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Von Dominik Eichhorn
Dominik Eichhorn ist studierter Medienwissenschaftler, war Bildungsreferent im Bund Deutscher Amateurtheater, Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitete als freier Theater- und Kulturvermittler. Seit 2022 ist er Leiter des Fachbereichs Kooperation und Bildung bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ).
Das nahende Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem Jahr 2026 stellt alle für die Umsetzung des Ganztags verantwortlichen Institutionen vor ein „umfassendes gesellschaftliches Projekt der besseren Verschränkung von formaler und non-formaler Bildung und somit auch um eine Neujustierung öffentlicher Erziehungsverantwortung“ (Graßhoff/Sauerwein 2021: 7). Zentral dabei ist eine Öffnung von Ansätzen schulischer und außerschulischer Akteure zueinander – des schulischen Ansatzes in Richtung „weniger stark strukturierter Lernarrangements“ (ebd.: 15) und jener außerschulischer Bildungspartner hin zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit formalen Lernumgebungen.
Die lokalen Träger der Kulturellen Bildung, die bundesweiten Fachverbände und Landesdachorganisationen sowie die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) als Dachverband engagieren sich seit über 20 Jahren intensiv in der Entwicklung des Ganztags nach einem umfassenden Bildungsansatz. Wenn sich Schule und kulturelle Kooperationspartner begegnen, so treffen auch deren Ungleichheiten in Bezug auf institutionelle Normen, Finanzierung, unterschiedliche Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie eine begrenzte inhaltliche Auseinandersetzung zwischen den formalen und non-formalen Bildungsansätzen aufeinander (Züchner 2018). Gerade an der Schnittstelle zur kulturellen (außerschulischen) Jugendarbeit „ergibt sich (aber) eine Idee von Ganztag, die den ‚ganzen Tag‘ unter der Frage in den Blick nimmt, wo und wie sich Kinder und Jugendliche (selbst) bilden“ (Braun/Hübner 2019: 9). Daher bedarf dieser Knotenpunkt einer besonderen Aufmerksamkeit.
Die Gestaltung des Ganztags mit und durch Kulturelle Bildung in Form einer kooperativen Praxis mit außerschulischen Partnern wird durch die BKJ stets im Sinne des Kindes gedacht. Gerade junge Menschen fordern explizit, sich „vor allem handlungspraktisch mit Projekten, Themen und Arbeiten“ zu beschäftigen, um „fokussierte, bedeutsame und emotional bewegende Erfahrungen zu machen“ (Walther, Nentwig-Gesemann/Fried 2021: 161). Diese (Selbst-)Bildungsmomente bieten eine Vielzahl an außerschulischen kulturellen Bildungspartnerschaften, insbesondere da sie gestaltbare Freiräume für junge Menschen außerhalb des Schulraumes schaffen können. Ein kinder- und jugendgerechter Ganztag kann erreicht werden, wenn Partizipation, konsequente Teilhabeorientierung und pädagogische Qualität auch entlang der Potenziale der kulturellen Kinder- und Jugendbildung umgesetzt werden (Braun/Hübner 2019: 12–14).
Die nachhaltige Implementierung von Kooperationen stellt die handelnden Akteure vor große Herausforderungen, da sie mit einer Erweiterung des (eigenen) Bildungsverständnisses einhergeht und stark von der (eigenen) konkreten Situation abhängt. Es ist ein Unterschied, „ob (die) Musikschule oder der Sportverein einzelne Angebote durchführt oder ein Kooperationspartner z. B. eines Wohlfahrtsverbands für die Organisation und Durchführung des gesamten außerunterrichtlichen Teils zuständig ist“ (Seemann/Titel 2023: 37), da es „Auswirkungen auf die Kooperationsanforderungen und -möglichkeiten und damit auf die Qualität“ (ebd.) hat. Gerade die komplexe Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und dem sogenannten ‚weiteren pädagogisch tätigen Personal‘ wird derzeit noch eher selten strukturiert praktiziert, was dazu führt, dass auch viele Jahre nach dem beginnenden Ganztagsschulausbau multiprofessionelle Akteure nicht gleichwertig in den Schulalltag eingebunden sind. So gibt es „reservierte Zeiten für die multiprofessionelle Kooperation (…) nur an etwa jeder zweiten Grundschule und gut 42 Prozent aller weiterführenden Schulen (ohne Gymnasien) und an weniger als einem Drittel der Gymnasien (…)“ (Tillmann 2023: 108). Es gilt also, Konzepte und Modelle der Kooperation näher in den Blick zu nehmen, um Hürden abzubauen und die Qualität der Angebote im Sinne der Kinder und Jugendlichen zu steigern.
