Kulturelle Bildung und Digitalisierung – zwei Gegensätze?
Grundsätzliche Beobachtungen zum Zusammenspiel der beiden Welten
Grundsätzliche Beobachtungen zum Zusammenspiel der beiden Welten
von Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (Prof.in Dr.in) ist Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Sie lehrt als Professorin außerdem an der Universität Hildesheim am Institut für Kulturpolitik.
Kulturelle Bildung und Digitalisierung – zwei Begriffe, die zunächst einmal so weit entfernt scheinen wie die Erde vom Mond. Der Kulturellen Bildung liegt ein Menschenbild als erfahrungsbezogenes und bildsames Wesen zugrunde, in dem potenzielle Möglichkeiten schlummern, die es zu entdecken, zu entwickeln und pädagogisch zu sehen gilt; während jenseits von Null und Eins theoretisch betrachtet nichts mehr existiert, kein Dazwischen, kein Inter-Esse, keine Wahlmöglichkeiten (Damberger 2018). Wie gestaltet sich also das Verhältnis von Kultureller Bildung und Digitalisierung?
Kulturelle Bildung ist keine Digitalschule und Digitalisierung mitnichten ein Freifahrschein für eine ökonomisch gesicherte Zukunft. Aber wenn Digitalisierung einen gesellschaftlichen Wandel markiert, der menschengemacht ist, muss Kulturelle Bildung – die sich um Subjekttransformationen bemüht und das Rüstzeug mitbringt, Standpunkte zu markieren, Wahloptionen zu sichten, aber auch Entscheidungen zu generieren – sich mit digitalen Entwicklungen produktiv auseinandersetzen.
Prof.in Dr.in Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss
Wir leben in einer post-digitalen Welt. Das heißt nicht, wie man annehmen könnte, dass wir das Digitale bereits hinter uns gelassen hätten. Vielmehr ist das Analoge vom Digitalen nicht mehr zu trennen. KI – Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Wir „nutzen“ nicht ein analoges oder digitales Medium, sondern wir denken mittlerweile in einem analog-digitalen Möglichkeitsraum, in dem das Digitale und Analoge ineinander übergehen, sich ergänzen, verschwimmen. Die Erlanger Bildungstheoretiker um Benjamin Jörissen (Jörissen & Unterberg 2019) nutzen dafür das Bild des Myzels, die „Gesamtheit der fadenförmigen Zellen eines Pilzes oder eines Bakteriums“ – ein schönes Bild für digitale Objekte. Was wir an der Oberfläche wahrnehmen als Hardware, als Software, als digitales Medium ist nur ein kleiner, sichtbarer Teil der Welt, bildet nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten und Einflussfaktoren ab, die dieses Objekt auf uns und unsere Lebenswelt, auf unseren Alltag nimmt.
Auch Kulturelle Bildung ist per se im 21. Jahrhundert weder analog noch digital. Aktuelle Kulturelle Bildung nutzt die Möglichkeiten, die in einem digitalisierten Zeitalter zur Verfügung stehen, um Menschen aller Altersgruppen ästhetische Erfahrungen, Selbstwirksamkeitserfahrungen und kulturelle sowie gesellschaftliche Teilhabeprozesse und damit Bildungsprozesse zu ermöglichen. Das heißt natürlich, dass Anbieter kultureller Bildungsangebote und Vermittler*innen in kulturellen Bildungsprozessen über diese Entwicklungen Bescheid wissen müssen und in der Lage sein sollten, am besten nicht nur die Pilzkörper unterscheiden, sondern auch das darunter liegende Myzel reflektieren zu können. Gerade eine reflexive Grundhaltung gegenüber zeitgenössischen gesellschaftlichen Phänomenen ist ein Kennzeichen einer guten kulturellen Bildungsarbeit.
Die Künste helfen dabei. Ihre unterschiedlichen Formen machen deutlich und sichtbar, wie das Post-Digitale bereits selbstverständlicher Teil unseres Alltags geworden ist. Fast jede Musik, die wir hören, ist digital bearbeitet oder wird zumindest auf digitalen Tonträgern gespeichert. Literaturkritik wird auf großen Plattformen von Laien gemacht und löst vielfach die gedruckte Fachanalyse ab. Installationen im Feld der bildenden Kunst arbeiten mit digitalen Medien und weisen auf soziale und politische Abhängigkeiten, aber auch auf unentdeckte Möglichkeiten hin. Museen stellen ihre Sammlungen online, machen ganze Museen digital begehbar und demokratisieren – zumindest in der Theorie – kulturelle Teilhabe. Video, Games und Film sind seit Langem anerkannte Kunstgenres und werden selbst wiederum genutzt, um neue Formen in typisch „analogen“ Kunstsparten wie Theater oder Tanz zu entwickeln. Durch künstliche
Intelligenzen werden innovative Kunstformen geschaffen, die ohne eine menschliche Ideengenerierung auskommen und im Ergebnis nicht mehr von einem durch Menschen hergestellten Kunstwerk zu unterscheiden sind (Reinwand-Weiss 2019, S. 71f.).
