Vielfalt von Kooperationsmodellen Kultureller Bildung im Ganztag: Ergebnisse aus dem MIXED UP Wettbewerb
Impulse für Reflexion, Entwicklung und Transfer
Impulse für Reflexion, Entwicklung und Transfer
Kerstin Hübner koordiniert das Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung. Zuvor hat sie den Arbeitsbereich „Kooperation, Bildung, Innovation“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung geleitet. Ihre Schwerpunkte sind Kooperationen, Bildungslandschaften und Zivilgesellschaft.
Der MIXED UP Wettbewerb für kreative Kooperationen wurde im Jahr 2022 unter dem Schwerpunkt „Ganztag gemeinsam gestalten“ ausgelobt. Ganztag ist spätestens seit Anfang der 2000er Jahre ein wichtiges bildungs- und jugendpolitisches Thema, in das sich auch die Kulturelle Bildung – Praxisakteure, Verbände, Forschung – intensiv eingebracht hat.
Kulturelle Bildung ist, das zeigen die Studien zur Entwicklung von Ganztagsschulen, nach Sport das zweitwichtigste Angebotsfeld: An mehr als neun von zehn Ganztagsschulen werden ästhetische und kulturelle Bildungsangebote unterbreitet (Züchner 2018), etwa die Hälfte der Ganztagsschulen kooperiert mit außerschulischen Trägern Kultureller Bildung (StEG-Konsortium 2019: 33ff).
Mit dem im Jahr 2021 gefassten Beschluss zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung im Grundschulalter ab 2026 hat die Debatte zur Ausgestaltung des Ganztags nochmals deutlich an Fahrt aufgenommen. Denn dieser Rechtsanspruch stellt in vielen Bundesländern nicht nur große quantitative Herausforderungen, sondern lenkt die Perspektive auch auf die Qualität: Wie und durch wen soll Ganztag ausgestaltet sein, damit er kindergerecht ist und Teilhabe- und Bildungsgerechtigkeit fördert?
Mit dieser Frage hat sich auch die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) in Fachpublikationen und -positionen intensiv auseinandergesetzt (vgl. Braun/Hübner 2019, BKJ 2015, BKJ 2022, BKJ 2023). Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat die BKJ entschieden, mit der Ausschreibung des MIXED UP Wettbewerb 2022 auf diese Frage Antworten zu finden, die bereits in der Praxis existieren. Das heißt, es ging darum, sichtbar zu machen, wie vielfältig und qualitätsvoll bereits jetzt Kulturelle Bildung zur Gestaltung von Ganztag beiträgt – und dies insbesondere durch kooperative Modelle.
Wir brauchen nicht zwingend mehr Vielfalt von kulturellen Bildungskooperationen im Ganztag, sondern einen steten Prozess der Entwicklung und Sicherung von Ressourcen und Qualität für die vorhandenen Kooperationen sowie Strategien zur flächendeckenden Verbreiterung und Implementierung der guten Praxismodelle.
Kerstin Hübner, BKJ
Der MIXED UP Wettbewerb zeichnet seit 2005 Projekte und regelmäßige Angebote Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche aus, die durch ein Kooperationsteam umgesetzt werden. Der Wettbewerb zeigt damit, wie Kunst, Kultur, Spiel, Bewegung oder Medien das kinder- und jugendgerechte Aufwachsen unterstützen. Er trägt zur Sichtbarkeit und Anerkennung kultureller Bildungskooperationen bei. Neben dieser Funktion dient der Wettbewerb auch als Barometer: Anhand der Bewerbungen lassen sich, gleichwohl nicht-repräsentativ, Entwicklungen und Tendenzen der Kooperationspraxis in der Kulturellen Bildung ablesen. Die Bewerber beschreiben eine aus ihrer Sicht qualitätsvolle und exemplarische Praxis.
