Der Deutsche Schulpreis Spezial 2020/2021, der Grimme Online Award und eine Goldene Kamera obendrauf: Es sind die ganz großen Preise, mit denen die Hamburger Stadtteilschule Alter Teichweg und ihr engagierter Schulleiter Björn Lengwenus im Sommer 2021 ausgezeichnet werden.
von Kathrin Köller
So glücklich und stolz die ganze Schulgemeinschaft über diese Auszeichnungen ist, ein bisschen wundert sich Schulleiter Lengwenus doch über all die Preise in diesem Jahr. Denn eigentlich haben sie auch im letzten Jahr „nur“ auf das gesetzt, was sie auch ansonsten auszeichnet: auf Schule als „guten Ort“, als Ort der Gemeinschaft, der Solidarität und des Zusammenhalts. Allerdings sind die Umstände etwas anders als sonst und es ist die vielleicht größte Herausforderung überhaupt, Gemeinschaft zu schaffen, wo kein gemeinsames Zusammenkommen erlaubt ist.
Doch das Motto der Stadtteilschule, an der 1.600 Schüler*innen von der Vorschule bis zum Abitur gemeinsam Schule gestalten, lautet „Be part“ und das gilt nicht nur in guten Zeiten. Als die Schule 2020 in den Lockdown muss, überlegen Schulleiter, Kollegium und Kulturagent Matthias Vogel gemeinsam, was sie tun können, damit auch die geschlossene Schule weiterhin ein Zuhause für die Schüler*innen bietet. Nur auf Arbeitsblätter und Online-Unterricht zu setzen, konnte und wollte sich die Schule im eher sozial schwachen Hamburger Stadtteil Dulsberg nicht leisten. Zu viele Kinder und Jugendliche hätten dabei ihre Gemeinschaft und die Motivation für schulisches Lernen verloren. Also setzt man auf Kultur. „Kulturelle Bildung ist bei uns so wichtig, dass wir sogar in Krisenzeiten darin die Antwort auf die Krise suchen“, berichtet Björn Lengwenus.
The Show Must Go On
Sechs Wochen lang geht die „Dulsberg Late Night“-Show jeden Abend um 22.00 Uhr an den Start – mit einem Schulleiter, der sich auch gerne mal selbst auf die Schippe nimmt, mit Schüler*innen, die sich in Video-Performances mit dem Lockdown-Alltag auseinandersetzen, mit Physik- und Ostereier-Challenges, mit Musiker*innen, die in der leeren Schule spielen. All das landet nicht irgendwo einsam auf einer Website, sondern fließt in die allabendliche Show ein und vermittelt so ein kleines bisschen Miteinander.
Dulsberg Late Night | Best of
Auch im zweiten Lockdown ist es die Kultur, die die Schulgemeinschaft zusammenhält. Schüler*innen moderieren täglich den „Lockdown Live“. Das Radioprogramm bietet einen Mix aus selbstgemachten Workouts, Musikbeiträgen, Interviews, dem Vorlesewettbewerb Lesinale und sogar einer – versprochen – coronafreien Sendung. Seitdem es zwar wieder Präsenzunterricht samt Klassenarbeiten, Klausuren und Pausen in Kohorten-Trennung gibt, fragt sich das Kollegium in Kollaboration mit den Hamburger Kulturagenten wieder neu, wie sich Plattformen für den Sozialraum Schule finden lassen. Weil die traditionell zu Schuljahresabschluss stattfindende „Finish-Show“ der ganzen Schule auch im Herbst 2021 nicht stattfinden kann, entwickelt jetzt jeder Jahrgang seine eigene YouTube-Show, von der Konzeptidee bis zur Postproduktion. So entsteht zumindest innerhalb der Jahrgänge ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Verbundenheit.
Was Schule während des Lockdowns zu einem Sehnsuchtsort gemacht hat, war ja nicht die Sehnsucht nach Frontalunterricht und danach, Stoffrückstände nachzuholen, sondern es war die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Solidarität, nach Erlebnissen. Dazu gehören kulturelle Veranstaltungen.
