Machtkritisch globale Werte vermitteln. Kulturvermittler*innen als Moderator*innen für Nachhaltigkeit
Im Gespräch mit Andreas Schmid, theaterkunst.koeln
Im Gespräch mit Andreas Schmid, theaterkunst.koeln
Andreas Schmid ist Theatermacher. Er ist künstlerischer Leiter von theaterkunst.koeln und Gastdozent an der Akademie für Kulturelle Bildung des Bundes und des Landes NRW. Er war zuvor als Schauspieler beim Agora Theater Belgien und als Hochschuldozent in Düsseldorf tätig.
Andreas Schmid: Mit dem Nationalpark Eifel haben wir das Projekt „Klima-Clowns“ durchgeführt, worüber das Interesse aufkam, ein Theaterstück zu entwickeln, das sich mit dem Umgang mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Zum einen war angedacht, dass wir uns als Erwachsene aus der Perspektive des Clowns den Jugendlichen nähern, einfach um diese Unterscheidung zwischen ‚wir wissen, wo es lang geht‘ und ‚ihr müsst was von uns lernen‘, also die Hierarchien der Wissensvermittlung, aufzulösen. Zum anderen wollten wir im größeren Zusammenhang denken. Uns wurde schnell klar, dass der Nationalpark Eifel in einem Zusammenschluss mit anderen Biosphärenparks weniger national als vielmehr transeuropäisch orientiert ist. So wurden für mich als Künstler oder als Regisseur die bis dahin abstrakten SDGs [Sustainable Development Goals der UN] zum Beispiel plötzlich interessant.
Aber noch viel mehr entstand das Interesse am Globalen Lernen durch meine Funktion als Theater- und Medienpädagoge: Im Kontext eines Erinnerungskulturprojekts zu den NSU-Morden an einer Schule in Köln-Mühlheim wurde ich vom Südafrika-Forum im vergangenen Jahr zu einer digitalen Tagung, die mit Partner*innen in Südafrika stattfand, ins Schauspielhaus in Düsseldorf eingeladen. Als die Kolleg*innen aus Südafrika gezeigt haben, was sie im öffentlichen Raum an Straßentheater oder an pädagogischen Elementen präsentieren, ist mir klar geworden, dass es ein interessanter Ansatzpunkt ist, sich mit Zugängen von jungen Menschen zu Kunst, zu Kultureller Bildung in internationalen Kontexten zu befassen – zunächst als Fragestellung, unabhängig von den Ressourcen, wie wir sie in Südafrika oder in internationalen Kontexten vorfinden.
Kulturelle Bildung ist zunächst zweckfrei. In der Zieldefinition der Angebote für junge Menschen gibt es dann eine Ambivalenz zwischen einer klaren Botschaft des Globalen Lernens und einem offenen Prozessverlauf der Kulturellen Bildung.
Andreas Schmid
Andreas Schmid: Wir arbeiten im Rahmen unserer Projekte häufig mit Schulen zusammen. Da gibt es Formate für den Deutschunterricht zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. In diesen können wir als Theaterpädagogik*innen in sehr guter Weise den Dialog darüber moderieren, was Bildung für nachhaltige Entwicklung sein soll oder wohin sie führt, sodass die Zielsetzung partizipativ und hierarchie-kritisch erarbeitet wird. Die Ambivalenz zwischen dem Anspruch von Globalem Lernen oder Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Kulturellen Bildung soll − was die Teilnehmer*innen angeht − eine Richtungslenkung haben, wobei erst einmal der Autonomiewert von Kultureller Bildung vorausgeht: Kulturelle Bildung ist zunächst zweckfrei. In der Zieldefinition der Angebote für junge Menschen gibt es dann eine Ambivalenz zwischen einer klaren Botschaft des Globalen Lernens und einem offenen Prozessverlauf der Kulturellen Bildung.
Andreas Schmid: Bei der Beschäftigung mit Globalem Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung in Projekten sind vor allem zwei Sachen wichtig: Nicht so lange planen, eher gleich anfangen und die Jugendlichen bei der Umsetzung einbeziehen. Nicht zu viel lesen. Es geht ja immer um die Anwesenden. Kulturelle Bildung ist partizipativ und freiwillig. Der Tipp ist: Trial and Error. Das ist komisch, wenn du als älterer Mensch vor Jugendlichen stehst, mit dem Thema Klimawandel. Was wollen wir erklären oder was wollen wir da beibringen? Wir können die Kommunikation herstellen. Kulturelle Bildung mit Globalem Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verknüpfen, bedeutet, diese Begriffe nicht nur zu unterscheiden, sondern sie unter einer machtkritischen Perspektive zu betrachten.
