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Theater stellt dem Menschen sich selbst gegenüber
Aus der Praxis

Theater stellt dem Menschen sich selbst gegenüber

Zu Besuch bei einer klimapolitischen Theaterbegegnung zwischen Jugendlichen aus Cotonou und Potsdam

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Bild: BKJ | Jörg Farys

Was kann Kunst zu einer klimagerechten Zukunft beitragen? Und überhaupt, wie erntet man den Wind? Offene Fragen, die sich junge Menschen aus Benin und Deutschland bei der Theaterbegegnung „Story Seeds“ in Potsdam stellen. Von der grenzüberschreitenden Arbeit eines Stückes zum Klimawandel.

Von Hannah Fröhlich

Copyright: Bild: BKJ | Jörg Farys
Copyright: Bild: BKJ | Jörg Farys
Copyright: Bild: BKJ | Jörg Farys
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Bild: BKJ | Jörg Farys

An diesem drückenden Hochsommertag Mitte August, die restliche Stadt liegt quasi lahm, heißt es „Action!“ im Vorgarten des Projekthauses INWOLE am Griebnitzsee in Potsdam. Eine Gruppe junger Menschen hat sich hier versammelt. Die eine Hälfte springt gestikulierend über die Wiese, die andere folgt den schauspielerischen Übungen von der gewundenen Steintreppe des Hauses aus aufmerksam. „Korallen vor Dubai“, „Biomarkt“, „Aircondition“, „Vélo“, Wortfetzen in drei Sprachen brechen durch die träge Mittagsluft. Ein Dutzend junger Menschen aus Benin und Deutschland arbeiten hier daran, die Zukunft des Klimas auf die Bühne und ins Bewusstsein zu bringen.

„Story Seeds – The Art Of Making The Future Grow“, so heißt die internationale Jugendbegegnung zwischen dem Offenen Kunstverein Potsdam (OKEV) und der Association Katoulati aus Cotonou in Benin. Nach dem Aufenthalt der deutschen Jugendlichen in Benin letztes Jahr sind nun die beninischen Teilnehmer*innen in Potsdam und Umgebung zu Besuch. Der heiße und trockene Sommer bringt eine besondere Dramatik in das aufklärerische Anliegen des Projekts: „Climate Action“ heißt das 13. Nachhaltigkeitsziel der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, dem sich die jungen Menschen aus Benin und Deutschland stellen möchten.

Um mitzumachen, braucht es allerdings keine Expertise auf dem Gebiet – das Projekt soll gerade auch dazu da sein, den Teilnehmer*innen wissenschaftliche Aspekte der Klimaveränderung näher zu bringen. So war die erste Woche des Projekts einzig der Recherche und Wissensvermittlung gewidmet. Hierzu besuchten die Teilnehmer*innen u. a. das Geoforschungszentrum in Potsdam und lernten harte Fakten zum Meeresspiegelanstieg.

„Wir trennen die Natur vom Menschen und sehen uns nicht als Teil von ihr.“

Emil

Und wer zur Zukunft forscht, muss auch ins Futurium in Berlin. Emil, ein Teilnehmer aus Potsdam, hat es dieser Besuch besonders angetan. „Eine riesige Skulptur aus Holz und Metall, die sich durch Künstliche Intelligenz bewegt – so etwas auch als Natur zu begreifen, sprengt die eigenen Vorstellungen“, erzählt er nachdenklich. „Eine der Übungen bestand darin, die Augen zu schließen und uns Natur vorzustellen. Als wir sie wieder öffneten, wurde uns bewusst gemacht: Wir alle hatten uns ausnahmslos Bilder vorgestellt, in denen Menschen abwesend waren. Wir trennen die Natur vom Menschen und sehen uns nicht als Teil von ihr. So wird dann auch das Maß an Ausbeutung von Ressourcen, wie es heutzutage vorangetrieben wird, gerechtfertigt.“

Aus Widersprüchen werden Dialoge

Die globale Klimakrise soll für das Projekt kein rein naturwissenschaftliches Problem bleiben. So besuchten die jungen Menschen auch Gedenkstätten wie die der Berliner Mauer und das Holocaust-Denkmal. Auf den ersten Blick, erzählt Emil während der Mittagspause im Freien, haben diese Themen nichts mit dem Klimawandel zu tun. Wenn man aber den Blick weite, werde deutlich: Koloniale Herrschaft, Kriegstreiberei und Industrialisierung sind verflochten mit der Idee der Erhebung des Menschen über die Natur. Soziale und umweltliche Ungleichgewichte seien ein Ausdruck davon.

Die Jugendlichen treffen während ihrer Begegnung und Recherche immer auch auf Widersprüche. „Ein Satz, der mir von unserem Stadtführer in Erinnerung geblieben ist: ,Misstraut den Grünanlagen – denn darunter liegen oft Trümmer‘“, besinnt sich Emil.

Viele Denkanstöße, die in kreative Körperarbeit übersetzt werden wollen. So arbeiten die Teilnehmer*innen unter der künstlerischen Leitung von Patrice aus Benin und Philip aus Deutschland mit somatischen Übungen daran, Widersprüche im eigenen Körper zu verorten. „Wie möchtet ihr handeln und wie handelt ihr tatsächlich?“, fragt Philip und lässt die jungen Schauspieler*innen sich zu dieser Frage bewegen. So setzt er den Körper der jungen Schauspieler*innen in den spielerischen Dialog mit sich selbst, aber auch mit den Körpern der Anderen. Es finden sich Paare, die zusammen eine nonverbale Erzählung entwickeln, die sie später vor den anderen aufführen.