Dieser Beitrag möchte aus der Perspektive der BKJ die Bedeutung Kultureller Bildung für eine qualitativ hochwertige Ausgestaltung des Ganztags unterstreichen, indem er die Vorteile eines kooperativ kulturell praktizierten Ganztags aufzeigt und die Chancen und Herausforderungen einer ‚Koproduktion‘ zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren entlang ausgewählter Modelle bespricht. Abschließend werden die Überlegungen in Gedanken zu netzwerkorientierten Bildungslandschaften mit Schwerpunkt Kulturelle Bildung eingebettet.
1 Argumente für einen Ganztag mit Kultureller Bildung
Der 2021 gefasste Beschluss zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung im Grundschulalter ab 2026 hat die Debatte über die Ausgestaltung des Ganztags erneut belebt. Daher hat sich die BKJ seitdem mehrfach hierzu positioniert und die Frage in den Mittelpunkt gestellt, wie und durch wen der Ganztag so gestaltet werden kann, dass er kindgerecht ist und Teilhabe- sowie Bildungsgerechtigkeit fördert. Auch andere Akteure der non-formalen Bildung äußerten sich gemeinsam mit der BKJ sowie der Spitzenverband der deutschen Kulturverbände, der Deutsche Kulturrat . Daraus folgen Argumente, die zusammenfassend die Bedeutung der Kulturellen Bildung für den Ganztag unterstreichen:
- Die BKJ stellt fest, dass die Beteiligung von Museen, Theatern, Bibliotheken, Musik- und Jugendkunstschulen, aber auch Vereinen aus der Zivilgesellschaft (z. B. Amateurmusik- und Amateurtheatervereinen) sowie weiteren Trägern Kultureller Bildung an der Gestaltung des Ganztags bereits weit verbreitet ist (BKJ 2022). Im Ganztag müssen daher folgerichtig non-formale Bildungsräume ermöglicht werden, die sich nicht nur an den Interessen der Kinder orientieren, sondern auch die Expertise und Potenziale der außerschulischen Jugendkulturarbeit miteinbeziehen. Dafür braucht es gute und nachhaltige Rahmenbedingungen für alle beteiligten Akteure, um den Ganztag als Raum zu gestalten, der mehr als nur Betreuung bietet – ein Ort, an dem Kinder ihre (Selbst-)Bildung, aber auch ihre Freizeit gestalten, Interessen entwickeln und ihre Persönlichkeit entfalten können (BKJ et al. 2022).
- Maßgeblich ist hierfür ein ganzheitliches Bildungskonzept, das die enge Verzahnung formaler und non-formaler Bildungsangebote fokussiert. Non-formale Bildung trägt durch ergebnisoffene Prozesse, selbstorganisierte Freiräume und gelebte Beteiligung zur individuellen Förderung der jungen Menschen bei. Dies sind Elemente, die für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen unerlässlich sind und daher im Ganztag verankert werden müssen. Kulturelle Bildung bietet hierfür eine Vielfalt an Ausdrucksformen wie Tanz, Musik, Theater und bildende Kunst, die es den Schüler*innen ermöglicht, ihre Stärken zu entdecken und neue Erfahrungen zu sammeln (BKJ 2022).
