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Kultur in der Tasche – Wie die „KulturKarte“ den Zugang zu Kultur für Kinder und Jugendliche erleichtern soll
Interview

Kultur in der Tasche – Wie die „KulturKarte“ den Zugang zu Kultur für Kinder und Jugendliche erleichtern soll

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„Vielfalt, Teilhabe und Gemeinschaft. Kultur für dich überall. Ein Pass für jeden Anlass“, so lautet die Idee von Océane, Danait, Mia und Susan, mit der sie bei der Abstimmung über das Jugendbudget der Bundesregierung im Frühjahr 2021 überzeugt haben. Die vier im Interview.

Von Dijana Kolak

Bild: BKJ

Anfang 2021 habt ihr beim Hackathon zum Jugendbudget 2021 der Bundesregierung mitgemacht. Wie habt ihr davon erfahren und warum wolltet ihr dabei sein?

Mia: Als ich letztes Jahr mein FSJ Kultur gemacht habe, bin ich durch die BKJ auf den Hackathon gekommen. Besonders gefallen hat mir, dass nach der Idee von Jugendlichen gefragt wurde. Ich denke, wir können am besten sagen, was wir brauchen und verändern wollen.

Danait: Ich gehe gemeinsam mit Susan in eine Klasse und durch sie bin ich auf das Jugendbudget gestoßen. Die Aussicht, sich für mehr Kulturelle Bildung einzusetzen, war der Grund, warum ich mitmachen wollte.

Susan (nickt): Bei mir war es vor allem die Chance darauf, dass die eigene Idee mit Unterstützung tatsächlich umgesetzt werden kann.

Océane: Über einen Kollegen habe ich vom Jugend-Hackathon erfahren und wollte sofort dabei sein. Dass wir am Ende gewinnen könnten – daran hatte ich nicht gedacht, sondern mich einfach auf die inspirierende Erfahrung gefreut.

Warum macht niemand was, warum wird man dann nicht gehört? – Das habe ich mich gefragt, bevor mir aufgefallen ist, dass ich dieser jemand sein kann, der versucht, seine Stimme zu nutzen, um etwas zu verändern. Ich nehme es ernst, dass wir jetzt derartig gehört werden.

Susan, Teilnehmerin am Hackathon zum Jugendbudget 2021 der Bundesregierung, Sieger-Projekt „Deine CultureCard“

Wie kann ich mir den Hackathon überhaupt vorstellen, wie ist das abgelaufen?

Mia: 500 Jugendliche haben online mitgemacht. Nach einer kurzen Einführung wurden wir in Gruppen eingeteilt. Wir haben uns für „Stadt, Land, Kultur und Wohnen“ entschieden. Aus einem Brainstorming haben sich wiederum kleinere Gruppen gebildet. So haben wir schließlich zueinander gefunden. (lacht) In intensiven, zweieinhalb Tagen haben wir versucht, aus verschiedenen Ideen ein gemeinsames Projekt zu entwickeln.

Und das mit Erfolg! Eure Idee für eine KulturKarte hat die 2.600 Jugendlichen beim Online-Voting überzeugt. Wie ist die Idee entstanden?

Susan: Beim Brainstorming mit dem Jugendrat meiner Stadt hatten wir die Idee für eine Karte, mit der man ins Ausland kommen kann. Eine Art Ferienpass, um die Kultur von anderen Ländern kennenzulernen. Und Océane hatte die Idee, dass der Verkehrs-Transport erleichtert wird.

Mia: Meine Idee war damals eine Art Studentenausweis, der eine Ermäßigung für kulturelle Einrichtungen ermöglicht − für alle Jugendlichen unabhängig von Alter, Tätigkeit oder Status. Ganz egal, ob Kino, Theater, Ballett, Konzert oder Festivals, der Ausweis sollte eine einheitliche und flächendeckende Ermäßigung vorsehen.

Gebündelt aus euren Vorschlägen habt ihr die Idee entwickelt. Was kann man sich darunter vorstellen und wie sollte sie eurer Meinung nach funktionieren?

Susan: Die CultureCard sollte Jugendlichen im Alter von 12 bis 27 Jahren Zutritt zu einem vielfältigen kulturellen Angebot geben, damit sie ihre Interessen entdecken können und etwas Neues lernen. Das ist wichtig für die Entwicklung junger Menschen, da sie dann den Raum haben, sich auszuprobieren. Die Angebote sollten ermäßigt oder gar kostenlos für junge Menschen sein, gleichzeitig sollen die Institutionen nicht darunter leiden.

Mia: Wichtig wäre, denke ich, dass sie bundesweit einheitlich funktioniert und möglichst alle kulturellen Einrichtungen und Angebote eingeschlossen sind. Wir streben ein großflächiges Angebot an: Auch Technofestivals oder Konzerte sollten dazugehören. Jugendliche mit der CultureCard könnten zusätzlich den öffentlichen Nahverkehr nutzen, um zur Einrichtung oder zum Event zu fahren. Um Kultur diverser zu gestalten, fängt man am besten schon bei den Kindern und Jugendlichen an, indem man einen Zugang ermöglicht! Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit und auch das Interesse für die Kultur bei den Jugendlichen zu steigern.

