Was bewegt junge Menschen in Südafrika?
Jugendarbeit, Jugendbildung und internationaler Jugendaustausch in Südafrika
Jugendarbeit, Jugendbildung und internationaler Jugendaustausch in Südafrika
von Yvette Hardie
Yvette Hardie ist Präsidentin von ASSITEJ International und Direktorin von ASSITEJ South Africa. Sie ist als Theaterproduzentin, Regisseurin, Pädagogin und Autorin aktiv, mit einem Schwerpunkt auf dem Theater für junges Publikum.
Die südafrikanische Jugend sieht sich aktuell einer schroffen Realität gegenüber, die durch die Covid-19-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft weiter verschärft wird. Kolonialisierung und Apartheid haben der Mehrheit der jungen Südafrikaner*innen ein Erbe grundlegend ungleicher Lebensbedingungen, Bildungschancen und Zugänge zu elementaren Menschenrechten hinterlassen. Bildung ist dabei ein Bereich, der Anlass zur Sorge gibt. Einerseits ist ein Mangel an frühkindlicher Entwicklung sowie eine schlechte Schulvorbereitung festzustellen. Andererseits ist die Schulabbrecherquote – speziell ab der neunten Klasse – sehr hoch: Im Jahr 2015 hatte fast die Hälfte der Südafrikaner*innen zwischen 25 und 34 Jahren die Sekundarstufe II nicht abgeschlossen. Und selbst wenn junge Menschen eine Schulausbildung abschließen, ist die Qualität dieser Ausbildung zu hinterfragen. Die Unterrichtsmethoden, die im Großen und Ganzen seit der Zeit vor der Demokratie unverändert geblieben sind, bleiben hierarchisch und entsprechen ihrem ursprünglichen Zweck, gefügige Arbeitskräfte und unmündige Bürger*innen hervorzubringen. Diese Art des Unterrichts greift selten sinnvoll über die sozialen und wirtschaftlichen Trennlinien hinweg, die zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen noch bestehen.
Ein akutes Problem, das damit zusammenhängt, ist die Jugendarbeitslosigkeit, die mit etwa 55 Prozent in Südafrika eine der höchsten Quoten weltweit erreicht, bei einer gesamten Arbeitslosenquote von ungefähr 29 Prozent. Zu beobachten ist daher ein hohes Maß an Jugendmobilität, da die jungen Menschen ländlichere Provinzen wie Eastern Cape oder Limpopo verlassen, um in Regionen mit mehr städtischen Zentren wie Western Cape oder Gauteng nach Bildungsmöglichkeiten und Arbeit zu suchen.
Wie unterstützen wir junge Menschen und statten sie mit den notwendigen Werkzeugen aus, damit sie das Selbstvertrauen und den Mut finden, ihre Träume zu verwirklichen, wenn sie auf so vielen Ebenen im Stich gelassen werden? Dafür gibt drei non-formale Ansätze:
Trotz aller oben genannten Herausforderungen gibt es ein hohes Maß an freiwilligem Gemeinschaftsengagement unter südafrikanischen Jugendlichen.
Auf der einen Seite steht dafür der NRO-Sektor zur Verfügung, da jede südafrikanische NRO hat die Verantwortung hat, Möglichkeiten für Freiwilligenarbeit, Praktika und Mentoring für Jugendliche zu schaffen, wo und wann immer dies möglich ist. Die Zahl der NRO wächst und viele von ihnen werden von jungen Menschen selbst gegründet und von ihnen betrieben. Diese Räume sind entscheidend für die Schaffung von Netzwerken und die Entwicklung von Fähigkeiten, die später zu einer Lohnbeschäftigung führen können. Sie werden als sinnstiftend betrachtet, da sie jungen Menschen ermöglichen, durch aktives Engagement mit anderen ihre Bestimmung zu entdecken. Zu sehen, welche Grundbedürfnisse es um sie herum in der Gesellschaft zu erfüllen gilt, weckt bei jungen Menschen ein tiefes soziales Verantwortungsgefühl und macht sie begierig darauf, sich solchen Herausforderungen zu stellen.
