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Kulturvereine im Blick
Interview

Kulturvereine im Blick

Im Gespräch mit Jana Priemer

veröffentlicht:

Kultur ist der drittgrößte Engagementbereich in Deutschland, wie die Studie „Kulturvereine“ von BKJ und ZiviZ aufweist. Doch neben der großen Bedeutung zeigt sie auch: die traditionellen Vereine stehen vor besonderen Herausforderungen.

Jana Priemer promoviert zum Thema „Educational Governance: Beteiligungschancen für Vereine im deutschen Schulsystem“ an der Universität Münster. Zuvor leitete sie bei ZiviZ den Bereich organisierte Zivilgesellschaft und hat den ZiviZ-Survey mitentwickelt und etabliert.

Welche Bedeutung sprechen Sie der Zivilgesellschaft zu? Und warum?

Besonders wenn es um Demokratieentwicklung geht, finde ich, spielt Zivilgesellschaft eine sehr große Rolle. So sind z. B. Organisationen der Zivilgesellschaft Räume gelebter Demokratie oder zumindest Diskussions- und Lernräume. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Debatten kommt Zivilgesellschaft damit eine enorm große Bedeutung zu.

In den Vereinsregistern der Amtsgerichte sind bundesweit aktuell etwa 600.000 Vereine registriert. Ist diese Zahl gleichzusetzen mit Zivilgesellschaft?

Diese 600.000 Vereine sind für uns ein Teil der Zivilgesellschaft, den wir den organisationalen Rahmen nennen. Man könnte auch sagen, das sind die Gefäße, in denen zivilgesellschaftliche Aktivitäten stattfinden. Es gibt noch eine ganze Menge anderer Formen von Engagement außerhalb von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinen, v. a. im informellen Engagementbereich, wie der Bereich Protest und Bewegung, den wir bei Fridays for Future beobachten können.

Ohne Kulturvereine würde es viele Kulturangebote nicht geben.

Jana Priemer

Welche Rolle spielen Kulturvereine in der Landschaft zivilgesellschaftlicher Organisationen?

Ohne Kulturvereine würde es viele Kulturangebote nicht geben. Das geht so weit, dass selbst viele staatliche Kulturangebote nicht mehr existieren könnten, wenn es nicht z. B. auch die vielen Kulturfördervereine gäbe, welche Gelder sammeln und durch ihre Aktivitäten die staatlichen Kulturangebote aufrechterhalten oder ergänzen.
Darüber hinaus muss auch noch die besondere Bedeutung der Kulturvereine für den ländlichen Raum hervorgehoben werden. Sei es, weil sie stark in den regionalen Traditionen verankert sind, oder weil dort, wo es Abwanderungstendenzen gibt, Zivilgesellschaft und Vereine häufig die letzten verbleibenden öffentlichen Strukturen tragen.

Welche besonderen Rahmenbedingungen gibt es für das freiwillige Engagement auf dem Land?

Vereine im ländlichen Raum stehen vor einer viel größeren Herausforderung, Engagierte zu finden – v. a. für dauerhaftes Engagement. Funktionen wie die Vorstandspositionen, Kassenwart und ähnliches sind dort nur schwer zu besetzen. Da der ländliche Raum meistens dünner besiedelt ist, fehlen die Menschen vor Ort, die so einen Verein tragen können. Außerdem haben sie in der Regel viel weniger Geld zur Verfügung als die städtischen Vereine.

Welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf die zivilgesellschaftliche Arbeit von Vereinen und Verbänden?

Das können wir noch nicht ganz ausmachen, aber wir sehen schon eine gewisse Spannungslinie zwischen den alten, traditionellen Organisationen, die auch einen großen Anteil der Kulturvereine ausmachen und die noch nicht so digital aufgestellt sind, und ganz vielen jungen, die mit neuen Ideen kommen, mit neuen digitalen Tools arbeiten und die es natürlich dadurch viel leichter haben, auch junge Menschen anzuziehen. Gerade der traditionelle Verbändebereich muss aufpassen, mit den aktuellen Entwicklungen mitzukommen.