Welche Bedeutung hat das ausgewählte Projekt „KulturKarte“ für die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aus der Perspektive des Bundesministeriums und der Jugendstrategie?

Und die Zusatzfrage haben wir dem Leiter des Referats Jugendstrategie, eigenständige Jugendpolitik im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestellt:

Rainer Wiebusch: Kultur, Kreativität, Kommunikation, Kunst und Kleinkunst haben große Bedeutung für Selbstpositionierung und Verselbstständigung von Jugendlichen. Dies zu ermöglichen – und zwar unabhängig von Wohnort, Bildungsgeschichte und sozioökonomischem Hintergrund – ist eines der Ziele der Jugendstrategie der Bundesregierung.

Hier setzt das Pilotvorhaben „KulturKarte“ an, das von jungen Menschen im Rahmen des „Jugend-Budgets“ entwickelt wurde und nun gemeinsam mit ihnen umgesetzt wird. Was läuft wann und wo? Kann ich mir das leisten? Wie komme ich dahin? Und natürlich: Wie komme ich da wieder weg? Um diese Fragen geht es. Damit löst das Projekt in vorbildhafter Weise die Prinzipien der Jugendstrategie ein: Jugend beteiligen, Jugend sichtbar machen und gemeinsam Verantwortung übernehmen!

Eine derartige KulturKarte ist ein kultur- und jugendpolitisches Anliegen. Was bedeutet es für euch, jugendgerechte Politik mitzugestalten?

Danait: Als Jugendliche hat man das Gefühl, sowieso nicht ernst genommen zu werden, wenn man über Politik oder Kultur spricht. Sätze wie „Du bist halt jugendlich, du kannst das nicht wissen“ hört man oft. Dadurch, dass wir mit unserer Idee überzeugen konnten, fühle ich mich endlich wahrgenommen. Wir haben nicht nur die Chance, sondern auch die Mittel zur Umsetzung, das ist ein unglaubliches Gefühl.

Susan: Da stimme ich zu. Warum macht niemand was, warum wird man dann nicht gehört? – Das habe ich mich gefragt, bevor mir aufgefallen ist, dass ich dieser jemand sein kann, der versucht, seine Stimme zu nutzen, um etwas zu verändern. Ich nehme es ernst, dass wir jetzt derartig gehört werden.

Welche Bedeutung haben kulturelle Angebote, warum sind diese wichtig? Und was ist eigentlich Kultur?

Susan: Das hängt immer vom Individuum ab. Für mich ist Kultur ein Zusammenspiel zwischen Bildung und Spaß. Kultur macht am meisten in der Gemeinschaft Spaß, weshalb die Besuche von Schulen zu Theateraufführungen total cool sind, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Durch Theaterbesuche oder Konzerte lernt man was dazu, hat aber auch Spaß dabei, etwas Neues kennenzulernen. Kultur kann eine Art Gesprächsthema sein, eine Debatte, worüber man im Nachhinein diskutieren kann und so einen langfristigen Mehrwert hat.

Mia: Kultur ist für alle Menschen total wichtig. Wir haben uns lange darüber ausgetauscht, was Kultur alles ermöglicht. Man kann andere Kulturen kennenlernen, lernen, sich für Dinge zu entscheiden oder z. B. in einem Museum etwas über Politik erfahren und daraus seine eigene Meinung bilden. Bei Jugendlichen kann Kultur zur Entwicklung beitragen und nachhaltig prägen. Vor allem trägt sie zur Selbstentwicklung und Selbstbildung bei – und so nehme ich Kultur auch wahr. Für mich bedeutet Kultur, dass man mit Freund*innen zusammenkommt. Vor der Pandemie bin ich ins Theater oder in Konzerte gegangen, habe selbst in der Theatergruppe mitgespielt und war in der Schule im Chor. Kultur ist, etwas mit allen Sinnen wahrzunehmen.

Océane: Kultur ist für mich der Großteil meines Lebens. Ich wusste immer, dass ich etwas mit Kultur machen möchte. Ich bin sehr begeistert von Kultur, singe auch mit Menschen anderer Generationen im Chor. Ich glaube, die Pandemie hat uns gezeigt, wie sehr wir Kultur brauchen und dass Kultur eigentlich einer der Gründe ist, die das Leben lebenswert machen.

Danait: Wenn Jugendliche Kultur hören, denken sie meist: Kultur ist langweilig. Das ist sehr schade: Schließlich bietet Kultur so viele Möglichkeiten! Kultur sind nicht nur klassische Konzerte oder Ausstellungen, sondern können auch Videospiele sein!

