Mit der Kunstjolle hochwertige Bildung für alle ansteuern
Kunstfähre/Kunstjolle in der Tuchfabrik Trier e. V., Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz
Kunstfähre/Kunstjolle in der Tuchfabrik Trier e. V., Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz
Von Julia Göhring
Der Besuch der Kita-Vorschulkinder aus Trier-West in der Galerie ist Teil des Kunstjolle-Projektes „Sammelsachenkramkunst“. Die Werke, die zu sehen sind, bieten auf den ersten Blick wenig Wiedererkennbares. „Was hast du denn jetzt gesehen?“, fragt eine Erzieherin ein Kind. „Erstmal ist es eigentlich nichts“, antwortet er. Die Erzieherin ist unsicher, ob dies eine gute Antwort sei. Und doch stecke darin eine wichtige Lernerfahrung, freut sich Christina Biundo: „Der Junge hat aus seiner Welt herausgeguckt und keine ihm bekannte Form erkannt. Ah, das ist fremd, was ist denn das?“ Offenheit gegenüber Unbekanntem führe zu Abstraktionsfähigkeit, so Christina Biundo. Sie leitet die Servicestelle Kulturelle Bildung in Rheinland-Pfalz (SKuBi), deren Team die Projekte Kunstjolle und Kunstfähre betreut. Ein „Selbstbildungsprozess mit ästhetischen Mitteln“, das sei ihr Verständnis von Kultureller Bildung und Qualität.
Mit Kunstfähre und -jolle steuert die Servicestelle das Ziel für nachhaltige Entwicklung SDG 4, die „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung für alle“, gleich mehrfach an. Stöckchen, Moos, Schnüre. „Am Anfang von ‚Sammelsachenkramkunst‘ stand das Sammeln von Dingen, etwas, das Kinder ohnehin gerne machen“, erklärt Christina Biundo. So ist jedes Projekt als niederschwelliges und damit inklusives Angebot konzipiert, das auch bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche ansprechen kann. „En passant“ kann jeweils an weitere Themen nachhaltiger Entwicklung angeknüpft werden. Leere Handyhüllen, Plastikflaschen oder natürliche Fundstücke? Beim Sammeln etwa betrachten die Kinder auch ihre Umwelt genauer.
Von der Künstlerin Katharina Worring begleitet, ordnen, knoten und leimen die Kinder ihre Fundstücke zu neuen individuellen Kunst-Objekten. Dass professionelle Künstler*innen die Projekte für Schüler*innen und Kita-Kinder leiten, ist Kern des Konzeptes. Als Profis für kreative Arbeit gehen sie prozessorientiert vor, bieten Wege, Materialien oder Werkzeuge an, die individuelle Erfahrungen und Gestaltungen initiieren, aber nicht vorgeben. Einerseits werden so Grundlagen für weitere Bildungsprozesse gefördert, auch durch die Erfahrung des Scheiterns, die gestalterischen Prozessen oft innewohnt. Die Künstler*innen ermutigen „dranzubleiben“, so könnten Kinder und Jugendliche Innovations- und Lösungsfähigkeit entwickeln, betont Christina Biundo. Dies sei ein Kontrast zum Unterricht, erklärt sie, wo Scheitern oft mit Erfahrungen der Abwertung verbunden ist – durch das Benotungssystem. Schulbildung wird so sinnvoll unterstützt.
Die Kinder sehen, dass es neben ihrer eigenen kleinen Welt eine andere gibt und dass sie einen Schritt in diese gehen können, ja, sogar Teil davon werden können.
Christina Biundo, Leiterin der Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz
Andererseits wird früh Interesse für künstlerisches Schaffen geweckt, ein Potenzial, das sonst nicht gleichwertig bei allen Kindern aktiviert wird. So ist es den Kita-Kindern mit der künstlerischen Begleitung möglich, selbst hochwertig ästhetisch-praktisch zu arbeiten. Und sie erleben dann ihre Eltern staunend in einer Ausstellung – mit ihren eigenen Exponaten, die in der Europäischen Kunstakademie in Trier gezeigt wurden. „Die Kinder sehen, dass es neben ihrer eigenen kleinen Welt eine andere gibt und dass sie einen Schritt in diese gehen können, ja, sogar Teil davon werden können“, erklärt Christina Biundo. So werde Partizipation im Sinne des SDG 4 ermöglicht.
