Raum schaffen für Begegnung
Im Gespräch mit Susanne Rehm und Lenin Kazoba
Im Gespräch mit Susanne Rehm und Lenin Kazoba
Interview: Kathrin Köller
Lenin Kazoba ist Direktor der Tanzania Youth Coalition (TYC), einer Nichtregierungsorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass die Stimme der Jugend in Tansania bei der politischen Entscheidungsfindung und der Entwicklung nationaler Jugendagenden einbezogen wird.
Susanne Rehm ist seit sechs Jahren Geschäftsführerin der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Baden-Württemberg.
Foto: Anna Spindelndreier
Lenin Kazoba: Die Person, die ich heute bin, die Dinge, an die ich glaube, meine Stärken, mein gesellschaftliches Engagement und meine berufliche Verantwortung sind alle durch meine eigene Austauscherfahrung als junger Mensch definiert worden. Ich möchte, dass auch andere junge Menschen in Tansania diese Chance erhalten.
Susanne Rehm: Ich bin davon überzeugt, dass es eine ganz wichtige Erfahrung ist, in eine andere Kultur eintauchen zu können und Land und Leute, Gepflogenheiten, Umgangsformen, Gebräuche, den Alltag kennenzulernen. Unterschiedliche Konzepte, Leben und Welt zu sehen und dies alles nicht gegeneinander aufzuwerten, das finde ich eine wichtige Erfahrung, die bei einer globalen Jugendbegegnung erlebbar wird.
Susanne Rehm: Eine unabdingbare Voraussetzung für einen solchen Austausch sind interkulturelle Trainings. Dabei spielt die Sensibilisierung für das eigene Tun und die eigenen Gewohnheiten eine große Rolle. Als Projektpartner haben wir zudem im Vorfeld miteinander über die Inhalte gesprochen und gemeinsam Ziele für die Vorbereitungstermine definiert, aber jeder von uns hat das dann eigenständig organisiert.
Lenin Kazoba: Während der Vorbereitungsphase hatten wir das Glück, einen Trainer zu haben, der die Kultur sowohl Deutschlands als auch Tansanias auf muttersprachlichem Niveau versteht. Dies machte für beide Seiten einen großen Unterschied. Kulturelles, sprachliches und kontextbezogenes Verständnis ist von größter Bedeutung. Dafür muss allerdings sichergestellt sein, dass eine qualitativ hochwertige Vorbereitung auch hier in Tansania finanziert wird, damit wir schon in der Vorbereitungsphase sowie später während der Begegnung qualifizierte Trainer*innen einbeziehen und auch bezahlen können. Außerdem ist es wichtig, das behandelte SDG auf für die lokalen Gemeinschaften erreichbare Entwicklungsziele herunterzubrechen und nicht in der globalen Abstraktion, in der es formuliert ist, zu belassen.
Susanne Rehm: Die Zeit vor der Beantragung war für uns die intensivste Zeit, weil wir da sehr genau abgeklärt haben, was für Ziele wir verfolgen, wie wir diese erreichen wollen, was unsere pädagogischen Ansprüche sind, welche Rolle für uns die Partizipation der Teilnehmenden spielt etc. In dieser Vorbereitungsphase war für uns Projektleitungen die Netzwerkveranstaltung der BKJ extrem hilfreich, weil wir uns da persönlich treffen und sehr konzentriert arbeiten konnten. Außerdem waren wir dort im Kontakt mit anderen, die ähnliche Projekte planten. Da stößt man immer wieder auf Punkte, an die man noch gar nicht gedacht hat.
Susanne Rehm: Es ist wichtig, dass man ein Thema hat, an dem man gemeinsam arbeitet, und dass es zwischen den Projektträgern eine Verständigung darüber gibt, was im zwischenmenschlichen und interkulturellen Bereich erreicht werden soll. Das sind die beiden Hauptstränge, an denen entlang man sehr gut so ein Programm entwickeln und organisieren kann. Daneben haben wir als Projektpartner aber auch die Verabredung getroffen, dass wir möglichst viel mit den Teilnehmenden selbst entwickeln wollen und ihnen auch Entscheidungen selbst überlassen. Das verlangte von uns ein großes Maß an Flexibilität.
