Von müllschluckenden Elefanten, Wolkenräumen und einem Labyrinth
Projekt „WERKSTATT: Stadt!“, Künstlerische Praxis mit Jugendlichen im öffentlichen Raum, Oldenburger Kunstschule
Projekt „WERKSTATT: Stadt!“, Künstlerische Praxis mit Jugendlichen im öffentlichen Raum, Oldenburger Kunstschule
Mitten in der Oldenburger Innenstadt stand im Herbst 2023 ein besonderes Bauwerk: Es erinnerte an eine überdimensionierte begehbare Wolke mit großen runden Öffnungen und einer dicken efeuumrankten Schneekugel auf dem Dach.
Dieses begehbare Kunstobjekt, irgendwo zwischen Rückzugsort und Fantasielandschaft haben Jugendliche im Rahmen des Projektes „Werkstatt: Stadt!“ der Oldenburger Kunstschule entworfen. Mit seiner Präsenz war es zugleich auch ein soziales Statement, denn die Sichtbarkeit junger Menschen ist im öffentlichen Raum oft negativ belegt. Sie seien laut, störend und unberechenbar, eine weit verbreitete Wahrnehmung – auch in Oldenburg.
„Orte, die explizit für Jugendliche geschaffen werden, gibt es so gut wie gar nicht“, berichtet Georg Lisek, künstlerischer Leiter der Kunstschule in Oldenburg. „Wir möchten Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, handlungsfähige Akteur*innen in unserer Gesellschaft zu werden.“ Aus dieser Haltung heraus entstand das partizipative Projekt in Kooperation mit zwei Schulen und der Oldenburger Jugendwerkstatt, bei dem Jugendliche zu Gestalter*innen, ihre Ideen architektonisch und künstlerisch umgesetzt und für alle Generationen sicht- und greifbar wurden – und das mitten in der Stadt.
Weil die Oldenburger Innenstadt unter anderem aufgrund ihres historischen und denkmalgeschützten Bestands stark versiegelt ist, eigneten sich nicht allzu viele Orte dazu, das fünf mal sieben Meter große Objekt aufzustellen. Die Passage zwischen Galeria Kaufhof und der ehemaligen Bremer Landesbank, der sogenannte Häusing, war einer der wenigen Orte, der überhaupt möglich war. Als hoch frequentierter Durchgangsort mitten im Zentrum, sorgte er zusätzlich dafür, dass das Objekt der Jugendlichen von Passant*innen unterschiedlichster Generationen wahrgenommen wurde. Die Oldenburger Stadtverwaltung hat die Idee schnell abgesegnet. Und so konnte es losgehen.
Rund 70 Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren beteiligten sich an der Idee, das begehbare Kunstobjekt zu realisieren. Dafür haben sie sich, begleitet von den Bildhauer*innen Lars Unger und Olga Grigorjewa, in Kleingruppen zusammengetan. Der künstlerisch partizipative Ansatz sei zunächst ungewohnt für die jungen Menschen gewesen, berichten die beiden Künstler*innen. Anders als im Schulkontext sei das Mitwirken am Projekt partizipativ und offen gestaltet, dies sei zu Beginn auf Irritation gestoßen. Nachdem jede Gruppe Ideen skizziert und Entwürfe angefertigt hatte, wurden diese im „Staffelstabprinzip“ weitergereicht und von der nächsten Gruppe angepasst.
In zahlreichen Abstimmungen und Diskussionsrunden überlegten die jungen Menschen: Was ist realistisch? Was ist umsetzbar? Die Antworten waren vielfältig: WLAN, ein Snackautomat, eine gemütliche Bank. In den Skizzen ließen sich aber auch ganz andere Wünsche finden, zum Beispiel die Einbindung von Natur, Nischen zum Verstecken und spielerische Ansätze.
Die Planungs- und Entwicklungsphase gestaltete sich als besonders intensiv, denn aus der Fülle der Ideen musste sich auf einen Entwurf geeinigt werden. „Da waren ganz tolle und kreative Sachen dabei, wie zum Beispiel ein müllschluckender Elefant, begehbare Wälder, wolkenähnliche Räume, Labyrinthe – jede einzelne Idee wirklich toll. Hätten wir die Mittel das alles umzusetzen, das wäre absolut sehenswert“, berichtet Lars Unger. Der wichtigste Lerneffekt: Nicht alles lässt sich durchsetzen, aber alles darf gesagt werden.
