Theater im Stadtteil − Stadtteil im Theater
Junges.TheaterBremen, Bremen
Junges.TheaterBremen, Bremen
Von Kathrin Köller
Neben dem Schauspielensemble MOKS, das Stücke für junges Publikum produziert, ist „Junges.TheaterBremen“ auch ein Ort, an dem professionelle Theaterkunst von und mit Jugendlichen selbst auf die Bühne gebracht wird.
Ich glaube, es gibt wirklich wenig Räume in unserer Gesellschaft, in der sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene so sehr gleichberechtigt begegnen wie hier.
Nathalie Forstman
Nathalie Forstman ist Regisseurin und künstlerische Leiterin der „Jungen Akteur*innen“, Jugendliche zwischen 8 und 20 Jahren, die in verschiedenen Gruppen und Konstellationen pro Spielzeit drei bis vier Theaterproduktionen entwickeln. Fertige Stücke erwachsener Autor*innen werden hier allerdings so gut wie nie inszeniert. „Wir legen sehr viel Wert darauf, dass man erst mal als Ensemble zusammenfindet und den ganzen Prozess durchläuft, an dessen Ende dann eine richtig professionelle Theateraufführung steht. Wichtig ist, dass man sich sowohl theatral ausprobiert, ganz viel lernt und experimentiert und sich als Gruppe intensiv mit einem Thema befasst.“ Neben dem partizipativen Aspekt kommt dies auch der Kunst zugute, ist Nathalie Forstmans Erfahrung. Die Theaterarbeit profitiert davon, dass Jugendliche einfach näher an ihren eigenen Themen dran sind als Erwachsene, die über sie schreiben.
Gerade hat „Like a virgin“ Premiere gefeiert, ein „Schmusical“, in dem es um Pubertät, um Aufklärung zu Sexualität und sexueller Identität geht. Oft ein rotes Tuch für Jugendliche. Hier stammen viele der literarischen Texte von den Spieler*innen selbst. Dafür ist Nathalie Forstman gemeinsam mit ihrer Kollegin Christiane Renziehausen auch ungewöhnliche Wege gegangen. Sie richteten eine E-Mail-Adresse ein, von der aus die Jugendlichen anonym schreiben konnten. „Und tatsächlich sind darüber einige sehr interessante Anstöße gekommen“, berichtet die künstlerische Leiterin, der es wichtig ist, das Theater mit Jugendlichen als eigene Kunstform zu stärken.
Neben der Kunst ist dem Theater für junges Publikum auch die Soziokultur wichtig, beziehungsweise immer wieder Jugendliche zu erreichen, die von selbst nicht in das schöne Haus am Goetheplatz kommen würden. „Wir sind seit zehn Jahren dabei, die Gruppe derjenigen zu erweitern, die unser Angebot überhaupt wahrnehmen. Dafür unternehmen wir viele unterschiedliche Dinge. Wir versuchen, jede Spielzeit ein Projekt in einem dezentralen Stadtteil durchzuführen und haben damit auch richtig gute Erfahrungen gemacht und tolle Projekte realisiert.“ Gemeinsam mit dem Bühnenverein und der ASSITEJ (Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche) realisiert „Junges.TheaterBremen“ eine Vielzahl an Projekten im Förderprogramm „Kultur macht stark“ in den verschiedenen Sozialräumen. Was Nathalie Forstman dabei besonders beglückt, ist, dass diese Stadtteilprojekte immer wieder dazu führen, dass Teilnehmer*innen anschließend von sich aus zum Theater kommen und die Angebote am Haus nutzen. Dies immer wieder zu erreichen, sieht die Regisseurin als eine der Hauptaufgaben des Kinder- und Jugendtheaters und will sich da auch nicht auf bereits Erreichtem ausruhen. „Wir müssen schauen, dass wir Angebote etablieren, die für alle offen sind. Es reicht nicht zu sagen, wir sind für alle offen. Es gibt so viele Barrieren, derer man sich erst mal bewusst werden muss, um sich dann aktiv weiter verbessern zu können.“
