Kulturelle Bildung als unverzichtbarer Beitrag für eine generations- und chancengerechte Kinder- und Jugendhilfe
Fachkommentar zum 17. Kinder- und Jugendbericht
Fachkommentar zum 17. Kinder- und Jugendbericht
Cara Hilliges ist Referentin der Geschäftsführung bei der BKJ. Mit einem ersten Abschluss in Ethnologie, wendete sie sich anschließend vertieft der Politikwissenschaft und den Internationalen Beziehungen im Master zu. Zuletzt tätig war sie bei Save the Children Deutschland und beriet in einer ehrenamtlichen Tätigkeit Geflüchtete rechtlich.
Foto: PolasBerlin, Iveta Rysava
22 Millionen junge Menschen – mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland – prägen nicht nur die Gegenwart, sondern sind die wichtigste Ressource für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wie wachsen sie auf? Welche Bedingungen prägen ihr Leben und wie können sie aktiv und zuversichtlich an der Gestaltung unserer Demokratie teilnehmen?
Diese und andere Fragen bilden die Grundlagen vieler Studien, die jährlich erscheinen und von denen es so einige gibt, beispielsweise Shell Jugendstudie, AID:A, Sinus-Jugendstudie. Der 17. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2024a) basiert auf diesen Studien und hat sie unter eigenen Gesichtspunkten herangezogen und analysiert. Gegliedert und geschrieben wurde er von einer unabhängigen Sachverständigenkommission im Auftrag der Bundesregierung, die den Kinder- und Jugendbericht in jeder Legislaturperiode beauftragt.
Als turnusmäßiger Gesamtbericht bietet er eine umfassende Bestandsaufnahme der Lebenssituation junger Menschen in Deutschland und beleuchtet die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe, und vertieft daher dieses Mal kein spezifisches Schwerpunktthema. Der Berichtskommission wurde jedoch der Auftrag mitgegeben, das Aufwachsen in einer diversen und von Krisen geprägten Gesellschaft zu untersuchen.
Zum ersten Mal wurden die Perspektiven junger Menschen systematisch einbezogen: Über 5.000 Jugendliche wurden befragt, um ihre Sicht auf Teilhabe, Bildung, Freizeit, Engagement und gesellschaftliche Herausforderungen zu erfassen. Somit werden Daten als auch Perspektiven junger Menschen aus der Praxis zusammenführt.
Themen, die im Bericht behandelt werden, sind Chancengerechtigkeit, Armut, Beteiligung, Diversität und Vielfalt, mentale Gesundheit sowie Demokratiebildung. Die Sachverständigenkommission liefert dabei nicht nur eine Analyse, sondern formuliert auch Leitlinien und Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe. Der Bericht wird durch eine Stellungnahme der Bundesregierung (BMFSFJ 2024b) ergänzt, die eigenen Schlussfolgerungen zieht und zentrale politische Themen – darunter auch die Bedeutung Kultureller Bildung – benennt.
Der Bericht beleuchtet umfassend die vielfältigen Herausforderungen und Chancen des Aufwachsens in Deutschland:
Kulturelle Bildung öffnet Räume für Fantasie, Kreativität und Selbstentfaltung – sie befähigt junge Menschen dazu, die Herausforderungen einer komplexen Welt aktiv entgegenzusehen. Dennoch bleibt sie im Bericht selbst als spezifisches Feld weitgehend im Hintergrund. Die Bedeutung der Kulturellen Bildung schimmert in den Abschnitten zu Freizeitangeboten und Jugendräumen durch und erfährt eine volle Erwähnung und Bekräftigung in der Stellungnahme der Bundesregierung zum 17. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2024b):
Kulturelle Bildung bietet jungen Menschen nicht nur einen Raum, sich kreativ auszuprobieren, sondern auch, sich selbstbestimmt zu organisieren und spielerisch neue Perspektiven zu entdecken. Sie wird in der Stellungnahme der Bundesregierung als essenzieller Bestandteil der Kinder- und Jugendarbeit hervorgehoben, der dazu beiträgt, dass junge Menschen gestärkt und konstruktiv mit den Herausforderungen ihrer Lebenswelt umgehen können. Um dies zu sichern – so die Bundesregierung weiter – braucht es eine starke Infrastruktur und die geförderten, bundesweit agierenden Fachverbände und Institutionen, denn diese beraten, vernetzen, geben Impulse und fördern Fortbildung. (BMFSFJ 2024b: 17)
Der Bericht beleuchtet, wie entscheidend frei zugängliche Freizeitstätten und außerschulische Lern- und Bildungsorte für die Persönlichkeitsentwicklung und das soziale Lernen junger Menschen sind. Dabei zeigt sich, wie tief Kulturelle Bildung verwurzelt ist: in künstlerischen Workshops, Theatergruppen, Musikprojekten oder kreativen Initiativen, die jungen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Stimme zu finden und sich in einer geschützten Umgebung auszuprobieren – ganz ohne Druck und Raum für persönliche Entfaltung.