Lenin Kazoba: Die Tanzania Youth Coalition arbeitete schon an vielen Aspekten der Umsetzung der SDGs, bevor sie überhaupt von den Vereinten Nationen als SDGs benannt wurden.
Auf deutscher Seite nehmen wir wiederum wahr, dass die SDGs von jungen Menschen nicht vollkommen angenommen oder als rein afrikanisches Problem gesehen werden.
Lenin Kazoba
Daher gibt es eine kontroverse Debatte in Afrika darüber, dass die SDGs immer noch die ungleiche Sicht und das „wir“ und „ihr“ der vorangegangenen Millenium Development Goals (MDGs) reproduzieren. Diese verschiedenen Perspektiven auf das von uns bearbeitete SDG haben sich auch während des Projekts gezeigt. Durch das von uns gemeinsam geplante Set Up war es den jungen Teilnehmer*innen aber möglich, stereotype Vorstellungen übereinander und in Bezug auf das SDG abzubauen.
Susanne Rehm:
Essenziell ist auch, dass man das Projekt gemeinsam auf die Beine stellt, jede*r einen Teil der Verantwortung für das Projekt übernimmt und das auch für die Teilnehmenden sichtbar wird. Die Entscheidungs- und die Organisationskompetenz vor Ort liegt beim jeweiligen lokalen Partner.
Susanne Rehm
Susanne Rehm: Ein Thema, das tatsächlich sehr sensibel ist, ist das der Finanzierung. Gerade wenn es um ein Projekt von Deutschland mit Ländern des Globalen Südens geht, dann ist es in der Regel so, dass das Gros der Mittel und bei manchen Projekten auch alle Mittel aus Deutschland kommen. Dadurch hat man eine Doppelrolle. Einerseits arbeitet man partnerschaftlich mit dem jeweiligen Träger aus dem anderen Land zusammen und andererseits ist man gegenüber den Förderern die hauptverantwortliche Stelle. Und man muss auch manchmal seine partnerschaftliche Rolle verlassen und klare Anforderungen formulieren. Man muss quasi mit zwei unterschiedlichen Zungen sprechen und da braucht man eine sehr gute gemeinsame Ebene und auch ein Verständnis für solche Projektabläufe bei der Partnerorganisation.
Lenin Kazoba: Da wir als Partner im Globalen Süden nicht über die Mittel für Ausgaben bei uns vor Ort verfügen können und diese für den Begegnungsteil hier nicht verwalten dürfen, wäre dabei auch zu hinterfragen, ob die weltwärts-Förderlinie wirklich dem eigenen Anspruch einer gleichberechtigten Behandlung gerecht wird.
Susanne Rehm: Die Prozesse der Gruppenbildung brauchen erst mal Zeit. Da sollte man in seinem Programm Gelegenheiten einbauen für Austausch, für Kommunikation und vor allen Dingen die Teilnehmer*innen immer wieder in neuen Konstellationen zueinander bringen. Dann haben wir für Tansania und für Deutschland festgestellt, dass die Art des Kommunizierens sehr unterschiedlich ist. Die jungen Leute aus Deutschland haben teilweise sehr selbstbewusst ihre Meinungen und Haltungen formuliert oder auch Kritik geäußert. In Tansania ist es sehr ungewöhnlich für junge Leute, sich so mitzuteilen und auch in einer großen Runde Dinge beizutragen. Da ist es wichtig, Sensibilität aufzubringen für die unterschiedlichen Arten zu kommunizieren und Dinge zu bewerten.
Susanne Rehm: Wenn wir als interkulturelles Team das Gefühl haben, die Konflikte könnten eine Ursache in unterschiedlichen Auffassungen haben, die aus der Kultur, der Religion, dem Rollen- oder Geschlechterverständnis herrühren, dann macht es Sinn, diese Dinge auch in der Gesamtgruppe nochmals anzusprechen. Wir würden dabei versuchen, der Gruppe verschiedene Perspektiven auf die jeweilige Situation zu öffnen, um so auch eine neue Lernerfahrung zu ermöglichen.
Lenin Kazoba: Die größten Herausforderungen lagen eigentlich auf der Ebene der Gruppenleitungen und der Referent*innen. Wir haben diese besprochen und – falls nötig – um Klärung gebeten. Die sich ergebenden Fragen behandelten wir gegenseitig höflich, wobei wir stets eher nach Klarheit als nach Konflikten gesucht haben. Die Jugendlichen selbst fanden sich schnell zurecht, gingen mit den Herausforderungen selbstbewusst um und nahmen sich dieser direkt vor Ort an.