Auf der anderen Seite gibt es verschiedene Regierungs- und Unternehmensprogramme, die freiwilliges Engagement ermöglichen. Zu den Regierungsprogrammen gehören beispielsweise die Jugendumweltdienste (Youth Environmental Services – YES), von denen 2.700 junge Menschen innerhalb von drei Jahren profitieren sollen. Außerdem zählt dazu das Erweiterte Programm für öffentlich getragene Bauarbeiten (Expanded Public Works Programme – EPWP), das darauf abzielt, arbeitslosen Jugendlichen durch Zeitarbeit Einkommen und Zugang zu einer sozial nützlichen Tätigkeit zu verschaffen. Auch die freie Wirtschaft beteiligt sich an der Schaffung von Erstbeschäftigungsmöglichkeiten. Zum Beispiel hat das FirstJobs-Programm der FirstRand-Bankengruppe Hunderte von Praktikant*innen für ein Jahr an unterschiedliche Organisationen weitervermittelt, damit sie Arbeitserfahrung sammeln können. Solche Möglichkeiten müssten sektorübergreifend ausgeweitet werden und auch ein einjähriger obligatorischer Zivildienst für junge Menschen sollte in Betracht gezogen werden.
Die Rolle von Kunst- und Kulturprogrammen für junge Menschen besteht insbesondere darin, die Armut an Vorstellungskraft zu bekämpfen, die durch die herausfordernden Umstände entstehen kann. Diese Programme – zum Beispiel die Belebung des Schulfachs „Creative Arts“ über die Zusammenarbeit mit freischaffenden Kunstvermittler*innen – bieten Möglichkeiten, sich persönlich weiterzuentwickeln und Soft Skills wie Selbstreflexion, Einfühlungsvermögen, Kreativität oder Problemlösungsvermögen zu erlangen. Diese sind ebenso für die langfristige Arbeitsmarktfähigkeit relevant. Junge Menschen wollen zugängliche, relevante und authentische Kunst- und Kulturprogramme, die in ihren Lebensrealitäten verwurzelt sind und gleichzeitig Kreativität und Innovation fördern. Beispielhaft seien hier drei genannt:
Der Makhukhanye-Kunstraum wurde weithin als das erste „Bretterhütten“-Theater in Südafrika gefeiert – ein Theater, das auf dem Sand des verarmten Townships Khayelitsha in Kapstadt gebaut wurde und nun ein Ort der Hoffnung und der seelischen Wiederherstellung für junge Menschen ist. Einer der Gründer*innen, Mandisi Sindo, ein dynamischer 25-Jähriger, hat zudem nun einen zweiten Kunstraum namens Kasi RC geschaffen, der ebenfalls eine Theaterschule ist und fortlaufend Kurse für junge Menschen in darstellenden Künsten anbietet. Seit dem Ausbruch von COVID-19 wird der Raum unter Beachtung der Vorschriften des „social distancings“ als Gemeinschaftsküche und Raum für Wohlbefinden genutzt. Solche Veranstaltungsorte sind wichtige Zugangspunkte für Künstler*innen, die sich von der kulturellen Infrastruktur, die im Zentrum Kapstadts existiert, ausgeschlossen fühlen. Sie haben einen Raum des Mangels in einen Raum der Möglichkeiten verwandelt.
Tshisimani ist eine Organisation, die sich für das Erlernen gesellschaftlichen Engagements über kulturelle Mittel einsetzt. Sie veranstaltet das Jugendkunstfestival Freedom Now!, welches jährlich 80 Oberschüler*innen aus verschiedenen Vierteln Kapstadts zusammenbringt, damit sie erkunden können, was Freiheit für sie bedeutet, was sie gerne ändern möchten oder wofür sie kämpfen würden. Indem das Festival verschiedene junge Menschen zusammenbringt, um sich auszutauschen und Kunst und Performances im öffentlichen Raum zu machen, nutzt es das Format des gemeinsamen künstlerischen Prozesses, um eine inklusive Form des Politikmachens in Gang zu setzen, die junge Menschen als politische Akteur*innen, die selber aktiv ihre Zukunft gestalten können, wertschätzt und anerkennt. Theater- und Performance-Proben werden so zu Möglichkeitsräumen für die Werte und die Politik, die die Jugendlichen gerne in der Wirklichkeit umgesetzt sehen wollen. Im Tshisimani-Projekt erproben junge Menschen so, auf eine andere Art zusammen zu sein und sich die geteilte Zukunft vorzustellen.
