Theaterpädagog*innen gegen rechts
Projekt #theatre.makes.politics, Bundesverband Theaterpädagogik (BuT)
Projekt #theatre.makes.politics, Bundesverband Theaterpädagogik (BuT)
Die von den europäischen Organisationen erarbeiteten Methoden sollen nicht nur für Akteur*innen der Kulturellen Bildung in einem Handbuch festgehalten werden, sondern in der Praxisanwendung ebenso Jugendliche ermutigen, die Perspektive zu wechseln. Jungen Europäer*innen verständlich zu machen, wie populistische Strömungen sie manipulieren, wie sie Widerstand bis hin zur Feindschaft gegenüber anderen Gruppen schüren, seien es Menschen, die geflüchtet sind, Muslim*innen, Christ*innen, „Ungläubige“ oder LGBTQI+, sind die Hauptanliegen der internationalen Partner.
Eine allgemeingültige Antwort gibt es darauf nicht. Allerdings scheinen die Workshopformate, die Theaterpädagogik mit politischer Bildung verknüpfen, ein gutes und dynamisches Instrument zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Desinformation und Fundamentalismus zu sein. „Für uns hat die Mitarbeit im Projekt und die inhaltlich fundierte Arbeit zu den Themen das Bewusstsein geschärft, welchen Mechanismen die Radikalisierung von Jugendlichen folgt und wie wir gegen diese Tendenzen arbeiten können“, sagt Andreas Gruhn, Intendant des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund.
Getestet werden die Methoden von Projektpartner*innen, wie einzelnen Theaterpädagog*innen oder ausgewählten kulturellen Bildungseinrichtungen. Im Wesentlichen seien die Formate ähnlich aufgebaut, erklärt Lutz Pickardt, der das Projekt von Seiten des Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) koordiniert. In Kooperation mit dem Treibkraft Theater Hamm hat er einen Workshop zum Thema Desinformation getestet.
In jedem Konzept gibt es eine Art Warm-Up. Hier lernen sich die Gruppen kennen. Sie tauschen sich darüber aus, wie sie über die Zukunft, Migrationsfragen oder Fake News denken. Sie machen erste politische Meinungen sichtbar. In einem Mittelteil werden die Themen dann unterschiedlich bearbeitet. Das Thema Desinformation beispielsweise lädt zum spielerischen Lügen ein: Die Jugendlichen erzählen jeweils zwei wahre Geschichten und eine erfundene – „durchaus unterhaltsam!“, berichtet Lutz Pickardt.
Schnell werden auf diese Weise die Mechanismen von Verschwörungserzählungen deutlich. Fake News werden explizit herausgearbeitet und adaptiert. „Die Jugendlichen dramatisieren, lügen, übertreiben. Wir geben ihnen Anleitungen, eine eigene Verschwörungserzählung zu bauen, die sie dann zum Ende des Workshops in einer gesellschaftlichen Dystopie spielerisch umsetzen.“ In einer abschließenden Reflexion geben die Pädagog*innen den Jugendlichen Hinweise, wie sich Fakten überprüfen lassen und Strategien, Verschwörungserzählungen zu entlarven an die Hand.
Als besonders wirkungsvoll habe sich nach ersten Pilotworkshops auch die Methode des Forumtheaters erwiesen – ein Ansatz, der auf Augusto Boal zurückgeht. Dabei geht es nicht nur um die Reflexion über gesellschaftliche Missstände, sondern um das Nachspielen und aktive Erleben und Hineinfühlen von konfliktgeladenen Szenarien. „Es bringt die Erfahrungsebene viel stärker in die Begrifflichkeiten hinein und schafft einen anderen Zugang als auf kognitiver Ebene“, sagt Lutz Pickardt.
Das Forumtheater ergründet die Handlungsmöglichkeiten, in einer Situation, der die Teilnehmer*innen scheinbar wahllos ausgeliefert sind. Es lädt dazu ein, mit den eigenen Unsicherheiten zu experimentieren. Es wird besonders dazu genutzt, das Thema Rechtsextremismus zu bearbeiten: „Im Rechtsextremismus oder auch im Islamismus spielt es eine große Rolle, den anderen Menschen zu entwerten. Wir schauen uns an: Was steckt dahinter? Welche Ängste stecken dahinter? Und dann werden diese Ängste nicht nur benannt, sondern wir ergründen gemeinsam, wie man mit diesen Ängsten und Unsicherheiten umgehen kann. Ohne andere auszugrenzen. Und wie man einen Weg findet, der inklusiv und nicht abwertend ist“, beschreibt Lutz Pickardt.
Einzelschicksale betrachten und Empathie entwickeln, dabei könne Theater helfen, sagt Andreas Gruhn. Geschützte Räume zu erschaffen, in denen Begegnungen möglich sind. In denen Jugendliche sich damit auseinandersetzen können, wie sie sich beispielsweise an Stelle eines geflüchteten Menschen fühlen würden, sei die große Chance dieses Projekts.
