Kulturelle Schulentwicklung – Gemeinsam verantworten, netzwerken und gestalten
27. EMSE-Tagung, 18./19. Dezember 2018 in Remscheid
27. EMSE-Tagung, 18./19. Dezember 2018 in Remscheid
Zufrieden nimmt er sich ein Lunchpaket, grüßt fröhlich auf Schwyzerdütsch in die Runde und meint noch: „Und vergesst nicht, mich in den Verteiler aufzunehmen. Man weiß nie, was draus wird!“. Mit seinem Gruß vor Saal A der Akademie adressiert er die Nachhut einer Tagungsgruppe, die am Mittwoch vor Heilig Abend die Gründung eines Netzwerks kulturelle Schulentwicklung diskutiert. An einem Stehtisch haben sich Akteur*innen aus Verwaltung, Forschung, Verbänden und der Praxis zusammengefunden.
Bunt gemischt vertreten sie die Bereiche Schule, Jugendarbeit oder Kultur. Man*frau ist sich mit den Grußworten von Prof.in Dr.in Susanne Keuchel, Vorsitzende der BKJ, einig: „Staat und Zivilgesellschaft sind gefordert, miteinander Strategien zu vereinbaren, die über ihr eigenes Handeln hinausreichen. Damit Kinder und Jugendliche von kulturellen Schulprofilen für ihren Bildungserfolg und die Persönlichkeitsentwicklung flächendeckend profitieren können, sind eine verlässliche Zusammenarbeit der beteiligten Handlungsfelder und bessere Rahmenbedingungen durch Politik und Verwaltung wichtige Voraussetzungen.“
Die Überlegung einer Netzwerkbildung ist eines der vielfältigen Ergebnisse der von Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und dem EMSE-Netzwerk veranstalteten Tagung „Kulturelle Schulentwicklung im Querschnitt von Schule, Kultur und Jugend – Was können Verwaltung, Forschung und Praxis voneinander lernen?“, die vom 18. bis 19. Dezember 2018 an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW in Remscheid stattfand.
Die Zusammenführung unterschiedlicher, bislang noch eher wenig miteinander verbundener Akteure sowie deren Diskurse und Handlungsstrategien ist ein weiteres Ergebnis der Tagung. Sie gab Ausblick auf die Möglichkeiten von Netzwerkarbeit. Insofern verstand sich die Tagung als Plattform, welche den Akteuren nicht nur die vielfältigen Perspektiven aus Zivilgesellschaft, Staat und Wissenschaft aufzeigte. Sie sollte auch gemeinsame Bedarfe und Interessen identifizieren, um diese in gemeinsame Handlungsstrategien zu übersetzen. Und nicht zuletzt wurde die Fachdebatte über pädagogische und strukturelle Modelle für eine gemeinsam verantwortete kulturelle Schulentwicklung und ihre Rahmenbedingungen weiter fundiert.
Die in den acht Denkwerkstätten präsentierten Forschungsergebnisse und Praxiseinblicke zeigten: Schule, Jugendarbeit und Kultur arbeiten schon seit geraumer Zeit zusammen, um kulturelle Schulentwicklung zu verwirklichen, Qualität zu sichern sowie Teilhabe- und Bildungschancen zu verbessern. Darauf verwiesen auch die Vorträge von Prof. Dr. Max Fuchs (Emeritus, Universität Duisburg-Essen) und Prof.in Dr.in Heike Ackermann (Philipps Universität Marburg) zu den konzeptuellen und empirischen Entwicklungen kultureller Schulentwicklungen in den letzten Jahren. Allein die Systematik fehlt vielfach, damit die Zusammenarbeit auch wirksam werden kann.
An dieser Governance-Problematik, dem Ausgangs- und Zielpunkt der Tagung, setzten die Diskussionen in den Denkwerkstätten dann auch an. Governance meint hier eine Form der sozialen Ordnungsbildung, die bewusst die vielen verschiedenen Akteure auf den unterschiedlichen Handlungsebenen eines politischen Systems (Land/Kommune/Einzelinstitution) einbindet und versucht, diese Akteure, ihre Expertise, Strukturen und Handlungsweisen aufzugreifen und durch eine gemeinsame Handlungsabstimmung auf das sie alle verbindende Ziel hin zu lenken. Diese Governance-Problematik wurde vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Ergebnisse als auch täglicher Erfahrungen der Praxis kultureller Schulentwicklung reflektiert: Implementierungsmöglichkeiten in der Einzelschule, ästhetische Ansätze für den Unterricht, die Gestaltung von Schulkultur und Ganztagsschule oder von Kooperationen zwischen Schule und Kultur.
