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Kinder und Jugendliche bestimmen mit!
Interview

Kinder und Jugendliche bestimmen mit!

Im Gespräch mit Jürgen Schattmann, Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration in NRW

veröffentlicht:
Thema
Demokratie
Schlagworte
Kommunales Bildungsmanagement • Partizipation • Teilhabe

Jugendpolitik lebt von verlässlichen Strukturen, eindeutigen Zuständigkeiten und der strategischen Verknüpfung Kultureller Bildung. Jürgen Schattmann berichtet, wie die Belange junger Menschen auf Landesebene strategisch verankert werden können.

Portraitfoto von Jürgen Schattmann, Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Jürgen Schattmann ist Referatsleiter für Allgemeine Fragen der Jugendpolitik im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI) des Landes Nordrhein-Westfalen und leitet die Gruppe Jugend und Kinderschutz. Er ist außerdem im Vorstand der Arbeitsgemeinschaf für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ).

Was motiviert Sie, für junge Menschen einzustehen?

Ich bin seit 30 Jahren in unterschiedlichen Funktionen in diesem Arbeitsfeld aktiv, davor auch ehrenamtlich in der Jugendarbeit. Ich hatte das große Glück, mein Engagement zum Beruf machen zu können. Ich bin dabeigeblieben, weil ich das immer noch gerne mache und hoffe, dass das, was ich tue, jungen Menschen hilft, ihre Interessen zu formulieren und sich für diese einzusetzen.

In Ihrer Position haben Sie die Dynamisierung des Kinder- und Jugendförderplans NRW maßgeblich vorangetrieben. Warum?

In Nordrhein-Westfalen gab es schon lange Diskussionen darüber, ob die Mittel im Kinder- und Jugendförderplan ausreichen, vor allem, weil die Kosten fortlaufend steigen, zum Beispiel durch Inflation oder höhere Tariflöhne. Vor der Dynamisierung war es so, dass häufig zu Beginn einer neuen Legislaturperiode die Fördersumme einmal angehoben wurde, die Mittel dann aber während der Legislaturperiode nicht angepasst wurden. Viele Träger haben daraufhin den Wunsch geäußert, dass es eine automatische Anpassung der Mittel geben sollte, eine sogenannte Dynamisierung, damit die Fördermittel auch während der Laufzeit mit steigenden Kosten mithalten können. Diese Idee wurde dann schließlich 2017 in die Koalitionsverhandlungen für die Bildung einer neuen Landesregierung aufgenommen und umgesetzt. Seitdem werden die Fördermittel jedes Jahr nach einem festen Schlüssel angepasst. Das hilft den Trägern sehr bei der Planung und Finanzierung.

Nun steht eine KJP-Dynamisierung auch im Koalitionsvertrag des Bundes. Wie finden Sie das?

Ich bin sehr froh darüber, dass es eine entsprechende Absichtserklärung gibt. Wenn die Dynamisierung durchgesetzt wird, schafft das mehr Raum für fachliche Debatten. Das kann ich aus meiner Erfahrung in Nordrhein-Westfalen feststellen: Mit der Dynamisierung konnten wir viele Konfliktfelder und lange Debatten über die grundsätzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere in Hinblick auf die Frage, ob die zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen, beseitigen. Stattdessen können wir uns auf inhaltliche Fragen konzentrieren. Das tut dem Arbeitsfeld insgesamt sehr gut.

Worin liegen die Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen eine jugendgerechte Gesellschaft zu gestalten?

Eine jugendgerechte Gesellschaft herzustellen, ist eine gesellschaftspolitische Anforderung. Der Bund hat hier eine Verantwortung, und er hat das Thema in der vergangenen Legislaturperiode auch aufgegriffen, etwa mit dem Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“. Nun geht es darum, das voranzutreiben: Ich glaube, dass der Bund die Bedingungen auf gesetzlicher Ebene noch weiter verbessern kann.

Auf Landesebene liegt die Verantwortung unter anderem in der Umsetzung bundesrechtlicher Vorhaben, zum Beispiel über das SGB VIII. Hier gibt es einige Initiativen, wie die eigenständige, einmischende Jugendpolitik. In Nordrein-Westfalen verfügen wir über ein sehr gutes Zusammenspiel mit den Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und der kulturellen Jugendarbeit und bekommen dadurch sehr intensiv mit, was die jungen Menschen in den Angeboten der Jugendarbeit bewegt. Das ist wichtig.

Wir unterstützen daher auf kommunaler Ebene Beteiligungsformate, die junge Menschen zur Partizipation motivieren. Denn hier passiert echte Beteiligung. Auf der kommunalen Ebene passieren die Dinge, die die jungen Menschen unmittelbar betreffen. Wichtig ist, dass sie frühzeitig in Prozesse einbezogen werden und die Beteiligung gewisse Standards erfüllt. Dies beinhaltet auch eine echte Beteiligung an Entscheidungen und nicht nur die Abfrage von Meinungen.

Aus Ihrer Sicht: Welche Rolle spielt Kulturelle Bildung in der Jugendpolitik des Landes NRW?