- Der Deutsche Kulturrat betont zudem, dass die erfolgreiche Umsetzung des Ganztags eine koordinierte Zusammenarbeit von Akteuren aus Bildung, Jugendhilfe und Kultur erfordert (Deutscher Kulturrat 2022). Dabei sollten bereits erfolgreiche Kooperationen und Projekte als Vorbild dienen, um einen qualitativ hochwertigen Ganztag zu gewährleisten. Es ist entscheidend, dass kulturelle Bildungsangebote auf Augenhöhe mit schulischen Lerninhalten stehen und die Träger Kultureller Bildung ihre Expertise in die Ganztagsgestaltung einbringen können (ebd.).
Die langfristige Sicherung der Qualität und Vielfalt der Bildungsangebote sowie der Finanzierung dieser Angebote sind von zentraler Bedeutung, um die Potenziale junger Menschen nachhaltig zu fördern (ebd.). Bund, Länder und Kommunen tragen gemeinsam die Verantwortung, qualitative Ganztagsbildung lokal zu verankern, um gerechte Teilhabechancen und gleichwertige Lebensverhältnisse für Kinder und Jugendliche zu sichern. Dabei geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen schulische und außerschulische Bildungsakteure zusammenarbeiten können. Diese Zusammenarbeit erfordert eine koordinierte Politik, die Finanzierungsstrategien und Ressourcen bereitstellt, um Bildungsangebote inhaltlich und strukturell zu fördern. Durch die Überwindung abgegrenzter Zuständigkeiten und die Ausschöpfung unterschiedlichster Kooperationsmöglichkeiten tragen alle Ebenen und Ressorts zur Sicherung und Verstetigung kultureller Teilhabe bei.
Außerschulische Kulturelle Bildung sollte schlussendlich als zukunftsweisende Kraft verstanden werden, die für kindgerechte Perspektiven und gelebte Beteiligung kämpft. Angesichts des Fachkräftemangels kann die Expertise der vielfältigen Akteure der Kulturellen Bildung wertvolle Impulse für die Gestaltung von Ganztagsangeboten liefern. Eine dauerhafte Verzahnung formeller und non-formaler Bildung ist notwendig, und dies erfordert netzwerkorientierte kommunale Bildungslandschaften mit Kultureller Bildung als integralem Bestandteil.
2 Modelle kultureller Bildungskooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren im Ganztag
Mehr als neunzig Prozent der Ganztagsschulen bieten ihren Schüler*innen kulturelle Angebote an (Züchner 2018), und etwa die Hälfte dieser Schulen arbeitet mit externen Anbietern Kultureller Bildung zusammen (StEG-Konsortium 2019: 33–36). Auch die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) zur Qualität im Ganztag betonen im Herbst 2023, dass sich ein qualitativ hochwertiger Ganztag dadurch auszeichne, eine enge Verzahnung formaler, non-formaler und informeller Lernangebote zu gewährleisten, wobei die Zusammenarbeit von Lehrkräften, Erzieher*innen, Schulverwaltung und externen Kooperationspartnern im Sinne des Kindes von zentraler Bedeutung ist. Es lohnt sich also, einen Fokus auf die handelnden Akteure und Kooperationsformen zu legen, um die Chancen und Herausforderung dieser Empfehlungen zu erkennen.
Ein Blick auf die Akteure der außerschulischen Kulturellen Bildung und deren Selbstverständnis zeigt die Vielfalt der beteiligten Institutionen und Gruppen – abseits der bereits in diesem Text genannten Sparten. Dazu gehören kulturpädagogische Projektgruppen und Initiativen, wie Rockbands oder Theaterfestivals, Jugendzentren mit kulturellem Schwerpunkt, Kulturvereine, soziokulturelle Zentren, Musik- und Jugendkunstschulen sowie Einrichtungen der Hochkultur wie Opernhäuser und Stadttheater (Hübner 2019: 184f.). Diese Vielfalt verdeutlicht, dass es nicht die eine Form der außerschulischen Kulturellen Bildung gibt, sondern viele unterschiedliche Ansätze und Settings, wie sie in den über 55 Mitgliedsverbänden der BKJ zu finden sind – von Tanz- bis Zirkuspädagogik.
Angebote außerschulischer Kultureller Bildung finden oft an sogenannten ‚Dritten Orten‘ statt, folgen ihren eigenen Organisationsstrukturen und ermöglichen den Teilnehmer*innen, ihre Lernprozesse aktiv mitzugestalten. Dabei orientieren sich die Anbieter an den Leitlinien der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe, wie Lebensweltbezug, Interessen- und Stärkenorientierung, Fehlerfreundlichkeit, Freiwilligkeit und Partizipation (BKJ 2015: 11). Für eine erfolgreiche Integration der Kulturellen Bildung in den Ganztag ist es zudem unerlässlich, dass gut ausgebildete Fachlehrer*innen die schulische Kulturelle Bildung in den Fächern Musik, Kunst und Theater begleiten und die Stundentafel eine grundlegende kulturelle Allgemeinbildung sicherstellt. Für das Gelingen der Zusammenarbeit müssen beide Systeme ihre eigenen Logiken berücksichtigen, um langfristige und verlässliche Perspektiven zu schaffen, die über Einzelprojekte hinausreichen. Über die Rahmenbedingungen hinaus braucht es Moderation und Steuerung z. B. durch die Kommunen, um die Qualität der Angebote strukturell zu verankern. Die gegenseitige Wertschätzung, gemeinsame Bildungsziele, Transparenz, die Öffnung in den Sozialraum, die Verankerung der Kooperation auf Leitungsebene und Diversitätsbewusstsein sind nur einige Gelingensbedingungen (ebd.: 16). Schulische und außerschulische Angebote müssen in einen stets produktiven Dialog treten, ihre Eigenständigkeit bewahren und die Potenziale verschiedener Kooperationsmodelle ausschöpfen.
Beispiele für solche Kooperationsmodelle können sein (nach BKJ 2023: 16):
- Kurzfristige, lehrplanbezogene Kooperationen: Kulturelle Einrichtungen bieten punktuelle Bildungsangebote wie Museumsbesuche oder Theateraufführungen an, die minimalen Abstimmungsbedarf erfordern.
- Langfristige, lehrplanbezogene Kooperationen: Lehrkräfte und Kulturpädagog*innen planen und führen gemeinsam Unterrichtseinheiten und/oder Projekte durch.
- Kollaborative Kooperationen: Lehrkräfte und Kulturpädagog*innen arbeiten intensiv und kontinuierlich zusammen, oft im Rahmen von Projektunterricht oder fächerübergreifenden Ansätzen.
- Additive Kooperationen im Ganztag: Lehrkräfte unterrichten am Vormittag, während außerschulische Partner am Nachmittag kulturelle Aktivitäten anbieten und dabei große Freiheiten haben.
- Integrative Kooperationen im Ganztag: Schulische und außerschulische Fachkräfte entwickeln gemeinsam ein umfassendes Konzept, das sowohl vormittags als auch nachmittags umgesetzt wird.
Die BKJ hat im Rahmen ihres Wettbewerbs MIXED UP im Jahr 2022 eine Expertise erstellt, die die Vielfalt der Kooperationsmodelle im Ganztag vertieft analysiert (Gördel 2023). Aufgrund der geringen Stichprobenzahl lassen sich zwar nicht allgemeingültige Erkenntnisse schlussfolgern, allerdings wird offenbar, dass gerade in Bezug auf die dort genannten Strukturmodelle aufgezeigt wird, warum sich die lokalen Umsetzungen von kooperativer Ganztagsgestaltung im Bereich Kulturelle Bildung stark unterscheiden.
Im ersten Strukturmodell werden die Ganztagskooperationen getrennt von Schule und im zweiten Modell in Verbindung mit Schule und Unterricht gedacht (ebd.: 25): Das Strukturmodell Ganztagskooperation getrennt von Schule und Unterricht umfasst vor allem auf organisationsstruktureller Ebene einmalige (oder regelmäßige) Angebote am Nachmittag und eine Integration der Angebote in die Organisationsstruktur der Anbieterseite. Das Strukturmodell Ganztagskooperation in Verbindung mit Schule und Unterricht hingen stellt die unterstützende Rolle für die Schule innerhalb der Kooperation in den Mittelpunkt und setzt auf Schul- und Unterrichtsbezug im Vor- und Nachmittag. Die Ganztagskooperation ist hier vielmehr in die schulische bzw. in die Organisation des Gesamtkonzepts Ganztags integriert.
