Sechs junge Menschen unterwegs durch Deutschland. Sie drehen einen Dokumentarfilm über Jugendliche, die tanzen, Theater spielen, Musik machen und vieles mehr, was andere Kulturelle Bildung nennen. Wir haben den Team-Mitgliedern Janka Hardenacke, Mim Schneider und Carla Zech gesprochen.
Trailer: Wie du mich bewegst – Ein Film von Jugendlichen über Kulturelle Bildung
Ihr dreht zurzeit einen Film über Kulturelle Bildung. Was wird darin zu sehen sein?
Carla Zech: Was wir suchen, ist eher die Frage.
Und was sucht ihr?
Carla: Wir suchen junge Leute, die Kultur machen und Kulturelle Bildung – im weitesten Sinne.
Mim Schneider: Wir haben sechs Projekte besucht bzw. besuchen sie noch. Wir versuchen das ganze Spektrum der Kultur, die von Jugendlichen gelebt wird, einzufangen, und dabei herauszufinden: Was zählt eigentlich alles zu deren Kultur? Gibt es so etwas wie Kulturelle Bildung und wie kann die aussehen?
Janka Hardenacke: Wir möchten auch Ecken finden, in denen man Kultur gar nicht erwartet hätte. auch ungewöhnliche Formen und Projektideen.
Gab es denn schon Überraschungen?
Mim: Super fand ich zum Beispiel das „Entschulungsprojekt“ in einer 8. Klasse der Laborschule Bielefeld. Man denkt am Anfang: Das ist ein Schulprojekt, die tanzen ein bisschen, das ist bestimmt ganz nett, wie Schulaufführungen so sind. Aber die haben uns richtig umgehauen! Was die bei ihrem Tanz für einen Ausdruck hatten und was die an Bildern und tiefen Emotionen geschaffen haben, war unglaublich beeindruckend. Die können sich durch Tanz und Kultur viel besser ausdrücken als durch das, was sie uns nachher erzählt haben.
Janka: Die sind auf so eine schöne Weise ausgebrochen aus ihrem „Achtklässler-Sein“. Die waren, als sie auf der Bühne standen, schon so groß und so ausdrucksstark.
Im Konzept eures Projekts heißt es, der Film soll dem üblichen Bild einer orientierungslosen Jugend – Stichwort: Komasäufer, Schläger, Schulabbrecher – das Bild einer engagierten, kreativen, gestaltungsfähigen und querdenkenden Jugend entgegensetzen. Sind das nur schöne Worte oder gelingt das mit diesem Film?
Janka: Wir wollen schon diesen Zeitgeist aufgreifen, den wir auch so wahrnehmen. Vielleicht nicht im Sinne von „Komasäufern“, aber den generellen Eindruck, dass die Technik alles beschleunigt uns wegführt vom Kern.
Carla: Wir sind ja Teil dieser Generation und wollen nicht solche Stempel aufgedrückt bekommen. Wir wollen zeigen, dass in der jungen Generation ganz viel Potenzial und Kreativität steckt. Und ich denke, das haben wir auch gefunden.
Mim: Gestern haben wir bei einem Graffitiprojekt gesehen: Wenn man Jugendlichen die Chance gibt, sich kulturell zu entfalten, dann nehmen sie die auch an. Wenn man die Wahl hat, ein Angebot zu nutzen, in dem man sich entfalten kann, oder einfach irgendwo rumzuhängen – ich glaube, 99 Prozent sagen: Ich nehme das, was mich fördert und fordert.
Janka: Wobei das jetzt schon so hochgestochen formuliert ist, dass es für mich ganz fern von dem ist, was wir gestern gesehen haben. Der Workshop-Leiter, Puya Bagheri, hat keine pädagogische „Trara-Ausbildung“, der geht einfach ins Jugendzentrum und weiß, wie man so etwas angehen muss, ganz fern von allen Regeln.
Wie seht ihr denn eure Rolle im Film? Eher als neutrale Beobachter – wenn das überhaupt geht – oder als Beteiligte?
Mim: Das kommt auf das Projekt an. Bei dem Tanzprojekt in Bielefeld, wo wir nicht so lange waren, war es schwierig, mehr zu sein als ein Beobachter. Aber zum Beispiel beim Fuchsbau-Festival oder bei der U-CARE Sommerakademie in Heek waren wir schon ein bisschen Teil des Ganzen.
Könnt Ihr etwas mehr über diese beiden Projekte erzählen?
Mim: In Heek treffen Künstler aus acht verschiedenen Ländern in Europa zusammen, um Kunstprojekte gegen Rassismus in ihren Ländern vernetzt auf die Beine zu stellen.
