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Gruppenreise und Study Visit von Akteur*innen der Kulturellen Bildung nach Accra
Gruppenreise und Study Visit von Akteur*innen der Kulturellen Bildung nach Accra
Be(a)ware of Single Stories! Mit diesem Plädoyer – in Anlehnung an den TED-Beitrag der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie „The Danger of a Single Story“ – im Gepäck kam Ende August 2022 eine Gruppe von neun Kolleg*innen aus unterschiedlichen Sparten der Kulturellen Bildung und verschiedenen Ecken Deutschlands in Accra/Ghana zusammen.
Ziel der im Rahmen des BKJ-Projekts „jugend.kultur.austausch global“ organisierten Gruppenreise war es, lokale Orte Kultureller Bildung kennenzulernen, Kolleg*innen vor Ort zu treffen und sich mit ihnen über die jeweiligen Arbeitskontexte, Methoden und Herausforderungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auszutauschen. Ausgehend von einem ersten Kennenlernen ging es außerdem um Möglichkeiten für konkrete gemeinsame Projekte. Gerade durch den persönlichen Kontakt konnte ein Grundstein für Partnerschaften und die Zusammenarbeit für ghanaisch-deutsche Jugendbegegnungen im kulturellen Bereich gelegt werden.
Mit tatkräftiger Unterstützung durch Kolleg*innen der in East Legon/Accra ansässigen Lobby- und Advocacy-Organisation YOTA (Youth Opportunity and Transformation in Africa) konnte ein Programm zusammengestellt werden: eine zweitägige Konferenz mit Fachkräften der Kulturellen Bildung aus Ghana und Deutschland sowie anschließend Besuche bei sechs teilnehmenden Organisationen.
Offizielle Treffen mit Vertreter*innen des Goethe Instituts Accra, der deutschen Botschaft und des Ministeriums für Tourismus, Kunst und Kultur boten den 40 deutschen und ghanaischen Teilnehmer*innen nicht nur die Möglichkeit, um Unterstützung für die gemeinsame Arbeit zu werben, sondern darüber hinaus auch belastende Aspekte der Zusammenarbeit zu thematisieren, wie die restriktive Visapolitik der deutschen Regierung und das Fehlen lokaler Fördermöglichkeiten.
Neben den Besuchen bei Organisationen der Jugendbildung vor Ort, den sogenannten „Field Trips“, konnten sich die Teilnehmer*innen in individuell vereinbarten bi- und trilaterale Treffen persönlicher kennenzulernen, über Ziele und Herausforderungen partnerschaftlicher internationaler Jugendarbeit sprechen und erste Ideen für gemeinsame Projekte entwickeln.
Reflexionsrunden und Zeit für fachlichen Austausch zu Themen des internationalen Jugendkulturaustauschs und zum Aufbau von Partnerschaften rundeten das Programm ab.
Die Stimmung in der Gruppe war aufgrund der knapp bemessenen Zeit vom ersten Moment an konzentriert und die Neugier und Motivation bei allen spürbar.
Die Energie im Raum war wirklich beeindruckend und intensiv, weil unter den rund vierzig Anwesenden das Interesse aneinander spürbar war und eine immense Neugier, sich gegenseitig kennenzulernen. Ein bisschen wie ein Feuerwerk, bei dem man gar nicht genug bekommen kann. Zugleich war klar, dass es unmöglich ist, an diesem einen Tag mit allen zu sprechen und es darüber hinaus noch so viele andere Kontexte kennenzulernen gäbe.
Felix Tomin, BAG Zirkuspädagogik
Den Abschluss der zweitägigen Konferenz bildete nach den offiziellen Besuchen ein Treffen mit Frank Sam vom Tete Adehyemma Dance Theatre, das in einer langjähriger Partnerschaft mit Cactus Junges Theater aus Münster bereits zahlreiche Jugendkulturaustauschprojekte durchgeführt hat. Im Kwakudi Community Youth Cultural Centre konnte die Gruppe am abendlichen Tanztraining teilnehmen und erleben, wie in den dreimal pro Woche stattfindenden Sessions altersgemischt Kinder und Jugendliche an Tanz herangeführt werden und dabei selbstbestimmt vielfältige Einflüsse heranziehen, um ihren eigenen künstlerischen Ausdruck weiterzuentwickeln. Im spontanen Gespräch mit den jungen Tänzer*innen im Anschluss bot sich auch den ghanaischen Kolleg*innen die Gelegenheit, für sie neue Orte der Jugendarbeit in Accra kennenzulernen.
Die verbleibenden Tage verliefen nicht weniger intensiv und lehrreich. Ein von den Gastgeber*innen anberaumter Fototermin mit professionellem Fotografen führte zu einer Diskussion über den real festgestellten Nutzen von Bildern mit ausländischen, als weiß und reich(er) wahrgenommenen Gästen, der zugleich aber die Gefahr beinhaltet, bestehende Zuschreibungen fortzusetzen. Beim Treffen mit Kolleg*innen von Act for Change und DUNKgrassroots (DUNK = Developing Unity, Nurturing Knowledge ) im Community Theatre Centre in Jamestown (JCTC), einem historisch durch die europäischen Kolonialmächte geprägten Hafen-Stadtteil Accras, erhielt die Gruppe nicht nur einen historisch informierten Rundgang durch die Gebäude und das umliegende Stadtviertel, der von Collins Seymah Smith und seinen Kollegen (Act for Change) beeindruckend und sehr persönlich gestaltet war, sondern auch Einblicke in die verschiedenen im JCTC angesiedelten Angebote und Initiativen von und für Jugendliche des Viertels, die neben Basketballtrainings auch ein Nähatelier und das Kunstatelier Slum Art Studios beherbergen.
