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Vom Strumpf zur Kunst
Aus der Praxis

Vom Strumpf zur Kunst

Jugendkunstschule kunsthaus alte mühle, Schmallenberg

veröffentlicht:
Bild: Nina Kownacki

Per Zufall landet man hier nicht. Erstmal geht es in die Peripherie und dann ins Industriegebiet, um schließlich in der Meisenburg, dem alten Verwaltungsgebäude eines Strumpfherstellers zu landen.

Von Kathrin Köller

Copyright: Bild: Nina Kownacki
Copyright: Bild: Nina Kownacki
Bild: Nina Kownacki

Strümpfe werden hier heute keine mehr produziert, aber geschneidert, gesägt, gefilmt und Pinsel geschwungen allemal. Den langen Verwaltungsflur säumen die Bilder Jugendlicher und im alten Konferenzraum wird getanzt. Willkommen im Zuhause der Jugendkunstschule von Schmallenberg.

Schmallenberg? Mit seinen 6.000 Einwohnern ein kleines Städtchen im Hochsauerlandkreis, das aber einen großen Anhang hat, nämlich sage und schreibe 82 kleine, oft sehr zersiedelte Ortschaften mit ein, zwei oder sechs Häuschen, womit man dann insgesamt auf 25.000 Menschen kommt. Was dem Kreis an Einwohner*innen fehlt, macht er an Fläche wett. Die Kreisstadt mit ihren 82 Örtchen auf 303 Quadratkilometern ist die flächengrößte Kommune Nordrhein-Westfalens. „Sehr ländlich, viel Gegend“, sagt Beate Herrmann, die Leiterin der Jugendkunstschule, verschmitzt. Für die Kinder und Jugendlichen heißt das lange Wege und jede Begegnung muss organisiert werden.

Welche Rolle Kulturelle Bildung für die Persönlichkeitsbildung spielen kann, muss Beate Herrmann mitunter erklären. Dafür macht sich der Freundeskreis „kunsthaus alte mühle stark“, ein Verein, der seit vielen Jahren zeitgenössische Kunst kuratiert. Dort war man sich früh bewusst, dass es für die Kunst sowohl Künstler*innen als auch kulturbegeisterte Bürger*innen braucht und wenn man sich nicht rechtzeitig um kulturelle Teilhabe kümmern würde, es dann in der Zukunft wohl mit der Kunst nicht so gut aussähe.

Also wurde vor zehn Jahren die Jugendkunstschule gegründet, die zwar auch erste Künstler*innen hervorgebracht hat, aber v. a. mit vielen verschiedenen Projekten in die Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen investiert. „Es geht uns nicht um das schönere Malen. Am Anfang muss man erst mal diese Fragestellung, ob etwas richtig oder falsch ist, aus den Köpfen herausbekommen“, erzählt Beate Herrmann. „Es dauert einen Moment, bis die Kinder erfassen, dass sie bei uns frei arbeiten und selbst organisiert sind und dass es nicht mein Job ist, ihre Arbeiten zu beurteilen, sondern dass sie die Verantwortung für ihre Kunst übernehmen.“

Kunst zu erleben und dann auch selber erlebbar machen, das gehört bei uns ganz eng zusammen.

Beate Herrmann

„Könnt ihr nicht mal zu uns kommen?“

Vor drei Jahren hat die Jugendkunstschule dann auch ein Konzept entwickelt, das die Lage der Kinder in den ländlichen Ortschaften besonders berücksichtigt. Neben dem Kursprogramm in Schmallenberg, ist die Jugendkunstschule seit 2018 auch mit KUMO, dem Kunstmobil, unterwegs und fährt in die kleinen Orte. „Wir arbeiten in den Schützenhallen oder im Leerstand“, berichtet Beate Herrmann. „Das ist nicht das klassische Milchwagenmodell − wir fahren hin und bieten an −, sondern wir stellen den Ortschaften 30 Stunden zur Verfügung und dann besprechen und konzipieren wir diese Stunden gemeinsam.“ Oft entsteht der Kontakt zu ehrenamtlichen Akteur*innen in den Dörfern über die Kinder und Jugendlichen und dann wird zusammen geplant, was zu dem Ort passt und was sich die Menschen vor Ort wünschen. Und das ist in Bracht etwas Anderes als in Wennemen. In Arpe, einer Ortschaft, die sich stark über ihren Fluss definiert, beschließt die Kinderkonferenz beispielsweise ein Ferienprogramm, in dem sie sich kreativ mit dem Themenschwerpunkt Wasser auseinandersetzen. Beate Herrmann ist ganz begeistert über das Konzept, denn auch für sie sind die 30 Stunden, die sie mit den Ortschaften arbeitet, immer wieder ganz anders − neu und innovativ und auf den jeweiligen Ort zugeschnitten.