Interessant für eine vertiefte Betrachtung der Kulturellen Bildung im Ganztag sind weitere Strukturmodelle, zum einen die „Ganztagskooperation als Gesamtkonzept“ sowie „Sozialraum und Bildungslandschaft“ (ebd.: 28). Bei ersterem haben die Ganztagsangeboten ein „durchdachtes didaktisches Konzept zugrunde lieg(en)“ (ebd.), das organisatorische, z. T. auch pädagogische Zusammenarbeit von kulturellen Kooperationspartnern, Ganztagspädagog*innen und Schule forciert. Letzteres fokussiert „neue Begegnungs- und Aufenthaltsorte im Sozialraum“ (ebd.) und versucht die Ganztagskooperationen z. B. in die Strukturen der kommunalen Bildungslandschaft zu integrieren. Jene Konzepte könnten dazu beitragen, die „noch immer gegebene starke Schulorientierung von Ganztag in neue oder andere Konzeptionen und Verständnisse zu transformieren und dabei das Entweder-Oder (mit und ohne Schulbezug)“ (Hübner 2023) aufzugeben. Daher soll abschließend ein Blick auf den Ganztag als Teil von kommunalen Bildungslandschaften geworfen werden.
3 Netzwerkorientierte kommunale Bildungslandschaften für den Ganztag
Schauen wir in Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, in denen es bereits zahlreiche funktionierende kommunale Gesamtkonzepte für Kulturelle Bildung gibt, bestätigt sich, dass „die Ganztagsschule (…) als Kristallisationspunkt der Entwicklung von Bildungslandschaften verstanden werden“ (MKJFGFI, o. D.) kann. Hier zeigt sich, dass die bereits beschriebenen Grundsätze – ein umfassendes Bildungsverständnis gepaart mit Koproduktion von Schule und außerschulischen Akteuren – nicht nur das Kooperationsverständnis an einzelnen Schulen umfassen sollten, sondern weit darüber hinaus gedacht werden müssen. Gleichzeitig lassen sich die fragilen Strukturbedingungen eines solchen Denkens aufzeigen. Je nachdem, wer sich in der Kommune für die Förderung Kultureller Bildung zuständig fühlt – die Verantwortung teilen sich oftmals die Ressorts Jugend, Bildung und Kultur –, „findet sich Kulturelle Bildung mal mehr, mal weniger präsent in den kommunalen, lokalen oder regionalen Bildungslandschaften“ (BKJ 2019: 26).
Es ist notwendig, alle Akteure in den Fokus zu nehmen, um „Ganztagskooperationen als Gesamtkonzept“ in den Sozialraum und die Bildungslandschaft zu integrieren. Die BKJ verfolgt, wie in diesem Text deutlich gemacht, seit vielen Jahren Konzepte gelungener Kooperationen zwischen Schule und außerschulischen kulturellen Bildungspartnern und vermittelt ein Grundverständnis von Kultureller Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit. Seit Februar 2024 fungiert die BKJ darüber hinaus als Fachstelle Kulturelle Bildung im kommunalen Bildungsmanagement und versucht in Kooperation mit der Expertise ihrer regional verorteten Mitglieder auch die kommunale Steuerungsebene mit Fach- und Praxiswissen zur Kulturellen Bildung zu versorgen.
