Selbstbewusstsein für Südost
Projekt „Beteiligungsprogramm Südost“, Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (.lkj) Sachsen-Anhalt, Magdeburg
Projekt „Beteiligungsprogramm Südost“, Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (.lkj) Sachsen-Anhalt, Magdeburg
von Kathrin Köller
Entstanden ist die Hoffnung auf eine aktive und selbstbestimmte Zukunft für einen Stadtteil Magdeburgs, der in der Gegenwart wenig Perspektive sieht und mit Sehnsucht auf seine Vergangenheit schaut, die sich nicht zurückholen lässt.
Es ist durchaus schön im Magdeburger Stadtteil Südost: Ein sehr naturverbundener Kiez, grün, es gibt viel Platz, Raum für Kinder und Jugendliche und es könnte ein guter Ort sein zum Aufwachsen, sich Ausprobieren und Austoben. Aber Magdeburg Südost ist ein sogenannter „abgehängter Stadtteil“. Vor der Wende gab es hier Industrie und darauf waren die Anwohner*innen auch stolz. Heute ist der Leerstand groß, es gibt kaum Läden und Infrastruktur, keinen Jugendclub und um in die nächste weiterführende Schule zu gelangen, müssen Kinder und Jugendliche erst mal zwei weitere Bezirke durchqueren. Viele gehen. Wer bleibt, hat sich damit abgefunden, dass hier „eh nichts läuft“.
Sofia Helfrich, die zum Studieren nach Magdeburg kommt, mag sich damit nicht abfinden. Sie findet Magdeburg insgesamt eine spannende Stadt, weil „hier viel passiert, viel in Bewegung ist und man vor allem auch noch ganz viel selbst machen kann“. Mit dieser Einstellung schlägt sie auch in Südost auf. Hier hat die .lkj) Sachsen-Anhalt, der Landesverband für Kulturelle Bildung, einen Kiezladen eröffnet und möchte gerne herausbekommen, was die Anwohner*innen selbst möchten. Keine ganz einfache Aufgabe bei Menschen, für die Kulturelle Bildung unbekanntes Terrain ist und die selten danach gefragt werden, was sie sich für sich selbst und ihren Stadtteil wünschen. Der LKJ ist es gerade deshalb wichtig, Beteiligung und Eigenverantwortung der Anwohner*innen anzuregen und nicht als Helikopter-Projekt zu agieren, das mal kurz in einen Stadtteil reingeht, irgendetwas veranstaltet und sich dann nach Ablauf der Projektzeit wieder verabschiedet. Vernetzung mit lokalen Initiativen und Offenheit für das, was von den Menschen selbst kommt, sind zentral.
Als Teil ihrer Bachelorarbeit plant Sofia Helfrich für die .lkj) Sachsen-Anhalt daher eine Befragung der Anwohner*innen von Südost. Am Ende sollen die Anwohner*innen gemeinsam einen Namen und ein Logo für den Kiezladen gefunden haben. Aber die Studentin will noch mehr. Sie möchte, dass „die Anwohner*innen mit neuen Perspektiven auf ihren Stadtteil blicken und darüber, dass sie sich mit dem Jetzt, mit dem Ist-Zustand beschäftigen, auch über die Zukunft ihres Stadtteils nachdenken“.
Sie hat sich viel vorgenommen und alles wissenschaftlich-methodisch genau vorbereitet. Doch zunächst kommt kaum jemand in den neuen Stadtteilladen, den die .lkj) Sachsen-Anhalt zur Zwischennutzung gemietet hat. Sofia Helfrich lässt sich davon nicht entmutigen und spricht die Anwohner*innen auf der Straße an, lädt sie ein in das Projekt und erlebt eine große Aufgeschlossenheit. „Je mehr ich das gemacht habe, desto besser hat das auch funktioniert und wenn die Leute einmal im Laden waren, dann sind sie auch wiedergekommen. Aber es gab so eine Hemmschwelle und ich glaube, dass es diese Hemmschwelle auch in Hinblick auf Methodenarbeit gibt. Also habe ich mir überlegt, die Methoden runterzubrechen, sodass es mehr wie ein normales Gespräch wirkt“, erklärt die Studentin.