Beim gemeinsamen Improvisieren an einem Forum-Theaterstück, das die Müll-Verschmutzung der nahegelegenen Strände und damit der küstennahen Gewässer, die eigentlich die Lebensgrundlage der lokalen Fischer sein sollten, als ein alle betreffendes ökologisches und soziales Problem zum Thema machte, wurde der deutschen Reisegruppe schließlich einmal mehr deutlich, dass das Wissen um lokale Kontexte für gemeinsame Diskussionen und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe grundlegend ist. Anschließend führte die gegenseitige Aufforderung „und jetzt fragt uns einfach alles, was ihr wissen wollt“ zu einem ehrlichen und herzlichen kollegialen Austausch über die Kontexte und Rahmenbedingungen der Jugendarbeit in beiden Ländern. Die Frage an die deutschen Kolleg*innen, warum auf deutscher Seite erfahrungsgemäß manche Teilnehmer*innen nach der ersten Begegnung im Ausland abspringen, mündete in einer Diskussion darüber, wie diese jeweils auch für die Rolle als Gastgebende motiviert werden können – und letztlich in einer breiteren Diskussion über die Reichweite von Angeboten der Jugendarbeit, regionale Unterschiede und Stadt-Land-Gefälle. Die Einladung der Charles Quartey Boxing Foundation am folgenden Tag war für die deutsche Reisegruppe eine Ehre und einschneidende Erfahrung zugleich, die durch die Lage im Settlement nahe dem Accra Timber Market physisch spürbar machte, wie unterschiedlich nicht nur die Lebensbedingungen der Jugendlichen, sondern auch die Möglichkeiten der Jugendarbeit alleine in Accra sein können.
Neben den vielen kollegialen Gesprächen und lehrreichen Momenten hielt die Gruppenreise für alle Beteiligten eine Fülle intensiver persönlicher Eindrücke bereit, die zusammen der Grundstein eines längerfristigen Fachkräfteaustauschs zwischen Kolleg*innen sein dürften, die mit je eigenen Mitteln und Methoden Räume Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche gestalten. Nicht zuletzt kann diese Fülle an Eindrücken aber auch daran erinnern, dass persönliche Begegnungen die Macht haben, mitgebrachte „Single Stories“ aufzulösen, aber zugleich diese auch festigen oder schlicht die alten durch neue „vereinfachende Erzählungen“ ersetzen können – insbesondere nach einer so kurzen Begegnung.
Nach den gemeinsamen Tagen war und ist daher der Wunsch auf allen Seiten spürbar, diesen Austausch im kommenden Jahr mit einem Study Visit ghanaischer Kolleg*innen in Deutschland fortzusetzen und zu vertiefen. Erst einmal steht die Gruppe vor der Herausforderung, die vor Ort in Accra angestoßenen Ideen mit der dort gewonnenen Motivation auch über die räumliche Distanz hinweg weiter voran zu bringen.
Wichtig dabei: nichts überstürzen, kleine Schritte gehen und sich wirklich Zeit nehmen, alle Beteiligten kennen zu lernen, bevor der erste gemeinsame Antrag geschrieben wird. Dies haben auch Anja Schäplitz (Tänzer ohne Grenzen, Berlin), Lena Wolter (Street Children Empowerment Foundation) und Rita Ekua Richardson von Zaafi Black Arts and Home (jeweils Accra) für sich beschlossen:
Was wir uns gerade gut vorstellen können, ist zu dritt ein kleineres Online-Projekt zu starten, bei dem ein Großteil der Kommunikation und des Austauschs über Zoom stattfinden kann. So können erste gemeinsame Arbeitsweisen erprobt, die Projektidee weiterentwickelt und für künftige Projekte ausgebaut werden.
Anja Schäplitz, Tänzer ohne Grenzen
Am Ende eines langen Gespräches über die Fallstricke und die Notwendigkeit partnerschaftlicher Zusammenarbeit bringt Samuel Lamptey (DUNKgrassroots bzw. Act for Change, Accra) dann die entscheidende Botschaft dieses Austauschs so auf den Punkt: „Besides working on a common goal, what is really important is the aspect that we are all human. (Anm. d. R./Übersetzung: Das, was dafür wirklich wichtig ist, neben der Arbeit auf ein gemeinsames Ziel hin, ist die Tatsache, dass wir alle Menschen sind)”.
Text: Anja Schwalbe
Die Gruppenreise für Akteur*innen der Kulturellen Bildung nach Accra wurde über das Förderprogramm Teams up! des Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks (DAJW) gefördert und fand in Kooperation mit YOTA – Youth Opportunity and Transformation in Africa aus Accra statt. Die BKJ berät und unterstützt Akteur*innen aus dem Bereich der Kulturellen Bildung dabei, gemeinsam mit Partnern aus Ländern des afrikanischen Kontinents Jugendbegegnungen zu gestalten, für die sie die finanzielle Unterstützung dieser Programmlinie nutzen können.