Platz für alle

Zurück in die Zentrale im Industriegebiet. Schon heute besticht das Gebäude durch unglaublich viel Platz: Eine Film- und eine Holzwerkstatt konnten großzügig eingerichtet werden und im riesigen Atelier stehen die Schränke offen, sodass die Kinder Materialerfahrung machen und sich ganz frei ausprobieren können. In einer geräumigen Küche kochen die Kinder bei Workshops zusammen. „Dieses Gemeinschaftsleben ist für uns von großer Bedeutung“, erläutert Beate Herrmann und dann erzählt sie von der offenen textilen Werkstatt, ein Projekt des Kulturbüros der Stadt Schmallenberg. Ein Raum voller gespendeter Stoffe, Knöpfe und Nähmaschinen. Hier kommen regelmäßig auch Erwachsene, um sich auszutoben, kreativ zu sein und zu lernen. Die textile Werkstatt ist für alle offen. „Hier begegnen sich Menschen und nähen zusammen. Regelmäßig werden aber auch externe Fachleute eingeladen, zum Beispiel zu Drucktechniken auf Stoff oder textiler Kunst.“ Die Leiterin der Jugendkunstschule freut sich über die Kooperation mit dem Kulturamt und die generationsübergreifenden Begegnungen in ihrem Haus. Vom Austausch und der Auseinandersetzung mit den Werken der Anderen profitieren alle Generationen.

Die Siebenundsiebzig

Die Jugendkunstschule und der Trägerverein „kunsthaus alte mühle“ versuchen Begegnungen mit der Kunst zu fördern. Gerade hat der Verein wieder eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst kuratiert. Im Kunstvermittlungsprogramm der Jugendkunstschule entdecken 77 Grundschüler*innen zeitgenössische Kunst. Dafür musste die Gruppe eine weite Strecke mit dem Bus zurücklegen. Nach dem Besuch der Galerie geht es anschließend direkt in die Jugendkunstschule, wo sie selbst Hand anlegen und zu den Werken aus der Ausstellung eigene Arbeiten schaffen. „Kunst zu erleben und dann auch selber erlebbar machen, das gehört bei uns ganz eng zusammen“, erklärt Beate Herrmann.

Die oberen Etagen

Die Jugendkunstschulleiterin würde die Vernetzung und Begegnung zwischen den jungen und erwachsenen Künstler*innen gerne noch weiter ausbauen. Über der Jugendkunstschule sind noch zwei weitere Etagen frei. Beate Herrmann wüsste schon, wie sich diese nutzen ließen. „Sie können sich ja vorstellen, die Künstlerdichte ist hier nicht besonders hoch, aber wenn man hier ein Artists in Residence-Programm entwickeln könnte, das Künstler*innen hier verortet, das würde sich hervorragend angliedern an unsere Arbeit.“ So würden sich Kinder und Künstler*innen begegnen und gegenseitig inspirieren. Und vielleicht funktioniert die nächste Ausstellung dann umgekehrt. Erwachsene besuchen die Jugendkunstschule und setzen sich anschließend kreativ mit den Arbeiten der Kinder auseinander. Es ist noch ein bisschen Zukunftsmusik, aber wer etwas mit Kultur am Hut hat, sollte sich auf jeden Fall die Meisenburg in Schmallenberg merken.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 46 – 49.

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