich frei ausprobieren, was hoffentlich viel kreativen Raum gibt und nicht Kreativität wegnimmt. Es kann bei vielen aber auch das Interesse wecken und dazu animieren, vielleicht mal ein Storyboard selbst schreiben zu wollen, statt „einfach nur“ die KI zu nutzen.
Markus Sindermann: Ich glaube es ist sehr kompliziert in diese Zukunft zu blicken. Gesellschaftlich werden wir ähnliche Debatten führen wie heute. Ein Aspekt wird sein, dass eine gewisse Gruppe stets davon ausgehen wird, dass KI zu gefährlich für die Menschheit und auch für die Kulturelle Bildung ist und man sich eher auf die Wurzeln der Kulturellen Bildung fokussieren sollte. Ein anderer Aspekt ist das Spielerische: Ich kann mir gut vorstellen, dass es in zehn Jahren ausgereifte KI-Anwendungen geben wird, die selbst lernen, speziell für die Kulturelle Bildung zur Verfügung stehen und zudem gut zugänglich für alle sind. Gut wäre es dann natürlich, wenn es eine KI-Anwendung oder eine Künstliche Intelligenz aus dem Non-Profit-Bereich geben würde, die möglichst bias-frei ist. Ich bin mir aber sicher, dass wir immer wieder vor neuen Herausforderungen stehen werden und der Umgang immer wieder neu erlernt werden muss.
Andreas Langer: Wenn ich es pessimistisch betrachte, denke ich, dass KI uns den Spiegel vorhalten wird, in dem wir unsere biased-Gesellschaft erkennen. KI ist und bleibt wahrscheinlich auch in zehn Jahren ein Abbild der Gesellschaft. Damit werden wir umzugehen haben und werden genau hinsehen müssen. Aber vor allem Kulturelle Bildung wird uns in der Zukunft in wunderbaren Projekten neue Wege aufzeigen und uns dazu bringen, uns dahingehend zu verändern und neu zu positionieren.
Man muss gleichzeitig aufpassen, dass es nicht in einer Zweiklassengesellschaft mündet, denn auch KI kostet Geld. Kulturelle Bildung kann sicherlich auch dabei unterstützen, Barrieren abzubauen.
Andreas Langer
Interview: Maxi Süß