Wie ermöglichen und bereichern kulturelle Bildungsprojekte internationalen Austausch? Bernd Böttcher, Projektkoordinator bei der Initiative „Austausch macht Schule“, spricht sich für Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Partizipation und einen Perspektivenwechsel durch internationalen Austausch aus.
Bernd Böttcher ist Projektkoordinator bei der Initiative „Austausch macht Schule“. Austausch macht Schule stiftet seit 2018 den MIXED UP Preis „International“.
© Austausch macht Schule / Eibe Krebs
Austausch macht Schule stiftet seit 2018 den MIXED UP Preis „International“. Wie kam es dazu?
In der Initiative „Austausch macht Schule“ engagieren sich Fach- und Förderstellen, um Schüler*innenaustausch international zu ermöglichen. Wir versammeln Ansprechpartner für praktisch alle Länder aus Institutionen der Jugendarbeit, des Schüler*innenaustauschs und anderer Formate. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist auch ein wichtiger Unterstützer. Internationale Erfahrungen, wie sie bei Austauschbegegnungen und Auslandsaufenthalten gemacht werden, prägen in besonderer Weise. Austausch fördert die persönliche Entwicklung und den Erwerb individueller Kompetenzen junger Menschen und befähigt diese, sich in einer globalisierten Welt zu orientieren. Dadurch stärkt Austausch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch das friedliche Miteinander.
Uns ist es ein besonderes Anliegen, dass Jugendarbeit und Schule zusammenarbeiten. Wir wissen, dass es dafür kein Patentrezept gibt. Deswegen suchen wir nach guten Beispielen, wie diese Kooperation gelingen kann und unterstützen Akteure und Praktiker*innen dabei, das auch international umzusetzen. Wir hoffen, mit dem MIXED UP Wettbewerb Kooperationsprojekte zu finden, die als Beispiele gut funktionierender internationaler Zusammenarbeit Impulse für weitere Kooperationen zwischen Organisationen, Akteuren und Schulpartnerschaften darstellen.
Schule ist schließlich weiterhin der zentrale Ort, um junge Menschen mit Bildungsangeboten zu erreichen. Dies belegt die 2018 vorgestellte Zugangsstudie „Warum nicht?“, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Robert Bosch Stiftung erstellt wurde. Dem schulischen Austausch kommt daher eine Schlüsselrolle bei der internationalen Bildung zu.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei Kooperationen von Schulen und Trägern der außerschulischen Jugendbildung?
Die Zusammenarbeit von Schulen und (internationaler) Jugendarbeit hat großes Potenzial, wird aber zu wenig genutzt. Es sind zwei getrennte Systeme. Die erwähnte Zugangsstudie zeigt, dass junge Menschen immer weniger Zeit haben, um ins Ausland zu gehen oder internationale Erfahrungen zu machen: Die Biografien werden immer enger und außerschulische Jugendarbeit und Schule geraten quasi in eine Konkurrenz miteinander. Dabei ist eine Kooperation zwischen Schule und Partnern in der direkten Umgebung naheliegend, z. B. aus der Kulturellen Bildung oder dem Sport (Verbände, Vereine).
Schule bietet einen direkten Zugang auch zu den Jugendlichen, die traditionell nicht an einem internationalen Austausch teilnehmen würden oder weniger Möglichkeiten haben, an solchen Angeboten teilzunehmen bzw. teilzuhaben. Damit möglichst jede*r Schüler*in die Chance erhält, einmal an einem internationalen Austausch teilzunehmen, könnte eine gelingende Zusammenarbeit von Schulen mit außerschulischen Partnern im In- und Ausland eine große Unterstützung liefern.
Worin liegt Ihrer Meinung nach das Potenzial Kultureller Bildung in internationalen Austauschprojekten?
Die Angst davor, die Fremdsprache nicht gut genug zu können, ist ein großer Hinderungsgrund für viele Schüler*innen an einem Austausch teilzunehmen. Durch kulturelle Erfahrungen (Musik, Theaterspiel o. ä.) kann diese Barriere durchbrochen werden. Gleichzeitig lernen die Jugendlichen sich selbst besser kennen und eigene Grenzen zu überwinden. Das gelingt bei kulturellen Projekten sehr viel besser als bei rein auf den Fremdsprachenerwerb orientieren. Hier können sich alle ausprobieren und einen eigenen Weg finden.
Übrigens erweisen sich die Befürchtungen, ohne gute Fremdsprachenkenntnis überhaupt nicht an internationalem Austausch teilzunehmen, in der Regel als haltlos. Die größte Herausforderung besteht meist darin, dass Schüler*innen erstmals aus einer gewohnten Umgebung herauskommen und sich auf neue Weise selbst erfahren. Und das bedeutet natürlich auch den größten Lerneffekt.
Wie ermöglichen Sie allen Schüler*innen – egal welcher Schulform – eine Austauscherfahrung?
