Skip to main content
home
chevron_right
Magazin
chevron_right
Kultureinrichtungen als Dritte Orte?
Interview

Kultureinrichtungen als Dritte Orte?

Im Gespräch mit Eeva Rantamo, Kulturprojekte – Inklusive Kulturarbeit, Dortmund

veröffentlicht:

Eeva Rantamo berät Kultureinrichtungen seit Jahren zu Diversität, Inklusion und Barrierefreiheit. Dabei beschäftigt sie sich auch mit dem „Dritten Ort“. Ein Konzept mit viel Potenzial für Kunst und Kultur, aber kein „Must-have“ für alle.

Eeva Rantamo ist als Beraterin, Dozentin und Projektleiterin für Diversität, Inklusion und Barrierefreiheit in Kultureinrichtungen, Bildung und Tourismus tätig und leitet internationale und lokale Entwicklungsprojekte zur barrierefreien und gleichberechtigten Kommunikation im…

Was können wir uns unter dem Konzept des „Dritten Ortes“ vorstellen und wofür stehen Dritte Orte?

Der Begriff wurde 1989 vom US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt. Gemeint sind damit Orte, an denen sich Angehörige einer lokalen, sozialen Gruppe zwanglos treffen und einfach gemeinsam Zeit verbringen. Dritte Orte existieren neben dem Familienleben bzw. der eigenen Wohnung als „Erstem Ort“ sowie der Arbeit und Ausbildung als „Zweitem Ort“. Sie können als Rückzugsorte von den ersten zwei Orten oder von Zwängen dienen. Es sind Orte, wo man sich frei fühlen kann, wo eine gute Stimmung herrscht und wo es eine Stammgruppe gibt. Der Dritte Ort kann z. B. die Eckkneipe oder eine Tischtennisplatte im Park sein. Ganz wichtig ist dabei die soziale Funktion: der direkte geistige Austausch mit anderen Menschen, die Möglichkeit, Bekanntschaften zu machen und Freundschaften zu schließen. Dadurch werden die Menschen sozial gestärkt, es entsteht „soziales Kapital“, wie Oldenburg es nennt. Das ist auch für das Leben von Kindern und Jugendlichen ganz wichtig. Diese zwanglosen Orte gibt es allerdings immer weniger. Und: Dritte Orte kann man nicht „machen“, sondern sie entstehen von selbst. 

Über das Konzept der Dritten Orte nachzudenken […], ist für alle Kulturorte elementar wichtig, wenn wir unser kulturelles Leben sinnvoll erhalten und weiterentwickeln wollen.

Eeva Rantamo  

Inwieweit sind Kultureinrichtungen, oder auch Einrichtungen der kulturellen Bildungsarbeit, Dritte Orte?

Nach der klassischen Definition sind Kultureinrichtungen keine Dritten Orte. Man kann nicht einfach hingehen und sich dort aufhalten, wenn man Eintritt bezahlen oder sich anmelden muss. Sie dienen meistens einem bestimmten Zweck und sie erwarten von den Besuchern die Einhaltung wesentlicher Regeln. Das passt einfach nicht zur Idee vom Dritten Ort. Wenn Kultureinrichtungen jedoch die Kriterien des Konzepts „Dritter Ort“ erfüllen und solche Orte bewusst gestalten möchten, den Menschen die Begegnung und Kommunikation erleichtern sowie den Aufenthalt angenehm machen, dann ist das sehr zu begrüßen. Aber es ist genauso gut, ein funktionierender, erlebnisreicher, immer etwas Neues suchender, sozialer „Zweiter Ort“ zu sein. Ob sich daraus dann tatsächlich ein Dritter Ort entwickelt, hängt von den Besuchern ab. Dritte Orte können im Kulturbereich viel bewirken, aber Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildungsarbeit müssen sich dabei vor allem die Frage stellen: Was haben wir davon, wenn wir einen Ort anbieten, an dem die Menschen ohne Zweck „herumlungern“, wenn sich Stammgäste einfinden, die sich gar nicht mit dem Thema der Einrichtung beschäftigen? Lohnen sich die Kosten dafür? Haben wir das entsprechende Personal? 

Welche Potenziale sehen Sie im „Ansatz“ der Dritten Orte für kulturelle Bildungseinrichtungen?