Sofia Helfrich überlegt, wie sie sich selbst beispielsweise bei Auslandsaufenthalten neue Orte erschließt. Erstens, sie liest viel über den jeweiligen Ort und zweitens, sie unternimmt ausgiebige Spaziergänge, um sich zu Fuß ein Gefühl für die Gegend zu erlaufen. Diese beiden Erkenntnisse überträgt sie auf die Situation der Anwohner*innen, die ihren Bezirk ja auch noch einmal neu erkunden könnten. Es ist durchaus viel geschrieben worden über Magdeburg Südost, es gibt Studien und Zeitungsartikel über den „abgehängten Bezirk“. Die 24-Jährige pappt diese Artikel auf eine Moderationswand und konfrontiert die Besucher*innen mit den oft unschmeichelhaften Texten. Sie erhofft sich, dass der Blick der Anderen auf ihren Bezirk die Leute herausfordert, sich auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. Das klappt, wenn auch nicht wie ursprünglich geplant, mit Moderationskarten, sondern im Gespräch. Anschließend machen sie sich gemeinsam auf einen Foto-Spaziergang durch Südost und die Anwohner*innen werden dabei in ihrer Rolle als Expert*innen für den Bezirk Südost bestätigt. Schließlich kennen sie sich am besten aus. Das für sich zu erkennen und dieses Wissen, was den Stadtteil ausmacht, auch als etwas Wertvolles zu begreifen, ist ein wichtiger Schritt. Die junge Akteurin hofft, dass aus diesem Wissen und der Auseinandersetzung der Menschen mit ihrem Bezirk langfristig ein Engagement für dessen Zukunft erwächst.
Meine Hoffnung ist, dass durch die Auseinandersetzung eine Wertschätzung entsteht und die Anwohner*innen mit dem öffentlichen Bild vom Stadtteil brechen und darüber nachdenken, wenn der Stadtteil das, was er mal war, nicht mehr sein kann, dann kann er ja auch etwas Neues werden. Die Voraussetzung dafür ist Selbstbewusstsein.
Sofia Helfrich
Was das sein könnte, das findet die .lkj Sachsen-Anhalt jetzt gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen, aber auch älteren Anwohner*innen des Kiezes zusammen heraus. Denn eine der Erkenntnisse, die Sofia Helfrich in ihrer inzwischen abgeschlossenen Bachelorarbeit gewonnen hat, lautet, dass eine gelungene Zukunftsentwicklung alle Generationen einschließt. Inzwischen hat sich im Kieztreff ein Nachbarschaftscafé etabliert. Jetzt im Sommer und unter erschwerten Bedingungen arbeiten die Kinder gemeinsam mit Künstler*innen an einer Straßengalerie, auf der sie ihre Zukunftsvisionen verbildlichen. Jugendliche und Erwachsene spekulieren gemeinsam auf dem Zukunftsspielplatz darüber, wie das Leben in der Zukunft aussehen könnte, und im UtopiaLab werden verschiedene Roboter per Smartphone gesteuert, um Zukunftsbilder auf die Straße zu werfen.
Sofia Helfrich ist dankbar, dass sie Menschen aus dem Stadtteil auf ihrem Weg in die Zukunftsfindung ein Stück begleiten durfte. Sie selbst wird sich nach abgeschlossener Bachelorarbeit Fragen zu ihrer eigenen Zukunft stellen. Aber die Samen, die sie durch ihre sehr persönliche und flexible Herangehensweise gesät hat, gehen nachhaltig auf. Die .lkj Sachsen-Anhalt ist glücklich über die Erfahrung, dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht nur als Teilnehmer*innen, sondern auch als junge Aktive in der Kulturellen Bildung eine zukunftsweisende Rolle spielen können. Durch ihren Anschub geht die Findung in Südost heute umso besser weiter.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunft – jetzt utopisch gerecht No. 19, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 19-2020. Berlin. S. 51-62.
Die Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Sachsen-Anhalt ist der Dach- und Fachverband im Land Sachsen-Anhalt für kulturelle Kinder- und Jugendbildung, kulturelle Freiwilligendienste im In- und Ausland sowie Breitenkulturarbeit und Soziokultur. In der LKJ sind landesweite Fachverbände der Kinder- und Jugendkulturarbeit sowie kulturelle Einrichtungen mit landesweiter Bedeutung als Mitglieder organisiert.
Die LKJ will die Interessen ihrer Mitglieder auf politischer und fachlicher Ebene vertreten und die Förderung der Kulturellen Bildung und soziokulturellen Angebote sichern und verbessern. Neue Impulse für die fachspezifische Arbeit werden entwickelt und mit internationalen Jugendkultur-Projekten ein Beitrag für Weltoffenheit und Toleranz, gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt geleistet.
Brandenburger Straße 9
39104 Magdeburg