Nachhaltige Leseförderung: Jugendliche engagieren sich für Kinder
Im Gespräch mit Ulrike Knoch-Ehlers, ehem. Stadt Hannover, und Laura van Joolen, Fachbereich „Kultur, Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“, Stadt Hannover
Im Gespräch mit Ulrike Knoch-Ehlers, ehem. Stadt Hannover, und Laura van Joolen, Fachbereich „Kultur, Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“, Stadt Hannover
Ulrike Knoch-Ehlers hat das Lesementoring-Programm in Hannover initiiert, konzipiert und etabliert. Sie ist seit 2020 im Ruhestand und lebt in Berlin. Sie ist weiterhin kulturpädagogisch aktiv.
Laura von Joolen ist Dipl. Kulturwissenschaftlerin und Programmleiterin im Fachbereich „Kultur, Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“ der Landeshauptstadt Hannover.
Ulrike Knoch-Ehlers: Das Projektkonzept habe ich 2003 in meiner Arbeit in einem Stadtteil-Kulturbüro entwickelt. Anschließend habe ich Jugendliche als freiwillige Lesementor*innen ausgebildet und ihnen erzählt, wie sie gut mit Kindern umgehen können, wie Gruppendynamik funktioniert, was Kinder gerne lesen oder auch welche Bücher sich für welches Interesse eignen, vor allen Dingen, wie Kinder am besten lesen lernen und wie wir ihnen dabei helfen können.
Laura van Joolen: Pro Standort arbeiten sechs bis zwölf Jugendliche zu zweit mit sechs Grundschulkindern zusammen. Sie treffen sich wöchentlich für je 90 Minuten, lesen aber nicht nur, sondern integrieren auch Spiele, Bewegung und Gespräch. Grundgedanke ist das Jugendkulturmentoring: Jugendliche besitzen viele Fähigkeiten, Interessen und Kompetenzen, die sie an andere weitergeben. Und wir begleiten die Jugendlichen in diesem Prozess, für den sie den Kompetenznachweis Kultur bei einer feierlichen Verleihung erhalten.
Laura van Joolen: Mehr als 30 Mal gab es schon eine feierliche Verleihung der Kompetenznachweise Kultur im Rathaus der Landeshauptstadt Hannover. Insgesamt haben ca. 1.780 Jugendliche den Prozess durchlaufen, mehr als 5.000 Kinder haben von dem ehrenamtlichen Engagement der Jugendlichen im Lesementoring profitiert.
Ulrike Knoch-Ehlers: Kontinuität war der Schlüssel. Zunächst brauchten wir so gut wie keine Mittel, da ich als Angestellte des Fachbereichs Kultur der Stadt Hannover die Möglichkeit hatte, Projekte zu entwickeln. Auch die Kinder-Bibliothekar*innen konnten im Rahmen ihres Auftrags der Leseförderung als Kooperationspartner*innen einsteigen. Damals war der KNK (Kompetenznachweis Kultur) bei der BKJ gerade in der finalen Entwicklungsphase und ich bewarb mich für eine Beteiligung und später um die Fortbildungslizenz. Ich sah die Möglichkeit, den KNK als festes Instrument in das Projekt einzubauen.
Durch die Kooperation der Stadteilkulturarbeit mit den Bibliotheken der Stadt waren nicht nur fachliche Synergien und personelle Vernetzung entstanden, sondern auch eine regelmäßige Zusammenarbeit. Wir haben mit den jeweils weiterführenden Schulen der jugendlichen Mentor*innen und je einer Grundschule Vereinbarungen geschlossen und häufig wurden auch über das Projekt hinaus Kooperationen hergestellt. Die Dezernent*innen der Fachbereiche und der Rat der Stadt Hannover wurden so überzeugt, das Projekt auszubauen und zu finanzieren.
Besonders wenn freiwilliges Engagement Jugendlicher für Kinder im Spiel ist, gewinnen die Projekte zusätzlich eine gesellschaftlich relevante Dimension der Hilfsbereitschaft und Solidarität, die von Politik und Verwaltung begrüßt wird.
Ulrike Knoch-Ehlers
Die Arbeit mit dem KNK haben wir in den Finanzanträgen auch stundenmäßig ausweisen können und alle beteiligten Honorarkräfte erhielten die gleiche monatliche Pauschalzahlung. Das Lesementoring-Programm einschließlich des Fortbildungsangebots zum*r Kompetenzberater*in, das ich über die Niedersächsische Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung in Kooperation mit der LKJ Niedersachsen angeboten habe und was nach und nach zu mehreren Projektstandorten in Niedersachsen nach dem hannoverschen Modell führte, trug dazu bei, dass das Lesementoring, das in den ersten Jahren vom Fachbereich Kultur finanziert wurde, den Status eines festen Programms mit eigenem Jahresetat bekam.
Ulrike Knoch-Ehlers: Es war immer eine Herausforderung, die Schulen in den Stadtteilen zusammenzubringen und engagierte Lehrkräfte zu gewinnen, die die Jugendlichen darüber informieren, was es mit dem Lesementoring und dem KNK auf sich hat, zu motivieren und zu unterstützen. Generell war es immer unser Anspruch, die Erfahrungen der Jugendlichen einzubeziehen und ihnen den Raum zu geben, einen eigenen Beitrag zu leisten.
Ulrike Knoch-Ehlers: Entwickeln Sie neben neuen Projekten auch langfristige Programme. Besonders wenn freiwilliges Engagement Jugendlicher für Kinder im Spiel ist, gewinnen die Projekte zusätzlich eine gesellschaftlich relevante Dimension der Hilfsbereitschaft und Solidarität, die von Politik und Verwaltung begrüßt wird. Wenn sich ein Programm zudem bewährt, ständig weiterentwickelt und immer neu angepasst wird, dann wird es auch für Geldgeber*innen interessanter. Wir haben zum Beispiel nach einiger Zeit digitale Medien in das Lesementoring aufgenommen. Für ein Jugend-Kultur-Mentoring eignen sich neben Lesen auch Musik (Band-Coaching) und Medien (z. B. Digitaler Führerschein).
Laura van Joolen: Es ist ganz wichtig, Kooperationen zu suchen. Schauen Sie, in welchen kulturellen Einrichtungen es bereits kulturelle Projekte gibt, in denen Jugendliche schon eingebunden sind. Durch solche Kooperationen können Einrichtungen neue Projektmittel generieren und neue Perspektiven schaffen. Wir arbeiten etwa mit der Schulverwaltung zusammen, die Gelder für die Berufsorientierung von Jugendlichen oder für die Sommerschule zur Verfügung stellt und worüber der KNK mitfinanziert werden kann.
Laura van Joolen: Wenn sie benotet werden, machen Schüler*innen nur das, was von ihnen erwartet wird. Beim KNK können die Jugendlichen so sein, wie sie sind. Sie tun etwas gern und freiwillig, sie sind in ihrem Element, können sich frei ausdrücken und kreativ sein. Sie können ihre Stärken zeigen und werden anerkannt. So eine Rückmeldung auf Augenhöhe kriegen sie sonst leider eher selten.
Ulrike Knoch-Ehlers: Der KNK bietet ihnen Orientierung für ihre zukünftigen Studien oder ihre Berufslaufbahn. Als die Jugendlichen den KNK feierlich überreicht bekommen haben, waren sie sehr stolz. Das Instrument ist für ihre Persönlichkeitsentwicklung sehr wichtig.
Laura van Joolen: Wenn ich Kulturschaffende als Berater*innen des Kompetenznachweis Kultur qualifiziere, merke ich immer wieder, wie viel Kraft in diesem doch sehr aufwendigen Verfahren steckt. Der ehrliche, ressourcenorientierte Blick auf Jugendliche und Jugendlichen wirklich auch Verantwortung zuzumuten, ist ein notwendiger Beitrag im Miteinander.
Ulrike Knoch-Ehlers: Jugendliche, die sich um einen Ausbildungsplatz beworben hatten, haben uns erzählt, dass der KNK den Ausschlag dafür gegeben hat, dass sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden. Die Personaler merken, dass der Nachweis nicht nur so dahin geschrieben ist, sondern dass viel Arbeit und Einsatz dahintersteckt.
Laura van Joolen: Ich glaube, dass es viel über den Charakter von Jugendlichen aussagt, wenn sie sich über einen langen Zeitraum engagieren, sich in dieser Zeit auf einen Arbeitsprozess einlassen und ihn mitgestalten. Durch den Kompetenznachweis Kultur bescheinigen wir, dass Jugendliche engagiert und aktiv sind, dass sie reflektieren, sich mit sich und anderen auseinandersetzen.
Text: Waldemar Kesler
Lesementoring ist ein Kooperationsprojekt der Landeshauptstadt Hannover mit Partnerschulen im Stadtgebiet. Es wurde nach 13-jähriger Laufzeit 2017 zum „Programm“, womit ein dauerhafter Status als Angebot der kulturellen Kinder- und Jugendbildung und der Kinder-Bibliotheksarbeit verbunden ist. Es wird an sechs Standorten der Stadt Hannover durchgeführt.
Im Lesementoring erhalten ca. 72 Jugendliche pro Schulhalbjahr den Kompetenznachweis Kultur, die wiederum insgesamt 216 Kinder pro Halbjahr begleiten. Das Lesementoring-Programm fördert die Leselust von Grundschulkindern und gleichzeitig die sozialen und kulturellen Kompetenzen älterer Schüler*innen. Jugendliche aus weiterführenden Partnerschulen werden von Fachkräften zu Lesementor*innen ausgebildet. Hierfür werden sie von der Schule für zwei Tage vom Unterricht freigestellt. Die Grundschulkinder („Mentees“) nehmen ebenfalls freiwillig teil, unabhängig von ihren Lesefähigkeiten und ihren Deutschkenntnissen.