Schutzkonzepte als gelebte Praxis
Im Gespräch mit Prof.in Dr.in Mechthild Wolff
Im Gespräch mit Prof.in Dr.in Mechthild Wolff
Prof.in Dr.in Mechthild Wolff ist Studiengangsleiterin des Studiengangs Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe an der Fakultät Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut. Sie leitete das Teilprojekt zu Schutzkonzepten in der Jugendverbandsarbeit bei „SchutzJu – Schutzkonzepte partizipativ entwickeln“ am Standort Landshut.
Foto: M. Kampert
Leider erlebe ich es sehr oft, dass viele Menschen zunächst Widerstände gegenüber dem Gedanken zeigen, dass Erwachsene, seien es pädagogische Fachkräfte oder z. B. ehrenamtliche Jugendgruppenleiter*innen, ihre Macht gegenüber Kindern und Jugendlichen ausnutzen oder gewalttätig werden könnten. Die Erfahrung zeigt leider: Spätestens im Ernstfall wird deutlich, wie bedeutsam präventive Schutzkonzepte sind. Es ist deshalb wichtig, auch mit skeptischen Akteur*innen im Gespräch zu bleiben und aufzuzeigen, welchen Mehrwert Schutzkonzepte bieten. Sobald sich Vereine oder Einrichtungen auf die Frage einlassen: „Könnte das bei uns auch passieren?“ eröffnen sich neue Perspektiven. Dann beginnen sie zu verstehen, dass es sinnvoll sein könnte, eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen.
Von zentraler Bedeutung ist es, den Nutzen eines Schutzkonzeptes deutlich zu machen, zum Beispiel wenn es noch keine bestehenden Strukturen, wie Vertrauenspersonen oder externe Beschwerdemöglichkeiten gibt. Bestehende Lücken können von Trägern ein Anstoß sein, sich mit dem Thema Beschwerde zu beschäftigen. Eine grundsätzlich aufgeschlossene Einstellung zum Thema beeinflusst dabei die Entwicklung von Schutzkonzepten und ein interessierter und fachlicher Austausch kann dabei helfen, Widerstände aufzubrechen und Reflexionsprozesse anzuregen. Hinzukommt, dass natürlich auch die rechtlichen Entwicklungen motivierend wirken können. Mittlerweile sind Schutzkonzepte in vielen Bereichen verpflichtend. Aber es geht nicht nur um die gesetzliche Verankerung, sondern um die professionelle Grundhaltung von Fachkräften: Wie gehen sie mit dem Risiko um, dass Gewalt in unterschiedlichster Form Teil der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen sein kann? Viele Verbände haben Schutzkonzepte aufgrund ihres professionellen Selbstverständnisses auch ohne Pflicht umgesetzt. Letztlich ist die Erarbeitung eines Schutzkonzepts eine Verantwortung, die all diejenigen betrifft, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.
Ein Schutzkonzept, das nur von Erwachsenen am Schreibtisch entwickelt wurde, funktioniert nicht.
Prof.in Dr.in Mechthild Wolff
Einrichtungen und Trägern muss es gelingen, die Maßnahmen – und das müssen gar nicht so viele sein – so in den Alltag zu integrieren, dass sie nicht als abgehakte Punkte auf der To-Do-Liste ihre Bedeutung verlieren. Vielmehr sollten sie als selbstverständliche Instrumente in den Alltag und die bestehenden Strukturen eingebunden werden. Ich bezeichne das als „selbstverständliche Achtsamkeit“. Dafür müssen alle sensibilisiert sein und alle Beteiligten müssen gut informiert sein, was sie selbst zur Umsetzung des Schutzkonzepts beitragen können. In peer-orientierten Strukturen, z.B. in Jugendverbänden, in denen junge Erwachsene Gruppen leiten oder als Vorstände tätig sind, entstehen zusätzliche Herausforderungen – etwa dadurch, dass Rollen verschwimmen können. Das ist ein möglicher Risikofaktor, der mitbedacht werden muss.
Die Beschäftigung mit den Themen Prävention und Schutz vor sexualisierter Gewalt kann auch einschüchternd wirken. Schutzkonzepte sollten als stetiges Thema zirkulieren, ohne zu große Hürden darzustellen und ohne in eine Banalität abzurutschen – das ist die große Kunst.
Träger sollten ihr Schutzkonzept sichtbar machen, z.B. sollten sie auf der Webseite oder im Eingangsbereich der Einrichtung darüber informieren. Es muss auch immer wieder auf die Agenda, z.B. bei Mitglieder- oder Teamversammlungen. Regelmäßig sollten die Präventionsmaßnahmen eines Schutzkonzepts mittels kurzer Befragungen evaluiert werden und gemeinsam sollte man überlegen, welche Erfahrungen man damit gemacht hat. Dann ist schon viel getan.
Unsere partizipative Haltung fußt auch auf den Ergebnissen einer Befragung, die wir mit der Universität Hildesheim durchgeführt haben. Dabei haben wir in zahlreichen Jugendverbänden erhoben, inwieweit junge Menschen bisher tatsächlich in die Entwicklung von Schutzkonzepten eingebunden wurden. Das Ergebnis war ernüchternd: In den allermeisten Fällen gab es kaum Beteiligung. Genau an diesem Punkt setzt unser Projekt „SchutzJu“ an: Schutzkonzepte müssen nicht nur für junge Menschen da sein, sondern mit ihnen gemeinsam entwickelt werden. In diesem Kontext haben wir das PaCoPro-Toolkit entwickelt – ein digitales Set an Methoden und Materialien, welches jungen Menschen dabei helfen soll, selbst aktiv ein Schutzkonzept für ihre Gruppe zu gestalten. Das Toolkit enthält unter anderem Poster, Checklisten, kleine Spiele und zwei Kartensets, die als Reflexionsimpulse in der Gruppe anregen sollen: Wer ist eine Person des Vertrauens? Wie verhalten wir uns, wenn etwas passiert? Welche Rechte haben alle in der Gruppe und wie können sie eingehalten werden?
Es geht nicht nur um Partizipation – es geht um Selbstbestimmung. Junge Menschen stehen im Mittelpunkt der Schutzkonzepte. Sie sollten sich das Thema im besten Fall eigenständig erschließen, miteinander diskutieren, eigene Ideen entwickeln und gemeinsam Verantwortung füreinander übernehmen. Solche Dinge können gemeinsam in der Peer Group ausgehandelt werden – spielerisch und auf Augenhöhe. Das entlastet Erwachsene allerdings nicht von ihrer Verantwortung.
Ein Schutzkonzept, das nur von Erwachsenen am Schreibtisch entwickelt wurde, funktioniert nicht. Die Rolle von Erwachsenen und Fachkräften besteht vor allem darin, im Hintergrund zu bleiben und nicht vorzugeben, was richtig und was falsch ist. Trotzdem haben sie die Aufgabe, einen sicheren Rahmen zu schaffen – also einen Schutzraum zu bieten, Strukturen zu geben und bei Bedarf zu unterstützen.
Der richtige Weg ist: Junge Menschen als Expert*innen ihres eigenen Alltags ernst nehmen, ihnen zuhören, sie mitentscheiden lassen und ihnen ermöglichen, Schutz für sich selbst zu gestalten.
Interview: Rebecca Kisch; Text: Nina Hennecken