Nach den intensiven Diskussionen der Sichter*innen und der MIXED UP-Jury zu den eingegangenen Bewerbungen im Jahr 2022, die sich auch immer wieder explizit mit den unterschiedlichen Ganztagsmodellen in den Bewerbungen auseinandersetzten, entschied sich die BKJ, die Barometerfunktion des Wettbewerbs zu nutzen und die Bewerbungen systematisch auswerten zu lassen.
Mit ihrer Expertise legt Dr.in Bettina-Maria Gördel eine fundierte Analyse der Bewerbungen vor und schlägt eine überaus hilfreiche Systematik vor, wie sich in unterschiedlichen Dimensionen Modelle von Ganztagskooperationen in der Kulturellen Bildung beschreiben lassen.
Im Bewerbungsformular wurden die Bewerber nicht nur gebeten, ihr Konzept und ihre Schwerpunkte näher zu beschreiben, sondern es wurden in geschlossenen Fragen auch Grunddaten zu den Vorhaben im Ganztag erfasst:
Unter den 50 Bewerbungen waren die unterschiedlichen Formen, in denen Ganztag organisiert sein kann, ungleich vertreten (Mehrfachnennungen möglich): 52 Prozent der Bewerberprojekte gaben an, im offenen, 24 Prozent im gebundenen und 14 Prozent im teilgebundenen Ganztag verortet zu sein. 12 Prozent waren in einem Hortmodell aktiv. Anderen Kooperationsmodellen, zum Beispiel mit Halbtagsschulen, in Bildungslandschaften etc., ordneten sich insgesamt 40 Prozent der Bewerbungen zu. Diese stärkere Priorisierung des offenen Ganztags im Vergleich zur gebundenen bzw. zur teilgebundenen Form zeigt sich auch in der Statistik der Kultusministerkonferenz zum Ganztag (Sekretariat der KMK 2023: 4*ff) − und zwar über die unterschiedlichen Schularten und Trägerschaften hinweg.
Mit Blick auf die Schularten war die Hälfte der Vorhaben (50 Prozent) in Grundschulen aktiv. Es folgt eine größere Lücke: Zu 18 Prozent waren Gymnasien, zu 16 Prozent Förderschulen, zu je 14 Prozent Gesamtschulen bzw. kombinierte Schulen (Haupt- und Realschulen), zu 12 Prozent Hauptschulen und zu 4 Prozent Realschulen eingebunden (Mehrfachnennungen möglich). In dieser Verteilung spiegelt sich tendenziell der Anteil von Schulen mit Ganztagsschulbetrieb wider, wie sie aus der Ganztagsstatistik der Kultusministerkonferenz hervorgeht (ebd.: 9). Auch dort sind es in der weit überwiegenden Zahl – konkret zur Hälfte – Grundschulen (51 Prozent), es folgen Gymnasien mit 10 Prozent, Förder- und Gesamtschulen (je 9 Prozent) und kombinierte Schulen (7 Prozent) sowie Hauptschulen (6 Prozent) und Realschulen (5 Prozent).
88 Prozent der Vorhaben im Wettbewerb MIXED UP waren am Nachmittag, 50 Prozent am Vormittag verankert. 38 Prozent gaben zudem die Ferien, 18 Prozent das Wochenende als Zeitraum an (Mehrfachnennungen möglich). Hierin zeigt sich einerseits, dass der Nachmittagsbereich für kooperative Angebote non-formaler Kultureller Bildung offenbar besonders attraktiv und passfähig ist/bleibt. Anderseits wird deutlich, dass die meisten Vorhaben mehrere Zeitfenster nutzen und insbesondere der Vormittag bedeutend ist. In der Hälfte der Vorhaben fanden Angebote am Vormittag statt, was bedeutet, dass Kulturelle Bildung sowohl im Unterricht als auch in der Rhythmisierung des Ganztags für Kinder und Jugendlichen und ihres Lernprozesses einen Beitrag leistet. Indem Wochenenden und Ferien genutzt werden, wurden zudem Brücken in die Freizeit junger Menschen gebaut.