Alle diese Formen haben eines gemeinsam: Sie sind weder rein analog noch rein digital. Gesellschaftlich betrachtet haben post-digitale ästhetische Praktiken gemein, dass sie auf der einen Seite Macht- und Hierarchiestrukturen verändern, Partizipation und Zugänglichkeit erhöhen sowie andere Formen der Kommunikation entfalten und Selbstbestimmungsmöglichkeiten erweitern. Auf der anderen Seite verhindern sie Transparenz und lückenloses Verstehen, schaffen neue Abhängigkeiten und Machtstrukturen. Sie schränken Selbstbestimmungsmöglichkeiten ein, vermitteln angesichts einer Vielfalt an Optionen ein Gefühl der subjektiven Unzulänglichkeit, Optionen wahrzunehmen, und entziehen uns die vollständige Kontrolle über unser Handeln. Denken wir nur an die Unmöglichkeit, unsere privaten Daten zu schützen und gleichzeitig in vollem Umfang an Kommunikation und Information beteiligt zu sein. Oder denken wir an die Unfähigkeit, digitale Prozesse bis in den Kern zu verstehen und damit echte Wahlmöglichkeiten des Handelns zu generieren (vgl. auch Fuchs 2019). Gesellschaftliches und soziales Handeln wird also durch post-digitale Praktiken grundlegend verändert.
Für eine humane Bildung, das heißt die vernünftige Selbsttransformation anhand eines reflexiven Verhältnisses zur sozialen Umwelt, stellen post-digitale Praktiken Chancen, aber auch Herausforderungen dar. Digitalisierung nur auf einen technischen Prozess zu verkürzen, wäre angesichts der gesellschaftlichen Umwälzungen, die mit dem Post-Digitalen einhergehen, naiv (Bergmann 2000).
Kulturelle Bildung, die sich für die Transformationen in der Beziehung von Subjekt und Umwelt im und durch das Ästhetische interessiert, kommt also nicht umhin, sich um Digitalität und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse zu kümmern und die Transformationen des „digitalen Kapitalismus“ (Niesyto 2019) zu analysieren.
„Offensichtlich werden alle Gesellschaftsbereiche [durch diesen Wandel] angesprochen: Wirtschaft, Politik, Soziales und verschiedene kulturelle Felder (Wissenschaften, Religion etc.). Es geht insbesondere um einen gravierenden Wandel im Konzept des Subjekts, bei dem alle bisherigen Errungenschaften einer Entwicklung starker Subjektivität begrenzt bzw. beendet werden.“ (Fuchs 2019, S. 5)
Das Arbeits- und Angebotsfeld Kultureller Bildung hat sich einerseits für Digitalisierung als technischen Prozess zu interessieren, andererseits sich über die damit einhergehenden Kommunikations- und Gestaltungsmöglichkeiten zu informieren, diese anzuwenden und die damit verbundenen ethischen, ästhetischen und pädagogischen Implikationen zu reflektieren. Nicht um Kulturelle Bildung „hip“ und „aktuell“ anzubieten und im Schielen auf neue Zielgruppen, sondern um zu verstehen, was Kulturelle Bildung im digital-analogen, im 21. Jahrhundert bedeutet. Was heißt eigentlich Selbstbildung und Selbstwirksamkeit und wie bildet sich ein „starkes Subjekt“ (Fuchs 2016) angesichts von sich immer schneller vollziehendem digitalem Wandel und der Begrenzungen, die damit für starke Subjektivität einhergehen? Was sind die Aufgaben einer ästhetischen und Kulturellen Bildung, die sich post-digitaler Praktiken bedient und gleichzeitig eine kritische Distanz und Reflexion herstellen möchte? Was heißt digitale Mündigkeit und wie ist sie zu realisieren?
Digitalisierung beschreibt eben nicht nur diesen technischen Prozess, sondern auch einen kulturellen Wandel, der durch und mit Menschen gestaltet wird und – das dürfen wir nicht vergessen – gestaltbar ist. Nida-Rümelin und Weidenfeld leisten mit ihrem Buch „Digitaler Humanismus“ (Nida-Rümelin & Weidenfeld 2018) diesem Argument Vorschub. Wir Menschen können wollen, fühlen, denken und entscheiden – Maschinen können das sehr erfolgreich simulieren, aber mehr auch nicht. Menschen in die Lage zu versetzen, aktiv ihre soziale Umwelt zu gestalten, etwas zu wollen, zu entscheiden – damit hat Kulturelle Bildung jahrhundertelange Erfahrung. Die Entdeckung von Möglichkeiten, die Orientierung durch kritische Selbst- und Weltreflexion, der Umgang mit Ambivalenzen und Unsicherheiten, das Aushalten von Offenheit und die Füllung von Möglichkeitsräumen sind Eigenschaften, welche insbesondere durch die produktive und reflexive Auseinandersetzung mit den Künsten und ästhetischen Praxen geschult werden können. Qualifizierte kulturelle Bildungsmaßnahmen zwingen das Subjekt, sich in Beziehung zu setzen, einen Standpunkt einzunehmen, Distanz herzustellen, in den Widerstand zu gehen. Sie ermöglichen aber auch Identifikation, Verbunden-Sein und lehren, dass jeder Einzelne gestaltend einen Unterschied macht und dass Verantwortung für das eigene Handeln möglich und nötig ist. Diese Fähigkeiten werden nicht rein kognitiv, sondern handlungspraktisch und leiblich vermittelt. Sie räumen somit eine Teilhabe gerade vermeintlich bildungsbenachteiligter Gruppen ein sowie die Generierung von inkorporiertem und damit auch unbewusst zugänglichem Wissen. Diese Kompetenzen sind notwendig, um gerade in sich schnell transformierenden Zeiten den Überblick zu behalten und als Einzelner überhaupt noch gestalten zu können.
Der Kulturellen Bildung wie auch der Digitalisierung sind jedoch Aussagen, die leicht in Optimierungsrhetoriken kippen, inhärent: „Kunst und Kultur machen stark“, „Kulturelle Bildung macht resilient“, „Kultur öffnet Welten“ oder „Kunst und Kultur gestalten (nun auch noch) Digitalisierung“. Umgekehrt: „Digitalisierung schafft wirtschaftliche Vorteile“, „Digitalisierung bereitet auf die Zukunft vor“, „Digitalisierung ermöglicht Entwicklung und wer nicht digital
ist, ist out.“ Kulturelle Bildung ist keine Digitalschule und Digitalisierung mitnichten ein Freifahrschein für eine ökonomisch gesicherte Zukunft. Aber wenn Digitalisierung einen gesellschaftlichen Wandel markiert, der menschengemacht ist, muss Kulturelle Bildung – die sich um Subjekttransformationen bemüht und das Rüstzeug mitbringt, Standpunkte zu markieren, Wahloptionen zu sichten, aber auch Entscheidungen zu generieren – sich mit digitalen Entwicklungen produktiv auseinandersetzen.
Interesse und Initiative
Um den digitalen Wandel als kulturellen Wandel mitgestalten zu können, müssen Akteur*innen der Kulturellen Bildung zunächst ein grundsätzliches Interesse an digitalen Formen entwickeln und sich um eine Wertschätzung digitaler Praktiken gerade junger Menschen bemühen (Rat für Kulturelle Bildung 2019). Betrachtet man die Argumentationen im Diskursfeld Kulturelle Bildung in den letzten Jahrzehnten, stößt man immer wieder und immer noch auf Bewahrungs- und Schutzrhetoriken, die analoge Kulturpraktiken gegen digitale ausspielen (zur Kritik siehe Baacke 1997). Eine kritische Haltung gegenüber dem Einsatz von digitalen Endgeräten und Software zu behalten, scheint allerdings dringend geboten angesichts einer Omnipräsenz von Smartphones und Tablets bereits in den Kinderzimmern sehr kleiner Kinder. Die Alles-ist-möglich-Philosophie, die neue Medien häufig suggerieren, verunmöglicht teilweise identitätsbildende und sozialisatorische Prozesse, wie sie im Kindes- und Jugendalter stattfinden (Bergmann 2000; Funk 2011). Das Smartphone als „Welt in der Hosentasche“ realisiert Zugänge und bietet Entwicklungsoptionen, wenn Orientierungen und eigene Stabilität das sichere Navigieren ermöglichen. Um im Bild zu bleiben: Erfolgreich surfen kann nur, wer das Wasser und seine Eigenschaften als Element gut kennengelernt hat und die Balance halten kann.