Carla: Das Fuchsbau-Festival ist ein kleines Festival in der Nähe von Hannover und wird von jungen Leuten komplett selbst organisiert. Der Hauptorganisator ist erst 21. Auch alle anderen, auch die Künstler, sind noch jung. Die haben ihre künstlerische Grundausbildung – angefangen beim Flötenunterricht in der Musikschule – hinter sich und sagen jetzt: Wir haben da etwas für uns entdeckt und machen damit ganz selbständig weiter; wir brauchen niemanden mehr, der uns anleitet, sondern gehen diesen Schritt auf eigenen Beinen.
Und eure Rolle vor Ort war dann die der teilnehmenden Beobachterinnen? Oder wie würdet Ihr das beschreiben?
Janka: Ich find das schwierig zu sagen, da wir uns nicht selbst gefilmt haben. Was von uns kommt, ist natürlich, wie wir die Fragen stellen und wie wir die Bilder einfangen, das ist der Teil der wirklich von uns persönlich kommt.
Carla: Man wird uns weniger im Film sehen, aber trotzdem steckt da natürlich unsere Interpretation drin. Auch die Projekte haben wir uns ja selbst ausgesucht, haben überlegt: Wo legen wir unseren Schwerpunkt? Was ist für uns Jugendkultur? Das Gemeine war immer, in ein Projekt zu kommen und zu denken: Oh, ich will mitmachen! Darauf hätte ich jetzt auch Lust! Aber dann muss ich doch inhaltlich dranbleiben, soll ja eigentlich nur aufnehmen. Ich bin eigentlich kein Teil der Gruppe.
Typisch fürs Filmemachen ist ja, dass man sehr viel aufnimmt und am Ende das Ganze unheimlich zusammenstreichen muss. Ist das nicht frustrierend?
Carla: Wir sind ja noch nicht beim Schnitt … Das wird wirklich schwierig, die paar entscheidenden Minuten „rauszukitzeln“. Aber ich traue uns das schon zu.
Janka: In Heek war ich fast eine Woche, zuerst alleine. Da habe ich erst mal alles gefilmt. Es war so unglaublich viel: So viele verschiedene Kunstformen – Tanztheater, Musik, Bildende Kunst. So viele Nationalitäten und so viele interessante persönliche Geschichten und dann dieses riesige Thema „Rassismus“. Und dazu dann unser eigenes Thema „Offenheit“, das wir auf dieses Projekt gelegt haben. Da dachte ich schon: Das ist hier alles zu viel und wir haben ja auch schon so viel … Da war ich völlig überfordert. Aber als die anderen dazu kamen, haben wir uns ganz gut gefangen.
Du sagtest gerade, wir haben uns das Thema „Offenheit“ daraufgelegt. Was ist damit gemeint?
Janka: Wir haben uns zu den Projekten Oberbegriffe gesucht, die wir damit in Verbindung bringen. Bei der Sommerakademie in Heek war es das Thema „Offenheit“: also, dass man dort offen für andere Kulturen und andere Menschen sein muss. Beim „Fuchsbau“ war unser Thema „ Mut“: Mut zu haben, so ein Festival auf die Beine zu stellen. Man weiß nicht, ob es gelingt. Oder den Mut zu haben, sich als unbekannter Künstler auf eine Bühne zu stellen und sich dem Publikum zu präsentieren.
Mim: Im Nachhinein ist uns aufgefallen: Wenn man diese Begriffe wie ein Spinnennetz verbindet, dann sagt das schon ganz viel darüber aus, was kulturelle Jugendbildung für uns ausmacht.
Wenn ich euch vor einem Jahr gefragt hätte: Was versteht Ihr unter Kultureller Bildung? was hättet ihr dann geantwortet? Und was sagt ihr heute?
Mim: Vor einem Jahr hätte ich vielleicht erst einmal an den Schulchor oder die Theater-AG in der Schule gedacht. Aber jetzt würde ich sagen, dass man sich auch eigenständig kulturell bilden kann, dass es nicht so laufen muss, dass einem jemand erzählt, was man zu tun hat.
Carla: Der Begriff „Kulturelle Bildung“ klingt erst einmal so, als ob es immer jemanden braucht der bildet, also eine Person, die einem etwas beibringt. Deswegen ist der Begriff für mich schwierig. Die Projekte, die wir gesehen haben, stellt man sich erst einmal nicht darunter vor.