Ich würde die Stichworte soziale Inklusion, Diversität und Barrierefreiheit nennen. Es ist die Möglichkeit, die Einrichtung für Menschen zu öffnen, die noch nie da waren. Dann kann es eine Schleuse zur eigentlichen Institution und ihrem klassischen Angebot sein, wenn die Leute erst einmal die Räume entdecken und sich dort wohlfühlen. Das Konzept ist auch interessant, weil es über schlichte Marketing-Ideen hinausgeht und die tatsächlichen kulturellen und sozialen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung in den Fokus rückt. Wenn neben der Bildungsaufgabe dadurch auch ein starkes öffentliches Interesse entsteht, dann kann das eine positive Auswirkung auf die Finanzierung haben, denn die Kultureinrichtungen stehen unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck.

Welche Kultureinrichtungen erfüllen für Sie bereits beispielhaft die Kriterien eines Dritten Ortes?

Bibliotheken. Über Dritte Orte wird da schon lange gesprochen. Für sie ist es von der Struktur her viel einfacher umzusetzen als z. B. für Museen oder Konzerthäuser. Die Räume zum zwanglosen „Herumlungern“ sind da. Man muss sich keine Ausstellung angucken oder Bücher lesen. Man kann einfach hingehen und sich dort mit Leuten treffen. Ein gutes Beispiel ist die Zentralbibliothek „Oodi“ in Helsinki, die 2018 eröffnet wurde. Jahrelang wurde die komplette Einrichtung zusammen mit den Bürgern geplant und wird auch immer noch weiterentwickelt. Bei der Eröffnung im kalten, dunklen finnischen Dezember standen die Leute mehrere Tage in Schlangen vor der Tür, so gut besucht war sie, unglaublich. Und sie ist immer noch gut besucht, auch von Jugendlichen. Und in der Kinderabteilung treffen sich Familien mit ihren Kleinkindern auf einem großen Teppich. Sie verbringen dort Stunden gemeinsam. Das sind Gleichgesinnte, die sich an diesem Ort finden. Es ist wirklich toll. Andere Kultureinrichtungen, die Dritte Orte ebenfalls einfacher organisieren können, sind z. B. Jugendkultureinrichtungen oder -häuser.

Braucht es eigentlich immer einen konkreten „Ort“? 

Es gibt die Diskussion, ob auch das Internet ein Dritter Ort sein kann. Wenn wir bei der klassischen Beschreibung von Ray Oldenburg bleiben, dann trifft das nicht zu. Es ist wichtig, dass es einen Raum gibt, wo man einfach hingehen kann, wo man sich aufhalten, wohlfühlen und sich gegenüberstehend austauschen kann. Ich finde, das braucht einen wirklichen Ort. Ein solcher Ort nützt vor allem Menschen, die wenige gesellschaftliche Möglichkeiten haben, die von sich aus keinen selbstverständlichen Zugang zu Kunst und Kultur haben.

Es ist genauso gut, ein funktionierender, erlebnisreicher, immer etwas Neues suchender, sozialer „Zweiter Ort“ zu sein.

Eeva Rantamo  

Kulturelle Bildung – Dritte Orte – Inklusion. Wo hakt es für Sie ggf. in dieser Verbindung und wo finden Sie ermutigende Ansätze?

Es hakt zunächst bei den unterschiedlichen Funktionen. Wenn wir an die Situation von Kultureinrichtungen denken, dann ist Bildung dort meist nicht zweckfrei und es kommen in der Regel nur bestimmte Gruppen zusammen, es ist nie umfassend inklusiv. Aber ich finde toll, dass viele Einrichtungen und Akteure heute über diese Fragen und Widersprüche nachdenken und neue Lösungen erproben. Über das Konzept der Dritten Orte nachzudenken und Impulse aus öffentlichen Debatten über barrierefreie Inklusion, Integration, Gleichstellung sowie Gleichberechtigung aufzunehmen und produktiv umzusetzen, ist für alle Kulturorte elementar wichtig, wenn wir unser kulturelles Leben sinnvoll erhalten und weiterentwickeln wollen. Aber es gibt keinen Weg, der für alle Kultureinrichtungen funktioniert. Es gibt nur Möglichkeiten, die es ggf. auszuprobieren gilt. Für die Kulturelle Bildung wäre eine solche Möglichkeit die des Entdeckens, sich gemeinschaftlich in der Freiheit des Dritten Ortes spontan mit eigenen Fragen und Themen beschäftigen zu können und dabei zugleich die Angebote der Einrichtung zur Verfügung zu haben.
 

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 29 – 30.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Wenn Sie Interesse an einer Nutzung haben, melden Sie sich gerne unter redaktion@bkj.de.