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Verschwitzte Verblüffung darüber, wieviel Power wir morgens aus der Steckdose saugen
Interview

Verschwitzte Verblüffung darüber, wieviel Power wir morgens aus der Steckdose saugen

Im Gespräch mit Luzia Schelling, Schauspielerin und Dramaturgin

veröffentlicht:

Nachhaltigkeit sei kein Thema, sondern eine Haltung gegenüber der Welt, sagt Luzia Schelling und stiftet in ihren Projekten zur Auseinandersetzung mit der Klimakrise an. Sie betont die visionäre Kraft der Künste und die Möglichkeitsräume, die in der Kulturellen Bildung eröffnet werden.

Luzia Schelling ist Schauspielerin, Dramaturgin und Co-Initiatorin des kollaborativen KlimaKontor Basel. Für die „Schüler:innenUni Nachhaltigkeit + Klimaschutz“ der FU Berlin entwickelt sie transformationsorientierte Theaterworkshops für Kinder und Jugendliche.

Luzia Schelling, Sie haben 2019 zusammen mit der Intendantin Barbara Ellenberger das KlimaKontor Basel gegründet – mit dem Ziel, die Klimakrise in die Künste hineinzutragen und Institutionen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen. Was passiert da?

Es geht uns zunächst darum, Kulturinstitutionen anzustiften, sich mit der Klimakrise und Themen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen – sowohl strukturell als auch inhaltlich, denn beide Ebenen greifen ineinander. Das KlimaKontor bringt in seinen Projekten Künstler*innen, Aktivist*innen, Zivilgesellschaft und Bildungsinstitutionen in der Kulturlandschaft zusammen, um die Klimakrise sichtbarer zu machen und gemeinsam ins Handeln zu kommen.

Welche Projekte werden im KlimaKontor umgesetzt? Wie gehen Sie vor?

Für das Chorprojekt „Espírito de Floresta“ beispielsweise haben wir den Biologen und Musiker Marcus Maeder eingeladen, der sich als Künstler und Forscher intensiv mit dem Amazonas befasst und wissenschaftliche Messdaten sonifiziert. Die Idee war, dass Laien-Chöre ein Chorstück einstudieren, das auf Messdaten der steigenden CO2-Konzentration im Amazonas basiert und den „Atem des Waldes“ sinnlich erfahrbar macht. So ist die Synergie entstanden, die wir in allen Kooperationen suchen: Das KlimaKontor hat die Verbindung zu den Chören geschaffen und Marcus Maeder hat die Messdaten in Gesangspartituren übertragen. Das Projekt wurde begleitet von Schulklassen, die sich in Workshops mit Naturklängen und den Auswirkungen des geschwächten Regenwaldes auf die Atmosphäre auseinandergesetzt und daraus eine eigenständige Performance entwickelt haben. Daraus sind starke, berührende Abende entstanden. Wichtig waren auch die vertiefenden Nachgespräche mit dem Publikum, denn es geht ja darum, eine neue ästhetische Erfahrung mit den dringlichen Themen der Gegenwart in Beziehung zu setzen.

Welche Aufgabe sehen Sie für die Künste in der Klimakrise?

Wenn wir beim Theater bleiben: Es ist seit jeher ein Verhandlungsraum für Gesellschaftsgestaltung – durch das Live-Ereignis, das Zusammenkommen, und durch das Verhandeln von Lebensentwürfen und Machtverhältnissen auf der Bühne. Und die Potenziale sehe ich dort, wo sich der emanzipatorische Raum über den Menschen hinaus öffnet. Also da, wo wir „Natur“ nicht mehr als Ressourcenlager oder Resonanzraum unserer Befindlichkeiten benutzen, sondern als Gegenüber neu begreifen lernen. Als ich 2018 die Dramaturgie für das Stück „TORNADO. Ein Klima-Theater-Desaster“ von Tobias Rausch gemacht habe, stand die Frage im Raum: Warum ist das Thema so wenig präsent in den großen Theatern? Und wie kann der Zugriff der Darstellenden Kunst auf die Klimakrise aussehen? Nach der intensiven Recherche zur Dimension der Klimakrise habe ich einfach gemerkt: Ich kann nicht mehr so weitermachen wie bisher. Ich muss aktiv werden.

Ich versuche, die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und etwas zu machen, bei dem sie Selbstwirksamkeit erleben.

Luzia Schelling

Auch bei der „Schüler:innenUni Nachhaltigkeit + Klimaschutz“ setzen Sie sich mit Kindern und Jugendlichen in Theaterlaboren mit Nachhaltigkeit auseinander. Was sind Ihre Ansätze und Methoden?