All die Chancen, junge Menschen mit einzubeziehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten, werden in der Regel nicht genutzt, aber da liegt enormes Potenzial.
Georg Lisek, künstlerischer Leiter der Oldenburger Kunstschule
Für die Künstler*innen war es eine Gratwanderung: Zum einen galt es, die Ideenfindung als künstlerischen Prozess zu begleiten und manchmal auch zu steuern, zum anderen mussten sie sich zurückhalten und ihre künstlerische Einflussnahme weitestgehend minimieren.
Gleichzeitig spielte der Anspruch der Verantwortlichen, die Jugendlichen aktiv teilhaben zu lassen und ihnen zu zeigen, dass ihre Ideen berücksichtigt wurden, eine große Rolle. „Wir hatten Momente, in denen das mitunter sehr schwierig zu vermitteln war“, erinnert sich die Künstlerin Olga Grigorjewa, „und in denen die Jugendlichen akzeptieren mussten, dass nicht alle ihre Ideen umgesetzt werden können.“ Das lag sowohl an der technischen Umsetzbarkeit als auch daran, dass nicht jede Idee Zustimmung von der Gruppe erfahren hat und führte auch zur Frustration. Trotz allem konnten sich die meisten Beteiligten im Ergebnis des Projektes wiederfinden. Zum einen, weil ihnen das nötige Vertrauen entgegengebracht wurde, dass am Ende ein tolles und kreatives Objekt entstehen würde und zum anderen, weil sie sich letztlich doch als Gruppe dafür entschieden haben, dass ihre Ideen tragfähig wurden. „Das erfüllte sie dann mit richtig viel Stolz“, beobachtete Olga Grigorjewa.
Für ein paar Wochen war das gemeinsam erarbeitete Objekt im Stadtraum sichtbar. Dann musste es den Platz für den Weihnachtsmarkt räumen. Leider. Dennoch hat es etwas bewegt: Es hat allen Beteiligten gezeigt, dass der Prozess das eigentliche Ergebnis des Projektes ist. Und dazu gehört es, sich gegenseitig Rückmeldung zu Entwürfen zu geben, diese anzuhören und schließlich Kompromisse auszuhandeln. Damit ist das Projekt zum Lernfeld für demokratisches Handeln geworden. Die Präsentation aller Skizzen und Modelle in einer parallellaufenden Ausstellung habe den Jugendlichen außerdem ein Gefühl von Wirksamkeit gegeben, sagt Georg Lisek.
„All die Chancen, junge Menschen mit einzubeziehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten, werden in der Regel nicht genutzt, aber da liegt enormes Potenzial“, sagt Georg Lisek, „die Vehikel, die wir als Erwachsene zur Verfügung haben, müssen wir auch nutzen, um Kinder und Jugendliche bei ihren Ideen zu unterstützen. Das ist unsere Pflicht.“ Das Projekt wirft auch die Frage auf, wie Kommunal- und Stadtverwaltungen künftig dauerhaft und nicht nur im Rahmen einzelner Kunstaktionen jugendliche Perspektiven in Planungsprozesse einbeziehen können. Die unkomplizierte Unterstützung durch die Stadt Oldenburg war ein erster Schritt.
Nun besteht die Herausforderung echte Partizipation in eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Akteur*innen Kultureller Bildung und jungen Menschen zu übersetzen. „Wir hoffen, dass sich die Bildungslandschaft öffnet und Kultureller Bildung zum Beispiel auch im Schulalltag deutlich mehr Raum eingerichtet wird“, sagt der künstlerische Leiter. Die Oldenburger Kunstschule setzt sich seit 2017 zum Ziel im Themenfeld partizipativ-künstlerischer Interventionen aus bestehenden Konventionen auszubrechen und ermutigt Jugendliche, sich als gestaltend und selbstwirksam wahrzunehmen. Diese Vision ist notwendig, um Räume zu schaffen, in denen junge Menschen nicht nur sichtbar sind, sondern tatsächlich Einfluss nehmen können.
Das Bestreben Jugendliche stärker in den Stadtentwicklungsprozess einzubeziehen, setzt somit ein jugendpolitisches Signal und zeigt, dass Kulturelle Bildung genau das leisten kann: Nicht für Jugendliche zu planen, sondern mit ihnen Möglichkeitsräume zu schaffen, in denen Beteiligung zur gelebten, sichtbaren und streitbaren Praxis wird.
Text: Nina Hennecken