Hinsichtlich der Sparten wurden in 44 Prozent der Vorhaben (digitale/neue) Medien und in je 40 Prozent Alltagkultur bzw. Bewegung involviert. Danach folgt mit 34 Prozent Musik; in gleichem Umfang wurden Film/Fotografie eingebunden. Dass Medien und Musik unter den im engeren Sinne ästhetischen und kulturellen Angeboten im Ganztag am stärksten verbreitet sind, war bereits ein Ergebnis der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2009 (Züchner 2014). In 30 Prozent der MIXED UP Vorhaben gab es Literatur/Lesen/kreatives Schreiben, was sich auch in der hohen Sprachförderorientierung von Ganztag begründen könnte. In 28 Prozent der Vorhaben wurden Theatermethoden genutzt.
Auch wenn nochmals betont werden muss, dass der MIXED UP Wettbewerb aufgrund seiner Wettbewerbsselektivität Kulturelle Bildung und Kooperationspraxis im Ganztag nicht repräsentativ abbilden kann, verweisen die Daten 2022 auf hohe Schnittmengen zu vorliegenden Forschungsdaten zum Ganztag. Das bestärkt die Annahme, dass sich Tendenzen und Modelle gut an ihm ablesen lassen.
Sowohl als Organisatoren von Ganztag als auch als Umsetzungspartner von Ganztag tritt in den Bewerbungen, so die Analyse von Dr.in Bettina-Maria Gördel, eine große Vielfalt von Trägern hervor (Gördel 2023: 8): Neben Schulen sowie Ganztags- und Betreuungsträgern sind dies beispielsweise städtische Einrichtungen aus den Bereichen der Kultur, Jugend oder Bildung, aber auch zivilgesellschaftliche Träger als Vereine, Stiftungen oder gGmbHs. Einzelpersonen, beispielsweise Kulturschaffende und Künstler*innen, gehören ebenso dazu. Diese vielfältigen Akteurskonstellationen für Vorhaben Kultureller Bildung im Ganztag entsprechen sowohl den Erfahrungen im Feld und auch der Ganztagsschulforschung, der es dabei bereits 2009 schwerfiel, Kooperationspartner systematisch zu erfassen und zu clustern (Arnoldt 2011, Arnoldt/Züchner 2020). Diese Akteursvielfalt liegt auch in der starken Diversifizierung von Ganztagsmodellen und Förderstrukturen in den Ländern und der sehr offenen Ausschreibung des MIXED UP-Wettbewerbs begründet. Diese Ausschreibung nutzte sowohl einen sehr weiten Ganztagsbegriff als auch einen sehr offenen Kooperationsbegriff.
Diese Vielfalt ist ein großes Potenzial in Ganztag und Kultureller Bildung und wird auch immer wieder positiv hervorgehoben. Sie ist ein Hinweis darauf, wie sehr verbreitet das Verantwortungsbewusstsein seitens der Schulen, Ganztagsträger und kulturellen Bildungsakteure ist, gemeinsam Bildung zu gestalten. Zu beachten aber ist, dass die Positionierungen und Ausgangsbedingungen dieser vielen Träger, auch im Feld der non-formalen Kulturellen Bildung selbst, sehr unterschiedlich sind (z. B. Rechtsrahmen, Selbstverständnis, Grad der Professionalisierung, Angestelltenverhältnisse; vgl. Fuchs 2017). Das führt beispielsweise zu unterschiedlichen Zugängen und Ressourcen, die wiederum entscheidend Einfluss darauf haben, wie fest und nachhaltig sie im Ganztag verankert sein können (vgl. Gördel 2020; Priemer/Hübner 2021).
Hier ist nicht nur ein differenzierter Blick auf die Akteursstrukturen Kultureller Bildung notwendig, sondern auch eine Bewertung der damit verbundenen Hierarchien im Ganztag. Die Entwicklung gezielter Förderstrategien für Akteure im Ganztag muss voranschreiten, damit sie in ihren jeweiligen Bedarfen und Potenzialen bestmöglich unterstützt werden und damit Ressourcenasymmetrien besser ausgeglichen werden können. Dabei wäre auch zu untersuchen, welche Querfinanzierungen durch Kooperationen in den Ganztag hineingebracht werden und inwiefern personelle und finanzielle Ressourcen ggf. dann an anderer Stelle fehlen. Unter welchen Bedingungen Träger Kultureller Bildung Ganztag (mit)gestalten und wie stabil sie sind, bedürfte also einer genaueren Feldanalyse.