Was das junge Theater Bremen als Ort auf jeden Fall attraktiv macht, ist zum einen, dass es auch ein offenes, unverbindliches Angebot gibt, bei dem man einfach vorbeischauen kann, ohne sich zur regelmäßigen Teilnahme zu verpflichten. Das ist besonders für Jugendliche, für die der Theaterbesuch eine Grenzüberwindung darstellt, ein gern genutztes Angebot. Zum anderen ist das Haus auch über die Jahre zu einem Ort gewachsen, an dem sich junge Menschen treffen. Es ist eine richtige Theater-Community aus ganz diversen Jugendlichen gewachsen, die sich egal zu welchem Anlass trifft. „Ich glaube, dass sich die meisten Jugendlichen hier sehr wohlfühlen“, sagt Nathalie Forstman. „Weil man tatsächlich aktiv etwas gestaltet, wenn man eine Produktion macht und sich mit Gleichgesinnten austauscht.“ Auch in der Begegnung mit Erwachsenen steht das gemeinsame Interesse am Theater im Vordergrund. Am Bremer Theater kann man auch einfach mal ganz ungezwungen mit Mitgliedern des professionellen Ensembles fachsimpeln, Techniker*innen zu Beleuchtungsfragen ausquetschen oder mit der Theaterleitung ins Gespräch kommen. „Ich glaube, es gibt wirklich wenig Räume in unserer Gesellschaft, in der sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene so sehr gleichberechtigt begegnen wie hier“, erzählt die künstlerische Leiterin der Jungen Akteur*innen.
Mit einem weinenden Auge sieht sie aber auch, dass vieles von dem, was das Theater Bremen für Kinder und Jugendliche so wichtig macht, in Zeiten der Corona-Krise plötzlich nicht mehr sein darf. Selbst wenn Proben und Aufführungen mit Abstand stattfinden dürfen − so der Stand im Oktober 2020 −, fällt eben die zufällige Begegnung und das gemeinsame Abhängen weg. „Kinder und Jugendliche kommen ja nicht nur zum Theatermachen hierhin. Das ist ja nur ein Teil dessen, wieso man bei den Jungen Akteur*innen mitmacht. Dieses Ganze in der Pause rumhängen, sich gegenseitig die Haare flechten etc., das müssen wir hier alles unterbinden.“ Und auch die Sache mit dem offenen Angebot, bei dem man einfach spontan vorbeikommen durfte, lässt sich zurzeit nicht realisieren. Jetzt muss man sich aus Hygienegründen bis zu einer bestimmten Frist anmelden – eine Barriere, die für etliche Jugendliche zu hoch ist. „Ich glaube, dass gerade für ältere Jugendliche, für die Ausgehen eine große Rolle spielt, viele Orte einfach wegfallen im Moment. Und wenn man sich irgendwo trifft, ist es immer alles mit so einem ‚eigentlich darf man nicht und eigentlich müsste ich Abstand halten’ verbunden“ erzählt Nathalie Forstman.
Wenn es weniger Orte für Jugendliche gibt, kommt der Schule noch eine wichtigere Rolle zu, ist die Regisseurin überzeugt. Um die Schule wieder zu einem Ort zu machen, an dem nicht alles auf die Wissensvermittlung in den Kernfächern reduziert ist, hat „Junges.TheaterBremen“ daher ein Bündnis mit einem Tanzwerk und einer Medienwerkstatt geschlossen und in Bremer Schulen ein Pilotprojekt gestartet. Drei Stunden die Woche kommt die Kulturelle Bildung in die Schulen und die Schüler*innen lernen sich mit Theater, Tanz, Trickfilm oder Schablonenkunst auszudrücken. Ein Pilotprojekt, das hoffentlich viele Nachahmer findet, denn gerade in Zeiten, in denen Jugendliche viel Unsicherheit und Genervtheit erleben, mit massiven Frustrationen und Ängsten zurechtkommen müssen, ist der befreiende Effekt von Kultureller Bildung nicht zu unterschätzen.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 24 – 27.
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