Die Sachverständigenkommission verweist auf die alarmierende Lage vieler solcher Angebote. Immer mehr Einrichtungen stehen vor finanziellen Hürden und sind auf kurzatmige Projektförderungen angewiesen (BMFSFJ 2024a). Dies gefährdet nicht nur die Kontinuität der Angebote, sondern auch die Qualität und Vielfalt, die die Jugendhilfe, vor allem aber auch die Kulturelle Bildung so einzigartig machen. Es wird deutlich: Ohne eine verlässliche und langfristige Finanzierung verlieren junge Menschen einen der wertvollsten Räume, um sich frei und kreativ zu entfalten (BMFSFJ 2024b: 17).
Mit Nachdruck formuliert die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme, die dem Bericht vorangestellt ist: Kulturelle Bildung ist nicht nur eine Bereicherung, sondern ein entscheidender Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und Teilhabe. Sie darf in keiner Strategie für Kinder- und Jugendpolitik fehlen – insbesondere im Kontext der Ganztagsförderung (BMFSFJ 2024: 17). Die Forderung der BKJ und der Akteure der Kulturellen Bildung ist klar: die Akteure und Angebote der Kulturellen Bildung müssen gefördert und gestärkt werden, um auch in Zukunft jungen Menschen den Raum zu geben, den sie brauchen, um sich als kreative und selbstbewusste Gestalter*innen ihrer Welt zu erleben.
Der 17. Kinder- und Jugendbericht wurde wenige Wochen vor dem überraschenden Ende der Regierungskoalition im Herbst 2024 veröffentlicht, die ihn in Auftrag gegeben hatte. Trotz dieser politischen Zäsur behält der Bericht seine herausragende Relevanz – auch im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen im Februar 2025. Er bündelt die zentralen Studien und Erkenntnisse der letzten Jahre zur Lebenssituation junger Menschen und bietet damit eine einzigartige Grundlage, um zukunftsfähige Politik für Kinder und Jugendliche zu gestalten.
Für die kulturelle Kinder- und Jugendbildung und die gesamte Jugendarbeit liegt hierin eine besondere Verantwortung. Die Herausforderungen, die der Bericht klar benennt – von der Förderung von Chancengerechtigkeit bis zur Schaffung von Freiräumen –, verlangen nach starken Akteuren, die jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich frei und kreativ zu entdecken, zu entfalten und ihre eigene Stimme zu finden. Gerade in den Angeboten der Kulturellen Bildung können Kinder und Jugendliche sich ausprobieren, ihre Potenziale entdecken und sich ohne Druck entwickeln. Diese Räume sind unverzichtbar, um jungen Menschen eine Perspektive und Zuversicht zu geben. Die Akteure der Kulturellen Bildung haben klare Vorstellungen, wie Kinder- und Jugendpolitik hierfür gelingen kann. Diese spiegeln sich in den Forderungen der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) als Dachverband für Kulturelle Bildung zur Bundestagswahl 2025 wider. Die Politik steht nun in der Verantwortung, starke und verlässliche Infrastrukturen sicherzustellen.
Kulturelle Bildung ist nicht nur eine Ergänzung, sondern ein zentraler Bestandteil einer zukunftsweisenden Jugendpolitik. Ihre Bedeutung darf weder auf politischer noch auf gesellschaftlicher Ebene vernachlässigt werden. Der Bericht bietet die Chance, die Perspektiven junger Menschen endlich ins Zentrum politischer und gesellschaftlicher Entscheidungen zu rücken. Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft müssen zusammen daran arbeiten, eine generationengerechte Zukunft zu gestalten. Junge Menschen geben der Kinder- und Jugendhilfe das Vertrauen, ihre Gegenwart und Zukunft in ihrem Sinne mitzugestalten – Kulturelle Bildung als Teil davon hat die Aufgabe, ihrer Zuversicht gerecht zu werden.
BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2024): Bundestagswahl 2025: In die Zukunft von Kindern und Jugendlichen investieren mit Kultureller Bildung. Stellungnahme. [Zugriff: 18.12.2024].
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2024a): 17. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lage junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. [Zugriff: 19.12.2024].
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2024b): Zuversicht braucht Vertrauen. Die Lage der jungen Generation und die Situation der Kinder- und Jugendhilfe. Zentrale Erkenntnisse und Empfehlungen des 17. Kinder- und Jugendberichts. [Zugriff: 19.12.2024].