Welche Barrieren gibt es, sodass nicht alle Kinder und Jugendliche kulturelle Angebote nutzen können? Was kann Angebote bekannter machen?

Océane: Es gibt viele Ungerechtigkeiten, die Kultur für Jugendliche betreffen. Dass einem die Eltern Kino oder Ausstellungen ermöglichen, ist nicht selbstverständlich. Es braucht starke Institutionen, deren Angebote sehr günstig oder sogar umsonst sind. Nicht alle Jugendlichen sind sofort begeistert von Kultur. Hier braucht man Mediator*innen, die Kultur wirklich vermitteln, auch in der Schule.

Danait: Man sollte den Einfluss von Lehrkräften außerdem nicht vergessen. Beispielsweise habe ich einen Theaterlehrer, der immer auf Veranstaltungen hinweist. Das ist gerade für die Schüler*innen relevant, deren Eltern sie eher nicht auf solche Angebote aufmerksam machen.

Susan: Werbung für kulturelle Angebote muss flächendeckend und überall stattfinden, gerade in den ländlichen Regionen. Wenn es dort beispielsweise keine gute Internetverbindung gibt, ist es sehr schwer den Kontakt zu den Jugendlichen herzustellen und sie von kulturellen Angeboten zu begeistern. Werbung kann auch analog sein: in Bussen oder auf Plakaten in der Straße.

Mia: Theater sind nach und nach auf Social Media vertreten und erreichen eine junge Zielgruppe. Das ist ein Aspekt, wo man der Jugend entgegenkommen könnte: die Werbung. Einige Schulen ermöglichen Theaterbesuche und ähnliches, das sollte Standardprogramm werden, um Jugendlichen zu zeigen, was sie daraus lernen und erfahren können. Die Einlasskarten können schnell teuer werden. Hier wollen wir ansetzen und das finanzielle Hindernis und auch die Erreichbarkeit minimieren.

Was erhofft ihr euch im Nachgang der Denkwerkstatt der BKJ mit den Vertreter*innen, Kultureinrichtungen und anderen Jugendlichen?

Mia: Wir erhoffen, dass von Erfahrungen berichtet wird, wie es im Konzerthaus oder Museum abläuft, welche Schritte dazugehören, die wir noch nicht bedacht haben. Toll wäre es, wenn wir Konzepte erstellen, damit die CultureCard in Regionen erprobt werden kann. Natürlich erhoffen wir uns Aufmerksamkeit und die Realisation. Wenn die CultureCard umgesetzt wird, wäre es wie ein Traum, der in Erfüllung geht.

Von der „CultureCard“ zu „KulturKarte? Gemeinsam Zugänge für junge Menschen öffnen“ – Worum geht es?

Mit der Idee einer „Deine CultureCard“ haben Mia, Danait, Océane und Susan die Jury des Jugendbudgets überzeugt. Das Bundesjugendministerium, das das Jugend-Budget vergibt, hat die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) mit der Umsetzung des Projekts „Deine CultureCard“ beauftragt und fördert dieses (2021−2023).

Bei der Umsetzung ist es der BKJ wichtig, dass junge Menschen an jedem Schritt der Projektentwicklung beteiligt sind. Die Projektidee soll unter dem Titel „KulturKarte? Gemeinsam Zugänge für junge Menschen öffnen“  weiterentwickelt werden und verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung der Projektziele geprüft werden.

Um verschiedene Ideen zu diskutieren und gemeinsam Konzepte zu entwickeln, hat die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) Vertreter*innen von Kultur- und Jugendressorts und Organisationen auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene, Träger der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, junge Menschen zwischen 14 und 26 Jahren und andere Interessierte eingeladen. Am 3. Dezember 2021 wurden verschiedene Modelle existierender Kulturkarten oder -pässe aus Osnabrück, München und Thüringen in einer Denkwerkstatt vorgestellt. Ebenso wurde ein Blick über die Landesgrenzen nach Italien und Frankreich wurde geworfen. Auch die zentralen Fragen der kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, zur Mitgestaltung von kulturellen Angeboten durch sie, zur jugendgerechten Kommunikation und notwendigen Verschränkung von Kultur- und Jugendpolitik auf kommunaler Ebene wurden diskutiert.

Im nächsten Schritt werden in einer bundesweiten Ausschreibung einzelne Kommunen und Organisationen ausgewählt, die auf kommunaler Ebene gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Ansätze erproben, die kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen verstärken und strukturell verstetigen könnten, z. B. durch Kultur-Karten-Modelle oder andere Ansätze in der Kommunikation, Mobilität, in der Beteiligung an kulturellen Organisationen/Programmen oder der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Begleitet durch eine wissenschaftliche Studie sollen daraus dann bis 2023 Empfehlungen entstehen, welche Schritte und Maßnahmen geeignet seien könnten oder nötig wären, um die Idee der Jugendlichen weiterzuentwickeln und gänzlich oder in Teilaspekten umzusetzen.