Dr.in Bettina-Maria Gördel beschreibt in der Expertise (Gördel 2023: 10) zwei zentrale Rollen der Akteure im Ganztag: die des Anbieters und die des Abnehmers von Ganztagsangeboten. Sie differenziert zusätzlich, inwieweit Anbieter in die Organisation/Koordination bzw. in die Konzeption/Umsetzung des jeweiligen Angebotes eingebunden sind. In den Fällen, in denen Anbieter und Abnehmer von Ganztagsangeboten ihre Aufgaben nicht von Anbeginn klar voneinander trennen, das heißt, stark arbeitsteilig vorgehen, sondern auch in der Umsetzung zusammenarbeiten, kommt es zu organisatorischen Abstimmungsprozessen und „manchmal“ (ebd.: 11) auch zur gemeinsamen Entscheidungsfindung. „Einige“ Bewerber arbeiten auch pädagogisch zusammen (ebd.:12), beispielsweise über Qualifizierung und Austausch, inhaltliche Abstimmungen, gemeinsame Konzeptionen etc. Sechs Akteurskonstellationen von Ganztagskooperationen zwischen Abnehmern und Anbietern, zwischen Organisations- und Umsetzungsinstitutionen leitet Dr.in Bettina-Maria Gördel ab, die in der Praxis der MIXED UP-Bewerber verbreitet sind (ebd.: 13).
Diese Unterscheidungen helfen einerseits analytisch dabei, die Zusammenarbeit mit ihrer Konstellation und ihren Rollen genauer zu reflektieren und zu beschreiben. Praxisakteure können anschließend jeweils notwendige Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit definieren, um ihren jeweiligen Rollen entsprechen zu können. Auf der anderen Seite wird mit dieser Analyse implizit deutlich, dass sich Kooperationen in unterschiedlichen Beziehungsgefügen bewegen, von denen nicht alle der Definition „Kooperation“ entsprechen oder dem Kooperationsanspruch „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ Stand halten (vgl. BKJ 2018, Gördel 2020, BKJ 2023, vgl. Gördel 2020). Das verweist nochmals auf das Thema der Hierarchien (siehe oben), ist aber ebenso ein Hinweis auf die noch immer verbreitete Dienstleistungsorientierung vieler Ganztagsangebote. Stark arbeitsteilige oder dienstleistungsorientierte Kooperationen schränken Möglichkeiten der gemeinsamen Entscheidungsfindung, Konzeption und Umsetzung von Ganztagsangeboten ein. Da sie oft aber auch mit weniger Abstimmung zwischen den Partnern verbunden sind, werden sie teilweise auch aus ressourcenökonomischen Gründen gewählt. Sie können zudem Freiheitsgewinne für die Träger non-formaler Bildung bedeuten, weil diese über die Ausgestaltung des Angebots sehr eigenständig bestimmen können und daher ihre Prinzipien oftmals wahren können.
Räumlich, zeitlich und strukturell waren die Vorhaben der MIXED UP-Bewerbungen in vielfältigen Konstellationen verortet: in den Schulgebäuden und außerschulisch sowie digital; am Vor- und Nachmittag oder auch im Mittagsband/Zwischenraum; in der Linienorganisation von Schule und Ganztag oder in Strukturen von Partnern und Bildungslandschaften; regelmäßig oder einmalig. Auch der unterrichtliche Bezug ist breit gefächert, wobei dieser – das belegen die Ergebnisse von Dr.in Bettina-Maria Gördel (2023) – bei Angeboten am Vormittag oder im Rahmen von Projekttagen stärker gegeben ist.