Die 120 Vertreter*innen für (kulturelle) Schulentwicklung oder kulturelle Kinder- und Jugendbildung aus unterschiedlichen Verantwortungsebenen diskutierten dabei typische Governance-Fragen wie:
Schließlich ging es auch um Forschungsfragen für die Wissenschaft:
Dabei erwies sich der Dialog als sehr bereichernd und zugleich als Herausforderung, all dieses Wissen in Handlungsstrategien für die Akteur*innen der Entscheidungsebenen zu übersetzen und konkrete Anregungen für eine aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit zu erarbeiten. Dies ist ein wichtiges, aber hoch gestecktes Ziel. Aufgrund der hohen Komplexität konnte die Tagung nur ein Auftakt sein. Tom Braun, Geschäftsführer der BKJ, sprach auf dem Abschlusspodium daher auch von einem langen Atem, den eine gemeinsam verantwortete Governance von kultureller Schulentwicklung braucht.
Damit ging es der Tagung nicht nur um die Umsetzung einer gemeinsam verantworteten Governance von kultureller Schulentwicklung, sondern auch um die Gewährleistung der sie fundierenden Governance von Wissen: Wie kann der wechselseitige Erkenntnistransfer zwischen Wissenschaft, Praxis und Verwaltung gelingen? Wie kann dieser zwischen den drei Handlungsfeldern und den verschiedenen Handlungsebenen gestaltet werden?
Vor diesem Hintergrund erwiesen sich die beiden Veranstalter der Tagung, BKJ und das Netzwerk Empiriegestützte Schulentwicklung (EMSE), und ihre drei weiteren Kooperationspartner schon als ein eigenes Wissensnetzwerk aus Praxis, Verwaltung und Wissenschaft aus den Bereichen Schule, Jugend und Kultur. Tagungspartner waren das Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung, die Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW sowie die Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“.
So bildeten auch die weiteren Hauptvorträge diese unterschiedlichen Perspektiven und die Idee des wechselseitigen Erkenntnistransfers ab. Prof.in Dr.in Susanne Keuchel (Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW) präsentierte Erkenntnisse des 2. Jugend-KulturBarometers (2010/2011) zu non-formalen und informalen kulturellen Bildungssettings, mit denen Schule zusammenarbeiten kann. Der Kulturagent Dr. Ralf Eger (Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg e. V.) zeigte in seinem Praxisimpuls auf, wie kulturelle Schulentwicklung mit Unterstützung von Kulturagent*innen als Kooperationsvermittler*innen gelingen kann. Und Prof. Dr. Martin Heinrich zog aus Sicht der Educational Governance-Forschung Parallelen zu den schon gut beforschten Implementierungsprozessen im Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Da es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen bereichs- und akteursübergreifenden formalen, non-formalen und informalen Governance-Strukturen im BNE- und im kulturellen Bildungsbereich gibt, bot der BNE-Bereich Anregungen für die Plenumsdiskussionen.
Schließlich zeigte sich, dass auch diese Plenumsdiskussionen ganz der Perspektive einer „Governance von Wissen: Voneinander lernen“ folgten: Denn hier brachten sich nicht nur die verschiedenen Bundesländer sondern auch Teilnehmer*innen aus Österreich, der Schweiz und Südtirol mit ihren Erfahrungen ein.
Die Beispiele aus den Bundesländern zu gemeinsam verantworteten Strategien der Förderung von kultureller Schulentwicklung gaben erste wichtige Hinweise für eine solche Governance von Schule, Jugend und Kultur. Vertreter*innen zweier Bundesländer mit ganz unterschiedlichen, ressortübergreifenden Handlungsstrategien – Pia Hegener (Ministerium für Schule und Bildung NRW) und Renate Raschen (Die Senatorin für Kinder und Bildung, Freie Hansestadt Bremen) diskutierten gemeinsam mit zwei zivilgesellschaftlichen Vertretern des Handlungsbereichs, Dr. Tobias Diemer von der Stiftung Mercator und Tom Braun, BKJ. Die leitende Frage der Moderation lautete hier: Was lernen wir aus den Ergebnissen der Denkwerkstätten für die Steuerung von kultureller Schulentwicklung als ressort- und akteursübergreifender Aufgabe?
