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Musizieren: Krafttraining für die Psyche
Interview

Musizieren: Krafttraining für die Psyche

Im Gespräch mit Johanna Mörmel und Emilia Schmidt, Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO), Berlin

veröffentlicht:
Eine Gruppe Menschen musiziert auf Streichinstrumenten.
BMCO | Sabrina Hundeshagen

Im Chor, Orchester oder in der Band Musik zu machen, stärkt das Social Bonding. Musik ist eine gemeinsame Sprache, die es möglich macht, sich als Teil eines großen Ganzen zu erleben. Aber nicht nur das wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus, wie ein Blick in die Studienlage zeigt.

Portraitfoto von Emilia Schmidt, BMCO

Emilia Schmidt arbeitet seit 2022 beim Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) als Projektleitung und leitet seit einem Jahr den Bereich Inhalte und das Grundsatzreferat. Zuvor war sie in der Verbands- und Projektarbeit für den Landesmusikrat Brandenburg und den Bundesverband Amateurmusik Sinfonie- und Kammerorchester (BDLO) tätig.

 

Portraitfoto von Johanna Mörmel, BMCO

Johanna Mörmel ist als Grundsatzreferentin für den Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) tätig. Sie betreut unter anderem die AG Musik & Gesundheit, die AG Musik & Engagement sowie das Querschnittsthema Nachhaltigkeit.

Welche Wirkung hat das Musizieren insbesondere auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?

Emilia Schmidt: Musik ist eine emotionale Erfahrung – indem man sie hört, aber auch indem man sie selbst macht. Musik ermöglicht, sich auszudrücken. Musik bietet Experimentalorte, in denen Kinder und Jugendliche ganz viel ausprobieren können. Singen Eltern ihren Kindern Lieder vor, werden sie ruhiger – schon in der pränatalen Phase, wie Studien belegen.

Letztendlich ist Musik auch als unterstützende Lernmethode bei der Aneignung von Kompetenzen wichtig. Sie trägt zum Beispiel zur Förderung der Konzentration bei: Kinder und Jugendliche sind aufmerksamer, Stress im Lernkontext wird reduziert.

Und ich denke, dass es den Grundstein für ein musikalischeres Leben legt, wenn man schon als junger Mensch mit Musik in Kontakt kommt. Musik ist außerdem ein Medium, das Menschen miteinander verbindet.

Letztendlich ist Musik auch als unterstützende Lernmethode bei der Aneignung von Kompetenzen wichtig. Sie trägt zum Beispiel zur Förderung der Konzentration bei: Kinder und Jugendliche sind aufmerksamer, Stress im Lernkontext wird reduziert.

Emilia Schmidt

Johanna Mörmel: Die Gemeinschaft steht beim Musikmachen im Fokus, es entsteht ein Verbundenheitsgefühl. Es gibt einige Studien zum messbaren ‚Social Bonding‘. Das heißt, beim Musizieren synchronisieren sich die Gehirnwellen der Beteiligten, man ist auf einer Schwingung. Dadurch entwickeln sich starkes Mitgefühl und Miteinander und eine gewisse Friedfertigkeit. Und das ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, wo der gesellschaftliche Zusammenhalt vor vielen Herausforderungen steht. Dieses gemeinsame Schwingen und Sich-Einstimmen, glaube ich, das ist das Wichtigste beim Musizieren. Das Alter, die Herkunft, die kulturellen oder beruflichen Hintergründe spielen keine Rolle. Man ist im Chor oder Orchester Teil von etwas Größerem und bildet eine Einheit.

Musizieren hat darüber hinaus sehr viele Vorteile für die Entwicklung des Kindes, was sowohl den Umgang mit Ängsten als auch die Förderung der sozialen Kompetenz, der Intelligenz oder der Konzentrationsfähigkeit betrifft. Laut Studien sind musizierende Kinder in ihrer Sprachentwicklung reifer und meist auch früher regelschulfähig. Musizieren stabilisiert und trägt zur Gesundheit und dem Wohlbefinden bei.

Inwieweit fördert Musizieren denn besonders die mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen?

Johanna Mörmel: Menschen sind soziale Wesen, da ist es heilsam für die Psyche, Erfahrungen in Gemeinschaft zu machen. Musik ist eine gemeinsame Sprache, ohne Worte. Das sehen wir besonders beim Amateur-Musizieren. Wenn man in seiner Freizeit Musik macht, einer Leidenschaft nachgeht und seine Freizeit sinnvoll und erholsam gestaltet, kann Musik zum Stressabbau beitragen und für eine bessere Stimmung sorgen. Unter anderem stützen wir uns auf die Erkenntnisse des Psychiaters und Stressforschers Prof. Dr. Madza Adli, der sich an der Berliner Charité mit den Auswirkungen von Musik auf die Psyche – das Mentale – beschäftigt.

Beim Musizieren synchronisieren sich die Gehirnwellen der Beteiligten, man ist auf einer Schwingung. Dadurch entwickeln sich starkes Verbundenheitsgefühl und Miteinander.

