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Kindeswohl in Klangräumen
Aus der Praxis

Kindeswohl in Klangräumen

Schutzkonzepte bei Familienmusikangeboten und internationalen Festivals, Arbeitskreis Musik in der Jugend (AMJ)

veröffentlicht:
Thema
Prävention und Kindeswohl
Schlagworte
Jugendaustausch • Partizipation • Teilhabe
Eine Gruppe Jugendlicher singt bei Veranstaltung des AMJ.
AMJ | Patrick Morarescu

Spätestens seit Inkrafttreten des Antimissbrauchsgesetzes sind Schutzkonzepte gegen (sexualisierte) Gewalt ein ebenso notwendiger wie auch wichtiger Schritt für Organisationen. Der Arbeitskreis Musik in der Jugend ist diesen Schritt gegangen und gibt Einblick in den Entwicklungsprozess.

Beim Internationalen Festival für junge Chöre EUROTREFF in Wolfenbüttel nehmen über 500 junge Menschen, Chorleiter*innen, Musiker*innen und Angehörige aus insgesamt neun Nationen teil. Wie können Veranstalter sicherstellen, dass sich jede Person dabei gesehen fühlt und nicht in der Masse untergeht?

Das Wohl des einzelnen Kindes in der großen Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren, ist neben der internationalen Begegnung an sich und den neuen musikalischen Impulsen, auf die sich alle freuen, ein großes Ziel des Arbeitskreises der Musik in der Jugend (AMJ). Denn in diesem Jahr steht die partizipative Entwicklung eines dachverbandlichen Schutzkonzeptes auf der Agenda. Großveranstaltungen wie diese eigenen sich, um Prävention, Interaktion und Risikoanalyse zielgruppengenau innerhalb der AMJ-Strukturen zu thematisieren.

Bei dem fünftägigen Event sollen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, sich aktiv in die zukünftigen Abläufe des Festivals einzubringen: Sei es die Planung der Erwachsenen zu hinterfragen, Verbesserungsvorschläge abzugeben oder zu sagen, wo sie sich wohlfühlten und warum.

Der AMJ achtet darauf, verschiedene Zielgruppen anzusprechen, ohne sie gegeneinander auszuspielen: „Wir müssen Breiten- und Spitzenförderung als sich ergänzende Ansätze begreifen. Letztlich muss der AMJ Angebote entwickeln, die Kindern sowohl einen sicheren Raum für freizeitorientiertes Musizieren und soziale Erfahrungen geben, als auch solche, die ein hohes musikalisches Niveau erfordern. Beide Bedürfnisse haben ihre Berechtigung. Und genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich der AMJ“, berichtet die Generalsekretärin Petra Penning.

Im Musikbereich, und das gilt auch für andere Angebote der Kulturellen Bildung, ist ein erstrebenswertes Ziel, sein Innerstes zu öffnen. Das macht angreifbar.

Petra Penning, Generalsekretärin AMJ

In dem Kontext von EUROTREFF sei die Begegnung mit anderen Nationen auch eine Begegnung mit sich selbst. Manches, was auf Basis der eigenen Kultur als selbstverständlich gilt, werde laut Petra Penning erst im Abgleich mit dem Gegenüber ins Bewusstsein gebracht. Ist es für den Chor aus Südkorea gegebenenfalls eine Grenzüberschreitung, sich beim Singen einzuhaken? Küsschen, Händeschütteln oder höfliches Verbeugen: Muss es Regeln geben, wie man sich begrüßt? „Worauf wollen wir uns einigen? Das wird ein spannender Prozess“, sagt Petra Penning.

Im Vorfeld des großen internationalen Events organisiert der AMJ-Landesverband Bayern die sogenannten Familien-Musikwochen. Während einiger Workshops haben junge Menschen dann die Gelegenheit, sich auszutauschen und im Chor oder Orchester gemeinsam zu musizieren. Auch hier zeigt sich die Verantwortung des AMJ: Angebote müssen auf die Zielgruppe abgestimmt sein. Hochambitionierte Musiker*innen passen womöglich nicht in ein familienorientiertes Format, in dem das gemeinsame Erleben im Fokus steht und nicht die Leistung. Umgekehrt fühlen sich Menschen, die lange kein Instrument mehr gespielt haben eher ermutigt, wenn die Rahmenbedingungen ihnen Sicherheit geben und der Leistungsdruck außen vor bleibt.

Deshalb soll es auch hier ein Angebot geben, in dem Kinder und Jugendliche berichten können, wo sie sich besonders wohlfühlen, was sie sich wünschen und was ihnen fehlt. Ehemalige Teilnehmer*innen dieser Veranstaltungen und Honorarkräfte, Mitarbeiter*innen und Mitglieder des AMJ können außerdem online an einer Risiko- und Potenzialanalyse mitwirken.

Die Erkenntnisse daraus werden in das Schutzkonzept einfließen und sind wichtig für den partizipativen Prozess. Das dachverbandliche Schutzkonzept wird damit nicht nur nötige Maßnahmen bündeln, damit Kinder und Jugendliche sich wohlfühlen, sondern berücksichtigt auch die besonderen Strukturen des AMJ, ist Petra Penning wichtig.

