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Testspiel
Interview

Testspiel

Im Gespräch mit Sarah Fartuun Heinze, Theaterpädagogin, Musikerin und Kulturvermittlerin

veröffentlicht:

„Hey, wir können Dinge auch einfach ganz anders denken.“ Ausprobieren, Brücken schlagen, um die Ecke denken, verweilen und wieder neu anfangen. Im Game als hierarchiearmer Begegnungsraum ist so vieles möglich: wo Utopien Kraft bekommen, Orte erfunden sind und alles ein großes Testspiel ist.

Sarah Fartuun Heinze ist Theaterpädagogin, Musikerin und Kulturvermittlerin. Kunst ist für sie die Möglichkeit, sich Welt zu erschließen und als Vermittlerin möchte sie Räume genau dafür für Kinder und Jugendliche schaffen. Ob im Game-Theater oder der Musik.

Was ist mit dem Begriff „Game“ gemeint und warum ist es sinnvoll, diesen zu nutzen?

Bei Games liegt der Fokus auf digitalen Spielen. Ich würde analoge Spiele da nicht ausschließen, aber der Begriff Games liegt näher an der medialen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, die wir mit unseren Angeboten erreichen wollen. Vor dem Hintergrund der interdisziplinären Diskurse ist es wichtig, wenn wir im Kontext von Kultureller Bildung aber von Spiel sprechen und auch den Bezug zum Theater zu sehen, dem Game-Theater, denn da sind die Assoziationen noch einmal andere. Ich denke da z. B. an Theaterspiele und v. a. auch an analoge Spiele. 

Erst beim Testspiel merke ich, was funktioniert und was nicht. Auf die reale Lebenswelt übertragen heißt das: Es geht nicht darum, ob ein Vorgehen richtig oder falsch ist, sondern darum zu reflektieren, welche Entscheidungen ich warum treffe. 

Sarah Fartuun Heinze  

Spiel ist eines der zentralen Bedürfnisse und Ausdrucksformen von Kindern und Jugendlichen, mit denen sie sich die Welt erschließen. Wie hat sich das durch „Games“ weiterentwickelt?

Durch Games werden viele Fähigkeiten geschult, sei es dadurch, Rätsel zu lösen, Situationen zu analysieren oder Reflexe zu trainieren. Diese Möglichkeitsräume eröffnen den Jugendlichen andere Perspektiven ihrer Lebenswelt, ihrer selbst. Ob Brettspiele, Strategiespiele, Rollenspiele, Kochspiele, Ballerspiele oder atmosphärische Erzählspiele und Theater Games – Games sind ein ganz weites, farbenreiches Feld. Für mich selbst als Nutzerin sind Games darüber hinaus auch Orte des Eskapismus, sie sind Pausenorte. Die Welt lässt sonst wenig Raum für diese Pausen. Das Spielen kann eine revolutionäre Strategie sein, sich der Welt zu entziehen. Ich glaube, wir alle haben Strategien, mit dieser fordernden, komplexen, gewaltvollen Welt irgendwie umzugehen. Für manche ist das Spazierengehen oder Sport, für andere Games oder Bücher, für wieder andere (Lohn-)Arbeit oder Beziehungen. In der kindlichen Lebenswelt können Games Orte, sein, wo Utopien in die Gegenwart hineinragen, es sind andere Orte, die nach anderen Prämissen funktionieren und frei erfunden und teils unabhängig von den Ismen sind, in denen unsere Welt verhaftet ist. Es gibt ganz viele verschiedene Welten, in denen wir uns bewegen. 

Was heißt das für die Fachkräfte, die in der kulturellen Kinder- und Jugendbildung mit jungen Menschen arbeiten?

Der ganze Reiz an Games ist, dass sie Anlässe schaffen, dass sich Beteiligte als Expert*innen begegnen. Ich glaube, dass wir als kulturelle Bildner*innen auch zulassen sollten, dass wir zwar eine eigene Expertise haben, aber nicht die einzigen sind, sondern jugendliche Teilnehmer*innen auch eine Expertise haben. Und Games sind ein interessanter Anlass, um genau darüber in den hierarchiearmen Austausch zu kommen, die Perspektive zu wechseln – auch weg vom defizitären Blick auf Games und Gamer*innen.

