Diese Frage stellt sich meist früh, wenn internationale Partner*innen gemeinsam eine weltwärts Begegnung planen. Die Schwierigkeit dabei: Das während des Begegnungsprojekts behandelte Nachhaltigkeitsziel muss festgelegt werden, noch bevor sich die Jugendlichen an der Auswahl beteiligen können.
von Amanda Steinborn
Die Besonderheit der Kulturellen (Jugend-)Bildung besteht in dem Anspruch, partizipative Prozesse über künstlerische Methoden gemeinsam zu gestalten. Dies mag einer thematischen Festlegung im Vorfeld kultureller Bildungsprojekte widersprechen, für eine Antragstellung für eine weltwärts-Begegnung bei der jeweils eines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (= SDGs) behandelt werden muss, ist dies jedoch unabdingbar.
Metathemen sind nicht unbedingt nah an der Zielgruppe
Die Vorabüberlegungen vieler Träger*innen gehen aus diesem Grund häufig in die Richtung, eines der 17 Nachhaltigkeitsziele auszuwählen, das ausreichend Spielraum für eine partizipative Ausgestaltung durch die Jugendgruppen im Projektverlauf lässt. Dieser Gedanke ist prinzipiell nicht verkehrt, führt allerdings dazu, dass gerne „Metathemen“ wie etwa SDG 4 „Hochwertige Bildung“ ausgewählt werden. Die Begründung liegt oft in der Durchführung der eigenen Bildungsarbeit, welche dann als Betrachtungsgegenstand herangezogen und somit als Legitimation für die Auswahl genommen wird. Die Förderlinie weltwärts Begegnungen zielt jedoch auf die konkrete Auseinandersetzung mit einem SDG ab, was in diesem Fall bedeutet, dass die Jugendlichen sich mit den Möglichkeiten einer nachhaltigen Bildung bzw. Bildungssystemen auseinandersetzen müssten. Das entspricht jedoch nicht immer den Interessen der Jugendlichen, welche sich häufig an alltäglichen Bedürfnissen orientieren.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, sich bei der Auswahl ausschließlich auf die Überschriften zu konzentrieren. Jedes der 17 Ziele ist in mehrere Unterziele untergliedert, ein kurzes Eintauchen in die Lektüre lohnt sich, denn oft verstecken sich interessante Themen im Detail. So haben etwa die Ziele 14 „Leben unter Wasser“ und 15 „Leben an Land“ sehr offen gehaltene Titel, die nicht unbedingt vermuten lassen, was alles dahintersteht. Tatsächlich sind hier so dringliche Themen wie die Verschmutzung und Überfischung der Ozeane oder die fortwährende Entwaldung unseres Planeten und deren Folgen für Gesundheit und Biodiversität enthalten. Diese Themen bieten beispielsweise gute Ansatzpunkte, um Jugendlichen die „Übersetzung“ globaler Phänomene auf die eigene Lebenswirklichkeit zu ermöglichen.
Für die Antragsteller*innen können folgende Fragestellungen eine Hilfestellung bieten, um eine möglichst Teilnehmenden-orientierte SDG-Auswahl zu treffen:
- Aus welchem Kontext stammen die Teilnehmenden der Begegnung voraussichtlich?
- Welche Erfahrungen haben wir bereits mit der Zielgruppe gemacht?
- Welche thematischen Projekte sind in der Vergangenheit auf besonders großes Interesse gestoßen?
- Welche Interessen sind in der Vergangenheit schon einmal geäußert worden, ohne dass sie bisher in einem Projekt verwirklicht wurden?
- Welche Schnittstellen und Anknüpfungspunkte könnte es zu den Lebensrealitäten und Interessen der Teilnehmenden aus dem Globalen Süden geben?
Mindestens ebenso wichtig ist es, auch die Perspektive der Durchführenden mit in den Blick zu nehmen:
- Welches Interesse haben wir als Durchführende und Organisator*innen?
- Wofür können wir uns begeistern? Bei welchem Thema springt der Funke über?
- Gibt es ein Thema, das für unsere Einrichtungen besonders spannend ist als verbindendes Element?
- Welche thematischen Interessen und welche inhaltlichen Ziele teilen wir mit unserer Partnerorganisation im Globalen Süden?
Die Auswahl des SDG kann demnach nach unterschiedlichen Kriterien geschehen:
- Lebensweltorientierung und Nähe zum Alltag der Jugendlichen
- (Strategische) Verbindung der Partnerorganisationen
- Thematische Auswahl nach Interessen der durchführenden Personen
All diese Ausgangspunkte sind legitim und können das Projekt und die Zusammenarbeit auf die ein oder andere Art und Weise beflügeln. Wichtig ist es hier, sich bewusst zu machen, auf welcher Grundlage entschieden wird, um Erwartungen nicht zu vermischen und um darauf basierend geeignete Partizipationsmöglichkeiten für die jugendlichen Teilnehmer*innen aus Nord und Süd in den weiteren Prozess der thematischen Ausgestaltung integrieren zu können. Bei jeder Herangehensweise gilt weiterhin: Alle Entscheidungen sollten von den beteiligten Partnerorganisationen gemeinschaftlich getroffen werden, um bereits von Beginn an eine gemeinsame Grundlage für eine langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu schaffen.
Auf die Umsetzung kommt es an
Egal für welches der Nachhaltigkeitsziele sich die Organisator*innen entscheiden: Eine weitere wichtige Frage ist, wie dieses dann (künstlerisch) bearbeitet werden soll. Eine Annäherung an das Thema über Inputs von außen und Wissensvermittlung liegt zwar in vielen Bildungskontexten nahe, die Kulturelle Bildung bietet jedoch den Vorteil, über die (auch körperlichen) Erfahrungen und Assoziationen der jungen Menschen während des künstlerischen Prozesses ein Thema ausgestalten zu können. So kann das Erforschen des Themas ebenso wie die Fokussierung auf bestimmte Teilbereiche in die Hände der Teilnehmenden gegeben werden. Es empfiehlt sich dabei, in beiden beteiligten Ländern die Vorbereitungsphase vor der Jugendbegegnung intensiv für die Auseinandersetzung mit dem persönlichen und kontextuellen Bezug zum SDG sowie den Austausch über dieses mit den Verantwortlichen und Teilnehmenden der Partnerorganisation zu nutzen, um eine gemeinsame Handlungsgrundlage zu haben.
Die konkreten Begegnungen können dann zudem die Möglichkeit bieten, Einblicke in die Realitäten des Themenfeldes vor Ort zu bekommen, um diese anschließend in künstlerisches Gestalten zu übersetzen. Dabei gilt es, nicht zu sehr die oft stark technischen Aspekte eines SDGs zu beleuchten, das sich ja in erster Linie aus quantifizierbaren Zielformulierungen und- indikatoren für noch zu entwerfende entwicklungspolitische Maßnahmen zusammensetzt, sondern das im jeweiligen SDG aufgemachte Themenfeld eher als Aufhänger für eine eigene thematische Annäherung zu nutzen, die sich dann gegebenenfalls auch mehr auf eigene Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bezieht.
Aus der Praxis
Konkrete Anregungen, wie SDGs in Rahmen von weltwärts Begegnungen aufgegriffen werden können, können diesen Praxisbeispielen entnommen werden.