Die Ufer, zwischen denen Kunstjolle und -fähre pendeln, sind freie ästhetische Praxis auf der einen und Bildung in den Institutionen Schule und Kita auf der anderen Seite. Die Projekte führen die Künstler*innen in Kooperation mit den Einrichtungen dort vor Ort durch. So erleben die Kinder diese als Teil ihres Alltags.
Nachhaltigkeit ist aber nicht nur mit den SDGs verbunden, sondern auch mit der Frage, wie die Träger ihre Angebote langfristig entwickeln. In Trier ist es etwa gelungen, der Kooperation zwischen freier Kunstszene und Institution Schule einen festen Raum zu geben. An drei Schulen gibt es Ateliers für sogenannte Residenzkünstler*innen, die dort an eigenen Projekten und mit Schüler*innen arbeiten. Die Anwesenheit der Künstler*innen wirkt sich auf die Abläufe und Strukturen des Schulbetriebes aus. Unruhige Schüler*innen können in die Ateliers gehen, nicht, um dort verwahrt zu werden, sondern um an ihren Projekten zu arbeiten. Eine Schule hat durch die Erfahrung, dass kreative Prozesse nicht nach 45 Minuten enden, einen Doppelstunden-Rhythmus eingeführt.
Tragfähige Netzwerke entstanden: Allein die Kunstfähre hat 30 Partnerschulen in Trier und arbeitet mit 40 Künstler*innen zusammen. Hatte Christina Biundo die Agentur Kunstfähre 2008 mit acht Honorarstunden gestartet, arbeiten heute sieben Kolleg*innen in der Servicestelle. Förderung erhalten die Projekte u. a. durch das „Kultur macht stark“-Programm des Bundesbildungsministeriums, die Mercator-Stiftung, die Stadt Trier und durch lokale Stiftungen.
Zusätzlich verfolgt die Servicestelle auch das Ziel des SDG 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“. Wer etwa an einem Mittwochnachmittag durch Trier-Süd schlendert, kommt vielleicht an einem großen Fenster mit buntem Aufdruck vorbei, blickt neugierig hinein und sieht konzentrierte Kinder, die malen oder bauen. Wer dann stehen bleibt, dem winkt man vielleicht zu, doch hereinzukommen in das KuBiQ. KuBiQ – „Kulturelle Bildung im Quartier“ – ist ein kostenfreier Kreativraum, der allen Bewohner*innen des Viertels zu festen Zeiten offensteht, um verschiedene Materialien und Techniken auszuprobieren. Gerade erst gestartet, wirkt sich der freie Kunst-Raum bereits auf das Leben im Viertel aus. Während ihre Kinder kreativ sind, können sich die Erwachsenen in einer vom KuBiQ organisierten Suppenküche samstags bei einer Suppe zum Austausch treffen – über ihre Kinder, über das Viertel und vielleicht über Politik. Die Suppen werden von Bewohner*innen des Viertels spendiert und werden kostenlos ausgegeben.
Wenn jetzt BNE in der Modellkommune Trier etabliert werden soll, ist Kulturelle Bildung auch dabei. Ich konnte überzeugen, dass durch eine Versinnlichung eine stärkere Verinnerlichung der Klima- und Umweltthemen stattfindet als durch reine Anschauung.
Christina Biundo, Leiterin der Servicestelle Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz
Und die Kulturelle Bildung ist auch dabei, wenn jetzt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Modellkommune Trier etabliert werden soll. Im November 2021 ging es los. Der Bürgermeister unterstützt dies. Aber im lokalen Agenda21-Verein gab es anfänglich durchaus Vorbehalte gegenüber der Rolle kultureller Bildungsangebote für BNE. Denn Nachhaltigkeit als Bildungsthema ist v. a. eng mit naturwissenschaftlichen Fächern verbunden. „Aber ich habe meinen Ansatz vorgetragen und konnte überzeugen, dass durch eine Versinnlichung eine stärkere Verinnerlichung der Klima- und Umweltthemen stattfindet als durch reine Anschauung“, berichtet Christina Biundo. Als Beispiel für eine derartige Auseinandersetzung nennt sie ein Projekt, in dem eine fiktive Ausgrabungsstätte 3040 geschaffen wird: „Was bliebe wohl übrig von 2021?“
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was?, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 38 – 41.