Es macht einen Unterschied, ob wir tippen oder mit der Hand schreiben, ob wir in der Virtual Reality sind – und sei sie noch so gut imaginiert – oder ob wir „in echt“ kämpfen, Sport machen oder musizieren. Es ist bildungspraktisch gesehen nicht egal, ob wir auf einen Bildschirm zeichnen, den Undo-Knopf drücken und noch einmal von vorne beginnen oder ob wir auf einer Bühne stehen und den einmal geäußerten Satz nicht mehr revidieren können. Das eine oder das andere ist zunächst weder gut noch schlecht – es ist anders. Das heißt: Ein vernünftiger pädagogischer und kreativer ästhetischer Umgang mit dem Post-Digitalen muss sich sowohl mit den Potenzialen wie auch mit den Einschränkungen kompetent auseinandersetzen, folglich ist mehr Sachkenntnis im Feld der Kulturellen Bildung dringend geboten. Kulturpädagog*innen und Kulturvermittler*innen müssen dabei keine technischen Digitalexpert*innen sein. Sich mit den Zielgruppen eines Angebotes auf den Weg zu machen, die Stärken und biografischen Vorerfahrungen jedes*r einzelnen Beteiligten zu nutzen und sich gemeinsam als Lernende zu begreifen, ist ein Prinzip Kultureller Bildung, das vor allem auch im Erproben digitaler Praxen Anwendung finden sollte. Dabei den „Primat des Pädagogischen“ und des Ästhetischen gegenüber dem Digitalen nicht zu verlassen, scheint dringend geboten (vgl. auch Rittelmeyer 2018, S. 79ff.).
Information und Inspiration
Die Angebote der Fort- und Weiterbildung für Praktiker*innen in der Kulturellen Bildung sind jedoch im Bereich des „Digitalen Wandels“ noch unzureichend ausgebaut. Es ist im Curriculum der Fort- und Weiterbildungen nicht damit getan, Tools zu vermitteln, die Dinge digital werden lassen, die bisher auch ganz gut analog funktioniert haben. Es geht vielmehr darum, neue Möglichkeiten der kreativen Gestaltung, der Partizipation sowie der Selbst- und Welt-Befragung im Post-Digitalen aufzutun. Ein passendes Beispiel wäre die Entwicklung eines Games zu einem bestimmten (Lern-)Gegenstand oder Thema, das eine intensive Einarbeitung in das jeweilige Fachgebiet voraussetzt, eine adäquate technische, aber auch strategische Umsetzung verlangt und Aktivitäten im Analogen und Digitalen möglich macht. Das Goethe-Institut in Seoul hat unter der Leitung von Peter Lee, Spieledesigner der Firma NOLGONG, schon vor einiger
Zeit versucht, den „Faust“ in Form einer Wanderausstellung in unterschiedlichen Ländern ästhetisch „erfahrbar“ zu machen. Zentraler Teil des Big Game, das neue Technologien und physische Präsenz von Teilnehmenden vereint, war es, für bestimmte menschliche Eigenschaften seine Facebook-Freunde zu verkaufen. Die Ausstellung funktionierte digital wie analog und machte eines der Kernthemen des literarischen Werkes „Für wen oder was würde ich meine Seele verkaufen?“ nicht nur versteh-, sondern auch begreifbar. Texte des klassischen Werkes bekamen durch die besondere Inszenierung und Aufarbeitung der Mitmach-Ausstellung mithilfe digitaler Medien eine eigene Aktualität und Nähe. Durch eine analoge, ästhetisch ansprechende Ausstellungsgestaltung wurden ein Zentrum sowie ein leiblich erfahrbarer Begegnungsraum geschaffen und durch den Einsatz der persönlichen Smartphones der Besucher*innen das spielerische Element bedient. Gleichzeitig wurde eine medienkritische Haltung und darüber ein Bezug zum literarischen Werk aufgebaut.