Björn Lengwenus
Agenten und Ganoven
Dass Kultur in der Krise zur Retterin in der Not werden kann, hat viel damit zu tun, dass die Schule bereits seit zehn Jahren am Kulturagenten-Programm teilnimmt. „Wir versuchen das Schulleben möglichst mit ästhetischen Mitteln zu gestalten. Und wir schauen bei all den Ereignissen, die ein Schuljahr bietet, immer darauf, dass wir echte Erlebnisse daraus machen und dass wir mit künstlerischen Methoden die Schulgemeinschaft bilden und feiern“, erklärt Matthias Vogel, der als Kulturagent auch andere Hamburger Schulen betreut. Besonders in Dulsberg ist, dass Kultur nicht nur Unterrichtsfach ist, sondern die Gestaltung des Sozialraums Schule mit künstlerischen Mitteln verfolgt wird. Im Rahmen der „Filmfabrik Dulsberg“ produzieren alle Schüler*innen im Laufe ihrer Schulzeit mindestens einen Film, der anschließend online gestellt wird. Über die Jahre hat sich dort eine beträchtliche Anzahl an Gemeinschaftsproduktionen angesammelt, viele davon auch aus dem Genre Gangsterfilm. Was beim Kollegium den Wunsch erzeugte, ebenfalls einmal die Ganoven zu spielen. Ihr Gangsterfilm „100“ hat den Kolleg*innen in der Schülerschaft viel Street Credibility eingebracht.
No School is an Island
All das und noch viel mehr kann aber keine Schule allein stemmen. Also holt Matthias Vogel die Kulturschaffenden der Stadt mit ins Boot und gemeinsam begeben sich alle auf eine Reise ins Ungewisse. Im Vordergrund steht dabei stets, dem Projekt so viel Raum zu geben, wie es braucht, damit das Ganze für die Schüler*innen zu einem bleibenden Ereignis wird. „Wir glauben hier alle daran, dass ein unterschiedlicher Professionenmix mit Menschen, die vielleicht ursprünglich auch gar nichts mit Schule zu tun haben, die Schule voranbringt“, erläutert der Schulleiter und benennt als Voraussetzung für das Gelingen auch die Bereitschaft, die heilige Schulordnung mal etwas durcheinander bringen zu lassen.
In the Hood
Gelebt wird auch die Einbindung der Schule in den Stadtteil Dulsberg. Direkt auf dem Schulgelände befindet sich das Haus der Jugend und ein Kulturhof, der vom Stadtteil-Büro verwaltet wird. „Unser Schulmotto ‚Be part‘ umfasst nicht nur die Schüler*innen und die Kolleg*innen. Wir haben den Namen ‚Dulsberg Late Night‘ ganz bewusst für unsere Show gewählt“, erzählt der Schulleiter stolz. Dass diese Verbundenheit auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt sich auch wiederum in der Krise, als sich im Stadtteil extra eine Showband gründet, um das Intro für die „Dulsberg Late Night“-Show zu komponieren und zu spielen. „Wir gehen da wirklich Hand in Hand miteinander. Anders ginge es auch nicht“, ist Björn Lengwenus überzeugt.
Vielleicht sind die vielen Preise in diesem Jahr auch ein Zeichen dafür, dass Politik und Gesellschaft durch die Krise ein größeres Verständnis dafür gewonnen haben, was Schule ausmacht. Schulleiter Lengwenus formuliert es so: „Was Schule während des Lockdowns zu einem Sehnsuchtsort gemacht hat, war ja nicht die Sehnsucht nach Frontalunterricht und danach, Stoffrückstände nachzuholen, sondern es war die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Solidarität, nach Erlebnissen. Dazu gehören kulturelle Veranstaltungen, das gemeinsame Theater spielen, Filme machen und auf dem Schulhof abhängen, also Schule als Ganzes zu erleben. Dafür ist Kulturelle Bildung ein großer, bedeutender Baustein, weil es immer Projekte sind, die Kinder berühren und die in Gedanken und in Erinnerung bleiben.“ Vielleicht ist der eigentliche Verdienst der Schule am Alten Teichweg, der Gesellschaft gezeigt zu haben, dass Kulturelle Bildung das ist, wonach wir uns sehnen und was uns als Gemeinschaft zusammenbringt und -hält. Und dafür kann es gar nicht genug Preise geben.