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Partizipation pur: Freiräume für junge Menschen
Aus der Praxis

Partizipation pur: Freiräume für junge Menschen

„FLUX – Kinderakademie: Deine Meine Unsere Räume“, Wetterau

veröffentlicht:

Die „FLUX Kinderakademie“ ermöglicht es Kindern und Jugendlichen, nach ihren Bedürfnissen Freiräume zu gestalten – ohne, dass Erwachsene alles besser wissen.

Die Kinderakademie 2023 „Deine Meine Unsere Räume“ zeichnete sich durch eine radikale Umkehrung der üblichen Ausschreibungslogik aus und begreift junge Menschen als Schlüsselakteur*innen: „Wir haben uns für die diesjährige Kinderakademie gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern sowie dem WIR Vielfaltszentrum der Wetterau, dazu entschieden, uns nicht wie sonst direkt an Künstler*innen zu werden, sondern an Kinder und Jugendliche und Einrichtungen, in denen sie sich aufhalten“, erklärt Katrin Breschke, Dramaturgin und Co-Leiterin von FLUX Netzwerk Theater und Schule. „Wir haben reflektiert, was wir anders machen können und wie wir auch auf struktureller Ebene die Partizipation von Kindern und Jugendlichen stärken können“, ergänzt Ines Wuttke, Theatermacherin, Kunstvermittlerin und zweite Co-Leiterin von FLUX.

Insgesamt fehlen in der Lebenswirklichkeit junger Menschen Rückzugsräume, Safer Spaces, Begegnungsräume. Also Orte, an denen man nicht konsumieren muss und wo die Jugendlichen unter sich sein können.

Ines Wuttke

Pat*innen für Jugendräume und Teilhabe durch Mobilität

Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen untersuchten ihre Lebens-, Wunsch- und Freiräume, um sie anschließend neu zu gestalten. Jede Projektgruppe wurde durch eine*n künstlerisch arbeitende*n Pat*in unterstützt, der*die die jungen Menschen in einem fünfmonatigen Prozess bei der Entwicklung ihres eigenen Raumkonzepts begleitete. Um sicherzustellen, dass Mobilität keine Teilnahmebarriere darstellt, investierte die Kinderakademie beträchtliche Ressourcen in Shuttlebusse für die Gruppen. Und die Pat*innen stellten sicher, dass die Bedürfnisse der Jugendlichen respektiert und gehört wurden, hielten sich jedoch bewusst im Hintergrund.

Gute Orte für vielfältige Bedürfnisse

Die Ideen der jungen Menschen waren so vielfältig wie die Räume selbst. Dabei sind „Räume“ nicht nur architektonische Gegebenheiten, sondern auch Denk- und Freiräume, Räume der Achtsamkeit und des Respekts. Das selbstorganisierte Jugendforum in Nidda wollte einen Ort für junge Menschen schaffen, die AGs „Queeres Café“ und „Schule mit Courage“ des Georg-Büchner-Gymnasiums in Bad Vilbel einen „Safer Space“ in der Schule gestalten. Kita-Kinder in Assenheim planten einen selbst ausgedachten Bewegungsparcours, während an der Johanniterschule der Ruhe- und Leseraum gemütlicher gestaltet werden sollte. Die SVS der Gesamtschule Konradsdorf wünschte sich einen neuen Oberstufenraum, und das Nachbarschaftszentrum Fünf-Finger-Treff in Friedberg plante, ihren multifunktionalen Raum besser zu nutzen und kindergerechter zu gestalten.

Ein Treffpunkt im Quartier

Im vielseitig genutzten Quartiersbüro in Friedberg entstand ein spannender Prozess, erläutert Ines Wuttke: „Wie können sich Erwachsene und Kinder einen Raum teilen? Wie wird daraus nicht nur ein Multifunktionsraum, sondern auch ein Wohlfühl- und Rückzugsort?“

Der Umgang mit unterschiedlichen Nutzungen erfordert laut Katrin Breschke das Aushandeln von Regeln, „mal ganz losgelöst von Wie-viele-Sofas-gibt-es“. Im Quartiersbüro gab es verschiedene Beteiligungsprozesse, um konstruktive Beziehungen zu anderen Nutzenden des Raumes aufzubauen. Tische, Schränke und Möbel wurden umgestellt, angefertigt oder upgecycelt. Gemeinsam wurde ausgehandelt, wer was wann und wie braucht, um diesen Raum gut nutzen zu können.

Was Jugendlichen in fast allen Kontexten fehlt, sind eigene Räume. Oft erleben sie sich als Menschen, denen mehr als eine Zwischennutzung von öffentlichem Raum nicht zugestanden wird. „Die Bank neben dem Spielplatz gehört den Eltern, die auf ihre Kinder aufpassen, die Bank daneben gehört den Rentner*innen, eine Bank, die den Jugendlichen gehört, gibt es nicht“, fasst es Katrin Breschke zusammen. „Insgesamt fehlen in der Lebenswirklichkeit junger Menschen Rückzugsräume, Safer Spaces, Begegnungsräume. Also Orte, an denen man nicht konsumieren muss und wo die Jugendlichen unter sich sein können“, bedauert Ines Wuttke.

Copyright: Bild: BKJ | Andi Weiland
Copyright: Bild: BKJ | Andi Weiland
Bild: BKJ | Andi Weiland

Selbstbehauptung in der Schule

Auch in der Schule wurden Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse erweitert. Schüler*innen des Georg-Büchner-Gymnasiums in Bad Vilbel gestalteten einen „Safer Space“. Neben intersektionaler Verständigung – wie unterscheiden sich die Bedürfnisse der rassismuskritischen AG „Schule mit Courage“ von denen der queeren Jugendlichen – stand die eigene Positionierung gegenüber der Schulleitung im Vordergrund. „Es ging stark um die Stärkung der Gruppe“, erzählt Katrin Breschke. „Die Gruppe hat durch die Teilnahme an der Kinderakademie einen festen Raum in der Schule bekommen und diesen nach ihren Bedürfnissen gestalten können. Die Jugendlichen haben sich durch diesen Prozess empowert gefühlt und konnten sowohl auf Schüler*innen-Ebene als auch im Lehrer*innen-Kollegium dafür einstehen.“

Adultismuskritik in der Praxis

Alle Pat*innen erhielten eine Bedarfsanalyse, um flexibel auf ihre Gruppen reagieren zu können. Die Häufigkeit der Treffen wurde ebenfalls abgestimmt: „Ist es sinnvoll, dass ich als Pat*in jede Woche komme oder seid ihr super selbstorganisiert und braucht nur einmal im Monat eine Begleitung?“, beschreibt es Ines Wuttke. „Bei jeder Gruppe gab es den Bedarf, sich ohne Erwachsene zu organisieren, mündig zu sein, Dinge auszuhandeln und Konflikte zu lösen.“

Dazu gab es Workshops mit einer Awareness-Trainerin, die die Pat*innen als „Critical Friend“ zum Thema Adultismus sensibilisierte: „Bei einer Adultismuskritik geht es nicht darum, dass die Kinder auf den Tischen tanzen können. Vielmehr geht es um einen gemeinsamen Aushandlungsprozess und darum, Verständnis zu schaffen für Bedürfnisse, Grenzen und Regeln“, so Ines Wuttke.

„Allein die Zeit des Zuhörens, Strukturierens, Ordnens, Priorisierens mit jemandem, der zuhört und Feedback gibt, war in der Arbeit der Gruppen ganz wichtig“, verdeutlicht sie. „Dafür mussten wir von Anfang an unsere Projektlogik und Budgets anpassen.“

Junge Menschen, große Visionen

Die Zusammenarbeit in den Gruppen mündete in einen Präsentationstag in Ortenberg. Hier wurden die Konzepte und Raumideen vorgestellt. Die Gruppen sollten einander begegnen, voneinander lernen und „in der Präsentation merken, dass es auch andere Menschen gibt, die einen ähnlichen Prozess durchgemacht haben“, erzählt Katrin Breschke.