Das Kickstarter-Programm von ASSITEJ SA befasst sich mit der Art und Weise, wie Lehrende und Lernende im Schulfach „Creative Arts“ miteinander in Beziehung treten. Die Einführung des Pflichtfachs „Creative Arts“ war eine fantastische politische Initiative, die jedoch nur schlecht umgesetzt wird, da es nur wenige dafür qualifizierte und ausgebildete Lehrer*innen unterrichten. Das Kickstarter-Programm unterstützt daher Lehrer*innen über einen Zeitraum von zwei Jahren dabei, „Creative Arts“ erfolgreich zu unterrichten, indem es sie mit lokal ansässigen, von ASSITEJ SA ausgebildeten Kunstvermittler*innen zusammenbringt. Die als Kunstvermittler*innen eingesetzten jungen Menschen sind in der Regel zwischen 20 und 25 Jahren alt, erhalten dafür im Vorfeld wichtige Fähigkeiten in den Bereichen Moderation, Mitarbeiterführung, Inklusion und künstlerisches Arbeiten. Auch sie können daher das das Programm als Sprungbrett zu einem weiterführenden Studium oder zu einer Vollzeitbeschäftigung nutzen oder als wirtschaftliches Standbein ihrer künstlerischen Laufbahn. Eines der wichtigsten Ergebnisse des Programms ist, wie es die Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen revolutioniert hat, indem es über die „Creative Arts“ hinaus die Art und Weise beeinflussen konnte, wie nun auch andere Fächer unterrichtet und wahrgenommen werden.
Schon vor COVID-19 gab es viele Herausforderungen mit Blick auf den internationalen Austausch, die sich aktuell vervielfacht haben. Finanzielle Mittel für die internationale Mobilität junger Menschen sind in Südafrika sehr schwer zugänglich. Hinzu kommen die Probleme restriktiver Visaregelungen und die mangelnde Fähigkeit vieler Organisationen, junge Menschen bei ihrer Rückkehr nach Südafrika kontinuierlich zu unterstützen. Die Begegnungserfahrungen können zwar transformativ sein, aber es besteht auch die Gefahr, dass sie die jungen Menschen zutiefst unzufrieden zurücklassen, wenn sich trotz aller Bemühungen für sie danach nichts zu ändern scheint. Organisationen, die sich an Austauschprogrammen beteiligen, müssen sich daher überlegen, wie sie den Austausch zum Bestandteil einer längerfristigen Begleitung der jungen Menschen machen können.
Ein Beispiel für gelungenen internationalen Austausch ist im Rahmen eines zweijährigen Vollzeit-Ausbildungsprogramms des Magnet Theatre entstanden. Dieses Programm ermöglicht jungen Menschen eine Theaterausbildung, die Schwierigkeiten haben, eine Hochschulausbildung zu absolvieren und es vermittelt arbeitslosen Jugendlichen Fähigkeiten, Fachwissen und Orientierung, damit sie in einem unterstützenden Umfeld selber Ideen entwickeln können, um Einkommen zu generieren. Im Jahr 2013 wurde in Zusammenarbeit mit ASSITEJ SA ein neues Lehrmodul für frühkindliches Theater eingeführt. Dieses Projekt ist jetzt ein interafrikanisches Austauschprogramm, bei dem afrikanische Theatermacher*innen nach Kapstadt kommen, um einen Monat lang mit den Auszubildenden des Magnet Theatre zusammenzuarbeiten. In dieser Kollaboration entdecken sie ihre Gemeinsamkeiten und werden durch die Konfrontation mit den Kontexten des jeweils anderen herausgefordert. Die so entstandenen Produktionen gehen ihrerseits wiederum in afrikanischen Ländern und darüber hinaus auf Tournee und bieten so auch dort jungen Menschen die Gelegenheit, andere Kontexte als ihre eigenen zu erleben und zu sehen, wie ihre Geschichten mit denen anderer Kinder überall auf der Welt in Verbindung stehen.
Während der COVID-19-Pandemie haben zudem Möglichkeiten des virtuellen Austauschs zugenommen, was ein Feld ist, das sicherlich noch weiter erforscht werden kann. Erste Erfahrungen konnten hier zum Beispiel beim Projekt Children of Conflict gesammelt werden, an dem auch ASSITEJ SA teilnahm. Über ein Jahr lang trafen sich bei diesem 15-Jährige aus dem Kosovo, Ruanda, Südafrika, den USA und Nordirland online. Auf Anregung der Projektverantwortlichen in den verschiedenen Ländern wurden die Teilnehmer*innen dazu ermutigt, zu ihren Konflikterfahrungen zu schreiben und diese Werke – Gedichte, Theaterstücke, Reden, Kurzgeschichten oder Lieder – miteinander zu teilen. Die nächste Etappe bestand darin, die künstlerischen Arbeiten aus den jeweils anderen Ländern zu erforschen sowie diese selbst in Szene zu setzen und danach die Mitschnitte davon wiederum online mit den anderen zu teilen und zu diskutieren. Ohne jemals ihr Zuhause zu verlassen, konnten die Jugendlichen dabei eine Reihe von ungewohnten Erfahrungen machen, indem sie sich in Erlebtes einfühlten und dieses hinterfragten sowie dadurch gleichzeitig Verbindungen zu den anderen aufbauen konnten.
Bei all den oben genannten Maßnahmen gilt: