Wenn das Miteinander gelingt
Projekt „Kultur?Klasse!“, music4everybody! e. V., Frechen
Projekt „Kultur?Klasse!“, music4everybody! e. V., Frechen
„Ein Sommernachtstraum“ nach Shakespeare, eine Probe von music4everybody! an der OGS der Grundschule Köln-Flittard und Jona will nicht. Der Elfjährige provoziert die anderen Kinder. Als er droht, die Tasche von Theaterpädagogin Stephanie Flottmann aus dem Fenster zu werfen, reagiert diese cool. „Wenn es dir dann besser geht, mach das“, sagt sie. Jona ist irritiert, hat eine harte Reaktion erwartet − ihn verlässt der Mut. Das sei ein Wendepunkt gewesen, sagt Flottmann. Am Ende spielt Jona voller Inbrunst eine der Hauptfiguren des Stücks, den König der Elfen, Oberon.
Die Kinder und Jugendlichen können oft zum ersten Mal in ihrem Leben in etwas ‚glänzen‘.
Stephanie Flottmann, Theaterpädagogin
„Die Kinder testen zu Beginn oft aus, wie weit sie gehen können“, hat Stephanie Flottmann erlebt. Das Projektteam, bestehend aus vier künstlerischen Dozent*innen und einer Sozialpädagogin, entwickelt nicht nur kreative Konzepte für die Stücke, sondern sorgt auch dafür, dass Regeln eingehalten werden. Letzteres kennen die Kinder. Was neu ist: Bewertet und benotet werden sie nicht. Stattdessen sind ihre Ideen gefragt, etwa für die Choreografie oder das Bühnenbild.
Stephanie Flottmann und ihre Kolleg*innen arbeiten eng mit der Schulleitung, mit Lehrer*innen und OGS-Vertreter*innen zusammen. „Am besten spricht man gleich zu Beginn offen über Erwartungen“, sagt die Theaterpädagogin. Einen Drei-Akter in zwei Wochenstunden nach einem Halbjahr zu präsentieren, sei nun einmal unrealistisch. Dass sich jemand inhaltlich einmischt, hat Stephanie Flottmann noch nie erlebt: Die Schulen und Vertreter*innen des Offenen Ganztags respektieren die Professionalität der Dozent*innen.
Diese Unterstützung lohnt sich, denn die kulturelle Arbeit wirkt zurück auf die Schulleistung: Für die Kinder und Jugendlichen sind die Proben wie „kleine Inseln“. Sie rappen, tanzen, schauspielern zunehmend selbstbewusst. Oft können sie zum ersten Mal in ihrem Leben „glänzen“. Das überträgt sich auf schulische Fähigkeiten, sagen die Lehrer*innen: Die Teilnehmer*innen seien mutiger, könnten sich besser konzentrieren und hielten bei den schulischen Aufgaben länger durch.
Mit einer Musical-Projektwoche hat die Zusammenarbeit der Grundschule Hürth-Kendenich mit music4everybody! angefangen, für alle ein „Sprung ins kalte Wasser“, wie sich Schulleiterin Birgit Schorn erinnert. „Wir haben jedoch schnell gemerkt: Wenn die Profis kommen, ist das anders, als wenn wir selbst mit den Kindern singen und tanzen – das sieht man auch am fertigen ‚Produkt‘ bei den Aufführungen“. Über die Jahre hat sie erfahren, wie wichtig eine klare Aufgabenverteilung ist: Wenn die Dozent*innen ihr fachliches Know-how einbringen und die Schule einen sicheren organisatorischen Rahmen dafür bietet, zum Beispiel die Räume und die Bereitschaft, die vielen kleinen Teile des von den Kindern selbst gesägten, gehämmerten und gemalten Bühnenbildes zu lagern – selbst, wenn es dafür eigentlich keinen Platz gibt.
Rollenklarheit bedeutet für Birgit Schorn zudem, dass es auch von Schul- oder OGS-Seite her jemanden geben muss, der die Regeln bei den Kindern durchsetzt. „Die jungen Dozent*innen werden nicht immer sofort als Respektpersonen anerkannt und brauchen dann Unterstützung von uns“, sagt sie.
„Die Fallstricke vom ersten Mal haben wir alle durch“, sagt Ute Ehresmann, Leiterin des Offenen Ganztags der Schule Kunterbunt in Köln-Bocklemünd. Seit zwei Jahren arbeiten die OGS und music4everybody! zusammen. Das Stück „Ein schöner Tag zum Fliegen“ gibt auch Kindern, die starke Sprach- und Verhaltensbarrieren haben, die Möglichkeit, sich einzubringen. „Kreative, motorische und soziale Kompetenzen werden durch das Singen, Tanzen, Schauspielern und Bühnenbild bauen gefördert“, hat Ute Ehresmann festgestellt.
Die Kooperation ermöglicht es der inklusiven Ganztagsschule Kunterbunt auch, mit der benachbarten Förderschule zusammenzuarbeiten, denn der Betreuungsschlüssel in den Kulturklassen ist hoch. Neben den Dozent*innen sind zum Teil Schulbegleiter*innen dabei. Ute Ehresmann hat bei den Kindern abgefragt, wer Lust hat mitzumachen, und die Gruppenleitungen der OGS haben gemeinsam überlegt, wie diese Schüler*innen gut im langfristigen Projekt „Kultur?Klasse!“ begleitet werden können.
Das Zusammenspiel der Akteur*innen funktioniert laut Ute Ehresmann nur dann, wenn Vorbereitung und Kommunikation funktionieren. Sind die Ziele des Projekts allen klar? Wer übernimmt Verantwortung? Die Kommunikation eindeutig zu gestalten, sei wichtig. Denn unausgesprochene, banal erscheinende Dinge können ein Projekt stören. Zum Beispiel: Wer kommt mit den Eltern zur Aufführung, wer muss mit dem Taxi gebracht werden? „Und auch wenn wir genau planen: Die Pläne werfen wir täglich wieder um. Dann muss man locker bleiben.“
Bevor Projektergebnisse auf der Bühne aufgeführt werden können, hat die Projektleiterin und Gründerin des Vereins music4everbody!, Stephanie Siebert, an vielen Fäden gezogen. Sie geht auf Schulen und Offene Ganztagsschulen zu, sorgt für finanzielle Förderung, entwickelt im Team Konzepte für die kulturellen und künstlerischen Angebote, engagiert Dozent*innen und hält Kontakt zu den Projektgruppen über Skype. „Passiert etwas Wichtiges, wird das in die Runde gegeben“, erzählt sie. Wenn es schwierig wird, zum Beispiel bei Konflikten in den Kulturklassen, schlägt sie die Brücke auch in Sachen pädagogischen Handelns: „Man braucht die Schulleitung, die entscheiden kann, einen Kontaktlehrer, der die Kommunikation innerhalb der Schule aufrechterhält, die OGS-Leitung und ihr Team“, sagt Stephanie Siebert.
Als der Verein 2008 anfing, Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche anzubieten, denen sonst wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, seien Schulen und andere wenig interessiert gewesen, so Siebert. Doch sie ist hartnäckig, klopft immer wieder an, überzeugt, denkt Werbung mit. So werden von jedem Projekt auch Trailer für YouTube erstellt.
Inzwischen arbeitet der Verein mit 19 Schulen von der Grundschule bis zum Berufskolleg und mit 35 weiteren Kooperationspartnern vom Jugendamt bis zur Stadtverwaltung zusammen. Neben den wöchentlichen Kulturklassen werden Ferienworkshops angeboten. Die gute Anbindung an Schule und OGS auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages sei dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor, so Siebert.
Die Schulen sind froh, einen Projektpartner zu haben, der die kulturellen Projekte autark durchführt.
Stephanie Siebert, music4everybody!
Die Schulen seien froh, einen Projektpartner zu haben, der die kulturellen Projekte autark und qualitätsvoll durchführt: „Es wäre schön, wenn auch das Kultusministerium durch unbefristete Fördermöglichkeiten anerkennen würde, dass wir keine ‚Sahnehäubchen-Arbeit‘ leisten, sondern dazu beitragen, dass benachteiligte Kinder und Jugendliche ihre kulturellen Ausdrucksformen und damit einen Platz in der Gesellschaft finden, was langfristig zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt,“ wünscht sich Stephanie Siebert.
Text: Christina Budde
„Kultur?Klasse!“ ist ein Kooperationsprojekt von music4everybody e. V., der Gemeinschaftsgrundschule Köln-Gremberg und dem Jugendamt Köln, gefördert im Programm „Künste öffnen Welten“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), im Projektzeitraum 01.08.2018−30.06.2022, im Rahmen von „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.