Die Koordinatoren des EMSE-Netzwerks – Ulrich Steffens (ehemals Landesschulamt und Lehrkräfteakademie, Wiesbaden), Peter Dobbelstein (Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule, QUA-LiS NRW) und Prof. Dr. Martin Heinrich (Professur für Erziehungswissenschaft und Leiter der Wissenschaftlichen Einrichtung Oberstufen-Kolleg der Universität Bielefeld) – betonten vor dem Hintergrund der nunmehr 15-jährigen Erfahrung des Netzwerks im bundesländerübergreifenden Wissensaustausch und der wechselseitigen Politikabstimmung, diesen Austausch wissenschaftlich zu fundieren. Auf dieser Grundlage könne dann ein gemeinsamer Praxis-Wissenschaft-Dialog zum Praxistransfer der Erkenntnisse geführt werden. Hierbei ginge es auch immer um einen Dialog der Systeme und Professionen und es würde sich auch immer wieder die Frage nach einer Forschung ergeben, die auf die Bedarfe der Praxis ausgerichtet ist.
Um den bereichsübergreifenden Dialog zwischen Ländern, Verbänden und Wissenschaft weiterhin zu unterstützen, initiierte die BKJ als Dachverband der kulturellen Kinder- und Jugendbildung am Ende der Tagung die Gründung eines Netzwerks kulturelle Schulentwicklung. Die Resonanz aus der Verwaltung in den Ländern, der Praxis (Kulturschulen und Kommunen), den Verbänden für Kulturelle Bildung und der Wissenschaft war groß.
Netzwerke aber leben von Institutionen und Menschen, die sich einbringen und gemeinsam etwas bewegen möchten. Die BKJ kann daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, wie ein Netzwerk für dieses Thema aussehen wird. Aus den Anregungen des ersten Austauschtreffens entwickelt die BKJ nun ein Umsetzungskonzept und sucht Förderer für dessen Realisierung.
Am Mittwoch vor Heilig Abend aber gaben die EMSE-Koordinatoren aus ihrer langjährigen Netzwerkerfahrung noch den Rat, ein einigendes Band als Kit des Zusammenhalts zu finden. Nur so könne sich ein Netzwerk über die Jahre hinweg aus seinen Mitgliedern heraus auch tragen.
Darin aber ist die Kulturelle Bildung stark. Daher: „Wer weiß … Man weiß nie, was draus wird. Aber ich bin gern dabei!“, meint der Kollege mit dem Lunchpaket zu mir, als ich ihm vor einigen Tagen vom Stand der Dinge erzähle.
Weitere Akteur*innen sind im Netzwerk herzlich willkommen. Interessent*innen können das Formular ausfüllen und wir halten Sie auf dem Laufenden zu den Entwicklungen und Beteiligungsmöglichkeiten.
Tagungsdokumentation der 27. EMSE-Tagung auf der Website des EMSE-Netzwerks mit den Präsentationen der Referent*innen und den Ergebnissen der Denkwerstätten
Pressemitteilung der BKJ vom 19. Dezember 2018 anlässlich der EMSE-Tagung
Informationen zum EMSE-Netzwerk und zu den bisher durchgeführten Fachtagungen: www.emse-netzwerk.de
Die Tagung war eine gemeinsame Veranstaltung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) und des EMSE-Netzwerks (Netzwerk Empiriegestützte Schulentwicklung). Zu den von wechselnden gastgebenden Einrichtungen durchgeführten Fachtagungen des EMSE-Netzwerks hatte dieses Mal die BKJ unter der Themenstellung „Kulturelle Schulentwicklung im Querschnitt von Schule, Kultur und Jugend“ eingeladen.
Die Tagung fand in Kooperation mit dem Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung, der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW und der Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“ statt. Gefördert wurde die Tagung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Richard M. Meyer Stiftung und der Kommission Bildungsplanung, Bildungsorganisation und Bildungsrecht (KBBB) in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).
Die über 120 Teilnehmer*innen aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft kamen aus der gesamten Bundesrepublik sowie Österreich, der Schweiz und Südtirol.