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Kulturelle Bildung und Demokratie: Im Zusammenspiel liegt die Stärke
Fachbeitrag

Kulturelle Bildung und Demokratie: Im Zusammenspiel liegt die Stärke

veröffentlicht:
Kulturelle Bildung und Demokratie: Jugendliche spielen im Vordergrund "Schere Stein Papier". Im Hintergrund jubelt eine Gruppe von jungen Menschen ihnen zu.
BKJ | Andi Weiland

Eine Stimme finden, mitsprechen: In Zeiten wachsender Unsicherheit und starker politischer wie gesellschaftlicher Gegensätze sind Erfahrungsräume Kultureller Bildung von unschätzbarem Wert für junge Menschen und die Demokratie.

Von Cara Hilliges

Portraitfoto von Cara Hilliges, BKJ

Cara Hilliges ist Referentin der Geschäftsführung bei der BKJ. Mit einem ersten Abschluss in Ethnologie, wendete sie sich anschließend vertieft der Politikwissenschaft und den Internationalen Beziehungen im Master zu. Zuletzt tätig war sie bei Save the Children Deutschland  und beriet in einer ehrenamtlichen Tätigkeit Geflüchtete rechtlich. 

Eine Ausstellung in Pirna über und mit Geflüchteten, die vom Landratsamt abgesagt wird (ZDF, 13.09.2024); ein vorgenommener Eingriff in die Inszenierung eines Stückes im Jugendtheater in Stollberg (MDR, 25.06.2024); der Landesjugendring in Brandenburg, dem angedroht wird, die Gemeinnützigkeit entzogen und die öffentliche Förderung gestrichen zu bekommen (Tagesspiegel, 03.09.2024) – Angriffe von rechts auf Kunst und Kultur finden nicht mehr im Verborgenen statt. Die daraus resultierende Angst vor dem Erstarken rechter Kräfte, die das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft (zer)stören wollen, zeigt sich überall und vor allem in der Zivilgesellschaft.

Befürchtungen werden laut, sich noch aktiv für Vielfalt und eine offene Gesellschaft einsetzen zu können, während bestätigt rechtsradikale Parteien in Landesparlamenten sitzen. Auch Ängste vor eventuellen Mittelkürzungen und Einschüchterungsversuchen durch rechte Kräfte werden in der Zivilgesellschaft lauter. Die Wahlergebnisse in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben bestätigt, was sich seit Monaten abzeichnet: Demokratische Werte befinden sich in einer Gefährdungslage. Es sind keine guten Aussichten, die Wahlprogramme und öffentliche Äußerungen erahnen lassen. Diese möglichen Auswirkungen eines Rechtsrucks und die damit einhergehenden Gefahren für die demokratischen Werte, lassen viele – landauf, landab – die Frage stellen, wie damit umgegangen werden kann. Wie kann die Vermittlung von demokratischen Werten gelingen, wenn so viele Menschen den Glauben an die Regierung und die demokratische Ordnung verloren haben?

Verortung von Demokratiebildung in der Kulturellen Bildung

Schule ist nicht der einzige Ort, an dem die Vermittlung von demokratischen Werten erfolgt. Es ist ein Bildungssystem gefragt, das nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch die Fähigkeit fördert, sich kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen und aktiv an ihrer Gestaltung mitzuwirken. Doch wie entwickelt man diese Fähigkeiten? Nicht selten beginnt es in Räumen, die wir als Kulturelle Bildung kennen. Es beginnt im Fotoworkshop im Nachmittagsbereich der Grundschule, in dem die Lebenswelt mit anderen „Augen“ betrachtet wird, im Jugendorchester, in der Besprechung eines Romans, beim Blick hinter die Kulissen einer Oper oder auf der Bühne im Stadtteilzentrum, wenn nach monatelanger Arbeit für das im Miteinander entstandene Stück mit Tanz-, Theater, Performance- und zirzensischen Elementen der Applaus in den Ohren hallt.

Weit mehr als nur ein Werkzeug, um künstlerische Fähigkeiten zu fördern, ist Kulturelle Bildung eine Arena, in der junge Menschen lernen, ihre Stimmen zu finden und sie zu erheben. Sie bietet ihnen Räume, in denen sie sich ausdrücken, ihre Meinungen entwickeln und gleichzeitig ein tiefes Verständnis für den gesellschaftlichen Kontext, in dem sie leben, gewinnen können (vgl. Witt 2018). Das ist immer – und gerade in Zeiten wachsender Unsicherheit und Radikalisierung – von unschätzbarem Wert.

In der Kulturellen Bildung werden Begegnungen ermöglicht, die anderswo kaum stattfinden. Hier werden gesellschaftlichen Normen und Werte ausgehandelt – nicht durch bloße Belehrung, sondern durch das Erleben, Ausprobieren und Reflektieren. Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch, keine vorgefertigten Antworten. Sie dient als Plattform, auf der gesellschaftliche Widersprüche ausgelebt werden können, ohne dass sie aufgelöst werden müssen. Und genau hier findet ein wesentlicher Beitrag zur Demokratiebildung statt. Kulturelle Bildung ermuntert zur Teilhabe und bietet damit der Demokratie Räume.

Der Wunsch nach Mitbestimmung

Im Interview beschreibt Nina Stoffers, Geschäftsführerin der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Sachsen, es treffend: „Die Leute wollen mitreden“. Die Sinus-Jugendstudie 2024 zeigt, dass junge Menschen verstärkt das Bedürfnis nach Mitbestimmung und Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse haben. Doch dieser Wunsch nach Teilhabe wird oft nicht erhört. Oft fehlt es an den Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Gerade in strukturschwachen, ländlichen Regionen müssen wir uns fragen: Wo und wie werden diese jungen Menschen erreicht? Welche Räume existieren, um Gesellschaft mitzugestalten? Räume zu öffnen, in denen sich Menschen ungezwungen begegnen können, die offen für Engagement und Beteiligung sind, ist zentral für die Vermittlung und Stärkung demokratischer Grundwerte.

Digitale Welten mitdenken

Mit Blick auf die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg fällt vor allem das Wahlverhalten der 18- bis 24-Jährigen ins Auge: 31 Prozent in Sachsen und Brandenburg sowie 38 Prozent in Thüringen wählten die AFD (infratest dimap, 23.09.2024). Im Diskurs um die Frage der Gründe dafür, werden die Sozialen Medien immer wieder als ‚das‘ Übel genannt (vgl. Hartung 2024). Während junge Menschen auf Tiktok, Instragram und Co. auf rechtsextreme und rechtsideologisierte Meinungsfelder treffen, die sie in ihren Bann ziehen können, ist ein reines Schuldigmachen der Sozialen Medien nicht zielführend. Laut JIM-Studie 2023 sind Jugendliche durchschnittlich vier Stunden täglich online (MPFS 2023). Daran lässt sich nichts ändern, noch muss man sie davon abhalten – und wie könnte man das schon?

Vor dem Hintergrund der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und allen schnelllebigen Fortschritten der Moderne, müssen digitale Welten mitgedacht und im besten Falle mitgestaltet werden. Mit den dort platzierten Inhalten, etwa dem schieren Wust an Desinformationen und politischer Hetze, muss ein Umgang gefunden werden – gesellschaftlich und in Formaten der Kulturellen Bildung. Die Herabsetzung junger Menschen aufgrund ihres Nutzungsverhaltens oder gar der gesamten modernen Kommunikationstechnik scheint nicht der richtige Weg zu sein. Vor allem ist es kein zielführender Umgang damit, wenn junge Menschen das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden (vgl. Sinus-Jugendstudie 2024).

Schauen wir also, was moderne Medien auch vermögen: Digitale Plattformen können junge Menschen zu mehr Beteiligung und Teilhabe bewegen, wie das Projekt „re:mix” der Deutschen Chorjugend zusammen mit dem Medienbildungsverein mediale pfade demonstriert. Digitale Medien bieten zahlreiche Möglichkeiten der Mitbestimmung und Partizipation. Ob über Social Media, Podcasts oder Videoplattformen – junge Menschen nutzen diese Medien, um ihre Stimmen hörbar zu machen. „re:mix“ zeigt, wie Kulturelle Bildung die digitale Welt nutzen kann, um demokratische Werte zu stärken und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Es ist diese Kombination aus künstlerischem Ausdruck und digitaler Vernetzung, die neue Wege der Beteiligung eröffnet und Jugendlichen ermöglicht, sich Gehör zu verschaffen.

Gesellschaft (mit)gestalten

Kinder und Jugendliche wollen neue Wege zu Teilhabe und Engagement ergründen – sie wollen gestalten, wie David Adler in seinem Essay in „kubi  Magazin für Kulturelle Bildung“ beschreibt. Freiwilligendienste können einen Anteil daran haben, dass Jugendliche darüber hinaus gesellschaftlich aktiv bleiben wollen, wie Befragungen der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) ergeben haben: Mehr als 52 Prozent der Freiwilligen in den Freiwilligendiensten Kultur und Bildung gaben an, dass sie sich auch nach Ende ihres Freiwilligenjahres engagieren wollen (BKJ 2022). Das zeigt, dass Engagement oft nur den richtigen Anstoß braucht. Genau diesen Anstoß kann Kulturelle Bildung geben, indem sie Fähigkeiten vermittelt, die junge Menschen in einer demokratischen Gesellschaft benötigen.

Projekte der Kulturellen Bildung können junge Menschen auffangen und gesellschaftlich relevante Themen mit ihnen bearbeiten: Bei #theatre.makes.politics vom Bundesverband Theaterpädagogik wurden Jugendliche aus fünf europäischen Ländern in die Entwicklung von theaterpädagogischen Formaten eingebunden, um sie für demokratische Prinzipien zu sensibilisieren. Die Verknüpfung von unterschiedlichen Lebenslagen der jungen Menschen in verschiedenen Länderkontexten kann dabei einen wichtigen Beitrag für die Vielfalt- und damit Demokratiegestaltung leisten. Durch die internationale Zusammenarbeit in der Kulturellen Bildung werden junge Menschen für globale und entwicklungspolitische Themen sensibilisiert. Ambiguitätstolerenz und Perspektivenwechsel werden hierin besonders gefördert (siehe auch BKJ 2023).

Ein ungleiches Geschwisterpaar?

Kulturelle und politische Bildung sind kein Gegensatzpaar, sondern Geschwister, „weil die Kulturelle Bildung gesellschaftliche Widersprüche und Konfliktpotenziale sichtbar und erfahrbar machen kann, ohne dass sie sie auflösen muss, während man in der politischen Bildung darüber nachdenkt, wie und mit welcher Berechtigung allgemeine Angelegenheiten verbindlich geregelt werden“ (Becker/Bielenberg 2021). Das Zusammenspiel beider Bildungsbereiche ist entscheidend, um die demokratische Teilhabe von jungen Menschen zu fördern (ebd.). In Räumen, die der Gestaltung ihrer Teilnehmer*innen bedürfen, können sich Menschen ungezwungen begegnen. Demokratie kann am eigenen Körper erfahren und als eine Praxis erlebt werden, ohne dass das Politische aufgezwungen wird. Ein Bedürfnis nach Teilnahme an Gesellschaft sowie ihrer Gestaltung entsteht durch positive Erfahrungsräume, in denen sich Menschen gesehen fühlen (vgl. Witt 2017/2018).

In der Kulturellen Bildung werden Begegnungen ermöglicht, die anderswo kaum stattfinden. Hier werden gesellschaftlichen Normen und Werte ausgehandelt – nicht durch bloße Belehrung, sondern durch das Erleben, Ausprobieren und Reflektieren.
Cara Hilliges, BKJ

Akteure der Kulturellen Bildung stärken junge Menschen in ihrer Meinungsbildung und setzen sich aktiv mit Werten und der Vermittlung dieser auseinander, im Kern stets die Prinzipien von Vielfalt und Teilhabe tragend (BKJ 2024). Ein Beispiel für die praktische Umsetzung dieses Bildungsverständnisses ist die Arbeit mancher Landesdachverbände der Kulturellen Bildung, wie die der LKJ Sachsen, die in ihren Programmen und Kampagnen gezielt darauf hinarbeitet, Demokratiebildung als grundlegenden Aspekt der kulturellen Bildungsarbeit zu integrieren.

Trotz der zunehmend schwierigen politischen Rahmenbedingungen, insbesondere in ländlichen Regionen, gelingt es der LKJ Sachsen, durch künstlerisch-ästhetisch und partizipative Formate wie die „Nacht der Jugendkulturen“ jungen Menschen Möglichkeiten zur Selbstbeteiligung und Meinungsäußerung zu bieten. Diese Projekte zeigen eindrucksvoll, wie Kulturelle Bildung junge Menschen ermutigt, sich aktiv an Diskursen zu beteiligen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden.