Ich glaube, es braucht tatsächlich Mut und die Lust, sich auf eine Begegnung mit der eigenen Begrenztheit, der eigenen Perspektive einzulassen. Ich erlebe oft im Austausch mit externen Kolleg*innen fast schon so etwas wie eine Technik- oder Medienfeindlichkeit. Das eigene Wertesystem zu hinterfragen und sich auch darauf einzulassen, es noch mal transformieren zu können, wäre, glaube ich, ein Schritt in die richtige Richtung. Games sind einfach ein Teil der jugendlichen Lebenswelt. Und es macht Sinn, sie mit ihrem Potenzial auf eine wertschätzende Art und Weise, auf Augenhöhe mitzudenken. 

Junge Menschen sind vielfach Expert*innen für viele Zukunftsfragen und -techniken: Wie können Träger Kultureller Bildung sie in diesem Status bestärken? 

Was wir gerade in Zeiten von Corona beobachten, ist, dass die Ressentiments oder die Ängste und Bedenken im Hinblick auf das Digitale in der Mehrheitsgesellschaft aufweicht. Hier weiterzudenken, das wäre ein interessanter Future-Ansatz. Mir als kulturelle Bildnerin geht es darum, Räume zu schaffen, in denen es möglich wird, sich selbst noch mal ganz neu zu begegnen und sich auch von fest gebackenen Vorstellungen von sich selbst zu verabschieden. Games bieten hier viele Optionen des Perspektivwechsels. Für mich ist jeder Mensch ein*e Künstler*in. Kunst ist immer eine Behauptung und ein Gesprächsangebot. Darin liegt ein selbstermächtigender, empowernder Moment.

Mir als kulturelle Bildnerin geht es darum, Räume zu schaffen, in denen es möglich wird, sich selbst noch mal ganz neu zu begegnen und sich auch von fest gebackenen Vorstellungen von sich selbst zu verabschieden. Games bieten hier viele Optionen des Perspektivwechsels.

Sarah Fartuun Heinze

Was brauchen Ihrer Ansicht nach Kinder und Jugendliche, um für die Zukunft gewappnet zu sein? Ist Game-Theater dafür ein gutes Zukunftslabor?

Spiele bieten zahleiche Möglichkeiten des Ausprobierens. Es geht darum, Brücken zu schlagen und zu zeigen, was auf einer Theaterbühne alles möglich ist, zu sagen: Hey, guck mal, wir können die Dinge auch einfach ganz anders denken. Game-Theater ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da es dabei ganz viele Anlässe gibt, ins Ausprobieren zu kommen. Game-Theater ist ein Forschungsfeld, ein Labor, denn wir kommen dabei nicht ohne Testspiele aus – wie auch Games nicht ohne Beta-Test auskommen. Erst beim Testspiel merke ich, was funktioniert und was nicht. Auf die reale Lebenswelt übertragen heißt das: Es geht nicht darum, ob ein Vorgehen richtig oder falsch ist, sondern darum zu reflektieren, welche Entscheidungen ich warum treffe. Dafür ist Game-Theater ein tolles Spielfeld. 

Könnten Sie vielleicht am Ansatz des Game-Theaters beschreiben, wie Sie diese Ideen umsetzen? 

Game-Theater ist kollektivierter als Theater. Du musst nicht Dramaturgie studiert haben, du musst kein*e Regieassistent*in sein, du musst nicht Theaterwissenschaften studiert haben. Game-Theater ist daher niederschwellig. Jede*r kann in diesem Begegnungsraum sofort mitspielen und in den Austausch darüber gehen, wie Rätsel funktionieren und wie ein Game aufgebaut ist, was langweilig am Game-Theater ist oder warum es Spaß macht. Es ist spannend, sich wertungsfrei über Wahrgenommenes auszutauschen und darüber, wie sich Wahrnehmungen konstituieren. Beim Game-Theater ändert sich die Perspektive, auch auf die Möglichkeitsräume von Theater. Theater bedeutet nicht immer: A spricht zu B und C schaut zu. Das Publikum sind die Schauspieler*innen und die Schauspieler*innen sind die Performer*innen. Das ist auch im Kontext Kultureller Bildung relevant, Games anschlussfähig an einen etablierten, scharf geführten Diskurs von Theater zu machen. 

Games sind einfach ein Teil der jugendlichen Lebenswelt. Und es macht Sinn, sie mit ihrem Potenzial auf eine wertschätzende Art und Weise, auf Augenhöhe mitzudenken.

Sarah Fartuun Heinze

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunft – jetzt utopisch gerecht No. 19, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 19-2020. Berlin. S. 59 – 60.

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