Tiere sprechen für Kinder – Mit Musik, Theater und Film Bedürfnisse von Kindern sichtbar machen
„Bürgertierwahl“, Grundschule Jenfelder Straße Hamburg
„Bürgertierwahl“, Grundschule Jenfelder Straße Hamburg
Wie oft sagen schon die jüngsten Schulkinder: „langweilig“, „immer das gleiche“, oder der absolute Höhepunkt: „Wir machen nie etwas, das Spaß macht“. Anders die Kinder an der Hamburger Grundschule Jenfelder Straße, sie haben etwas Besonderes erlebt. Denn sie durften mitbestimmen, wählen und selber wirksam sein.
Der dritte und vierte Jahrgang hat gemeinsam mit den Hamburger Kulturagent*innen und Künstler*innen verschiedener Genres eine Bürgertierwahl veranstaltet: „Wir haben uns Ideen ausgedacht, was unser Bürgertier auf der Welt, in der Stadt und in der Schule verändern möchte“, erklärt ein junger Wahlhelfer des Bürgertiers mit dem Namen Ente Elin stolz.
Dank des Engagements der Lehrer*innen und der engen Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen Anna Hubner, Eva-Maria Glitsch und Paula Jütting waren „alle Beteiligten hoch motiviert und von Anfang an begeistert,“ sagt Julia Münz, Kulturagentin aus Hamburg.
Zilly Zebra, Pelle Pinguin, Amir Adler und Meg Einhorn sind die Protagonist*innen dieses Kooperationsprojektes. Sie setzen sich stellvertretend für Kinder und deren Rechte ein. So wünscht sich Zebra Zilly mehr Kunst in der Schule. Pelle Pinguin möchte Spenden für Arme sammeln. Und niemand kann so gut Streit schlichten wie Amir Adler, denn er hat den besten Überblick.
Julia Münz war nicht nur von Anfang an dabei, sondern auch Ideengeberin für die Bürgertierwahl: „Die Grundschule war relativ neu in unserem Programm und hat sich ein Projekt gewünscht, bei dem ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, das von Empathie lebt.“ Die Idee mit den Tieren hatte eigentlich ein Mädchen aus Julias Nachbarschaft. Sie hat, neben fünf anderen Tieren „Hans den Hasen“ als Bürgertierkandidat gekürt und dem Hasen das Wahlversprechen in den Mund gelegt: „Wenn sie mich wählen, höre ich allen zu und werde niemals jemanden unterbrechen!“
Eines der wichtigsten Kinderrechte ist das der Beteiligung. Die Bürgertierwahl hat Mitspracherecht möglich gemacht. Hier konnten die Kinder der dritten und vierten Klassen nicht nur ihre Anliegen sichtbar machen, sondern auch bauen, basteln, zeichnen, formulieren, auf der Bühne stehen und Videos drehen. Für jede*n war etwas dabei.
Das Filmteam Shittypantsproduction begleitete den Prozess dokumentarisch und hat mit den Kindern gemeinsam Werbespots produziert. Die Künstler*innenkollektive Glitch AG und wirvier Kollektiv stellten das ganze Konzept auf stabile Pfoten, Hufe und Tatzen.
Um den Kindern zu erklären, worum es geht, veranschaulichte die begleitende Lehrkraft mit einem Video „Was ist die Bürgertierwahl?“ das Projekt für die Kinder. Sie zog durch alle Klassen der beteiligten Jahrgänge. Mit im Gepäck eine Präsentation des Wahlkandidaten Berthold Bär: „Wer mich wählt, bekommt mehr Mathematik und weniger Kunst und Sport. Ich will, dass die Kinder schlauer werden.“
Berthold war es ganz egal, was denn die Kinder überhaupt wollen. Er war der alleinige Bestimmer und noch dazu war er der einzige Kandidat. Das wollten die Kids auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Am Ende wollten 160 von 200 Kindern mitmachen und selbst Bürgertiere, als Gegenkandidaten zu Berthold Bär, für die Wahl aufzustellen.
Am Tag der Wahlparty wurde es dann brisant, denn die Kinder haben noch den ganzen Vormittag an ihrem Projekt gearbeitet. Von Erschöpfung aber keine Spur. Schließlich hatten sie über mehrere Monate auf diesen Tag hingearbeitet, haben intensiv ihre Performance mit einer professionellen Tänzerin geprobt. Es wurden Wahlplakate gemeinsam mit dem Fach Bildende Kunst entworfen und gebastelt. Für den perfekten Tier-Look hatte die Künstlerin Malika Lu Görlach nach den Entwürfen der Kinder Kostüme entworfen. Sie war am Tag der Wahlparty vor Ort und half bei den letzten Feinheiten. Zum Schluss durften die Kids ihre Kostüme sogar behalten.
Und auch wenn nicht alle Kinder immer zu jeder Probe anwesend sein konnten, „am Tag der Wahlparty, hat es funktioniert. Da waren sie am Start. Und voll dabei. Das hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich Julia Münz. Bewegt habe sie auch die Tatsache, dass eine andere Klasse für die Wahlteams ein Essen zubereitet hat. Ein Paradebeispiel für fächer- und jahrgangsübergreifende Projekte.
„Heute wird gewählt“, ruft eine aufgeregte Stimme, die aus einem Pinguinkostüm hervorlugt. „Ich bin gerne ein Bürgerkind“, sagt dasselbe Mädchen und schneidet noch schnell eine kleine Eisscholle aus. Einige hüpfen wie Flummis umher, andere arbeiten noch hochkonzentriert an den letzten Plakaten. Manche stapeln Kekse auf den Tischen ihrer Bürgertiere. „Zilly liebt Kekse“, erklärt die Wahlhelferin des Zebras.