Johanna Mörmel

Emilia Schmidt: Prof. Dr. Adli hat selbst auch einen Chor gegründet, die „Singing Shrinks“. Es ist der erste und einzige Chor von und für Psychiater*innen, Neurolog*innen und Psycholog*innen. Adli erforscht sozusagen die Auswirkungen von Musik auf die mentale Gesundheit auch in seiner eigenen Freizeit. Das Projekt „Songshine Pflaumheim – Mit Musik gegen Depression“ im bayerischen Landkreis Aschaffenburg belegt beispielsweise auch sehr eindrücklich die gesundheitsfördernde Wirkung des gemeinsamen Musizierens. Jugendliche haben unter Anleitung einer Psychologin einen Kurzfilm dazu gedreht, wie das Musikmachen mit anderen helfen kann, den eigenen Ängsten zu begegnen, neuen Lebensmut zu finden und Selbstvertrauen aufzubauen.

Wie können musikalische Bildungsangebote niedrigschwellig möglichst vielen jungen Menschen zugänglich gemacht werden?

Emilia Schmidt: Ein Weg ist auf jeden Fall über die Schule da wir dort alle Kinder und Jugendlichen erreichen. Ab dem Jahr 2026 gilt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Neben dem formalen Musikunterricht können dann auch musikalische Angebote wie Chor, Orchester oder das Ausprobieren von Instrumenten für den niedrigschwelligen Erstkontakt mit Musik direkt in die Schulen gebracht werden. Hierfür engagieren wir uns. Denn ansonsten ist die Möglichkeit Musik zu machen, häufig daran gekoppelt, dass etwa ein Instrument zur Verfügung steht oder ich am Unterricht an der Musikschule teilnehmen kann, was wiederum von finanziellen Mitteln abhängt und dadurch nur einigen Kindern und Jugendlichen, aber eben nicht allen Interessierten, möglich wird.

Johanna Mörmel: Eine Unsere Vision, die wir als Verband vorantreiben wollen, ist, dass alle Menschen in Deutschland Zugänge zum gemeinsamen Musizieren haben sollen. Wir wollen in den Dialog gehen und fragen: Was braucht ihr konkret? Was sind eure Bedürfnisse? Ich glaube auch, dass das Zuhören, der Austausch und die aktive Einbindung unterschiedlicher sozialer Gruppen und Hintergründe wichtige Mittel sind, in der Zukunft noch bessere Angebote machen zu können.

Eine weitere Möglichkeit sehe ich in der Verbreitung und Umsetzung von Konzepten wie Community Music. Da geht es darum, möglichst alle aus einem Stadtteil, Ort oder Kiez zu adressieren, ob Jung oder Alt. Die Hürde, irgendwo hinkommen zu müssen, fällt dabei schon einmal weg, denn im Idealfall kommt die Musik zu den Leuten, dorthin, wo ihr Alltag stattfindet.

Wie gelingt es, die gesundheitsfördernde Wirkung von Musik nach außen zu tragen?

Emilia Schmidt: Musik ist ja im Prinzip ein Querschnittsthema, denn sie spielt auch im Theaterkontext oder beim Tanz eine Rolle. Es gibt allgemeinere Studien, die sich grundsätzlich auf die Wirkung von Musik, das Musikhören, das Musikmachen oder Musik als Methode in der schulischen Bildung oder einfach grundsätzlich beim Lernen beziehen, das heißt, unsere Erkenntnisse sind nicht nur auf unseren Bereich beschränkt.

Ich denke, dass vor allem der Austausch, der durch die BKJ stattfindet, sehr wertvoll ist, weil wir im Verbandskontext immer wieder merken, dass alle vor ähnlichen Herausforderungen und Fragen stehen. Warum soll man das nicht auch auf andere Kultursparten beziehen? Man muss nicht immer alles neu erfinden.

Johanna Mörmel: Der BMCO hat im neu verabschiedeten Leitbild als Vision formuliert, alle Menschen mit der Botschaft zu erreichen, dass Musikmachen gesund ist. So wie das beim Sport längst jeder Person klar ist, dass Bewegung gesund ist. Dieses Wissen möchten wir für die Musik in der breiten Bevölkerung verankern.

Ein wichtiges Werkzeug dabei sind die Social Media-Kanäle, wo wir zum Beispiel Video-Statements fundierter Expert*innen veröffentlichen. Außerdem wichtig sind Kooperationen und Austausch mit Organisationen oder Verbänden.

Auf der politischen Seite betreiben wir Lobbyarbeit. Zentral für den Verband ist, dass wir die Interessen der 14,3 Millionen Menschen, die in ihrer Freizeit musizieren, auch adäquat vertreten. Wir versuchen das Bewusstsein für das Thema Gesundheit auch in der Politik zu schärfen und perspektivisch mit dem Gesundheitsministerium Anknüpfungspunkte zu finden, Musik als Gesundheitsprävention gesetzlich zu verankern. Auf europäischer Ebene werden Gesundheit und Kultur bereits stärker zusammengedacht. Wir sind optimistisch, dass wir das Thema zukünftig noch mehr auf den verschiedenen Ebenen verzahnen können.

Aktuelles von unserem Mitgliedsverband Bundesmusikverband Chor & Orchester

Bei der Gesundheitsreihe „Healthy January“ legt der BMCO auf Instagram und Facebook den Fokus auf die positiven Wirkungen des Musikmachens auf die physische und psychische Gesundheit.

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