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Schule ändern, damit echte Teilhabe passiert
Interview

Schule ändern, damit echte Teilhabe passiert

Interview mit Wolfgang Pruisken

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In diesem Interview gibt Wolfgang Pruisken einen Einblick darüber, wie sich die Kooperationslandschaft zwischen Ganztagsschulen und Kinder- und Jugendzirkussen entwickelt hat und welche Rahmenbedingungen es braucht, um Bildungs- und Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche zu verbessern.

Wolfgang Pruisken ist Vorsitzender der LAG Zirkus Niedersachsen, Vorstand der BAG Zirkuspädagogik, Präsident der European Youth Circus Organization (EYCO) und Vorsitzender des Netzwerks für Zirkuskünste CircO Hannover e. V.

Welche Fragestellungen haben Sie an Kulturelle Bildung und Ganztag?

Mich hat immer schon beschäftigt, inwieweit Kulturelle Bildung in der Schule so praktiziert werden kann, dass echte Teilhabe von Kindern und Jugendlichen passiert. Wie passt das wirklich ins System Schule und inwieweit muss Kulturelle Bildung additiv bleiben, weil Schule – so wie sie in den meisten Fällen arbeitet und durch die vorgegebene Fächerstruktur – Teilhabe von Kindern und Jugendlichen nur geringfügig ermöglichen kann?

Ganz klassisch lässt sich das anhand von sogenannten Schulprojekten beobachten, die ja dazu da sind, auch mal anders zu arbeiten. Wenn man das dann macht, dann glauben die Schüler dir das erst einmal nicht. Weil das ja Schule ist, im gleichen Gebäude, weil man dann auch einen Art Lehrer ist. Das beschäftigt mich. Die logische Folge für mich ist, das die Schule geändert gehört und zwar gewaltig.

Haben Sie im Rahmen der Tagung neue Ansätze und Impulse gefunden für Ihre Fragestellung?

Ja. Luise Meergans vom Deutschen Kinderhilfswerk hat unsere Fragen ganz radikal auf die Kinderrechte reduziert. Sie hat gesagt, dass die Kinderrechte nicht gelebt werden. Sie werden in der Schule und auch außerschulisch nicht gelebt. Es gibt viele Zirkuspädagogen, die sagen, Zirkus an sich ist schon partizipativ, was aber nicht stimmt. Ich kann einen Inhalt wie Akrobatik genauso restriktiv unterrichten wie alles andere auch, z. B. wie im Leistungssport, wo es nicht um Teilhabe von Kindern und Jugendlichen geht. Meine Mission ist es also jetzt, dafür zu sorgen, dass wir in unserem Bundesverband über Kinderrechte sprechen und reflektieren wie wir diese in unserer Arbeit auch umsetzen.

Kooperationen mit (Ganztags-)Schulen gehören zum Kerngeschäft von Kinder- und Jugendzirkussen. Wie hat sich diese Landschaft durch Kooperationen entwickelt?

Am Anfang gab es in Niedersachsen an vielen Gesamtschulen Zirkusprojekte als Teil des Ganztagsangebots, als AG, die die Lehrer umgesetzt haben. Wir hatten alle dasselbe Verständnis, dass das Projekt von Schule getrennt ist, mit eigener Verantwortung der Schüler. Mittlerweile gibt es viel mehr außerschulische Projekte, mit denen kooperiert wird. Zirkus bedeutet Selbstbestimmung, da wird den Kindern kein Curriculum vorgesetzt. Jetzt mit der Ganztagsschulentwicklung beobachte ich zunehmend, dass es mehr als Kursangebot umgesetzt wird. Der Bedarf ist sehr groß. Wir machen in Hannover allein an 16 Grundschulen Nachmittagskurse. Eine Aufführung ist immer das Ziel. Die Kurse haben aber jetzt einen anderen Charakter als die AG, die ich immer geleitet hatte. Das waren immer heterogene Gruppen, Kinder von 10 bis 18 Jahren, die was zusammen gemacht haben und jetzt erlebe ich sehr häufig, dass es in den Kursen altershomogene Gruppen sind. Als AG hatten wir eine gelebte Kultur. Man konnte sechs Jahre dabei sein. Das ist der Unterschied zu einem Kursangebot, das ein halbes Jahr oder nur eine Woche geht.

Wie kann die Ganztagsbildung unter Berücksichtigung von kinder- und jugendgerechten Perspektiven gelingen?

Ich versuche das aus der Sicht der Kinder zu sehen. Für sie ist das ein Highlight, auch wenn Zirkus in Schule passiert. Hier haben sie einfach Zugang. Sie wollen eine Vielfalt und Zirkus lebt ja auch von der unterschiedlichen Angebotsvielfalt. Man kann sich aussuchen, was man macht. Eine Gefahr sehe ich nur dann, wenn es kursmäßig gemacht wird und die außerschulischen Angebote die Arbeitsweise von Schulen übernehmen. Ich hätte gern, dass die Schule mehr nach solchen Prinzipien wie die Kulturelle Bildung arbeitet, z. B. Partizipation. Der Chef des Lernprozesses sollten die Kinder selber sein.

Es muss sichergestellt werden, dass Schulen mit Ganztagsangebot auch Freiräume lassen. Das bedeutet auch, dass wir als außerschulische Partner diese einfordern müssen. Dass wir uns nicht der Logik der Schule unterwerfen. Das ist nicht ganz so einfach, weil Schule auch dazu neigt, kontrollierbar, überschaubar, abfragbar zu sein.

Welche  Rahmenbedingungen braucht es, um Bildungs- und Teilhabechancen zu verbessern?

Das worüber wir sprechen, muss auch Teil der Basisausbildung von Lehrern und Lehrerinnen sein. Da ist immer noch die Fächerorientierung im Vordergrund. Ich stelle mir eine Basisausbildung mit den Grundlagenfragen der Pädagogik vor. Und dann aufbauend ein Fachstudium. Auch die räumlichen Voraussetzungen in Schulen müssen verändert werden. Es muss kreativ sein. Da bin ich tatsächlich etwas pessimistisch, weil ich als Lehrer lange mit Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet habe, die das gar nicht denken. Für sie sind ihre Fächer das, was sein muss – Deutsch und Mathe und Englisch. Eigentlich wäre so viel möglich. Die Ressourcen für ein selbstorientiertes Lernen sind ja eigentlich alle da. Zum Beispiel durch die Digitalisierung. Wenn man die Motivation von Kindern nicht so früh zerstören würde.

Das Interview ist anlässlich der Fachtagung der BKJ „Perspektiven wechseln. Chancen schaffen“ am 17. März 2018 in Remscheid aufgenommen und im Nachhinein verschriftlicht worden.

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