Grübeln auf drei Sprachen

Im Sitzkreis wird zusammen gegrübelt und auf Französisch, Deutsch und Englisch über das diskutiert, was gerade vorgeführt wurde. Patrice und Philip lenken die Debatte mit Fragen und geben konstruktives Feedback zu Ausdruck und Inhalt des Schauspiels. Hier ist Raum zum Reflektieren, für Selbstkritik, gemeinsame Inspiration und Ideenaustausch. Der transkulturelle Austausch gilt bei diesem Projekt auf allen Ebenen – so stehen auch die Theaterpädagogen in wechselseitiger Kommunikation miteinander und reflektieren ihre Arbeit gemeinsam. In der Runde geht es immer wieder um das Thema: Was ist unsere Rolle im Wandel hin zu einer gerechteren, lebenswerten Zukunft? Welche Ansprüche habe ich an mich selbst und an die Gesellschaft? Was hat Kunst mit all dem zu tun und auf welche Weise können wir sie für die Erreichung unserer Ziele nutzen?

Auf die besonnene Phase folgt eine schwungvolle Dynamik. „Zip Zap“ heißt das Schnelligkeitsspiel mit vollem Körpereinsatz – wer nicht aufpasst, fliegt raus.

„Jede Person in der Gruppe hat eine andere Verbindung zum Thema Klimawandel.“

Marzouk

Der kreative Gruppenprozess und enge Austausch hilft dabei, zu begreifen, wie unterschiedlich jede Person auf die Welt blickt und mit ihr interagiert: „Dadurch, dass wir in diesem Austauschprojekt einander so intensiv ausgesetzt sind, lernen wir besser, unsere Grenzen auszuhandeln. Das lernen wir nicht, wenn wir alleine Zuhause sitzen“, findet die Beninerin Douriyath, die auch die zähen Momente in der Gruppe nicht missen will. Auch Marzouk, ein Teilnehmer aus Cotonou, nimmt aus der Begegnung viel mit: „Jede Person in der Gruppe hat eine andere Verbindung zum Thema Klimawandel. Wir lernen von diesem unterschiedlichen Umgang und nehmen die Erkenntnisse mit nach Hause.“

Den Kopf aus dem Nebel ziehen

Die Teilnehmer*innen sind sich einig darin, dass es auch beim Thema Klimawandel wichtig ist, internationale Verknüpfungen und mit ihnen Erfahrungs- und Wissensaustausch herzustellen – das Klima kennt eben auch keine Grenzen. Trotzdem zu begreifen, dass sich alle je nach ökonomischen und geografischen Bedingungen unterschiedlich davor schützen und die Folgen abfedern können, ist dabei zentral. Dies gilt besonders bei Begegnungen zwischen Menschen aus dem Globalen Norden und Süden.

Der grenzüberschreitende Austausch, bei dem kritische Reflexion erwünscht ist, erlaubt den Teilnehmer*innen, „den Kopf aus dem Nebel zu ziehen“, wie sie es beschreiben. „Diese Art von Austausch bedeutet uns sehr viel“, sagt Marzouk. Gemeinsamkeiten und Differenzen werden auf individueller, aber auch gesellschaftlicher Ebene erforscht. „Hier gibt es mehr Bäume und weniger Müll als in unserer Heimatstadt“, sagen die Beniner*innen. Doch es ist auch Teil des Projekts, scheinbare Dinge zu hinterfragen. So wird dann auch darüber debattiert, wie grün und sauber Industrienationen auf globaler Ebene tatsächlich handeln.

Theater stellt dem Menschen sich selbst gegenüber

„Theater ist etwas für jeden“, stellt Douriyath fest. Instagram und TikTok verstehe nur die Jugend und niemand schaue mehr Fernsehen. Das Theater sei ein Medium, das Menschen zusammenbringt und allen Generationen zugänglich ist. „Der ganze Zweck von Theater ist es, dem Menschen sich selbst gegenüberzustellen“, sagt Douriyath überzeugt.

„Der ganze Zweck von Theater ist es, dem Menschen sich selbst gegenüberzustellen.“

Douriyath

Auch Emil hält große Stücke aufs Theater. „Lange Zeit dachte ich, es ist etwas Exkludierendes. Dass nur Akademiker-Haushalte ins Theater gehen und man auch alles dazu gelesen haben muss. Das war immer eine Hürde. Durch die Theaterarbeit habe ich gelernt, dass es auch anders geht“, findet Emil.

Dass Theater für alle da ist, möchte die junge Gruppe bei der finalen Aufführung unter Beweis stellen. Das gemeinsam erarbeitete Stück wird auf öffentlichen Plätzen wie dem Marktplatz in Kyritz oder dem Lustgarten in Potsdam gezeigt und bildet den krönenden Abschluss des Projekts. 

Das Projekt „Story Seeds – The Art Of Making The Future Grow“ ist eine Kooperation vom Offenen Kunstverein Potsdam und der Association Katoulati. Das Projekt wurde im Rahmen der „Teams up!“-Programmlinie des bei Engagement Global angesiedelten Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks und mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) berät und begleitet Akteur*innen aus der Kulturellen Bildung bei diesen Vorhaben des Jugendkulturaustauschs.