Die Kulturelle Bildung ist eine der wesentlichen Säulen im Bereich der Kinder- und Jugendförderung. Wir sprechen von kultureller Jugendarbeit, denn wir denken Kulturfragen und Fragen der Jugendarbeit zusammen. Dabei spielt die kulturelle Jugendarbeit eine genauso große Rolle, wie zum Beispiel die Jugendverbandsarbeit, die offene Jugendarbeit oder die Jugendsozialarbeit. Kulturelle Bildung selbst hat auch viele Schnittstellen: zur Schule, zur allgemeinen Kulturarbeit, zur Kulturförderung. Unser Ziel ist es, kulturelle Jugendarbeit, Kulturelle Bildung und schulische Bildung für Kultur auf kommunaler Ebene besser zu verzahnen. Dabei bleibt jeder Bereich eigenständig, aber sie ergänzen sich sinnvoll. Es geht dabei darum, mehr Möglichkeiten für junge Menschen zu schaffen, um überhaupt mit kulturellen Angeboten in Kontakt zu kommen und daran persönlich zu wachsen. Besonders gelungen ist das zum Beispiel im Kontext von 30 Jahren UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 2019. Die LKJ NRW hat mit „#Unser Recht“ ein Beteiligungsprojekt umgesetzt, bei dem etwa 200 Kinder künstlerisch erfahren haben, welche Rechte sie haben und was sich hinter scheinbar komplizierten Paragrafen verbirgt.

Welche Bedingungen sind maßgeblich, damit die Beteiligung junger Menschen gelingt?

Damit Beteiligung gelingen kann, müssen junge Menschen das Gefühl bekommen, dass sie mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden. Themen, die Kinder und Jugendliche nicht selbst als bedeutsam wahrnehmen, machen eine aktive Beteiligung oft schwierig. Daher gilt: Gute Beteiligung ist Beteiligung von Anfang an, also schon bei der Formulierung von Themen. Dann muss die Beteiligung so ausgestaltet werden, dass die Zielgruppen dies auch leisten können. Das bedeutet zum Beispiel, dass Fragestellungen jugendgerecht formuliert werden sollten. Außerdem sollten Kinder und Jugendliche möglichst zeitnah Feedback zu den Ergebnissen und Wirkungen ihrer Beteiligung erhalten.

Welche Potenziale kann die Kulturelle Bildung hierfür bieten?

Kulturelle Bildung hat hier großes Potenzial, weil sie junge Menschen oft spielerisch und interessenorientiert anspricht. Auch die Methoden der Kulturellen Bildung, sei es in Form der bildnerischen Gestaltung, Poetry Slams oder Musik, bieten spannende und ganz eigene Ausdrucksformen an. Junge Menschen können sich mittels kultureller Bildungsangebote nicht nur sprachlich, sondern auch musikalisch oder körperlich ausdrücken. Über diese Zugänge kann Beteiligung entstehen, gerade wenn Themen ausgewählt werden, die junge Menschen sowieso bewegen, wie zum Beispiel der Klimawandel.

Junge Menschen können sich mittels kultureller Bildungsangebote nicht nur sprachlich, sondern auch musikalisch oder körperlich ausdrücken. Über diese Zugänge kann Beteiligung entstehen.

Jürgen Schattmann

Welche Herausforderungen sehen Sie gesellschaftlich und politisch für die Jugendarbeit aber auch für die Kinder- und Jugendhilfe?

Das sind Themen, die uns alle betreffen, aber die jungen Menschen in besonderer Weise: die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die besonders nachhaltige Folgen für junge Menschen hatte – stärker als für ältere. Der Klimawandel, der junge Menschen deutlich stärker betrifft als ältere. Der Umgang mit geopolitischen Krisen. Neben diesen großen Themen gibt es aber auch noch andere. So steht die Kinder- und Jugendhilfe vor der Frage, wie sie ihren Beitrag zur Ausgestaltung einer inklusiven Gesellschaft leisten will. Zu guter Letzt ist der Fachkräftemangel eine Herausforderung für den gesamten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. In der Kulturellen Bildung sehe ich Vorteile, weil dort schon immer ein breiterer Fachkräftebegriff gilt. Daraus kann man lernen, wie man andere Berufsgruppen einbindet und trotzdem pädagogische Qualität sicherstellt.

Wie kann eine Gesellschaft, die die Belange junger Menschen in den Fokus nimmt, aussehen?

Ich denke, das ist vor allem eine Frage der Haltung in der Gesellschaft. In einer Gesellschaft, in der der Anteil älterer Menschen immer größer wird, ist die Gefahr groß, dass politische Entscheidungen hauptsächlich an ihren Interessen ausgerichtet werden. Das liegt zum einen daran, dass sie eine starke Wählergruppe, aber auch eine einflussreiche und große Gruppe in unserer Gesellschaft sind.

Kinder und Jugendliche sollten, auch wenn sie zahlenmäßig weniger sind, eine ebenso große Aufmerksamkeit bekommen. Nicht nur, weil ihr Wohlbefinden wichtig und schützenswert ist, sondern weil sie die Zukunft der Gesellschaft gestalten. Dafür brauchen sie gute Startchancen und das Gefühl, dass ihre eigenen Anliegen ernstgenommen werden. Sie müssen ein positives Verhältnis zur Gesellschaft, in der sie aufwachsen, entwickeln. Das ist die Voraussetzung dafür, jetzt und in Zukunft Gesellschaft selbst gestalten und Verantwortung übernehmen zu wollen. Es sollte deshalb verbindliche Regelungen geben, die verpflichtend vorsehen, junge Menschen zu beteiligen. In einer idealen Gesellschaft werden die Interessen aller Gruppen in Aushandlungsprozesse einbezogen. Auch Kinder und Jugendliche würden dann als eine Gruppe von Individuen mit eigenen Ansprüchen, Erwartungen und Rechten gesehen werden.

Text und Interview: Nina Hennecken