Ich versuche, die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und etwas zu machen, bei dem sie Selbstwirksamkeit erleben. Inhaltlich geht es in allen Workshops um Energie. Besonders ergiebig ist die abstrakte, aber allgegenwärtige Elektrizität: Hier können die Kids den eigenen Körper performativ als Kraftwerk in Szene setzen und spielerisch mit der sogenannten „Bühnenspannung“ umgehen. Wir machen auch immer einen imaginären Spaziergang durch das eigene Zuhause und „sammeln“ die elektrischen Geräte – vom Christbaumschmuck im Keller bis zum Milchschäumer in der Küche. In den szenischen Settings entwickeln diese Geräte dann ein Eigenleben auf der Bühne, was allen Beteiligten viel Spaß und Erkenntnis bringt. Kernstück des Workshops ist es, für die Lehrperson ein Frühstück zuzubereiten und dabei die verbrauchte Energie aller Geräte zu messen. Während die Lehrer*in frühstückt, wird die benötigte Energie in Form von Bewegungsenergie wieder abgeleistet, indem z. B. vier Leute sechs Minuten lang Seilhüpfen oder acht Minuten lang tanzen. Die verschwitzte Verblüffung darüber, wieviel Power wir morgens aus der Steckdose saugen, ist immer garantiert.

Welche Qualität haben diese Prozesse für die Aneignung des Themas?

Ich glaube, der größte Effekt ist dieses „mehr Wissen“, also dieses Erstaunen darüber, wie viel Power in den Geräten steckt, die uns da entlasten. Das tragen die Kinder als physische Erfahrung mit und teilen ihre Erkenntnisse in den Familien. Ein wichtiges Thema ist hier unsere Abhängigkeit, denn der Alltag ist ohne elektrische Geräte unvorstellbar. Aber auch als Lebewesen sind wir eben keine „Individualist*innen“, sondern abhängig, aufs Engste verwoben mit allen anderen Lebensformen, die uns umgeben und durchdringen. Dieses Bewusstsein wieder zu erlangen, ist ganz entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft insgesamt. Ein weiterer spannender Aspekt im Workshop ist die Verfremdung von banaler Alltagserfahrung durch das Setting „Theater“. Man lernt, mit anderen Augen auf alltäglich-vertraute Handlungsmuster zu gucken, Routinen zu durchbrechen.

Entscheidend sind, denke ich, die Möglichkeitsräume, die gerade in der Kulturellen Bildung durch die künstlerische Auseinandersetzung eröffnet werden. Wir brauchen die visionäre Kraft der Künste, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass die bestehenden Verhältnisse tatsächlich transformierbar sind.

Luzia Schelling

Was kann Kulturelle Bildung Ihrer Meinung nach zur Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit beitragen?

Entscheidend sind, denke ich, die Möglichkeitsräume, die gerade in der Kulturellen Bildung durch die künstlerische Auseinandersetzung eröffnet werden. Gerade im Theater kann ja alles alles sein. In der Kunst ist alles möglich, und alles ist miteinander verbunden. Auch gesamtgesellschaftlich brauchen wir die visionäre Kraft der Künste, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass die bestehenden Verhältnisse tatsächlich transformierbar sind. Und ich habe den Eindruck, dass in der Kulturellen Bildung und der Kreativität ihrer einzelnen Akteur*innen ein großartiges Potenzial bereit steht. Es ist wichtig, junge Menschen auf dem Weg in eine selbstbestimmte, starke und resiliente Haltung zu begleiten und sie dabei zu unterstützen, ihre Talente zu entdecken, um der Krise mutig und aktiv begegnen zu können.

Ist der Begriff der Krise dabei konstruktiv, kann er nicht auch lähmend sein?

Zunächst: die Krise ist ja real. Diese Realität auszublenden und ein Paralleluniversum aufrecht zu erhalten, in dem die Klimakrise nicht existiert, kostet uns unglaublich viel Kraft und hilft nicht weiter, erst recht nicht im Austausch mit der jungen Generation. Die Gesellschaft ist ja auch in weiten Teilen bereit, sich der Wahrheit zu stellen. In der Kulturellen Bildung geht es mir gar nicht darum, ständig zu betonen, dass wir in einer Krise stecken. Es geht darum, mich selbst in Bewegung zu versetzen, um von da aus etwas Positives zu schaffen.

Welche Anregungen haben Sie für das Feld der Kulturellen Bildung in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit?

Eine Empfehlung ist, sich gut zu vernetzen und mit Neugier und Ausdauer auf einen umfassenden Prozess einzulassen – hin zu einem zyklischen Weltbild, in dem wir selber Teil der versehrten Biosphäre sind, die es zwingend zu schützen gilt. Nichts ist wertlos und alles geschieht in Kreisläufen. Das haben wir in den letzten 200 Jahren leider komplett vergessen. Jetzt muss man sich auf allen Ebenen zusammentun mit Partner-Institutionen und anderen Akteuren, die schon einen Schritt weiter sind. Voneinander lernen und bereit sein, sich dabei überraschen zu lassen. In der täglichen Arbeit an kleinen Stellschrauben drehen und unbedingt: diese Erfolge sichtbar machen!