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Kulturelle Bildung als Fels in der Brandung
Interview

Kulturelle Bildung als Fels in der Brandung

Im Gespräch mit Ute Handwerg, BKJ-Vorstand

veröffentlicht:
Kinder beobachten aufmerksam wie die Farbe auf das Papier kommt.
BKJ | Jörg Farys

Gesellschaftliche Veränderungen kritisch zu begleiten, ist in Krisenzeiten wichtig. Mit ihrem neuen Vorstand stellt die BKJ sich und die Kulturelle Bildung dafür zukunftsfähig auf. Ute Handwerg über Aufgaben, Forderungen zur Bundestagswahl und Visionen.

Uta Handwerg, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel & Theater.

Ute Handwerg ist seit 2002 Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Spiel und Theater. Seit Herbst 2024 ist sie Vorsitzende im Vorstand der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Ihre Themenschwerpunkte sind internationale Zusammenarbeit in der Kulturellen Bildung sowie Teilhabegerechtigkeit.

Welchen persönlichen Bezug hast du zur Kulturellen Bildung?

In meinem Germanistik-Studium in Hannover habe ich im Zusammenhang mit Bertolt Brechts Konzept der Lehrstücke theaterpädagogische Methoden kennengelernt. Später habe ich in Sankt Petersburg Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und auch Rollenspiele zum Spracherwerb in den Unterricht eingebaut. Natürlich ist mir bewusst, dass die Summe aus Bildung und Kultur nicht automatisch Kulturelle Bildung ergibt. Während meines Studiums habe ich in Amateurtheatergruppen gespielt. Daran hat mir besonders gefallen, in verschiedene Rollen schlüpfen und mich mit den Texten der Stücke intensiver befassen zu können. Das Agieren in der Gruppe hat mir Spaß gemacht: Gemeinsam etwas zu erarbeiten, was aufgeführt wird und sich auch einer Öffentlichkeit, einer Kritik stellt.

Die Akteure der Jugendarbeit, der Kulturellen Bildung, sind ein Fels in der Brandung und stehen für die Interessen junger Menschen ein.

Ute Handwerg, BKJ-Vorstand

Seit wann bist du dem Dachverband BKJ verbunden und auf welche Weise?

Seit meiner hauptamtlichen Tätigkeit für die BAG Spiel und Theater bin ich auch im Dachverband BKJ aktiv. Mir ist die Kontinuität bei der Verbandsvertretung wichtig, um den Wissens- und Informationstransfer zwischen Mitgliedsverband und Dachverband herzustellen. Ich habe in diesem Kontext früh den Bereich Internationales in unterschiedlichen Gremien vertreten, habe beispielsweise die Beteiligung von Theaterverbänden am Deutsch-Japanischen Fachkräfteaustausch koordiniert und vertrete die BKJ seit vielen Jahren im gemischten Deutsch-Türkischen Fachausschuss zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Trägern und Akteuren der Jugendarbeit. Im Fachausschuss Internationales der BKJ engagiere ich mich seit langer Zeit, zuletzt als stellvertretende Vorsitzende.

Warum hat die internationale Zusammenarbeit diesen hohen Stellenwert für dich?

Ich bin davon überzeugt, dass die internationale Perspektive, der Blick in andere Strukturen und Organisationen die eigene Arbeit überaus bereichert. Ich sehe die internationale Kooperation als einen wichtigen Innovationstreiber der Kulturellen Bildung. In meiner hauptamtlichen Tätigkeit versuche ich, diesen Bereich kontinuierlich weiterzuentwickeln und profitiere davon, dass die BAG Spiel und Theater schon einige Jahrzehnte international aktiv ist, zum Beispiel lange vor dem Mauerfall mit Partnern in der Tschechoslowakei, Polen, der Sowjetunion und der DDR im Austausch war und entsprechendes Know-how generieren konnte. Diese Erfahrungen in die BKJ einzubringen und gemeinsam mit engagierten Verbänden und Akteuren die internationale Kooperation weiterzuentwickeln, ist mir ein fachliches Anliegen.

Welche sind die Kernthemen für die Kulturelle Bildung in den kommenden Jahren, die du voranbringen möchtest?

Wenn ich dazu eine persönliche Wortwolke bilden würde, dann enthielte diese auf jeden Fall: Teilhabechancen für junge Menschen weiter erhöhen und Partizipation intensiv umsetzen. Das ist für mich die Grundlage einer offenen und pluralen Gesellschaft. Partizipationsmöglichkeiten, wie sie etwa das freiwillige Engagement in den Freiwilligendiensten schafft, spielen neben der Entwicklung von nachhaltigen Beteiligungsinstrumenten für Kinder und Jugendliche eine wichtige Rolle. Dass aktuell bei den Freiwilligendiensten der Rotstift angesetzt wird, finde ich überaus bedenklich und absolut kontraproduktiv. Denn über diese Formate können junge Menschen sich in gesellschaftlichen Kontexten erproben, sie können ihr Umfeld konkret mitgestalten und ‚ihren‘ Platz in der Gesellschaft finden.