Andreas Schmid: Mich hat besonders die Vernetzung begeistert, und zwar sowohl mit den impulsgebenden Dozent*innen als auch mit den bundesweiten Teilnehmer*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Kulturellen Bildung, Künstler*innen oder Kulturpädagog*innen. Es entsteht ein besonderer Synergie-Effekt, wenn sich Menschen aus unterschiedlichsten Kunstbereichen miteinander vernetzen und auch regionale Unterschiede oder Möglichkeiten austauschen. In dem Interdisziplinären liegen ja gerade die Möglichkeiten der Kulturellen Bildung. Wir sind gestartet mit 22 Leuten aus der freien Szene, aus dem Stadttheater zum Beispiel, aber auch aus Jugendkunstschulen und von der Uni Passau sowie von Spielmobilen. Das könnte perspektivisch noch erweitert werden, indem man die Qualifizierung – zumindest digital – international öffnet. Es war bereits eine Kollegin aus Frankreich dabei.
Andreas Schmid: Ich fand toll, dass von Anfang an genügend Raum war für kollegiale Gespräche, dass wir aus der Praxis Projekte vorgestellt haben und unter der Brille „Globales Lernen“ oder anderer Schwerpunkte analysiert haben. Es waren zum Beispiel Projekte aus Sachsen dabei, natürlich haben diese dann auch Kooperationspartner aus Tschechien oder Polen, und hier bei uns in Köln waren es Partner aus Belgien und Frankreich. So kam etwa auch der Bezug zur Dekolonialisierung in Belgien und zum Globalen Lernen zustande. Mit dem Feedback aus der Runde konnten die Projekte auch weiterentwickelt werden.
Darüber hinaus gibt es digitale Materialien, die auch noch nach Abschluss der Qualifizierung zum Stöbern und Nachlesen da sind. Das ist nicht nur eine gute digitale Dokumentation, sondern sie ist kollaborativ angelegt: Wir können bei jedem Thema auch offene Fragen thematisieren oder noch Literatur oder Praxisbeispiele recherchieren. Das ist eine super nachhaltige Geschichte.
Andreas Schmid: Genau das fand ich sofort gut an der Fortbildung, dass sie über einen längeren Zeitraum ging und in Module aufgeteilt war. Ich arbeite auch selbst gerne so im Theater: Unsere Produktionen entstehen über mehrere Probenblöcke und dazwischen machen wir andere Dinge oder es entwickeln sich Sachen anders. Und das ist auch die Qualität, die diese Fortbildung für mich einlöst. Ich glaube einfach, wenn es die Qualifizierung nicht schon gäbe, dann müsste man sie erfinden. Es wurde Zeit, dass sie kam.
Theaterpädagogik kann in sehr guter Weise den Dialog darüber moderieren, was Bildung für nachhaltige Entwicklung sein soll oder wohin sie führt, sodass die Zielsetzung partizipativ und hierarchie-kritisch erarbeitet wird.
Andreas Schmid
Interview: MM, Text: Helga Bergers
Von September 2022 bis Juni 2023 fand die Qualifizierung „kreativ_transformativ“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie (ba) für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW als Pilotprojekt statt. Die Qualifizierung wurde im Rahmen der Programmlinie Teams up! des Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks bei Engagement Global und mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
22 Multiplikator*innen aus dem Bereich Kulturvermittlung und der freien Kulturszene, von Trägern der Kulturellen Bildung sowie Kulturpädagog*innen haben an der Qualifizierung teilgenommen. In sechs aufeinander aufbauenden Modulen konnten sie praxisnah erproben, wie Kulturelle Bildung und Globales Lernen zusammen gedacht werden und künstlerische Formate oder die Beteiligung an künstlerischen Prozessen zu einer Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen sowie zu einem Diskurs über globale Gerechtigkeit anregen können.
Anhand der Rückmeldungen der Teilnehmer*innen konnten die Veranstalter ein schlüssiges Konzept für ein dauerhaftes Fortbildungsmodell zum Globalen Lernen in der Kulturellen Bildung entwickeln.
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