Susanne Rehm: Ja. Das war durchaus etwas, das wir bei der zweiten Begegnung an der ein oder anderen Stelle mit manchen deutschen Teilnehmenden sehr genau angeschaut haben. Sie haben gespürt, dass sich innerhalb der Gruppe etwas verändert hat und sie Dinge, die sie in Deutschland verantwortlich übernommen haben, auf einmal in Tansania nicht mehr übernehmen konnten, weil sie einfach vor Ort nicht mit den Menschen sprechen konnten. Viele Menschen in Tansania sprechen kein Englisch. Das heißt, die Person im Team, die Swahili gesprochen hat, hat immer den Erstkontakt hergestellt. Das hat die Rollen in den Gruppen nochmals verändert.
Lenin Kazoba: Wir wünschen uns, dass die Teilnehmer*innen anschließend als Multiplikator* innen in ihre Gemeinschaften hineinwirken. Leider haben wir kaum Einfluss darauf, ob sie diese Rolle auch annehmen. Das Thema Nachbereitung und Alumni- Arbeit sollte aber eine höhere Bedeutung haben, die sich auch in der Förderung abbildet. Susanne Rehm: Eine gute Nachbereitung sollte definitiv den Raum öffnen, sich als Träger nochmals Feedback einzuholen. Da bekommt man von den jungen Leuten, die sehr deutlich formulieren können, was ihnen gut und was ihnen nicht so gut gefallen hat, einen großen Fundus an Anregungen, der sich für zukünftige Begegnungen nutzen lässt. Für unsere nächste Begegnung planen wir daher, die ehemaligen Teilnehmenden zu Vorbereitungstreffen einzuladen, auch weil junge Erwachsene Feedback von anderen jungen Erwachsenen ganz anders annehmen.
Lenin Kazoba: Die Geldgeber sollten erkennen, dass Nichtregierungsorganisationen (NRO) in Ländern wie Tansania wie auch die Jugendlichen hier von der Regierung keine finanzielle Unterstützung erhalten, die mit der von deutschen NRO und Jugendlichen vergleichbar ist. In Deutschland werden zivilgesellschaftliche Organisationen häufig auch strukturell unterstützt, während wir hier rein auf Basis von Projekten überleben müssen. Daher sollte es zum Beispiel die Möglichkeit geben, auch die aufgewendete Arbeit für die gesamte Vorbereitung, die Vorauswahl der Teilnehmer* innen sowie die Vermittlungen im Vorfeld ins Budget aufzunehmen. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch die aufgewendete Zeit sowie Hilfsmittel und Ressourcen, um überhaupt so ein Projekt angehen zu können, von uns irgendwie finanziert werden müssen.
Junge Dokumentarfilminteressierte aus Tansania und Deutschland drehen gemeinsam ihre ersten eigenen Filme. Es geht um die Entwicklung nachhaltiger Verkehrskonzepte, Second-Hand-Kleidung und Lösungskonzepte im Umgang mit Plastikmüll – alles Themen, die sie aus dem SDG 9 „Innovation, Industrie und Infrastruktur“ abgeleitet haben. Jeweils für zwei Wochen treffen sich die Dokumentarfilmbegeisterten 2019 zunächst in Stuttgart und dann in Daressalam, um Schnitt, Dreh und Ton, globale Nachhaltigkeitsziele und sich gegenseitig kennenzulernen.
Dieses Interview stammt aus der Arbeitshilfe „Globale Partnerschaften“ der BKJ:
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Als Dachverband vertritt die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Baden-Württemberg die politischen Interessen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung auf Landesebene. Sie formuliert fachlich-politische Positionen und ist Ansprechpartner der Landesregierung. Mit großer Resonanz initiiert die LKJ Modellvorhaben und führt zahlreiche kulturelle Projekte an Schulen und außerschulischen Einrichtungen durch. Die Förderung von Kooperation und Vernetzung ist dabei von großer Bedeutung. Die LKJ ist auch Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur (FSJ Kultur) in Baden-Württemberg.
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