Auch hier zeigte sich, wie kooperativ und verständnisvoll die Kinder und Jugendlichen ihre Visionen mit den realen Möglichkeiten vereinbarten. Zum Beispiel die Kita-Kinder, die, wie Ines Wuttke berichtet, vor „dreimal so großen Menschen“ selbstbewusst und klar ihre Raum-Ideen für ihre Kita präsentierten – auch vor dem interessierten Gemeindevertreter. Und sich zwar eigentlich ein Schwimmbad wünschten, aber auch mit einem Bällebad zufrieden wären.

Mehr Zeit, mehr Mittel

Und welches Fazit lässt sich in Bezug auf Partizipation ziehen? Zeit war entscheidend, um Bedürfnisse zu besprechen und Gruppenaktivitäten zu ermöglichen, besonders angesichts des oft vollen schulischen Alltags. Und für die Umsetzung einer adultismuskritischen Haltung in der Praxis hält Ines Wuttke ergänzend fest: „Druck rausnehmen, Zeit geben, dem Prozess mehr Vertrauen entgegenbringen.“ Das erfordert finanzielle Mittel, denn Kinder und Jugendliche brauchen erwachsene „Allys“, um ihren Wünschen mehr Gehör zu verschaffen.

Text: Madeleine Penny Potganski

Das sagt die MIXED UP Jury:

„FLUX – Kinderakademie: Deine Meine Unsere Räume“ ist Preisträgerprojekt im MIXED UP Wettbewerb für kreative Kooperationsprojekte 2023.

„Gelungene Partizipation in Kooperationsprojekten der Kulturellen Bildung“: Der MIXED UP Wettbewerb zeichnet 2023 Projekte aus, die sich in Kooperationsteams der Herausforderung gelungener Partizipation innerhalb kultureller Bildungsprojekte stellen.

Dabei geht es insbesondere darum, dass junge Menschen ihre Anliegen und Interessen in
die Entwicklung und Umsetzung der Projekte und Angebote einbringen, über Inhalte und Abläufe mitentscheiden und einen demokratischen Raum erleben können, der die Kinderrechte auf Förderung, Beteiligung und Schutz achtet.

„Deine Meine Unsere Räume – FLUX-Kinderakademie 2023“ leistet dafür einen wichtigen
Beitrag und erhält für die herausragende Durchführung diese Auszeichnung.

Mit der FLUX-Kinderakademie „Deine Meine Unsere Räume“ hat der Verein zur Förderung der Zusammenarbeit von Schule und Theater in Hessen ein Instrument für das Empowerment von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im ländlichen Raum geschaffen. An der Schnittstelle von formaler und informeller Bildung sollen junge Menschen ermutigt werden, ihre eigenen Lebens-, Alltags-, Wunsch- und Freiräume zu untersuchen und zu gestalten. Sechs Gruppen werden dabei durch eine*n künstlerische*n Patin*en als „critical friend“ bei der Realisierung ihrer eigenen Veränderungs- und Gestaltungsideen unterstützt und können sich auch gruppenübergreifend vernetzen, kennen lernen und Feedback geben. Dies gelingt durch eine diskriminierungskritische, anti-adultistische Grundhaltung, die die Auseinandersetzung mit Machtgefällen und Partizipationsräumen sucht, sowie altersgemäß anregt. So sollen z. B. ein „Bewegungsparcours“ in einem Kita-Flur in Assenheim, ein „safer space“ in einer Schule in Bad Vilbel und ein „Lese- und Ruheraum“ in Münzenberg-Gambach entstehen.

Die MIXED UP Jury gratuliert zu einem transferfähigen Konzept, das Spaß macht, Kinder und Jugendliche von Anfang an als Expert*innen in eigener Sache voraussetzt und zeigt wie junge Menschen und Kulturelle Bildung Räume nachhaltig verändern.