Ein Blick auf die Vernetzungspraktiken der Kommunen mit der Zivilgesellschaft zeigt, dass dieser Aspekt einer vertieften Aufmerksamkeit bedarf. Derzeit ist der Charakter von Kooperationen zwischen Kommunen und Zivilgesellschaft noch nicht hinlänglich erforscht (Schlimbach et al. 2023: 146) und lässt sich an dieser Stelle auch nur kurz umreißen. Es zeigt sich, dass innerhalb der Kommunen „hochkomplexe (…) kaum in Gänze durchdringbare Geflechte“ (ebd.: 150) dafür sorgen, dass Netzwerke zum großen Teil informell und anlassbezogen sind. Schaut man sich die Akteure an, mit denen aus der Kommune heraus kooperiert wird, so sind dies zunächst andere Akteure der Kommunalverwaltung und -politik, dann Institutionen der formalen Bildung (insbesondere Kitas und Schulen) und zuletzt Partner der Zivilgesellschaft, die z. T. durch bildungs-, feld- oder stadtteilspezifische Gremien eingebunden werden (ebd.). Schlimbach et al. beschreiben darüber hinaus, dass die inhaltliche Zusammenarbeit zum großen Teil situativ und diskontinuierlich ist (Projektbindung), eingegrenzt bleibt (persönliche Präferenzen) und Detailkenntnisse zu den Fachnetzwerken bei den Mitarbeiter*innen der Kommunen oftmals fehlen.
Eine zentrale Aufgabe der BKJ als Dachverband der Kulturellen Bildung ist es somit, Zugang zu diesen Fachkenntnissen zu liefern, um nicht nur die Schnittstelle schulischer und außerschulischer Kulturellen Bildung für die Gestaltung von Bildungslandschaften zu fokussieren, sondern die Akteure darin zu unterstützen, netzwerkorientierte Bildungslandschaften aufzubauen, die auf Fach- und Detailkenntnissen beruhen und formale und non-formale Akteure gleichermaßen einbinden. Die Kulturelle Bildung kann hierbei „in Bildungslandschaften auch einen kritischen Impuls bieten, mithin jugendpolitische Positionen forcieren und befördern, sodass sich das Bildungsnetzwerk auf ein breites Bildungsverständnis ausrichten kann“ (BKJ 2019: 56). Es müssen also gemeinsame Lernprozesse zwischen kommunaler Steuerungsebene, Schule und Kindertagesstätte sowie außerschulischen Bildungsakteuren angeregt werden, um die gemeinsame Kooperationspraxis weiterzuentwickeln.
Aufgrund aktuell vorherrschender multipler Krisen ist die Ganztagsbildung eine Chance für junge Menschen, auf Teilhabe- und Bildungsgerechtigkeit. Kulturelle Bildung kann dabei eine Möglichkeit sein, den Themen der Transformation und des Strukturwandels zu begegnen. Dabei steht der Gedanke einer netzwerkorientierten Bildungslandschaft schließlich zentral im Mittelpunkt – die kommunale Verankerung der Kulturellen Bildung muss aus Bundesperspektive somit verstärkt auf ihre Reaktionsfähigkeit entlang disruptiver Ereignisse überprüft werden. Die Gestaltungskompetenzen der Akteure der Kulturellen Bildung, die in jenen Bildungslandschaften arbeiten, die starke Kooperationen zwischen schulischer und außerschulischer Bildung fokussieren, tragfähige und qualitative Ganztagskonzepte vorweisen können und die Umsetzung der Kinderrechte im Bildungsbereich flankieren, müssen im Bewusstsein von Politik, Verwaltung und Fachakteuren selbstbewusst hervorgehoben werden.
Literatur
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Walther, Bastian/Nentwig-Gesemann, Iris/Fried, Florian (2021): Ganztag aus Perspektive von Kindern im Grundschulalter. Eine Rekonstruktion von Qualitätsbereichen und -dimensionen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Züchner, Ivo (2018): Ganztagsschulen und Kulturelle Bildung. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: https://www.kubi-online.de/artikel/ganztagsschulen-kulturelle-bildung [Zugriff: 17.05.2024].
Der Beitrag ist erstmalig erschienen in der Zeitschrift „Die Ganztagsschule“ (Schwerpunkt: Kulturelle Bildung. Heft 24, 64. Jahrgang, 2024) hrsg. v. Ganztagsschulverband e. V.