Janka: Wenn man hört, dass sich ein paar 20-Jährige zusammengesetzt und gesagt haben: Wäre doch total cool, ein Festival auf die Beine zu stellen; lass uns mal erkundigen, wie das funktioniert und es dann starten … wenn man sagt, das ist kulturelle Jugendbildung, klingt das schon komisch. Das sind halt Leute, die sich mit Kultur, mit Bands mit Musik beschäftigen. Aber es hat schon mit Bildung zu tun – in dem Sinne, dass alle Leute anders ins Projekt reingehen, als sie nachher rauskommen. Es passiert etwas mit ihnen.
Carla: Klar, das ist auch eine Form von Bildung. Du bildest dich halt selbst.
Braucht es denn nicht trotzdem Leute, die etwas erklären?
Carla: Naja, manche Leute können das vielleicht, aber ich hätte mir nicht selbst Gitarre spielen beibringen können. Oder ich hab zum Beispiel viele Schreibworkshops besucht. Es ist doch oft leichter, wenn man jemanden hat, der einem etwas beibringt. Aber trotzdem kommt die Initiative von einem selbst.
Wie kann es eurer Ansicht nach gelingen, möglichst vielen Jugendlichen kreative Entfaltung zu ermöglichen, insbesondere auch denen, die vielleicht von sich aus nicht danach suchen?
Janka: Ich glaube nicht, dass man lernen kann, Jugendliche zu erreichen. Der Puya hat das nicht gelernt, aber der kann das. Er hat nicht gesagt: Lasst uns mal das Konzept für unsere Wand besprechen, sondern meinte: Wenn wir nächste Woche die Wand sprayen wollen, brauchen wir Ideen. Der hat das auf eine lockere Ebene runtergebrochen und dabei geschafft, dass die Jugendlichen ins kreative Denken kamen.
Mim: Sein Vorteil ist, dass er selbst aus Chorweiler kommt und den Jugendlichen auf einer Ebene begegnet. Er stellt sich nicht als lehrende Person vor sie hin, sondern ist einfach einer von ihnen, der die meiste Ahnung von Graffiti hat. Wenn Puya wie ein Lehrer auftreten würde, der sagt: Um 9 Uhr steht ihr hier auf der Matte, dann wäre bestimmt die Hälfte der Jungen nicht da. Er tritt aber eher wie ein Bruder.
Carla: Er hat total Respekt vor den Jugendlichen und deshalb haben die auch Respekt vor ihm.
Janka: Er sagt nicht: Es gibt Regeln, an die wir uns halten müssen, sonst funktioniert es nicht, sondern er baut darauf, dass die gerne mitmachen und deswegen kommen. Und nicht, weil ihnen eine Regel oder ein Vertrag das vorschreibt.
Meint ihr, so ein Projekt kann auch in der Schule funktionieren?
Janka: Ich glaube schon. Ich hatte in der Schule zum Beispiel einen Chorleiter, der uns so was von motiviert hat und uns so auf Augenhöhe begegnet ist, dass jeder Spaß hatte, mitzuwirken und seine Ideen einzubinden. Es kommt extrem darauf an, wie der Lehrer oder auch eine externe Person den Jugendlichen begegnet. Also nicht zu vermitteln: Ihr habt alle keine Ahnung, ich bin der einzige, der weiß wie es geht. Sondern sich mit Respekt zu begegnen. Dann hört man auch gern auf jemanden, der Ahnung hat, von dem, was er da sagt.
Janka: Ich glaube, aus diesem „Ich lehre – ihr lernt“ wird „Ich lehre und lerne – und ihr lernt dabei auch“.
Wofür sollte sich die BKJ politisch einsetzen?
Carla: Die Frage, wie man viele Leute erreichen kann, finde ich wirklich wichtig. Also, für eine Demokratisierung von Kultur, damit sie für alle offen und durchlässiger ist.
Mim: „Kultur“ hört sich immer so hochgestochen an. Viele Jugendliche denken bei Kultur vor allem an Museen, an Opern, wo alles schick ist und die nicht jeder besuchen kann. Kultur sollte an jedem Ort und auf jeder Ebene stattfinden und für jeden zugänglich sein.
Janka: Wünschenswert fände ich so etwas wie eine Anlaufstelle, wo man hinkommen kann, wenn man eine Idee hat. So, dass man weiß, da ist jemand, der mir sagt, wie das funktionieren kann – und zwar möglichst klar, überschaubar und strukturiert. Denn das ist ja wirklich Wahnsinn, wo man überall anfragen kann, um für ein Projekt Geld und Unterstützung zu bekommen.
Interview: Christoph Brammertz