Diese Vielfalt ging bereits aus anderen Studien hervor und betont Ganztag als Möglichkeitsraum für ganz unterschiedliche Bildungsangebote (siehe oben und BKJ 2018). Unter dem Ziel, den Schul- und Ganztag für Kinder und Jugendliche und die Lernprozesse zu rhythmisieren und Kulturelle Bildung möglichst umfassend im Ganztag zu implementieren, sind die Modelle der MIXED UP-Bewerbungen damit sehr ermutigend.
Die Bewerbungen geben damit einen Hinweis darauf, dass im Ganztag vieles möglich ist und parallel existieren kann, ohne dass eine Angebotskonstrukt besser ist als die andere.
Vielmehr geht es in Kooperation darum zu entscheiden, welches kulturelle Bildungsangebot jeweils am besten zum Ganztagsmodell, zu den Interessen der Schüler*innen und zu den Akteuren passt. Um das Angebot dann aber konkret zu platzieren und umzusetzen, sind immer räumliche, zeitliche und strukturelle Fragen zu klären. Diese spielen als organisatorische Qualitätskriterien in den Qualitätsrahmen für kulturelle Bildungskooperationen und für Ganztag eine große Rolle (Wimmer/Schad/Nagel 2013, BKJ 2017, Boßhammer/Schröder 2009 zzgl. der Fortschreibungen von QUIGS). Die meisten dieser Qualitätsrahmen arbeiten mit einem reflexiven und prozessorientierten Ansatz, das heißt, beschreiben Kriterien eher allgemein und legen keine Standards fest. Vielmehr benennen sie Fragen, die Partner miteinander klären müssen, oder führen Skalen auf, damit sich Kooperationsteams selbst einschätzen bzw. Entwicklungsziele formulieren können. Der MIXED UP Wettbewerb zeigt zwar, dass Qualitätsentwicklung offenbar in Kooperationen gelingt. Bezweifelt werden aber muss, dass dies flächendeckend möglich ist: Zu viele Ganztagskooperationen arbeiten unter Bedingungen, die ihnen nicht ausreichende Ressourcen für Qualitätsprozesse zur Verfügung stellt. Auch bestimmen vielfach rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen darüber, welche Angebotskonstrukte zeitlich, räumlich und strukturell überhaupt möglich sind, sodass Partner oftmals nicht frei darüber entscheiden können.
Ein besonderer Blick in einer tiefergehenden Analyse wäre zudem auf die Unterscheidung von Kooperationsstrukturen mit und ohne Unterrichtsbezug zu legen, wie sie bei Dr.in Bettina-Maria Gördel bereits im Abschnitt „Bezug der Ganztagsangebote zu Schule und Unterricht“ (Gördel 2023: 16f) und im Kapitel „Strukturmodelle von Ganztagskooperationen“ (ebd.: 24f) anklingen. Welchen Einfluss auf die Beziehungen und Entscheidungsspielräume hat ein Unterrichtsbezug? Immer wieder spielt in Diskussionen eine Rolle, inwiefern der Unterrichtsbezug die non-formalen Kooperationspartner in ihren Freiheiten einschränkt bzw. ob eine Verortung im nachmittäglichen Ganztag tatsächlich Dienstleistungsverhältnisse reduziert.
Aus den Aussagen der MIXED UP-Bewerber rekonstruiert Dr.in Bettina-Maria Gördel zwei zentrale Ganztagsverständnisse (ebd.: 18f):
Das jeweilige Verständnis hat in den MIXED UP-Bewerbungen keinen Einfluss auf die sozialräumliche Orientierung der Angebote, was verdeutlicht, dass längst Öffnungsprozesse von Schule und Ganztag in den Sozialraum hinein etabliert sind. Beide Verständnisse setzen Ganztag – selbst in der Abgrenzung – in ein Verhältnis zur Schule, was nochmals die zentrale Stellung dieses Bildungsortes in der Debatte verdeutlicht. Beide Positionen sind im Feld Kultureller Bildung verbreitet und berühren stets das Trägerselbstverständnis, das heißt die Frage danach, wie eigenständig und unabhängig sie von Schule agieren wollen und können. Sie werfen aber auch erneut die Fragen der Gestaltung von Zusammenarbeit mit Schule auf, weil diese in den zwei Ganztagsverständnissen unterschiedlich stark mitschwingt.