Vernetzen und kooperieren

Mit der Beobachtung des Erstarkens antidemokratischer Kräfte, die sich in den Einstellungen und dem Wahlverhalten junger Menschen ablesen lässt, ist es wichtiger denn je, junge Menschen in der Entwicklung ihrer (politischen) Subjektivität zu unterstützen. Demokratiebildung ist dabei als eine mehr als affirmative Praxis zu sehen, in ihr muss Raum für die Formulierung und kritische Reflexion von Normen und Machtstrukturen sein (vgl. Braun 2023; Witt 2018). Die Vernetzung der Akteure der Zivilgesellschaft, besonders der der Kulturellen Bildung, und die Arbeit miteinander ist dabei von zentralem Stellenwert, wie auch Nina Reip im Interview beschreibt.

Im Einstehen für Menschenrechte und gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit, können sich zivilgesellschaftliche Akteure miteinander verbinden (BKJ 2024). Den Ängsten, die die zivilgesellschaftlichen Akteure haben, kann nur gemeinsam und in Solidarität miteinander begegnet werden. Gemeinsam, und in der Positionierung für Demokratie und Menschenrechte, findet sich eine Kraft, die es heute und in nächster Zeit braucht. Ausgerichtet muss die Kulturelle Bildung auf die Bedürfnisse von Menschen sein, die in der Gesellschaft benachteiligt werden. Mit einer Ausrichtung an der digitalen Begegnungswelt Jugendlicher und einer Vernetzung mit Politischer Bildung kann Kulturelle Bildung ihr volles Potenzial entfalten und dazu beitragen, eine starke und resiliente Demokratie zu fördern.

Literatur

Bielenberg, Ina/Becker, Helle (2021): : Wild und widersprüchlich: Wie anschlussfähig sind Kulturelle Bildung und politische Bildung? Interview. 
https://www.bkj.de/grundlagen/wissensbasis/beitrag/wild-und-widerspruechlich-wie-anschlussfaehig-sind-kulturelle-bildung-und-politische-bildung/ open_in_new
BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019): Kulturvereine. Selbstverständnis, Strukturen, freiwilliges Engagement. Studie. Berlin.
BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2021/2022):: Abschlussbefragung Jugendfreiwilligendienste Jahrgang 2021/22. Studie. Berlin. (unveröffentlicht)
BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2023): Europäische und weltweite Perspektiven. Grenzen überschreiten im Denken und Handeln. Positionspaper. Berlin.
BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2024): Jetzt einstehen: Kulturelle Bildung für Demokratie, Vielfalt und Teilhabe. Aufruf des Vorstands der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).
Braun, Tom (2023): Foren der Veröffentlichung – Beiträge Kultureller Bildung zur Demokratiebildung. In: Bokelmann, Oliver (2023): Demokratiepädagogik: Theorie und Praxis der Demokratiebildung in Jugendhilfe und Schule (Soziale Arbeit als Wohlfahrtsproduktion, Band 29), Wiesbaden: Springer VS.
Hartung, Helmut (2024): Zur Bedeutung von Social Media: Gefährdung der Demokratie in: Politik & Kultur 9 (24).
Infratest dimap (2024): Landtagswahl 2024 Thüringen | Sachsen | Brandenburg.
https://www.tagesschau.de/wahlarchiv/laenderparlamente open_in_new
MDR/Bartsch, Michael (25.06.2024): Stollberg: Jugendtheater ändert Inszenierung nach Angriffen von rechts.
https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/chemnitz/chemnitz-stollberg/theater-burattino-kritik-afd-weisse-rose-kultur-news-102.html open_in_new
MPFS – Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (2023): JIM-Studie 2023 – Jugend, Information, Medien: Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19- Jähriger in Deutschland, Stuttgart (2023).
https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2023/ open_in_new
Sinus-Jugendstudie 2024 – Calmbach, Marc; Flaig, Berthold Bodo; Gaber, Rusanna; Gensheimer, Tim; Möller-Slawinski, Heide; Schleer, Christoph; Wisniewski, Naima (2024): Wie ticken Jugendliche? Sinus-Jugendstudie 2024. Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn.
Witt, Kirsten (2018/2017): Politische Bildung in der Kulturellen Jugendbildung. Wissensplattform Kulturelle Bildung Online.
https://www.kubi-online.de/artikel/politische-bildung-kulturellen-jugendbildung open_in_new
ZDF/Bärsch, Thomas (18.09.2024): Pirna entfernt Ausstellung über Geflüchtete.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/pirna-gefluechtete-ausstellung-abgesagt-100.html open_in_new