Wir selbst fördern nicht, aber die Organisationen, die die Initiative tragen. Wir sammeln die Erfahrungen unserer Mitglieder und informieren darüber, welche Formate und Methoden es gibt, um Schüler*innen in Austausch zu bringen oder ihnen internationale Erfahrungen zu vermitteln. Stadtteil-, Mittel- und Oberschulen haben ganz andere Anforderungen und können somit andere Projekte realisieren, als es Gymnasien tun. Anhand unserer Beispiele können Schulen, u. a. mit ihren außerschulischen Partnern, herausfinden, welche Austauschprojekte am besten passen.
Bei Schüler*innenaustausch denken viele meist an einen individuellen sechs- bis neunmonatigen Auslandsaufenthalt, für den sich eine einzelne Person in der 11. Klasse eines Gymnasiums entscheidet. Für viele ist das aber kaum vorstellbar – nur ca. 2% eines Jahrgangs machen das. Aber es gibt auch andere Formate wie transnationale Schulpartnerschaften, bei denen es nicht darum geht, die Fremdsprache durch die Teilnahme am Unterricht in einem anderen Land zu lernen, sondern darum, projektorientiert an Sport, Naturwissenschaften oder Kultureller Bildung zu arbeiten oder auch einfach Begegnungen gleichaltriger Menschen im Ausland zu ermöglichen. An solchen Auslandsaufenthalten nehmen viel mehr Schüler*innen teil.
Wir treten für eine Öffnung der Rahmenbedingungen schulischen Austauschs ein, z. B. gegenüber Politiker*innen und Verwaltungen der Kultusministerien. Fach- und Förderstellen stehen zur Verfügung, doch vielen Lehrer*innen fehlt es an Wissen darüber oder an Unterstützung durch die eigene Schulleitung. Einen Austausch zu organisieren, ist nicht Aufgabe einer*s engagierten Lehrer*in, sondern der ganzen Schule.
Auf der Website von „Austausch macht Schule“ steht, dass die internationalen Erfahrungen Schüler*innen beim Umgang mit den Herausforderungen in einer globalisierten Welt helfen. Was genau meinen Sie damit? Was sind die Herausforderungen, denen sich die Schüler*innen stellen müssen bzw. sollen?
In Politik und den Medien werden täglich Probleme diskutiert, die als nur im globalen Maßstab lösbar gelten. Dass diese Diskussionen auch durch Jugendliche aktiv aufgenommen und bestimmt werden, zeigen die „Fridays for future“-Demonstrationen, aber auch das Engagement im Zusammenhang mit Migration. Oft sind die Herausforderungen aber so komplex, dass sie die Einzelnen zu überfordern drohen.
Zwei Dinge können Jugendliche hier weiterbringen: Die Erfahrungen von Selbstwirksamkeit – das, was ich tue, hat eine Wirkung und eine Bedeutung -, und die Erkenntnis, dass Menschen verschiedener Länder mit ähnlichen Problemen zu tun haben und Lösungen nur gemeinsam gelingen. Beides ergibt sich in internationalem Austausch, wie wir ihn verstehen, in besonders intensiver Weise.
Durch den Austausch mit gleichaltrigen Menschen anderer Sprachen oder Kulturen erleben die Teilnehmer*innen einen Perspektivwechsel und erfahren, dass Jugendliche in anderen Ländern sich mit ähnlichen Themen wie Berufswahl, Umweltthemen, Partizipationsmöglichkeiten oder Konfliktlösung beschäftigen. Globale Probleme werden auf lokale und regionale Herausforderungen heruntergebrochen. Bei einem Austausch lernen sie Verantwortung zu übernehmen und in der künstlerischen Arbeit setzen sie auch kreative Energien frei. Das ist etwas, was der „normale“ Unterricht so nicht mit sich bringt. Aber es hilft, mit anstehenden Problemen – im Kleinen oder im Großen – lösungsorientiert umzugehen. Deshalb ist die Begegnung von Schulalltag mit Kultur im lokalen Umfeld und auch mit Partnern im Ausland wichtig.
Was sollen die MIXED UP Kooperationsprojekte in der Preiskategorie „International“ mitbringen? Was möchten Sie den Teilnehmer*innen mit auf den Weg geben?
Wir freuen uns darauf, gelungene Beispiele guter kultureller Bildungsprojekte zu finden und zu sehen, wie diese Kooperationen auf internationaler Ebene zusammenarbeiten. Wir erhoffen uns innovative Zugänge und neue Methoden, die wir weiterempfehlen können. Wichtig ist uns, dass das Thema im Austauschprojekt gemeinsam mit den Schüler*innen entwickelt wird. Es sollte nicht das Projekt einer einzelnen Lehrkraft, eines*r Regisseur*in oder eines*r Kulturberater*in sein. Es braucht Mut, sich auf die individuellen Bedürfnisse und Situationen der Teilnehmer*innen einzulassen und deren Ideen aufzunehmen, denn dadurch wird erst das große Potenzial der Kooperation entfaltet. Diese Herausforderung anzugehen, macht am Ende das Ergebnis aus. Egal wie es ausfällt, es wird ein Erlebnis, das persönlich verändert. Und genau diese persönliche Veränderung sehen wir als den Kern dessen, was internationale Erfahrungen, gerade in der Schulzeit, mit sich bringen.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Wenn Sie Interesse an einer Nutzung haben, melden Sie sich gerne unter redaktion@bkj.de.