Die Theaterpädagogik stellt neben Forumtheater, auch bildnerisch-künstlerische Installationen oder performativen Akte bereit, um die herausfordernden Themen künstlerisch zu bearbeiten. Auch wenn die Theaterpädagog*innen dabei einen offenen Austausch mit den Jugendlichen anstreben, funktioniert dies nicht immer. Neben dem Loslassen der eigenen Erwartungshaltung der Pädagog*innen, spielt die Gruppendynamik eine ebenso große Rolle.
„Theater fordert: Schüchterne Menschen und auch Jugendliche, die den Frontalunterricht aus der Schule kennen, sind erstmal herausgefordert, sich mit ihrem ganzen Körper und ihren Emotionen aktiv zu beteiligen. Das ist vielen neu“, berichtet der Theaterpädagoge. Wenn es den Jugendlichen gelingt aus ihrer Deckung herauszukommen, sei die Resonanz durchweg positiv. Das geben die Fragebögen im Anschluss an die Workshops wider. Die Teilnehmer*innen fühlten sich im Umgang mit anderen Meinungen geschulter.
Die Förderung der Ambiguitätstoleranz ist den Projektverantwortlichen deshalb ein besonderes Anliegen. „Wenn wir Bewusstsein dafür schaffen, dass wir Menschen nicht auf ein Merkmal reduzieren können, sondern dass wir als Menschen vielschichtig sind, dann können wir auch anders miteinander umgehen.“ Sich abzugrenzen und sich gegen rechts zu positionieren sei wichtig, aber das reiche nicht. Es ginge darum den Dialog zu suchen – auch mit Menschen, die andere Werte vertreten als man selbst. Irgendwann ist allerdings auch die Toleranz des weltoffenen Projektleiters erschöpft: „Ich kann mich auf das Verbindende konzentrieren, aber ich muss nicht jede Diskussion führen, besonders nicht mit Menschen, die bereits total verbrettert sind.“
In Frankreich beispielsweise sei Islamismus spätestens seit Charlie Hebdo ein „ganz heißes Eisen“, sagt er. Das Thema werde daher mit einer anderen Brisanz behandelt als in Deutschland. Ähnliches könne man auch in Portugal und Nordmazedonien feststellen, wo man sich stark mit christlichem Fundamentalismus auseinandersetze. Ein Aspekt, der in der deutschen Gesellschaft vergleichsweise weniger relevant sei. In Griechenland und Nordmazedonien arbeite man in der Theaterpädagogik außerdem sehr stark an dem Rechtsextremismusbegriff insbesondere im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen. „Es gibt viele Synergieelemente. Diesen politischen Kontext in der Theaterpädagogik eingebettet zu betrachten ‒ von diesem Blick über den Tellerrand profitieren alle internationalen Projektpartner*innen“, sagt Lutz Pickardt.
Wenn wir Bewusstsein dafür schaffen, dass wir Menschen nicht auf ein Merkmal reduzieren können, sondern dass wir als Menschen vielschichtig sind, dann können wir vielleicht auch anders miteinander umgehen.Lutz Pickardt, Leiter des Projekts #theatre.makes.politics
Zwei Aspekte, die ihm dabei besonders wichtig sind: Internationalisierung und Politisierung. „Natürlich können wir die Welt nicht verändern, aber wie können wir als Theaterpädagog*innen politischer werden, um dem aufstrebenden Populismus und Extremismus in Europa etwas entgegenzusetzen?“, beschreibt er, „wir können uns nicht raushalten. Mein Eindruck ist, dass wir politischer werden müssen.“
Die europäische Dimension des im Rahmen von ERASMUS+ geförderten Projekts erlaubt den Blick über den Tellerrand. Das Projekt nutzt die kulturelle Vielfalt Europas, um verschiedene Perspektiven der Theaterpädagogik in die Methodik einfließen zu lassen. Davon profitieren Akteur*innen Kultureller Bildung, wie Jugendliche gleichermaßen.
Text: Katharina Hennecken
Der Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) vertritt die Theaterpädagogik als Fachdisziplin der Kulturellen Bildung in Deutschland. Mitglieder sind Menschen aus allen Arbeitsfeldern der Theaterpädagogik, Einzelpersonen und Institutionen. Als bundesweiter Fachverband verfolgt der BuT das Ziel, Theaterpädagogik als künstlerisch-ästhetische Praxis zu fördern, in deren Fokus das Individuum, seine Ideen und seine Ausdrucksmöglichkeiten stehen. Dadurch werden ästhetische, personale und soziale Kompetenzen vermittelt. Der BuT veranstaltet Fachtagungen, Fortbildungen für Multiplikator*innen sowie das jährliche Festival Bundestreffen Jugendclubs an Theatern und führt Modellprojekte zu aktuellen Themen durch. Die Qualifizierung des Berufsbilds Theaterpädagoge*in wird hergestellt durch die Festlegung und Weiterentwicklung von Rahmenrichtlinien zur Zertifizierung von theaterpädagogischen Aus- und Weiterbildungsbildungsgängen.
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50733 Köln