Dr.in Bettina-Maria Gördel identifiziert Modelle kultureller Bildungsangebote im Ganztag, die im Vergleich zu den bisherigen strukturellen Ergebnissen stark konzeptionell geprägt sind.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aufgrund der geringen Stichprobengröße und ihrer Nicht-Repräsentativität – gibt es:
Diese – aufgrund ihres Namens sich selbsterklärenden – Modelle lassen sich aber nicht nur konzeptionell fassen. Vielmehr sind mit ihnen unterschiedliche Ziele und Strategien verbunden, was nochmals die hohe Flexibilität und Varianz Kultureller Bildung betont. Die Modelle zeichnen sich zudem durch eine große Kombinierbarkeit aus, das heißt, in allen Projekten werden verschiedene Modelle miteinander verknüpft und können profilgebend wirken. Wie das geschieht, stellt Dr.in Bettina-Maria Gördel in drei exemplarischen Kombinationen aus dem Kreis der MIXED UP-Bewerbungen vor (Gördel 2023: 29ff). Für Praktiker*innen, die kulturelle Bildungsangebote unterbreiten möchten, ist die Systematik hilfreich zur Findung klarer Entscheidungen. An Ermöglicher*innen und Förderer richtet sich die Anforderung, diese Unterschiedlichkeit zu ermöglichen und mit gezielten Förderstrategien zu unterstützen.
Zwei grundsätzliche und verbreitete Strukturmodelle wurden aus den Bewerbungen von Dr.in Bettina-Maria Gördel herausgearbeitet (ebd.: 24). Die Ganztagskooperation getrennt von Schule und jene in Verbindung mit Schule und Unterricht.
In beiden Modellen werden Möglichkeiten, Schul- und Ganztag mit seinen Lernprozessen für Kinder und Jugendliche zu rhythmisieren, durch Kooperationen sowie schulische und außerschulische Orte genutzt. Wenig überraschend – auch aufgrund des bereits Dargestellten – können sich die Modelle unterscheiden und tun dies oft auch deutlich. Das Modell in Verbindung mit Schule beispielsweis
Auch wenn die Varianz sowohl innerhalb von Schule getrennten als auch bei mit Schule verbundenen Modellen groß ist, lassen sich diese Tendenzen nachzeichnen. Hier verstärkt sich der Eindruck, dass sich Kooperationen grundsätzlich entscheiden (müssen), wie ausgeprägt der Schul- und Unterrichtsbezug ist und was sich daraus an Möglichkeiten und Einschränkungen ergibt. Hier kann nur auf die bereits aufgeworfenen Fragen verwiesen werden.
Dr.in Bettina-Maria Gördel benennt interessante zusätzliche Aspekte: Auch unter der Bedingung, dass mit dem Träger von Ganztag und/oder mit den Schulen enger zusammengearbeitet wird, bedeutet dies nicht automatisch, dass eine pädagogisch-konzeptionelle Kooperation stattfindet oder die Angebote auf Schule bzw. Unterricht bezogen werden. Hier wäre interessant zu erfahren, welchen Mehrwert beide Seiten in der engen Zusammenarbeit sehen, auch wenn offenbar sehr arbeitsteilig vorgegangen wird bzw. sehr eigenständig umgesetzt wird.