Solche post-digitalen Arrangements der Kulturvermittlung sind sehr voraussetzungsvoll und in ihrer Umsetzung anspruchsvoll. Je nach Kunstsparte ergeben sich zahlreiche unterschiedlichste Techniken und Möglichkeiten, die es spartenspezifisch zu entwickeln und zu entdecken gilt. Künstlerische Praktiken können Vorreiter in der Entwicklung solcher pädagogischen Möglichkeiten sein, weshalb die Zusammenarbeit mit Künstler*innen im Digitalen auch für die Vermittlung ganz neue Wege eröffnen kann (vgl. beispielsweise auch das Forschungsprojekt „Post-Digitale Kunstpraktiken in der kulturellen Bildung“ an der FH Potsdam)
Interaktion und Ideologie
Digitale Mündigkeit heißt nicht nur, technisch versiert alle Spielarten der Kommunikation, Informationsbeschaffung, Unterhaltung, (Selbst-)Inszenierung sowie Programmierung zu beherrschen. Digitale Mündigkeit bedeutet auch das Wissen um die Herstellung, Gestaltung und Beeinflussung medialer Kontexte und Phänomene, die Entscheidungskompetenz, selbstbestimmt geeignete Formen zu wählen und dafür Verantwortung zu tragen, und schließlich die Freiheit, jederzeit digitale Enthaltsamkeit zu praktizieren, wo es subjektiv geboten scheint. Eine starke Subjektivität kann sich im digitalen Zeitalter vor allem im Kindes- und Jugendalter nur ausbilden, wenn eine bewusste und stabile Wahrnehmung der Trennung von Selbst und (digitaler) Welt und damit Identität entstehen kann. Dies bildet die Basis für verantwortungsvolles und selbstbestimmtes Handeln. Kulturelle Bildung bietet zahlreiche Angebote hierfür. Aufgabe Kultureller Bildung ist es m. E. nicht nur, post-digitale Formen der Vermittlung zu entwickeln und post-digitale Formate reflexiv und ästhetisch zu begleiten, sodass digitale Mündigkeit möglich wird, sondern auch gegen eine digitale Bildungsideologie aufzubegehren, die pädagogisch verteufelt, was nicht digital daherkommt. Ästhetische Bildung hat jahrhundertelange Erfahrung in leiblichen Wahrnehmungsmustern und verfügt über Erfahrungen, die Denk- und Lernprozesse unterstützen, anstoßen und entwickeln können, und bekommt durch neuere Forschung wie die Embodied-Cognition-Forschung oder durch die Resonanztheorie Bestätigung (vgl. auch Rosa 2016). Das Post-Digitale ist Fakt. Es ist die Lebenswelt unserer Kinder und Jugendlichen. Kultureller Wandel darf nicht negiert werden, er muss gestaltet werden. Dass dem Ästhetischen eine besondere Kompetenz in dieser Gestaltungsaufgabe zukommt, konnte deutlich gemacht werden. Es wird Zeit, diese Herausforderung anzunehmen, sei sie auch noch so groß.
Literatur
Baacke, Dieter (1997). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.
Bergmann, Wolfgang (2000). Abschied vom Gewissen. Die Seele in der digitalen Welt. Asendorf: MUT-Verlag.
Damberger, Thomas (2018). Herausforderung der Kulturellen Bildung im Digitalzeitalter. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/herausforderung-kulturellenbildung-digitalzeitalter (letzter Zugriff am 17.07.2019).
Fuchs, Max (2016). Das starke Subjekt. Lebensführung, Widerständigkeit und ästhetische Praxis. München: kopaed.
Fuchs, Max (2019). Das Internet als sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Raum. Überlegungen im Anschluss an Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/internet-sozialer-politischeroekonomischer-kultureller-raum-ueberlegungen-anschluss (letzter Zugriff am 17.07.2019).
Funk, Rainer (2011). Der entgrenzte Mensch: Warum ein Leben ohne Grenzen nicht frei, sondern abhängig macht. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
Jörissen, Benjamin & Unterberg, Lisa (2019). Digitale Kulturelle Bildung: Bildungstheoretische Gedanken zum Potenzial Kultureller Bildung in Zeiten der Digitalisierung. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/digitale-kulturelle-bildungbildungstheoretische-gedanken-zum-potenzial-kultureller-bildung (letzter Zugriff am 17.07.2019).
Nida-Rümelin, Julian & Weidenfeld, Nathalie (2018). Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München: Piper.
Niesyto, Horst (2019). Medienpädagogik und digitaler Kapitalismus. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/medienpaedagogik-digitaler-kapitalismus (letzter Zugriff am 17.07.2019).
Rat für Kulturelle Bildung (2019). Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019. Essen: Rat für Kulturelle Bildung.
Reinwand-Weiss, Vanessa-I. (2019). Die letzte Bastion – die Künste? In: Rat für Kulturelle Bildung (Hrsg.). Alles immer smart. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule (S. 71–72). Essen: Rat für Kulturelle Bildung.
Rittelmeyer, Christian (2018). Digitale Bildung ein Widerspruch. Oberhausen: Athena.
Rosa, Hartmut (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.
Die ausführliche Version des Beitrags ist auf der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online zu finden.
Dieser Fachbeitrag ist erstveröffentlicht in der Broschüre „Kreativ und Digital – Kulturelle Bildung in Zeiten der Digitalität in Baden-Württemberg“ der LKJ Baden-Württemberg (2020). Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin wird der Fachbeitrag an dieser Stelle veröffentlicht:
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