Als die Wahlparty endlich losgeht, flirrt die Luft. Die Aufregung steigt ins Unermessliche. Alle Gäste haben Platz genommen, aufgeregte Eltern winken ihren Kindern zu und auch einige Großeltern haben den Weg zur großen Wahl gefunden. Bei der gemeinsamen Bühnenpräsentation von allen Wahlhelfer*innen hat nicht nur jedes Tier seine eigene Bewegung, sondern es werden auch noch einmal die Wahlsprüche in Form von Sprechreimen und die selbst gedrehten Wahlwerbespots gezeigt.
Die Tiere sprechen für die Kinder, denn so fällt es ihnen leichter, ihre Anliegen zu formulieren. Noch im Tierkostüm springen die Kids von der Bühne und verschwinden hinter ihren Wahlständen. Nun wird es spannend, denn die Gäste können von Stand zu Stand gehen und sich informieren. Es gibt verschiedene Werbeartikel wie Anstecker, Zeichnungen, Kekse und natürlich für alle Wähler*innen einen Wahlzettel.
Hier dürfen zwei Stimmen abgegeben werden: Für ein Lieblingstier und für eine Forderung eines Tieres. Eine kluge Unterscheidung, denn vielleicht ist Pelle Pinguin das coolste Bürgertier, aber die Einhörner haben eine viel interessantere Verbesserungsidee. „Die Kinder waren sehr in ihrem Element, haben die Inhalte ihrer Forderungen erklärt und voller Engagement die Bürgertiere präsentiert.“ Julia Münz wirft Hans dem Hasen, der einen Platz hinter ihrem Schreibtisch gefunden hat, einen dankbaren Blick zu, mit ihm hat alles begonnen.
Und am Ende war es die Aufgabe der Schulleiterin, die Wünsche und Forderungen der Tiere zu unterstützen und durchzusetzen. Auf der Bühne musste sie vor allen Versammelten einen Eid schwören und versprechen, die Ziele des Gewinnertieres umzusetzen – natürlich nur die, die auch die Schule betreffen.
Und so dauerte es nicht lange, bis ein großer Kiosk eingerichtet wurde. Ein riesiger Erfolg, denn die Kinder haben nicht nur über das Angebot selber entschieden, sondern sich auch mit Lehrkräften und Schulleitung abgestimmt. Sie haben kalkuliert, eingekauft und gebacken. Es wurden Informationsbriefe an Eltern geschrieben, Brötchen geschmiert, ein Buffett aufgefahren, das sich sehen lassen konnte, und am Ende: Geld gezählt.
Für jede Klasse wurde von dem Erlös ein neues Spielzeug gekauft. Zum Schluss blieb sogar noch eine beachtliche Summe übrig. Die Kinder haben sich dann an die Forderung von Pelle Pingu erinnert und das Geld einem Kinderhospiz gespendet. Ein lohnendes Projekt, dass nur und dank herausragender Kooperationen möglich gemacht werden konnte. Eine Idee und eine Lehrerin, die weiß, wie sie die Kinder erreicht. Hinzu kommen die Akteur*innen aus der Praxis: verschiedenste Künstler*innen aus den Bereichen Tanz, Theater und Musik. Alle zusammen haben eine Wahlparty der ganz besonderen Art auf die Beine gestellt. Ein multimediales Projekt der Demokratiebildung, das Demokratie in einer Schulgemeinschaft lebendig und erfahrbar macht.
Von Helen Arnold
Amir Adler, Big Panda oder Zilly Zebra? Wer wird Bürgertier der Hamburger Grundschule Jenfelder Straße? Mit viel Humor, Kreativität und Gestaltungsfreude haben 200 Schüler*innen der dritten und vierten Klassen in Wahlkampfteams Stofftieren Leben, Backgroundstory und eine politische Agenda für die Schule gegeben, um sich sodann in den Wahlkampf für ihre Kandidat*innen zu stürzen. Es wurden Wahlversprechen erarbeitet, Wahlkampfstände gebaut, Plakate und Wahlwerbespots produziert, Pressekonferenzen gegeben, Songs und Choreografien entwickelt und eine Wahlparty gefeiert. Am Wahltag hatte jede*r zwei Stimmen: Eine für das Bürgertier und eine für eine zentrale Forderung. Diese Wahlversprechen lauteten zum Beispiel: mehr Unterstützung für arme Kinder, ein Schulkiosk, mehr Pausenangebote, mehr Sichtbarkeit für Kunst in der Schule oder mehr Umweltschutz.
Auf Initiative der Hamburger Kulturagent*innen ist mit der „Bürgertierwahl“ in Zusammenarbeit mit der Grundschule Jenfelder Straße und mit Künstler*innen der Glich AG, des wir-vier-Kollektivs sowie von shittypantsproduction eine intelligente, witzige, altersgemäße und transferfähige Verschränkung von politischer und kultureller Bildung gelungen, die Spaß macht, Partizipation und Selbstwirksamkeit ermöglicht ̶ und sogar die Welt ein bisschen verändert. Denn die TOP 3-Wahlversprechen wurden nicht nur proklamiert, sondern auch umgesetzt. Das ist Engagement, das wirkt, Demokratie, die lebt und Bildung, die begeistert! Bitte mehr davon!
Projektwebseite | https://kulturagenten-hamburg.de/projekte/burgertierwahl/ |
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Projektträger | |
Kooperationspartner | Eva-Maria Glitsch und Anna Huber, GlitchAG |