Raum der Hierarchie – oder der Ermächtigung?

„Im Musikbereich, und das gilt auch für andere Angebote der Kulturellen Bildung, ist ein erstrebenswertes Ziel, sein Innerstes zu öffnen. Das macht angreifbar“, sagt Petra Penning. Alt bewährte und teils historisch bedingte Strukturen eines Chors oder Orchesters – eine Person gibt den Ton an und alle anderen müssen folgen – sorgen ebenfalls für ein hierarchisches Gefälle. Interessant sei dabei, dass diese Hierarchien häufig nicht auf klassischer Führungskompetenz beruhten, die mit der Fähigkeit verbunden wird, gut mit Menschen umzugehen. Vielmehr sei die Ausübung von Autorität im Musikbereich häufig eng mit der musikalischen Kompetenz verknüpft, berichtet Petra Penning.

Die Musik sollte es sich deshalb auch zur Aufgabe machen, tradierte Rollenbilder von Maestro, Konzertmeister, Stimmführer und Co. aufzubrechen und neu zu formen. Community-Music, ein Ansatz, in dem gleiches Mitspracherecht in allen Entscheidungsprozessen gilt und in dem demokratische, wertschätzende Umgangsformen sowie soziale Gerechtigkeit eingefordert werden, ist ein gutes Beispiel dafür.

Laut Petra Penning liegen die Potenziale der Kulturellen Bildung darin, die Kultur nicht als das Ergebnis zu verstehen, sondern als Mittel. In ihr liegen die Möglichkeiten einen Raum zu erschaffen, in dem tradiertes Verständnis neu geformt wird. Auf diese Weise entstehen neue Ansätze. Dass dieser Prozess nicht immer bequem ist und zu Unverständnis und Skepsis führen kann, hat Petra Penning auch schon erlebt, etwa von langjährigen Dozent*innen: „Die sagen dann: Ich mache das hier seit 20 Jahren – vertraut ihr mir nicht mehr?“

Überforderung und Unwissen abbauen

Es geht also um das Schutzkonzept – doch eigentlich geht es um mehr. Um Verantwortung, um Glaubwürdigkeit, um Struktur. Begleitet wird der AMJ bei seinem Vorhaben von einer externen Fachkraft. Ihre Impulse, die durch die Finanzierung im BKJ-Programm Start2Act möglich wurden, seien gerade zu Beginn besonders hilfreich gewesen, berichtet Petra Penning. „Als es darum ging, das Thema Schutzkonzept im AMJ zu etablieren, hatten wir zunächst den berühmten Elefanten im Raum.“ Überforderung und Unwissen stetig abzubauen und die unterschiedlichen inhaltlichen Dimensionen zu strukturieren, das ginge kaum, solange man selbst Teil des Systems sei.

Eine wichtige Erkenntnis im Prozess: Zeit mitbringen. Zeit für das Durchleuchten der Strukturen und Zeit für eine schrittweise Umstellung. Dafür sei auch ein klares Bekenntnis der Leitungsebene entscheidend. Mit Sensibilisierungsworkshops für Mitglieder, Sichtbarkeit des Themas auf der Website, Informationen im Newsletter oder Angeboten zur Qualifizierung senkt der AMJ die Hemmschwelle für Mitgliedschöre und andere Partnerinstitutionen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das Ziel ist am Ende nicht nur ein fertiges Schutzkonzept für den AMJ und seine Landesverbände, sondern auch seine selbstverständliche Verankerung in den alltäglichen Prozessen.

Text: Nina Hennecken

Der Arbeitskreis Musik in der Jugend e. V. entwickelt sein dachverbandliches Schutzkonzept im Rahmen des BKJ-Förderprogramm „Start2Act“ exemplarisch anhand drei großer Musikveranstaltungen, bei denen sowohl mehrere hundert Kinder und Jugendliche teilnehmen, aber ebenso Angehörige involviert werden. Vor allem die Bereiche Risikoanalyse und Prävention sind partizipativ gedacht und reichen von anonymisierten Umfragen bis zur Mitbestimmung. Das Programm „Start2Act“ wird finanziert von der Europäischen Union.

Über den BKJ-Mitgliedsverband:

Logo Arbeitskreis Musik in der Jugend

Der Arbeitskreis Musik in der Jugend (AMJ) ist ein bundesweiter Chorverband und Kursveranstalter. Er richtet sich an Kinder- und Jugendchöre, Schul- und Hochschulchöre sowie an Erwachsenenchöre, aber auch an Einzelpersonen und Familien. Alljährlich führt der AMJ über hundert Kurse durch, von Familienmusikwochen über Fortbildungen für Chor- und Orchesterleitung bis zu Chor- und Orchesterfreizeiten. Außerdem organisiert der AMJ in jedem Jahr ein großes internationales Festival für Kinder- und Jugendchöre. Der Verband bietet eine Plattform für nationale und internationale Chorkontakte. Er unterstützt seine Mitglieder bei praktischen Fragen wie zum Vereinsrecht und zur GEMA sowie bei Anträgen für Zuschüsse. Der AMJ ist Zentralstelle beim Deutsch-Französischen und beim Deutsch-Polnischen Jugendwerk.

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