Es lassen sich in der Studie weitere Strukturmodelle ablesen. Sie könnten dazu beitragen, die noch immer gegebene starke Schulorientierung von Ganztag in neue oder andere Konzeptionen und Verständnisse zu transformieren und dabei das Entweder-Oder (mit und ohne Schulbezug) aufzugeben. Gemeint sind hier Ansätze, wie sie auch mit dem weiten Verständnis von Ganztag im MIXED UP Wettbewerb und seiner Schwerpunktsetzung betont wurden: das Strukturmodell „Ganztag als Kooperationsnetzwerk“ und das Modell „Sozialraum und Bildungslandschaft“. Nicht von ungefähr kommen zwei Preisträger (BKJ o. J.) im Wettbewerbsjahrgang 2022 aus diesen Modellen. Diese Modelle, das benennt auch Dr.in Bettina-Maria Gördel, zeichnen sich durch Langlebigkeit, ein Wechselspiel aus Verbindlichkeit und Offenheit bzw. Flexibilität sowie verbindliche Kooperationsstrukturen aus.
Abschließend zieht Bettina-Maria Gördel Verbindungen zu vorliegenden Studien, die Kooperationspraxis systematisieren, welche die Ergebnisse stützen bzw. vertiefen (Gördel 2023: 33f). Das sind beispielsweise:
Gemeinsam mit den bereits erwähnten Qualitätsrastern und der hier vorliegenden Expertise von Dr.in Bettina-Maria Gördel, den Praxisreportagen über die MIXED UP-Preisträger 2022 (BKJ o. J.) oder der BKJ-Arbeitshilfe zu Projekten im Ganztag (BKJ 2023) gibt es viele Impulse für Kooperationsteams und für Förderer, Ganztag kooperativ mit und für Kulturelle Bildung weiterzuentwickeln. Auch Dr.in Bettina-Maria Gördel wirft zum Ende ihrer Expertise die Frage auf, welche Gestaltungsmöglichkeiten „vom Feld bisher nicht aufgegriffen bzw. […] nicht rekonstruiert wurden“ (Gördel 2023: 37). Das verweist auf unterschiedliche Entwicklungsdimensionen: Zum einen ist die Transferfrage berührt, das heißt die Frage danach, wie analysierte gute Praxis gemeinsam mit den Publikationen so aufbereitet werden kann, dass sie für andere Träger unterstützend wirkt. Verbunden ist damit andererseits die Aufforderung, dass das Feld kultureller Kooperationspraxis sich weiterhin selbst reflektieren sollte bzw. stärker und systematisch beforscht werden sollte. Implizit ist damit zudem verbunden, ob es nicht noch ungenutzte Innovationslücken gibt.
Die im MIXED UP Wettbewerb sichtbare Vielfalt ist somit auch ein Entwicklungsimpuls, wobei die Expertise von Dr.in Bettina-Maria Gördel hilft, diese Entwicklungen zunächst zu analysieren, um sie letztlich bewerten zu können. Der Wettbewerb zeigt aber auch: Wir brauchen nicht zwingend mehr Vielfalt von kulturellen Bildungskooperationen im Ganztag, sondern einen steten Prozess der Entwicklung und Sicherung von Ressourcen und Qualität für die vorhandenen Kooperationen sowie Strategien zur flächendeckenden Verbreiterung und Implementierung der guten Praxismodelle.
Eine Expertise von Dr.in Bettina-Maria Gördel (2023) wertet die Bewerbungen für den Wettbewerb aus und zeigt, wie vielfältig und qualitätsvoll bereits jetzt Kulturelle Bildung zur Gestaltung von Ganztag beiträgt – und dies insbesondere durch kooperative Modelle. Mit ihrer Expertise legt Dr.in Bettina-Maria Gördel eine fundierte Analyse der MIXED UP-Bewerbungen 2022 vor und schlägt eine überaus hilfreiche Systematik vor, wie sich in unterschiedlichen Dimensionen Modelle von Ganztagskooperationen in der Kulturellen Bildung beschreiben lassen.
Gördel, Bettina-Maria (2023): Analyse der Bewerbungen im MIXED UP-Wettbewerbsjahrgang 2022 zum Schwerpunktthema Ganztag. MIXED UP − Wettbewerb für kreative Kooperationen. Expertise. Hrsg. v. Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Berlin.
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