Und trotz der Herausforderungen ist die Digitalisierung gerade auch für den traditionellen Bereich mit Potenzialen verbunden, z. B. wenn es schwierig ist, die Chorproben im ländlichen Raum z. B. wegen des langen Fahrtweges aufrecht zu erhalten, können digitale Probenräume eingerichtet werden. Die vielen digitalen Möglichkeiten, die es heute gibt, haben vielen Vereinen auch in der Corona-Krise geholfen, zumindest einen kleinen Teil ihrer Aktivitäten aufrecht zu erhalten.

Über Bildungsangebote, die in Kooperation stattfinden, können sich Vereine teilweise auch leichter neue Engagierte und neue Mitglieder erschließen.

Jana Priemer

Welche Bedeutung haben Kulturvereine als Bildungspartner?

Kulturelle Bildung ist ein Bildungsbereich und da spielen die Vereine natürlich per se schon eine Rolle. Vereine stellen neben ihren Kulturangeboten, die auch informelle Bildungsangebote sind, zusätzlich Bildungsangebote für ihre Engagierten bereit, damit sie sich weiterbilden und qualifizieren können. Über Bildungsangebote, die in Kooperation stattfinden, können sich Vereine teilweise auch leichter neue Engagierte und neue Mitglieder erschließen.

Welche Empfehlungen geben Sie Kulturvereinen, um sich zukünftig besser für freiwilliges Engagement aufzustellen?

Als Erstes empfehle ich grundsätzlich eine stärkere Öffnung – sowohl thematisch als auch zwischen den Generationen und kulturell. Wir sehen, dass die Vereine erfolgreicher sind, die sich gezielt fragen: Welche Themen interessieren die Menschen? Womit können wir neue Mitglieder, neue Engagierte anlocken? Mit Öffnung zwischen den Generationen meine ich, den Nachwuchs ernst zu nehmen. Denn wir sehen aktuell gewisse Spannungslinien: Oftmals besetzen die Vorstandspositionen ja eher die Leute, die schon lange dabei sind und oft auch an Jahren weit älter sind. Diese Leute haben natürlich ganz andere Interessen als junge Menschen, z. B. beim Thema Digitalisierung. Ein weiterer, sehr eindeutiger Befund in den Daten ist, dass Vereine kulturell gesehen immer noch relativ homogene Gebilde sind. Unsere Daten belegen, dass die Organisationen, die gezielt versuchen, Menschen mit Migrationshintergrund in den Verein reinzuholen, erfolgreicher sind in der Entwicklung der Mitglieder- und Engagiertenzahl. Es ist wichtig zu hinterfragen: Warum kriegt man bestimmte Menschen nicht in den Verein? Was könnten Hemmnisse sein?

Welche Rahmenbedingungen brauchen Vereine dafür?

Vernetzung der Organisationen untereinander, aber auch in andere gesellschaftliche Bereiche herein: in die Schulen, zu den lokalen Unternehmen, aber auch mit den Kommunen. Letztere schaffen im Idealfall auch die Vernetzungsstrukturen oder stellen z. B. Probenräume für die Theatergruppe zur Verfügung. Doch auch andere Akteure, wie z. B. größere Verbände oder die lokale Wirtschaft, sehe ich mit in der Verantwortung, weil Kultur in dem Sinne ein gesamtgesellschaftliches Thema ist.

Unterstützungsstrukturen im Sinne von Know-how und Qualifizierung sind ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt. Gerade kleine Vereine, die meist ehrenamtlich arbeiten, haben einfach viele Fragen, z. B.: Wie mache ich meine Steuererklärung? Das ist alles andere als trivial. Oder auch bei der Digitalisierung − die neuen digitalen Tools bieten viele neue Potenziale. Dafür müssen die Leute qualifiziert werden. Sie müssen wissen, dass es solche Dinge gibt und wie sie sie anwenden können.

Darüber hinaus könnten viele Vereine in ihren Organisationsentwicklungsprozessen unterstützt werden. Sie bräuchten eine Art Coach oder Berater, der an ihre Seite gestellt wird und guckt: Wo sind die Probleme? Warum finden sie keine Ehrenamtlichen mehr? Warum haben sie keine Mitglieder? Gerade die gefährdeten Vereinsbereiche müssen ihre Strategien anpassen, doch sie selbst haben dafür im bürokratischen Alltag meist keine zeitlichen Ressourcen. Und auch keine finanziellen.

 

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