Vor dem Hintergrund der öffentlichen Haushalte, die unter erheblichem Druck sind, ist es eine der zentralen Aufgaben, verlässliche und zeitgemäße Angebote für Kinder und Jugendliche vorzuhalten und weiterzuentwickeln.

Ute Handwerg, BKJ-Vorstand

Dass wir in herausfordernden Zeiten leben, schlägt uns jeden Tag ins Gesicht. Vor welchen Aufgaben steht die Kulturelle Bildung?

Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Einstellungen im öffentlichen Diskurs nehmen in erschreckender Weise zu. Wir erleben, dass Akteure der Kulturellen Bildung eingeschüchtert werden. Das muss sichtbar gemacht und klar verurteilt werden. Deswegen finde es richtig und wichtig, dass die BKJ und ihre Mitglieder im November die Stellungnahme „Entschlossen für Demokratie“ verabschiedet haben.

Wegbrechende Bildungs- und Freizeitangebote und Strukturen, die nicht verlässlich sind: Das haben Kinder und Jugendliche insbesondere in den Pandemiejahren erlebt und, so legen es Untersuchungen nahe, unbewusst verinnerlicht. Insofern müssen wir uns fragen: Wie verlässlich sind Gesellschaft und Politik im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und wie berücksichtigen sie deren Bedarfe und Bedürfnisse? Vor dem Hintergrund der öffentlichen Haushalte, die unter erheblichem Druck sind, ist es eine der zentralen Aufgaben, verlässliche und zeitgemäße Angebote für Kinder und Jugendliche vorzuhalten und weiterzuentwickeln. Gar nicht weit weg davon ist auch die Frage: Wie gelingt es uns, Politik davon zu überzeugen, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden? Das ist eine zentrale Forderung der BKJ zur Bundestagswahl 2025. Damit verbunden ist die Forderung, Kinder und Jugendliche ins Zentrum politischer Entscheidungen und Maßnahmen zu stellen.

Dazu gehört auch, den Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundes als das zentrale Förderinstrument für Kinder und Jugendliche  auszubauen. Das heißt, ihn aufzustocken und eine Dynamisierung festzuschreiben.

Dass aktuell bei den Freiwilligendiensten der Rotstift angesetzt wird, finde ich überaus bedenklich und absolut kontraproduktiv. Denn über diese Formate können junge Menschen sich in gesellschaftlichen Kontexten erproben, sie können ihr Umfeld konkret mitgestalten und ‚ihren‘ Platz in der Gesellschaft finden.

Ute Handwerg, BKJ-Vorstand

Welches gesellschaftliche Potenzial liegt in der Kulturellen Bildung?

Kulturelle Bildung unterstützt junge Menschen dabei, sich persönlich weiterzuentwickeln, kritisch selbstständig zu denken, sich die Welt anzueignen. Es ist ein zentrales Anliegen der BKJ, Kulturelle Bildung zu stärken und ihre Strukturen abzusichern. Dieses Anliegen lässt sich in einen engen Zusammenhang mit den jüngsten Aussagen des Kinder- und Jugendberichts und der Shellstudie stellen. Beide Erhebungen machen deutlich, dass Jugendliche große Ängste haben vor dem Klimawandel, vor Kriegen in Europa und der Welt und vor einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft. Die Akteure der Jugendarbeit, der Kulturellen Bildung, sind ein Fels in der Brandung und stehen für die Interessen junger Menschen ein.

Was ist dein Wunsch und deine Vision für junge Menschen in Deutschland?

Wenn man nachliest, was junge Menschen sich aktuell wünschen, dann finden sich Antworten wie: Ich möchte, dass es meiner Familie und meinen Freund*innen gut geht. Ich möchte Frieden. Ich möchte eine gute Schulbildung usw.

Daran anschließend wünsche ich mir, dass junge Menschen sicher und chancenreich aufwachsen können. Dazu gehören gute Rahmenbedingungen für Bildung, Erwachsene und gute Freund*innen als wohlwollende Begleitende, und ein gesellschaftliches Klima, das allen Menschen, unabhängig von Herkunft, von Geschlecht, von Religion etc., ein gerechtes Aufwachsen ermöglicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die BKJ mit ihrer Arbeit, ihren Angeboten und Strukturen dazu beitragen kann.